GLP-1-Analoga

GLP-1-Analoga (Glucagon-like Peptid-1-Analoga; Glukagon-ähnliches Peptid) (Synonyme: Inkretin-Mimetikum, GLP-1-Agonist, GLP-1-Analogon) sind eine Klasse von Antidiabetika, die zur Behandlung des Typ-2-Diabetes mellitus eingesetzt werden. Sie ahmen die Wirkung des körpereigenen Inkretinhormons GLP-1 (Glucagon-like Peptide-1) nach, das die Insulinsekretion stimuliert und die Glukagonfreisetzung hemmt. Die Entwicklung von GLP-1-Analoga begann in den frühen 2000er-Jahren, als die Inkretinwirkung bei der Blutzuckerregulation entdeckt wurde. Aufgrund ihrer positiven Effekte auf das Körpergewicht und das kardiovaskuläre Risiko sind sie mittlerweile fester Bestandteil der modernen Diabetestherapie. GLP-1-Analoga werden auch als GLP-1-Rezeptoragonisten bezeichnet, da sie den GLP-1-Rezeptor aktivieren und so die Inkretinwirkung pharmakologisch verstärken.

Zielsetzung und Wirkung

  • Wirkmechanismus
    GLP-1-Analoga binden an den GLP-1-Rezeptor auf pankreatischen Betazellen und lösen folgende Effekte aus:
    • Glukoseabhängige Stimulation der Insulinfreisetzung
    • Hemmung der Glukagonsekretion
    • Verzögerung der Magenentleerung
    • Appetitreduktion durch Beeinflussung der Sättigungszentren im Hypothalamus
  • Therapeutische Zielsetzung
    • Verbesserung der Blutzuckereinstellung (Reduktion von HbA1c)
    • Gewichtsreduktion durch Hemmung des Appetits
    • Schutz vor kardiovaskulären Ereignissen (bei bestimmten Präparaten)
  • Erwartete Effekte
    • Senkung des Nüchtern- und postprandialen Blutzuckers
    • Gewichtsreduktion um durchschnittlich 2-6 kg
    • Reduktion kardiovaskulärer Ereignisse (Myokardinfarkt (Herzinfarkt), Apoplex (Schlaganfall))
  • WeiteresPatienten mit Typ-2-Diabetes mit GLP-1-Agonisten-Einnahme erkranken in den Folgejahren seltener an hämatologischen Krebserkrankungen als bei einer Behandlung mit Metformin oder Insulin [5].

Weitere Hinweise

GLP-1-Rezeptoragonisten und Koagonisten reduzieren effektiv das Gewicht von Übergewichtigen und Adipösen auch ohne Diabetes mellitus [6]: 

  • Tirzepatid (15 mg/Woche) in einem Gewichtsverlust von bis zu 17,8 % nach 72 Wochen Therapie
  • Semaglutid (2,4 mg/Woche) erreichte eine Gewichtsreduktion von bis zu 13,9 % nach 68 Wochen
  • Liraglutid (3,0 mg/Woche) erreichte bis zu 5,8 % nach 26 Wochen
  • Retatrutid (12 mg/Woche), ein Tripleagonist, war mit einer Gewichtsreduktion von bis zu 22,1 % nach 48 Wochen Therapie verbunden. [noch in der Erprobungsphase]

Indikationen (Anwendungsgebiete)

  • Primäre Indikationen
    • Typ-2-Diabetes mellitus (als Monotherapie oder in Kombination mit anderen Antidiabetika)
    • Gewichtsreduktion bei Patienten mit Typ-2-Diabetes und Adipositas (BMI ≥ 30 kg/m²)
  • Sekundäre Indikationen
    • Kardiovaskuläre Risikoreduktion bei Patienten mit Typ-2-Diabetes und bestehender kardiovaskulärer Erkrankung
    • Therapie bei Patienten mit chronischer Nierenerkrankung zur Verbesserung der Stoffwechseleinstellung
  • Off-Label-Use
    • Adipositastherapie ohne Vorliegen eines Diabetes mellitus

Kontraindikationen (Gegenanzeigen)

  • Absolute Kontraindikationen
    • Schwere gastrointestinale Erkrankungen (z. B. Gastroparese)
    • Anaphylaktische Reaktion auf GLP-1-Analoga
    • Medulläres Schilddrüsenkarzinom oder Multiple endokrine Neoplasie Typ 2 (MEN 2)
  • Relative Kontraindikationen
    • Chronische Niereninsuffizienz (GFR < 30 ml/min)
    • Schwere Leberfunktionsstörungen
    • Schwangerschaft und Stillzeit
  • Spezielle Patientengruppen
    • Kinder und Jugendliche – Anwendung unter 18 Jahren nicht zugelassen (außer bei spezifischen Präparaten)
    • Ältere Patienten – Dosisanpassung erforderlich bei eingeschränkter Nierenfunktion

Das Verfahren (Anwendung und Durchführung)

  • Verabreichungsform
    • Subkutane Injektion (in der Regel einmal täglich oder einmal wöchentlich)
  • Dosierung
    • Exenatid: 5-10 µg 2 x täglich
    • Liraglutid: 1,2-1,8 mg 1 x täglich
    • Semaglutid: 0,5-1,0 mg 1 x wöchentlich
  • Therapiedauer
    • Langzeittherapie empfohlen
    • Kontrolle der Effektivität nach 3-6 Monaten
  • Kombinationstherapien
    • Kombination mit Metformin, SGLT-2-Inhibitoren oder Insulin möglich

Pharmakokinetik und Pharmakodynamik

  • Resorption
    • Schnelle Resorption nach subkutaner Injektion
    • Maximale Plasmakonzentration nach 1-3 Stunden (Exenatid), 8-12 Stunden (Semaglutid)
  • Verteilung
    • Hohe Proteinbindung
    • Gute Verteilung im extrazellulären Raum
  • Metabolismus
    • Abbau über das retikuloendotheliale System und durch Dipeptidylpeptidase-4 (DPP-4)
  • Elimination
    • Renale und hepatische Clearance
    • Halbwertszeit:
      • Exenatid: 2,4 Stunden
      • Liraglutid: 13 Stunden
      • Semaglutid: 165 Stunden

Mögliche Nebenwirkungen

  • Häufige Nebenwirkungen
    • Übelkeit, Erbrechen
    • Durchfall
    • Appetitlosigkeit
    • Kopfschmerzen
  • Seltene, aber schwerwiegende Nebenwirkungen
    • Pankreatitis
    • Schilddrüsenkarzinom (bei genetischer Prädisposition)
    • Anaphylaktische Reaktionen
  • Langzeitnebenwirkungen
    • Mögliche Erhöhung des Risikos für Cholelithiasis (Gallensteine)
    • Potenzielle Langzeitrisiken für Schilddrüsenerkrankungen

Weitere Hinweise

  • 2023 empfahl die American Society of Anesthesiologists (ASA), die Anwendung von GLP-1-RAs wegen verzögerter Magenentleerung und damit unerwünschten Komplikationen unter endoskopischen Verfahren, einschließlich Aspirationspneumonien, bis zu einer Woche vor der Operation abzusetzen.
  • Eine 2024 veröffentlichte Meta-Analyse unter GLP-1-RA-Einnahme konnte kein erhöhtes Risiko für postoperative respiratorische Komplikationen nachweisen [4].

Wechselwirkungen

  • Pharmakokinetische Wechselwirkungen
    • Verzögerung der Magenentleerung → Resorptionsverzögerung anderer Medikamente (z. B. Paracetamol, Antibiotika)
  • Pharmakodynamische Wechselwirkungen
    • Verstärkung der Hypoglykämiegefahr in Kombination mit Sulfonylharnstoffen oder Insulin
    • Potenzierung der blutdrucksenkenden Wirkung bei gleichzeitiger Gabe von ACE-Hemmern
  • Klinisch relevante Wechselwirkungen
    • Reduzierte Wirkung von Warfarin durch verzögerte Resorption

Anwendungsbeschränkungen und Vorsichtsmaßnahmen

  • Dosisanpassung bei Niereninsuffizienz
    • Liraglutid und Semaglutid: Keine Anpassung erforderlich
    • Exenatid: Keine Anwendung bei GFR < 30 ml/min
  • Anwendung bei älteren Patienten
    • Vorsicht bei Patienten > 75 Jahre aufgrund reduzierter Nierenfunktion
  • Notwendige Monitoring-Maßnahmen
    • Blutzuckerkontrollen
    • Kontrolle von Pankreasenzymen bei Verdacht auf Pankreatitis

Therapieüberwachung und Monitoring

  • Laborkontrollen
    • HbA1c (alle 3-6 Monate)
    • Nüchternblutzucker (wöchentlich im ersten Monat)
    • Pankreasenzyme (bei Symptomen einer Pankreatitis)
  • Therapiekontrolle
    • Beurteilung des HbA1c-Werts nach 3 Monaten
    • Dokumentation von Gewichtsveränderungen
  • Compliance
    • Regelmäßige ärztliche Kontrolluntersuchungen zur Sicherstellung der korrekten Anwendung

Alternative Therapieoptionen

  • Pharmakologische Alternativen
    • DPP-4-Inhibitoren
    • SGLT-2-Inhibitoren
    • Insulin
  • Nicht-medikamentöse Alternativen
    • Gewichtsreduktion durch Diät und Bewegung
  • Kombinationstherapien
    • Kombination von GLP-1-Analoga mit Metformin oder SGLT-2-Inhibitoren

Besonderheiten und spezifische Empfehlungen

  • Internationale Leitlinien empfehlen GLP-1-Analoga als bevorzugte Zweitlinientherapie bei Typ-2-Diabetes.
  • Kombination mit Insulin kann die Hypoglykämiegefahr erhöhen.
  • Bei Verdacht auf Pankreatitis → sofortige Therapiepause.

Zusammenfassung

GLP-1-Analoga bieten eine effektive blutzuckersenkende Therapie mit positiven Effekten auf das Gewicht und das kardiovaskuläre Risiko. Sie sind eine wichtige Option in der modernen Diabetestherapie.

Literatur

  1. Davies MJ, D’Alessio DA, Fradkin J et al.: Management of hyperglycemia in type 2 diabetes, 2018. A consensus report by the American Diabetes Association (ADA) and the European Association for the Study of Diabetes (EASD). Diabetes Care. 2018;41(12):2669–2701. doi: 10.2337/dci18-0033.
  2. Marso SP, Daniels GH, Brown-Frandsen Ke t al.: Liraglutide and cardiovascular outcomes in type 2 diabetes. N Engl J Med. 2016;375(4):311–322. doi: 10.1056/NEJMoa1603827.
  3. Htike ZZ, Zaccardi F, Papamargaritis D, Webb DR, Khunti K, Davies MJ. Efficacy and safety of glucagon-like peptide-1 receptor agonists in type 2 diabetes: A systematic review and network meta-analysis. Diabetes Obes Metab. 2017;19(4):524–536. doi: 10.1111/dom.12849.
  4. Dixit AA et al.: Preoperative GLP-1 Receptor Agonist Use and Risk of Postoperative Respiratory Complications JAMA. 2024;331(19):1672-1673. doi:10.1001/jama.2024.5003
  5. Ashruf OS et al.: Hematologic Cancers Among Patients With Type 2 Diabetes Prescribed GLP-1 Receptor Agonists JAMA Netw Open. 2025;8(3):e250802. doi:10.1001/jamanetworkopen.2025.0802
  6. Moiz A et al.: Efficacy and Safety of Glucagon-Like Peptide-1 Receptor Agonists for Weight Loss Among Adults Without Diabetes: A Systematic Review of Randomized Controlled Trials Annals of Internal Medicine 2025;178(2) https://doi.org/10.7326/ANNALS-24-01590