Anti-CGRP-Antikörper – zunehmend bei Migräne etabliert
Anti-CGRP-Antikörper sind monoklonale Antikörper, die gezielt das Calcitonin Gene-Related Peptide (CGRP) oder dessen Rezeptor blockieren. CGRP ist ein Neuropeptid, das eine zentrale Rolle in der Pathophysiologie der Migräne spielt, insbesondere durch die Erweiterung der Blutgefäße und die Vermittlung von Schmerzsignalen. Die Einführung von Anti-CGRP-Antikörpern hat die Migräneprophylaxe erheblich verbessert und stellt eine der bedeutendsten therapeutischen Entwicklungen in den vergangenen Jahren dar. Die Wirksamkeit und Sicherheit dieser Therapie wurden in mehreren randomisierten, kontrollierten Studien nachgewiesen.
Zielsetzung und Wirkung
- Wirkmechanismus
Die Antikörper binden spezifisch an CGRP oder dessen Rezeptor und verhindern so die vasodilatatorische und schmerzauslösende Wirkung von CGRP. - Therapeutische Zielsetzung
- Verhinderung der Migräneentstehung durch Hemmung der CGRP-vermittelten Vasodilatation und Schmerzweiterleitung
- Reduktion der Migränefrequenz und -intensität
- Erwartete Effekte
- Verminderung der Anzahl der Migränetage pro Monat
- Abnahme der Schmerzintensität
- Verbesserung der Lebensqualität
Indikationen (Anwendungsgebiete)
- Primäre Indikationen
- Episodische Migräne (≥ 4 Migränetage pro Monat)
- Chronische Migräne (≥ 15 Kopfschmerztage pro Monat, davon ≥ 8 Migränetage)
- Patienten mit unzureichendem Ansprechen auf andere prophylaktische Migränetherapien
- Sekundäre Indikationen
- Migräne mit Aura
- Off-Label-Use
- Clusterkopfschmerz (noch keine offizielle Zulassung)
Kontraindikationen (Gegenanzeigen)
- Absolute Kontraindikationen
- Bekannte Überempfindlichkeit gegen den Wirkstoff oder einen der Hilfsstoffe
- Relative Kontraindikationen
- Schwere kardiovaskuläre Erkrankungen (z. B. Myokardinfarkt, instabile Angina pectoris)
- Schwangerschaft und Stillzeit (unzureichende Sicherheitsdaten)
- Spezielle Patientengruppen
- Kinder und Jugendliche (< 18 Jahre): Keine ausreichenden Sicherheits- und Wirksamkeitsdaten verfügbar
- Ältere Patienten (> 65 Jahre): Keine spezifischen Einschränkungen, individuelle Nutzen-Risiko-Abwägung empfohlen
Das Verfahren (Anwendung und Durchführung)
- Verabreichungsform
- Subkutane Injektion
- Dosierung
- Erenumab: 70 mg oder 140 mg einmal monatlich
- Fremanezumab: 225 mg monatlich oder 675 mg vierteljährlich
- Galcanezumab: 240 mg als Initialdosis, anschließend 120 mg monatlich
- Therapiedauer
- Langzeittherapie, regelmäßige Überprüfung der Wirksamkeit nach 3-6 Monaten
- Kombinationstherapien
- Kombination mit anderen Migräneprophylaktika möglich (z. B. Betablocker, Amitriptylin)
Pharmakokinetik und Pharmakodynamik
- Resorption
- Hohe Bioverfügbarkeit nach subkutaner Injektion
- Verteilung
- Verteilung im extrazellulären Raum, keine Penetration der Blut-Hirn-Schranke
- Metabolismus
- Abbau durch proteolytischen Abbau (vorwiegend hepatisch)
- Elimination
- Hauptsächlich über proteolytischen Abbau
- Halbwertszeit:
- Erenumab: ca. 28 Tage
- Fremanezumab: ca. 31 Tage
- Galcanezumab: ca. 27 Tage
Mögliche Nebenwirkungen
- Häufige Nebenwirkungen
- Reaktionen an der Injektionsstelle (Schmerzen, Rötungen)
- Obstipation
- Kopfschmerzen
- Seltene, aber schwerwiegende Nebenwirkungen
- Überempfindlichkeitsreaktionen (z. B. anaphylaktischer Schock)
- Arterielle Hypertonie
- Erhöhtes Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse (Langzeitwirkung bislang nicht vollständig geklärt)
- Langzeitnebenwirkungen
- Bisher keine bekannten langfristigen Komplikationen (Langzeitstudien noch ausstehend)
Wechselwirkungen
- Pharmakokinetische Wechselwirkungen
- Keine klinisch relevanten Wechselwirkungen bekannt
- Pharmakodynamische Wechselwirkungen
- Keine synergistischen oder antagonistischen Effekte mit anderen Migränetherapeutika bekannt
- Klinisch relevante Wechselwirkungen
- Keine signifikanten Interaktionen mit anderen Medikamenten festgestellt
Anwendungsbeschränkungen und Vorsichtsmaßnahmen
- Dosisanpassung bei Nieren- oder Leberinsuffizienz – Nicht erforderlich
- Anwendung bei speziellen Patientengruppen
- Schwangerschaft: Anwendung nur bei strenger Indikationsstellung
- Ältere Patienten: Keine Dosisanpassung erforderlich, aber individuelle Nutzen-Risiko-Abwägung empfohlen
- Kinder und Jugendliche: Keine ausreichenden Sicherheitsdaten vorhanden
- Notwendige Monitoring-Maßnahmen
- Überwachung der Migränefrequenz und -intensität
- Kontrolle von Blutdruck und Herzfrequenz bei kardiovaskulären Vorerkrankungen
Therapieüberwachung und Monitoring
- Laborkontrollen
- Keine routinemäßigen Laborkontrollen erforderlich
- Bei Verdacht auf Nebenwirkungen entsprechende Laborkontrollen (z. B. Nieren- und Leberwerte)
- Therapiekontrolle
- Bewertung der Migränefrequenz und -intensität alle 3-6 Monate
- Compliance
- Aufklärung über richtige Anwendung und Nebenwirkungen
Alternative Therapieoptionen
- Pharmakologische Alternativen
- Betablocker (z. B. Propranolol)
- Antikonvulsiva (z. B. Topiramat)
- Trizyklische Antidepressiva (z. B. Amitriptylin)
- Nicht-medikamentöse Alternativen
- Verhaltenstherapie (z. B. kognitive Verhaltenstherapie)
- Biofeedback
- Akupunktur
- Kombinationstherapien
- Kombination von Anti-CGRP-Antikörpern mit anderen Migränetherapeutika möglich
Besonderheiten und spezifische Empfehlungen
- Internationale Leitlinien – Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) empfiehlt Anti-CGRP-Antikörper bei Patienten mit chronischer Migräne, die auf andere Prophylaktika nicht ansprechen.
- Aktuelle Studien – Laufende Studien untersuchen die Wirksamkeit bei Clusterkopfschmerzen und posttraumatischer Migräne.
Zusammenfassung
Anti-CGRP-Antikörper sind eine effektive und gut verträgliche Option in der Migräneprophylaxe, insbesondere bei Patienten mit unzureichendem Ansprechen auf klassische Migränemedikamente. Die Langzeitverträglichkeit ist insgesamt gut, jedoch sind weitere Beobachtungsstudien erforderlich, um das vollständige Sicherheitsprofil zu bewerten.
Literatur
- Goadsby PJ, Reuter U, Hallström Y, et al. A Controlled Trial of Erenumab for Episodic Migraine. N Engl J Med. 2017;377(22):2123-2132. doi: 10.1056/NEJMoa1705848.
- Cohen F et al.: The Arrival of Anti-CGRP Monoclonal Antibodies in Migraine Neurotherapeutics 19, 922-930 (2022). https://doi.org/10.1007/s13311-022-01230-x
- Dodick DW, Silberstein SD, Bigal ME, et al.: Effect of Fremanezumab Compared With Placebo for Prevention of Episodic Migraine: A Randomized Clinical Trial. JAMA. 2018;319(19):1999-2008. doi: 10.1001/jama.2018.4853.