Ohrakupunktur (Auriculotherapie)

Die Ohrakupunktur ist eine alternative medizinische Methode, die ihren Ursprung unter anderem in der traditionellen chinesischen Medizin (TCM) hat.

Speziell die Akupunkturtechnik des Ohres (Synonym: Auriculotherapie) wurde durch den französischen Arzt Dr. Paul Nogier etabliert. Er entdeckte das sogenannte Ohrsomatotop, das in Form eines auf dem Kopf stehenden Embryos den Elementen des menschlichen Körpers jeweils ein Äquivalent auf dem äußeren Ohr zuordnet. Dabei befindet sich zum Beispiel der Kopf am Ohrläppchen während die Wirbelsäule mit der Anthelix (Teil der Ohrmuschel) korrespondiert. Bei Nogiers Auriculo-Therapie handelt es sich sowohl um ein therapeutisches als auch um ein diagnostisches Konzept. Seine ersten Erfahrungen sammelte er, indem er im Bereich der Anthelix (diejenige Windung beim äußeren Ohr, die dem Rand der Ohrmuschel (Helix) gegenüberliegt) sensible Punkte bei Beschwerden bzw. Schmerzen im Rahmen einer Lumboischialgie (lumbosakrales Wurzelreizsyndrom, bei dem Schmerzen im Bereich der Lendenwirbelsäule und im Versorgungsbereich des Nervus ischiadicus auftreten) mithilfe von Akupunktur mit Erfolg behandelte.

Die Ohrakupunktur erfreut sich besonderer Beliebtheit, da die Akupunkturpunkte gut zugänglich sind und auch Regionen, die durch eine Verletzung nicht zugängig sind, therapiert werden können. Der folgende Text gibt einen kurzen Überblick zur Verfahrenstechnik der Ohrakupunktur und ihren theoretischen Hintergründen.

Zielsetzung der Ohrakupunktur

  • Therapeutisches und diagnostisches Konzept: Die Ohrakupunktur, auch Auriculotherapie genannt, wurde entwickelt, um sowohl therapeutische als auch diagnostische Ziele zu erreichen.
  • Einbindung des Ohrsomatotops: Basierend auf der Entdeckung des Ohrsomatotops werden bestimmte Punkte am Ohr identifiziert, die mit verschiedenen Körperregionen korrelieren und therapeutisch genutzt werden.
  • Behandlung einer Vielzahl von Beschwerden: Die Ohrakupunktur wird bei einer breiten Palette von Beschwerden eingesetzt, darunter akute und chronische Schmerzen, Erkrankungen des Muskel- und Skelettsystems, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, allergische Erkrankungen, psychische Erkrankungen und Schlafstörungen.
  • Adjuvante Therapie zur konventionellen Medizin: Als Ergänzung zur konventionellen Medizin spielt die Ohrakupunktur eine wichtige Rolle, um die Behandlungsergebnisse zu verbessern und die Gesundheit und das Wohlbefinden der Patienten zu fördern.
  • Stimulation von Regulationsmechanismen: Die Ohrakupunktur zielt darauf ab, körpereigene Regulationsmechanismen zu aktivieren, Blockaden aufzulösen und die körpereigene Regulationsfähigkeit zu unterstützen.
  • Sicherheit und Effektivität: Die Ohrakupunktur ist eine sichere und effektive Behandlungsmethode, die häufig angewendet wird, um die Gesundheit der Patienten zu verbessern.
  • Anpassung an individuelle Bedürfnisse: Die Behandlung erfolgt individuell angepasst an die Bedürfnisse und Beschwerden des Patienten, wobei sowohl physiologische als auch energetische Ansätze berücksichtigt werden.

Indikationen (Anwendungsgebiete)

Die Ohrakupunktur wird durchgeführt bei bzw. bei Verdacht auf:

  • Akuten und chronischen Schmerzen bzw. Beschwerden des Muskel- und Skelettsystems:
    • akute Traumen
    • Arthralgie (Gelenkschmerzen)
    • Ischialgie (Reizung des Nervus ischiadicus)
    • Lumbalgie (Schmerzen im Bereich der Lendenwirbelsäule)
    • Myalgie (Muskelschmerzen)
    • Zervikalgie (Sammelbegriff für von der Halswirbelsäule ausgehende oder den Halswirbelsäulenbereich betreffende Schmerzen)
  • Adjuvante Therapie bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen – z. B. bei Myokardinfarkt (Herzinfarkt) oder Hypertonie (Bluthochdruck), dabei besteht das Ziel in der Potenzsteigerung der Medikation bzw. in der Reduktion derselben bei gleicher Wirkung
  • Allergische Erkrankungen – z. B. allergische Rhinitis (Heuschnupfen)
  • Funktionelle Störungen
    • Respirationstraktes – unter anderem Einsparung von Medikamenten, z. B. weniger Cortisoneinnahme bei Asthma bronchiale
    • Gastrointestinalstrakt (Magen-Darm-Trakt)
    • Urogenitaltrakt – z. B. Harninkontinenz
  • Hormonelle Störungen – z. B. prämenstruelles Syndrom (PMS) oder klimakterische Beschwerden (Beschwerden während der Wechseljahre)
  • Cephalgie (Kopfschmerzen)
  • Migräne
  • Neuralgien – Schmerzen, die auf eine Irritation eines Nerven zurückzuführen sind
  • Psychovegetative Befindlichkeitsstörungen
  • Psychische Erkrankungen – z. B. Depression oder Angstsyndrome
  • Schlafstörungen – z. B. Insomnie (Schlaflosigkeit)
  • Suchttherapie – Nikotinsucht, Esssucht, adjuvante (begleitende) Therapie bei Drogenentzug
  • Stoffwechselerkrankungen – z. B. Anfangsstadium des Diabetes mellitus Typ 2 (Altersdiabetes, Zuckerkrankheit)
  • Vertigo (Schwindel)

Kontraindikationen (Gegenanzeigen)

  • Akute Schmerzen
  • Absoluten Operationsindikatione – z. B. Appendicitis (Blinddarmentzündung)
  • Erbkrankheiten
  • Blutgerinnungsstörungen
  • Lokale Entzündungen am Ohr – z. B. Perichondritis (Knorpelhautentzündung)
  • Lokale Verletzungen oder Defekte am Ohr
  • Lebensbedrohliche Erkrankungen
  • Schwere Infektionserkrankungen
  • Schwere neurologische Krankheitsbildern
  • Tumorleiden

Vor der Therapie

  • Ausführliche Anamnese: Eine gründliche Befragung zur Krankengeschichte und den aktuellen Beschwerden des Patienten.
  • Ausschluss von Kontraindikationen: Überprüfen auf Bedingungen, die eine Ohrakupunktur ausschließen, wie z. B. lokale Entzündungen am Ohr.
  • Aufklärung und Einverständnis: Der Patient sollte über die Methode, ihre möglichen Wirkungen und Risiken aufgeklärt werden.
  • Hygienische Vorbereitung: Sicherstellung einer guten Hygiene des Ohres, um Infektionen zu vermeiden.

Das Verfahren

Die Wirkung der Ohrakupunktur wird auf unterschiedliche Weise erklärt, dazu werden zwei Ansätze beschrieben: Der physiologische Ansatz beruht auf der Annahme, dass die Nadelstiche physiologische Strukturen wie das Nervensystem und die Nozizeptoren (Schmerzrezeptoren), die sich in der Haut befinden, reizen. Durch die reflektorische Antwort auf diese Außenreize kann eine Fernwirkung auf andere anatomische Strukturen erzielt werden. Dabei spielen vor allem drei große Nerven bzw. Nervengeflechte eine Rolle:

  • Nervus trigeminus (sensibler Gesichtsnerv)
  • Nervus vagus (Eingeweidenerv)
  • Plexus cervicalis superficialis (sensibler Nerv im Bereich des Halses)

Der zweite Ansatz ist der energetische Ansatz. Diesem liegt die Annahme eines Energiesystems zugrunde, das den Körper neben Blut- und Lymphgefäßen durchströmt. Das Ziel der Ohrakupunktur ist die Stabilisierung und Erhaltung der Dynamik des Energiesystems. Dies beinhaltet im Einzelnen die Aufhebung von Blockaden und die Unterstützung der körpereigenen Regulationsfähigkeit.

Vor jeder therapeutischen oder diagnostischen Ohrakupunktur steht eine ausführliche Anamnese, bei der der Patient zu seinem Befinden und seiner Krankengeschichte befragt wird. Im Gegensatz zur Körperakupunktur können die Ohrakupunkturpunkte nur dann lokalisiert werden, wenn eine Störung oder Irritation vorliegt.

Um diese besagten Punkte auffinden zu können, entwickelte Nogier eine spezielle Methode: Mithilfe des sogenannten aurikulokardialen Reflexes (RAC) können die Ohrakupunkturpunkte lokalisiert werden. Dabei wird der Radialispuls (der tastbare Puls der Arteria radialis am Unterarm in der Nähe des Handgelenks) bei Reizung der sensiblen Punkte beobachtet. Verändert er sich, handelt es sich um einen Akupunkturpunkt, der auf eine Störung hinweist und behandelt werden kann. In der Regel wird bei dem jeweiligen Patienten das Ohr der dominanten Seite therapiert, das heißt bei einem Rechtshänder erfolgt die Behandlung am linken Ohr. Handelt es sich um eine einseitige Beeinträchtigung (z. B. Gelenkschmerzen im Knie) wird das kontralaterale Ohr behandelt (bei Beschwerden im rechten Knie wird das linke Ohr therapiert). Außerdem gibt es spezielle Punkte, die Wirkungen ähnlich des speziellen Effekts von Hormonen oder Medikamenten entfalten. Sie werden ihrer Wirkung nach bezeichnet, wobei sie nie die exakte Wirkung, sondern eine Wirkrichtung beschreiben.

Die Behandlung umfasst mehrere Sitzungen. Dabei werden ca. 1-4 Nadeln senkrecht in einem Winkel von 20° etwa 1-2 Millimeter tief gestochen. Mögliche Varianten sind Dauernadeln oder kleine Druckpflaster, die in die Samenkörner eingearbeitet sind und vornehmlich bei der Behandlung von Drogenabhängigen (z. B. Nikotinsucht) eingesetzt werden.

Nach der Therapie

  • Beobachtung: Überwachung auf Reaktionen oder Nebenwirkungen an den Akupunkturpunkten.
  • Hygiene: Fortführung einer guten Ohrhygiene, um Infektionen vorzubeugen.
  • Nachsorge: Regelmäßige Nachkontrollen können nötig sein, um den Erfolg der Behandlung zu überwachen.

Mögliche Komplikationen

  • Lokale Reaktionen: Leichte Schmerzen, Rötungen oder Schwellungen an den Akupunkturpunkten.
  • Infektionsrisiko: Obwohl selten, besteht ein Risiko für Infektionen, insbesondere bei mangelnder Hygiene oder unsachgemäßer Durchführung.
  • Allergische Reaktionen: Auf Materialien, die während der Therapie verwendet werden, wie z. B. auf das Metall der Nadeln.
  • Unbeabsichtigte Verletzungen: Sehr selten können kleine Verletzungen am Ohr entstehen.

Ihr Nutzen

Die Ohrakupunktur ist vor allem als adjuvante (begleitende) Therapiemaßnahme in Kombination mit der konventionellen Medizin ein sinnvolles Verfahren, das den Patienten auf dem Weg zur Heilung und Wohlbefinden begleitet. Obwohl die Wirkung der Ohrakupunktur bisher nicht wissenschaftlich bewiesen werden konnte, spielt sie aufgrund bisheriger Erfahrungen heute eine große Rolle in der alternativen Medizin.

Literatur

  1. Ogal HP, Kolster BC: Ohrakupunktur für Praktiker: Grundlagen- Praxis- Indikationen. Georg Thieme Verlag 2003
  2. Angermaier M: Leitfaden Ohrakupunktur: Mit allen französischen und chinesischen Punkten. Elsevier, Urban & Fischer Verlag 2007
  3. Bierbach E: Naturheilpraxis heute: Lehrbuch und Atlas. Elsevier, Urban & Fischer Verlag 2009