Zollinger-Ellison-Syndrom – Einleitung
Das Zollinger-Ellison-Syndrom ist eine seltene endokrine Erkrankung, die durch das Vorhandensein eines oder mehrerer Gastrin-produzierender Tumoren (Gastrinome) charakterisiert ist. Diese Tumoren führen zu einer übermäßigen Produktion von Gastrin, was eine erhöhte Magensäureproduktion zur Folge hat und häufig zu peptischen Ulzera (Geschwüren) führt.
Synonyme und ICD-10: Gastrinome; MEN; Multiple endokrine Neoplasie (MEN) Typ I; ICD-10-GM E16.4: Abnorme Gastrinsekretion
Physiologie
Gastrin ist ein Peptidhormon, das in den G-Zellen der Magenschleimhaut, insbesondere im Antrum (unterster Teil des Magens) und im Zwölffingerdarm, gebildet wird. Seine Freisetzung wird durch verschiedene Reize angeregt, darunter:
- Nahrungsaufnahme: Insbesondere Proteine und Peptide, die im Magen ankommen, stimulieren die Gastrinsekretion.
- Magenentleerung: Dehnung des Magens durch Nahrungsaufnahme führt ebenfalls zur Freisetzung von Gastrin.
- pH-Wert des Magens: Ein niedriger pH-Wert hemmt die Gastrinproduktion, während ein Anstieg des pH-Werts (z. B. durch Nahrungspufferung) die Gastrinsekretion fördert.
- Vagale Stimulation: Die Aktivierung des Nervus vagus (Teil des parasympathischen Nervensystems) kann durch die Freisetzung von Acetylcholin direkt die Gastrinsekretion fördern.
Wirkung von Gastrin
- Magensäuresekretion: Gastrin stimuliert die Belegzellen des Magens zur Produktion und Freisetzung von Salzsäure (HCl), was zur Ansäuerung des Mageninhalts führt.
- Trophische Effekte: Gastrin fördert das Wachstum und die Regeneration der Magenschleimhaut sowie die Proliferation der Belegzellen.
- Förderung der Magenmotilität: Gastrin unterstützt die Kontraktionsaktivität des Magens, was die Durchmischung und den Weitertransport des Mageninhalts in den Darm erleichtert.
Regulation
- Feedback-Mechanismus: Gastrin unterliegt einem negativen Feedback-Mechanismus. Ein zu niedriger pH-Wert im Magen hemmt die weitere Gastrinfreisetzung, um eine übermäßige Säureproduktion zu verhindern.
- Somatostatin: Dieses Hormon, das von den D-Zellen der Magenschleimhaut und des Pankreas produziert wird, hemmt die Gastrinfreisetzung und wirkt somit als Gegenspieler zu Gastrin.
Charakteristische Laborbefunde
- Erhöhte Gastrinspiegel im Serum: Markant erhöht über den Normalwerten, typischerweise über 1.000 pg/ml.
- Erhöhte Magensäuresekretion: Erhöhte Basalsekretion von Magensäure mit einem pH-Wert < 2.
- Sekretintest: Paradoxer Anstieg der Gastrinspiegel nach Gabe von Sekretin, was für ein Gastrinom typisch ist.
- Chromogranin A: Erhöhte Werte können auf ein neuroendokrines Tumorleiden hinweisen.
Formen der Erkrankung
Das Zollinger-Ellison-Syndrom kann in verschiedenen Formen auftreten:
- Sporadisches Zollinger-Ellison-Syndrom: Die Mehrheit der Fälle tritt isoliert, ohne genetische Veranlagung auf.
- Familiäres Zollinger-Ellison-Syndrom: Tritt in Verbindung mit dem MEN Typ I-Syndrom auf, bei dem multiple endokrine Tumoren in verschiedenen Drüsen (Pankreas/Bauchspeicheldrüse, Hypophyse/Hirnanhangsdrüse, Nebenschilddrüse) vorliegen.
Ursachen
- Primäre Ursache: Gastrinom, ein Gastrin-produzierender Tumor, meistens im Pankreas (ca. 80 %) oder in der Wand des Zwölffingerdarms lokalisiert.
- Genetische Ursache: Bei ca. 25 % der Fälle im Rahmen des MEN Typ I-Syndroms, einer autosomal-dominant vererbten Erkrankung, die zu Tumoren in mehreren endokrinen Drüsen führt.
Epidemiologie
Geschlechterverhältnis: Männer sind etwas häufiger betroffen als Frauen.
Häufigkeitsgipfel: Die Erkrankung tritt vorwiegend zwischen dem 30. und 60. Lebensjahr auf.
Prävalenz (Krankheitshäufigkeit): Selten; genaue Prävalenzdaten sind nicht verfügbar, aber das Zollinger-Ellison-Syndrom gilt als eine seltene Erkrankung.
Inzidenz (Häufigkeit von Neuerkrankungen): Ca. 5-10 Erkrankungen pro 1.000.000 Einwohner pro Jahr (in Deutschland).
Verlauf und Prognose
Verlauf
- Frühes Stadium: Bei Patienten ohne Metastasen kann eine Heilung durch chirurgische Entfernung des Gastrinoms erreicht werden.
- Fortgeschrittenes Stadium: Bei bereits metastasierten Gastrinomen (mit Bildung von Tochtergeschwülsten), insbesondere in Leber und Lymphknoten, ist die Krankheit oft chronisch, jedoch in vielen Fällen langsam fortschreitend.
Prognose
- Ohne Metastasen (Tochtergeschwülste): Gute Prognose, mit Möglichkeit einer Heilung durch operative Entfernung des Tumors.
- Mit Metastasen: Langsamer Krankheitsverlauf möglich, aber auch aggressive Verläufe mit verkürzter Lebenserwartung sind bekannt. Die mediane Überlebenszeit variiert je nach Metastasierungsgrad.
- Rezidivrate: Auch nach chirurgischer Entfernung besteht ein Risiko für ein Wiederauftreten der Erkrankung.