Zöliakie – Einleitung

Die Zöliakie ist eine chronische Erkrankung der Dünndarmmukosa (Dünndarmschleimhaut; Enteropathie), die auf einer Überempfindlichkeit gegen das Getreideeiweiß Gluten* in genetisch prädisponierten Personen beruht.

*Gluten (Speicherproteine des Weizens) wird auch als Klebereiweiß bezeichnet, da es für die Backfähigkeit von Weizenmehlen ausschlaggebend ist und die Backeigenschaften verbessert. Gluten macht etwa 80 % des Gesamteiweißes in Weizen aus und besteht aus mehreren Fraktionen, darunter die Proteine Gliadin und Glutenin.

Synonyme und ICD-10: Celiac disease; Coeliakie; einheimische Sprue; Glutenallergie; gluteninduzierte Enteropathie; glutensensitive Enteropathie; Glutenunverträglichkeit; Heubner-Herter-Krankheit; intestinaler Infantilismus; nichttropische Sprue; Sprue, einheimische; ICD-10-GM K90.0: Zöliakie

Die Zöliakie ist eine immunologisch bedingte Systemerkrankung/Autoimmunerkrankung.

Formen der Zöliakie

Hauptformen

  • Klassische Zöliakie: Typische gastrointestinale Symptome wie Durchfall, Gewichtsverlust und Bauchschmerzen.
  • Nicht-klassische Zöliakie: Vorwiegend extraintestinale Symptome wie Eisenmangelanämie, Osteoporose und neurologische Symptome.

Sonderformen der Zöliakie

  • Atypische Zöliakie: Extraintestinale Symptome stehen im Vordergrund. Die Zöliakie-Serologie ist positiv, aber nur wenige Veränderungen in der Dünndarmschleimhaut nachweisbar.
  • Potentielle Zöliakie: Transglutaminase TG2-IgA- und EMA-IgA-Titer (Endomysium-IgA-Titer) erhöht, bei gleichzeitig normaler Zottenstruktur.
  • Silente Zöliakie: Positive Antikörpertiter, eine positive HLA-Konstellation und histologische (feingewebliche) Veränderungen im Dünndarm ohne klinische Symptome.
  • Latente Zöliakie: Prädisponierender HLA-Status ohne Symptome und Antikörperauffälligkeiten.
  • Refraktäre Zöliakie: Trotz einer strikten glutenfreien Diät (GFD) über 12 Monate keine klinische und histologische Besserung. Typ I hat einen autoimmunen Charakter, Typ II einen Prälymphomcharakter.

Wegen des breiten Spektrums an intra- und extraintestinalen Manifestationen (innerhalb und außerhalb des Darmsystems) gilt die Zöliakie als Chamäleon der Krankheiten und wird auch heute noch häufig übersehen. Die diagnostische Latenz (Zeit zwischen dem Auftreten erster Symptome und der definitiven Feststellung der Erkrankung) beträgt ca. 4 Jahre! 

Epidemiologie

Geschlechterverhältnis: Frauen sind häufiger betroffen als Männer.

Häufigkeitsgipfel: Die Erkrankung tritt vorwiegend im Säuglings- und Schulalter sowie im 4. Lebensjahrzehnt auf. Zum Zeitpunkt der Diagnose sind Frauen im Mittel zwischen 40 und 45 Jahre alt. Bei Männern gibt es zwei Altersgipfel – zwischen 10 und 15 sowie zwischen 35 und 40 Jahren.

Prävalenz (Krankheitshäufigkeit)

  • 0,5-1 % in Deutschland
  • 0,3-3 % in Populationsstudien
  • 1-2 % in Europa und Nordamerika
  • Kaum bekannt in Afrika und Asien
  • In einer schwedischen Studie wurden bei 2,1 % der Kinder der sechsten Klasse (12 Jahre) positive histologische Befunde gesichert [1].

Inzidenz (Häufigkeit von Neuerkrankungen)

  • Zwischen dem 2. und 5. Lebensjahr am höchsten [3, 4].
  • Kumulative Inzidenz der refraktären Zöliakie beträgt ca. 1,5 % [5].

Verlauf und Prognose

Verlauf

Unbehandelt führt die Zöliakie zu Gewichtsverlust bis zur Kachexie (Auszehrung). Bei Kindern führt eine unbehandelte Zöliakie meist zu einem Mangel an Vitaminen und Spurenelementen sowie zu einer Eisenmangelanämie (Blutarmut durch Eisenmangel), was sich negativ auf das Wachstum und die Knochenqualität auswirkt.

Unter strikt glutenfreier Diät (GFD) kommt es in der Regel innerhalb weniger Wochen zur Besserung der Beschwerden. Die Dünndarmmukosa (Dünndarmschleimhaut) regeneriert sich dagegen innerhalb von Monaten und in Einzelfällen in Jahren. Tests auf Zöliakie-spezifische Auto-Antikörper werden negativ, die Unverträglichkeit bleibt jedoch lebenslang bestehen.

Prognose

Eine lebenslange strikte Einhaltung der glutenfreien Diät (GFD) ist erforderlich, um Symptome zu vermeiden und Komplikationen zu verhindern. Die Letalität (Sterblichkeit bezogen auf die Gesamtzahl der an der Krankheit Erkrankten) von Patienten mit Zöliakie ist erhöht. Daten von ESPRESSO („Epidemiology Strengthened by histoPathology Reports in Sweden“) zeigen, dass die Mortalität (Sterberate) mit 9,7 Todesfällen pro 1.000 Personen-Jahren signifikant höher ist als in einer Vergleichsgruppe gleichen Alters und Geschlechts; dort kam es zu 8,6 Todesfällen auf 1.000 Personen-Jahre [7].

Beachte: Die glutenfreie Diät (GFD) muss lebenslang strikt eingehalten werden. Ziel ist es, dass die Glutenmenge bei < 10 mg pro Tag liegt.

Komorbiditäten

Die Erkrankung geht mit einem erhöhten Risiko für das Non-Hodgkin-Lymphom (ein Lymphknoten-Krebs) sowie für Lymphome des Dünndarms und Karzinome des Gastrointestinaltrakes (Magen-Darm-Trakt) einher.
Zöliakie-Patienten haben ein 2,5-mal so hohes Erkrankungsrisiko für eine Neuropathie (
Sammelbegriff für viele Erkrankungen des peripheren Nervensystems). Das höchste Risiko für diese Diagnose bestand im ersten Jahr, nachdem die Zöliakie diagnostiziert worden war [2].
Eine weitere Komorbidität ist die Epilepsie (Anfallsleiden; bei Kindern HR 1,42 und bei Jugendlichen (Alter < 20 Jahren) bei 1,58) [6].

Literatur

  1. Rosén A et al.: Usefulness of symptoms to screen for celiac disease. Pediatrics 2014; 133: 211-218
  2. Thawani SP et al.: Risk of Neuropathy Among 28232 Patients With Biopsy-Verified Celiac Disease. JAMA Neurol, online 11. Mai 2015; doi:10.1001/jamaneurol.2015.0475
  3. Liu E, Lee HS, Aronsson CA et al.: Risk of pediatric celiac disease according to HLA haplotype and country. N Engl J Med 2014; 371: 42-9
  4. Lionetti E, Castellaneta S, Francavilla R et al.: Introduction of gluten, HLA status, and the risk of celiac disease in children. N Engl J Med 2014 2; 371:1295-303
  5. Malamut G, Afchain P, Verkarre V, Lecomte T, Amiot A, Damotte D et al.: Presentation and long-term follow-up of refractory celiac disease: comparison of type I with type II. Gastroenterology 2009;136(1):81-90
  6. Ludvigsson JF et al.: Increased Risk of Epilepsy in Biopsy-Verified Celiac Disease: A Population-Based Cohort Study. Neurology 2012, 78(18): 1401-1407
  7. Lebwohl B et al.: Association Between Celiac Disease and Mortality Risk in a Swedish Population. JAMA. 2020;323(13):1277-1285. doi:10.1001/jama.2020.1943

Leitlinien

  1. Husby S: European Society Paediatric Gastroenterology, Hepatology and Nutrition Guidelines for Diagnosing Coeliac Disease 2020. J Pediatr Gastroenterol Nutr . 2020 Jan;70(1):141-156. doi: 10.1097/MPG.0000000000002497.
  2. S2k-Leitlinie: Zöliakie. (AWMF-Registernummer: 021-021), Dezember 2021 Langfassung