Stuhlinkontinenz – Einleitung

Stuhlinkontinenz beschreibt den unfreiwilligen Abgang von flüssigem oder festem Stuhl. Die Analinkontinenz hingegen bezieht sich auf den unwillentlichen transanalen (durch den After) Abgang von Gas, mit oder ohne Stuhl. Diese Inkontinenzen resultieren aus einer gestörten Funktion des Kontinenzorgans, zu dem der anale Schließmuskelkomplex und die Beckenbodenmuskulatur gehören.

Synonyme und ICD-10: Einkoten; anale Inkontinenz; anale Stuhlinkontinenz; Enkopresis; Incontinentia alvi; Incontinentia faecalis; Inkontinenz des Afterschließmuskels; Inkontinenz des Sphincter ani; Verlust der Kontrolle über den Rektumsphinkter; Stuhlabgang; Stuhlschmiere; unfreiwilliger Stuhlabgang; Verlust der Kontrolle über den Rektumsphinkter; ICD-10-GM R15: Stuhlinkontinenz

Die WHO definiert die Stuhlkontinenz als die erlernte Fähigkeit "Stuhlgang willentlich ort- und zeitgerecht abzusetzen".

Anatomie und Funktionen

Der Kontinenzapparat besteht aus mehreren Komponenten, die zusammenarbeiten, um die willentliche Kontrolle über den Stuhlgang zu ermöglichen. Dazu gehören:

  • Sphinkter ani externus und internus: Der äußere Schließmuskel (Sphinkter ani externus) ist ein willkürlich kontrollierter Muskel, der den After verschließt. Der innere Schließmuskel (Sphinkter ani internus) ist ein unwillkürlicher Muskel, der die Kontinenz unterstützt.
  • Beckenbodenmuskulatur: Diese Muskulatur stützt die Organe im Becken und trägt zur Aufrechterhaltung der Kontinenz bei.
  • Rektum: Das Rektum (Mastdarm) dient als Reservoir für den Stuhl. Die Dehnung des Rektums führt zu einem Defäkationsdrang.

Formen der Stuhlinkontinenz

  • Anorektale Inkontinenz: Bedingt durch Beckenbodeninsuffizienz (Beckenbodenschwäche) oder Schließmuskeldefekte, oft nach Geburtstraumen oder chirurgischen Eingriffen.
  • Dranginkontinenz: Gekennzeichnet durch einen plötzlichen Stuhldrang mit kurzer Vorwarnzeit.
  • Überlaufinkontinenz: Resultiert aus chronischer Obstipation (Verstopfung) und Stuhlüberfüllung, was zu einem „Kotschmieren“ führt.
  • Kombinierte Formen: Mischformen der oben genannten Varianten.

Ursachen

  • Entzündliche Ursachen: Chronisch-entzündliche Darmerkrankungen (CED) wie Colitis ulcerosa oder Morbus Crohn.
  • Funktionelle Ursachen: Laxantienabusus (Missbrauch von Abführmitteln) führt zur Überlaufinkontinenz.
  • Muskuläre Ursachen: Schädigungen oder Schwäche des Schließmuskels oder Beckenbodens, oft nach Geburtstraumen.
  • Neurogene Ursachen: Schäden an den Nerven, die die anale Sensibilität und Schließmuskelkontrolle beeinträchtigen, z.B. nach Rückenmarksverletzungen.
  • Traumatische Ursachen: Verletzungen des Kontinenzapparates (Schließapparat), beispielsweise durch Unfälle oder Operationen.
  • Idiopathische Ursachen: Stuhlinkontinenz ohne erkennbare Ursache.

Epidemiologie

Geschlechterverhältnis: Frauen sind häufiger betroffen als Männer, das Verhältnis liegt bei etwa 4-5:1.

Häufigkeitsgipfel:
Am häufigsten tritt die Erkrankung bei Menschen über 65 Jahren auf.

Prävalenz
(Krankheitshäufigkeit): In Deutschland liegt die Prävalenz bei 5-10 %, in Krankenhäusern bei bis zu 30 %, und in Pflegeheimen sogar bei bis zu 70 %.

Verlauf und Prognose

Verlauf

  • Der Verlauf der Stuhlinkontinenz hängt stark von der zugrunde liegenden Ursache ab. In vielen Fällen entwickelt sich die Inkontinenz schleichend und kann sich ohne Therapie verschlimmern.
  • Anorektale Inkontinenz und Dranginkontinenz können oft durch konservative Maßnahmen, wie Beckenbodentraining und medikamentöse Therapie, gut kontrolliert werden.
  • Überlaufinkontinenz erfordert eine gezielte Behandlung der zugrunde liegenden Obstipation, um die Symptome zu lindern.

Prognose

  • Die Prognose ist abhängig von der Ursache und der Form der Stuhlinkontinenz. Bei erfolgreicher konservativer Behandlung kann eine deutliche Symptomlinderung erreicht werden.
  • Operative Eingriffe wie eine Sphinkteroplastik (operatives Verfahren zur Wiederherstellung der Schließmuskelfunktion bei motorisch bedingter Stuhlinkontinenz) kommen infrage, wenn konservative Maßnahmen versagen.
  • Langfristig sind regelmäßige Nachkontrollen und eine Anpassung der Therapie notwendig, um die Lebensqualität der Betroffenen zu erhalten.

Leitlinien

  1. S1-Leitlinie: Enkopresis (F98.1). (AWMF-Registernummer: 028 - 027), November 2006
  2. S2k-Leitlinie: Funktionelle (nicht-organische) Obstipation und Stuhlinkontinenz im Kindes- und Jugendalter. (AWMF-Registernummer: 068 - 019), April 2022 Langfassung