Speiseröhrenkrebs (Ösophaguskarzinom) – Ursachen

Pathogenese (Krankheitsentstehung)

Das Ösophaguskarzinom (Speiseröhrenkrebs) tritt in circa 85 % der Fälle als Plattenepithelkarzinom auf, das sich typischerweise im Hals- und Brustbereich der Speiseröhre entwickelt. In den restlichen 15 % handelt es sich um Adenokarzinome (Barrett-Karzinome), die sich überwiegend im unteren Drittel der Speiseröhre befinden.

Primäre pathophysiologische Mechanismen

  • Plattenepithelkarzinom: Dieser Tumortyp entsteht in der Regel aus den Zellen des Plattenepithels der Speiseröhre. Risikofaktoren sind Rauchen, Alkoholkonsum und Ernährungsfaktoren wie nitrosaminhaltige Nahrungsmittel. In den westlichen Industrieländern ist die Inzidenz des Plattenepithelkarzinoms rückläufig, da immer weniger Menschen rauchen. Heute treten etwa 80 % der Plattenepithelkarzinome in ärmeren Ländern auf.
  • Adenokarzinom: Das Adenokarzinom des Ösophagus, auch Barrett-Karzinom genannt, entwickelt sich aus einer Metaplasie der Schleimhaut, dem Barrett-Ösophagus. Dieser entsteht durch langjährigen gastroösophagealen Reflux (Rückfluss von saurem Mageninhalt in die Speiseröhre), wodurch das Plattenepithel in Zylinderepithel umgewandelt wird. Risikofaktoren sind chronische Refluxösophagitis, Kardiainsuffizienz (unzureichender Verschluss der Magen-Speiseröhren-Grenze) und axiale Hiatushernien (Gleithernie durch Zwerchfellbruch). Eine „Multiomics“-Untersuchung konnte die Rolle der Onkogene c-Myc und HNF4A in der Tumorentstehung aufzeigen [10].

Sekundäre pathophysiologische Veränderungen

  • Metaplasie und Dysplasie: Der Barrett-Ösophagus stellt die Vorstufe für das Adenokarzinom dar. Durch anhaltenden Reflux und chronische Entzündung kommt es zu einer Umwandlung des Plattenepithels in zylindrisches Zylinderepithel (Metaplasie). Diese Metaplasie kann dysplastisch werden, d. h., es treten Zellveränderungen auf, die als Krebsvorstufen gelten.
  • Genetische Mutationen: In beiden Karzinomtypen spielen genetische Veränderungen eine Rolle. Beim Barrett-Karzinom sind Mutationen in Tumorsuppressorgenen und Onkogenen wie TP53 und CDKN2A nachweisbar, die zu unkontrolliertem Zellwachstum führen.

Klinische Manifestation

  • Frühe Symptome: Ösophaguskarzinome bleiben oft lange symptomlos. In frühen Stadien treten meist keine Beschwerden auf, weshalb der Tumor oft erst in fortgeschrittenen Stadien diagnostiziert wird.
  • Spätsymptome: Die typischen Symptome eines Ösophaguskarzinoms umfassen Dysphagie (Schluckstörungen), Gewichtsverlust, Sodbrennen und Brustschmerzen. Wenn der Tumor das Lumen der Speiseröhre einengt, führt dies zu zunehmenden Schwierigkeiten bei der Nahrungsaufnahme.

Progression und Organbeteiligung

  • Lokale Invasion: Das Ösophaguskarzinom neigt zu lokal invasivem Wachstum und kann die umliegenden Strukturen wie die Trachea (Luftröhre), den Vagusnerv und die Lunge befallen.
  • Metastasierung: Die Tumorzellen streuen häufig in die Lymphknoten, die Leber und die Lunge. Die Metastasierung (Bildung von Tochtergeschwülsten)  erfolgt sowohl lymphogen als auch hämatogen (über das Blut).

Funktionelle Auswirkungen und strukturelle Schäden

  • Verengung der Speiseröhre: Durch das Tumorwachstum kann das Lumen der Speiseröhre stark eingeengt werden, was zu fortschreitenden Schluckbeschwerden und Nahrungsaufnahmeproblemen führt.
  • Kompression umliegender Strukturen: In fortgeschrittenen Stadien kann das Karzinom benachbarte Organe infiltrieren, was zu Atembeschwerden oder Husten führt, wenn die Luftröhre betroffen ist.

Regenerative und kompensatorische Prozesse

  • Fehlende Regeneration: Das chronische Fortschreiten der Metaplasie und Dysplasie im Barrett-Ösophagus führt zu einer irreversiblen Umwandlung des Gewebes, die nicht durch Regenerationsprozesse ausgeglichen werden kann.

Zusammenfassung und klinische Relevanz

Das Ösophaguskarzinom entsteht entweder als Plattenepithelkarzinom oder als Adenokarzinom (Barrett-Karzinom). Chronischer Reflux und die Entstehung des Barrett-Ösophagus sind die Hauptursachen für das Adenokarzinom. Genetische Mutationen wie c-Myc und HNF4A spielen eine entscheidende Rolle in der Tumorentwicklung. Die Diagnose erfolgt oft spät, was die Prognose verschlechtert, da die Tumoren häufig bereits lokal fortgeschritten sind oder metastasiert haben.

Ätiologie (Ursachen)

Biographische Ursachen

  • Genetische Belastung durch Eltern, Großeltern
    • Es gibt Genvarianten, die mit den Barrett-Krankheiten in Zusammenhang [5]
  • Sozioökonomische Faktoren – niedriger sozioökonomischer Status 

Verhaltensbedingte Ursachen

  • Ernährung
    • Zu geringer Fischkonsum; inverse Korrelation zwischen Fischkonsum und Erkrankungsrisiko [3]
    • Nitrosamin-Exposition
      Geräucherte und gepökelte sowie nitrat- und nitritreiche Lebensmittel
      Nitrat
      ist eine potenziell toxische Verbindung: Nitrat wird im Körper durch Bakterien (Speichel/Magen) zu Nitrit reduziert. Nitrit ist ein reaktives Oxidans, das bevorzugt mit dem Blutfarbstoff Hämoglobin reagiert und diesen in Methämoglobin umwandelt. Des Weiteren bilden Nitrite (unter anderem auch enthalten in gepökelten Wurst- und Fleischwaren sowie gereiftem Käse) mit sekundären Aminen (enthalten in Fleisch- und Wursterzeugnissen, Käse und Fisch) Nitrosamine, die genotoxisch und mutagen wirken.
      Die tägliche Aufnahme von Nitrat erfolgt in der Regel zu circa 70 % durch den Verzehr von Gemüse (Feld- und Kopfsalat, Grün-, Weiß- und Chinakohl, Kohlrabi, Spinat, Radieschen, Rettich, Rote Bete), 20 % aus Trinkwasser (Stickstoffdünger) und 10 % aus Fleisch und Fleischwaren sowie Fisch.  
    • Mikronährstoffmangel (Vitalstoffe) – siehe Prävention mit Mikronährstoffen; Mangelzustände an Vitamin A, Molybdän und Zink sollen ebenfalls einen Einfluss auf die Entstehung haben
  • Genussmittelkonsum
    • Alkohol (insb. konzentrierter Alkohol (≥ 30 Volumenprozent)); erhöht das Risiko für Plattenepithelkarzinome des Ösophagus
    • Tabak (Rauchen) [1, 2]; erhöht das Risiko für Plattenepithelkarzinome und Adenokarzinome des Ösophagus und des ösophagogastralen Übergangs
  • Drogenkonsum
    • Rauchen von Opiaten
    • Betelnüsse (Betelnuss kauen)/Betelnussalkaloide; erhöht das Risiko für Plattenepithelkarzinome des Ösophagus
  • Heißgetränke (> 65 °C) [4, 9] 
    • heißen Tee zu trinken und gleichzeitig zu rauchen oder Alkohol zu konsumieren, erhöht bei chinesischen Männern das Risiko auf ein Ösophaguskarzinom auf das 5-fache [7]
      Beachte: Die Internationale Agentur für Krebsforschung (IARC) stufte 2016 sehr heiße Getränke (über 65 °C) als "wahrscheinlich karzinogen" ein.
  • Psycho-soziale Situation
    • Hoher Arbeitsstress:  + 112 % Ösophaguskarzinom (Speiseröhrenkrebs) [8]
  • Adipositas (Übergewicht) – insbesondere die stammbetonte Adipositas; erhöht das Risiko für Adenokarzinome des Ösophagus und des ösophagogastralen Übergangs
  • Androide Körperfettverteilung, das heißt abdominales/viszerales, stammbetontes, zentrales Körperfett (Apfeltyp) – es liegt ein hoher Taillenumfang bzw. ein erhöhter Taille-Hüft-Quotient (THQ; englisch: waist-to-hip-ratio (WHR)) vor
    Bei der Messung des Taillenumfangs gemäß der Richtlinie der International Diabetes Federation (IDF, 2005) gelten folgende Normwerte:
    • Männer < 94 cm
    • Frauen < 80 cm
    Die Deutsche Adipositas-Gesellschaft veröffentlichte 2006 etwas moderatere Zahlen für den Taillenumfang: 102 cm bei Männern und 88 cm bei Frauen.

Krankheitsbedingte Ursachen

  • Barrett-Ösophagus (Synonym: Allison-Johnstone-Syndrom)  Ausbildung eines ösophagealen Ulcus pepticum auf der metaplastischen Schleimhaut; kann Vorläufer eines Adenokarzinoms sein
  • Gastroösophageale Refluxkrankheit (Synonyme: GERD, Gastro-oesophageal reflux disease; Gastroesophageal Reflux Disease (GERD); Gastroösophageale Refluxkrankheit (Refluxkrankheit); Gastroösophagealer Reflux; Reflux-Ösophagitis; Refluxkrankheit; Refluxösophagitis; peptische Ösophagitis) – entzündliche Erkrankung der Speiseröhre (Ösophagitis), die durch den krankhaften Rückfluss (Reflux) von saurem Magensaft und anderen Mageninhalten hervorgerufen wird; erhöht das Risiko für Adenokarzinome des Ösophagus
  • Howel-Evans-Syndrom (Tylosis) – palmo-plantare Hyperkreatose/Bildung von Hornschwielen an Händen und Füßen; extrem seltene Erkrankung der Haut; sehr hohe Inzidenz von Plattenepithelkarzinomen des Ösophagus (40-100 % Penetranz)
  • Infektion mit Papilloma-Virus 16 (HPV 16) bzw. Helicobacter pylori
  • Ösophagusachalasie – Funktionsstörung des unteren Ösophagussphinkters (Speiseröhrenmuskulatur), mit der Unfähigkeit zu erschlaffen; es handelt sich dabei um eine neurodegenerative Erkrankung, bei der Nervenzellen des Plexus myentericus absterben. Im Endstadium der Erkrankung ist die Kontraktionsfähigkeit der Östophagusmuskulatur irreversibel geschädigt, mit der Folge, dass Nahrungsbestandteile nicht mehr in den Magen transportiert werden und durch Übertritt in die Trachea (Luftröhre) zu pulmonalen Funktionsstörungen führen. Bis zu 50 % der Patienten leiden an pulmonalen ("lungenbedingten") Funktionseinschränkungen als Folge chronischer Mikroaspirationen (Eindringen von kleinen Mengen Materials z. B. Speisereste in die Lunge).
    Typische Symptome der Achalasie sind: Dysphagie (Schluckstörung), Regurgitation (Wiederhochkommen von Speise), Husten, gastroösophagealer Reflux (Rückfluss von Magensäure in die Speiseröhre), Dyspnoe (Atemnot), Thoraxschmerz (Brustschmerzen) und Gewichtsverlust; als sekundäre
    Achalasie ist sie meistens Folge einer Neoplasie (bösartige Neubildung), z. B. eines Kardiakarzinoms (Mageneingangskrebs); eine Achalasie erhöht das Risiko für Plattenepithel- und Adenokarzinome des Ösophagus.
  • Parodontitis – Nachweis von Tannerella forsythia  in der Mundflora war mit einem um 21 % erhöhten Risiko auf ein Adenokarzinom des Ösophagus (EAC) verbunden; Porphyromonas gingivalis wurde häufiger bei Patienten mit Plattenepithelkarzinom des Ösophagus (ESCC) [6]
  • Plummer-Vinson-Syndrom (Synonyme: Sideropenische Dysphagie, Paterson-Brown-Kelly-Syndrom) – Symptomenkomplex trophischer Störungen (Schleimhautdefekte, Mundwinkelrhagaden (Einrisse im Mundwinkel), brüchige Nägel und Haare, Zungenbrennen und Dysphagie (Schluckbeschwerden) durch größere Schleimhautdefekte), die speziell durch Eisenmangel ausgelöst werden. Die Erkrankung ist Risikofaktor für die Entwicklung eines Ösophaguskarzinoms.
  • Zöliakie (gluteninduzierte Enteropathie) – chronische Erkrankung der Dünndarmmukosa (Dünndarmschleimhaut), die auf einer Überempfindlichkeit gegen das Getreideeiweiß Gluten beruht; Einfluss auf die Entstehung des Ösophaguskarzinoms ist bislang nicht geklärt

Röntgenstrahlen

  • Zustand nach Radiatio (Strahlentherapie) im Hals-Thorax-Bereich; dosisabhängige Risikoerhöhung für ein späteres Ösophaguskarzinom

Umweltbelastung – Intoxikationen (Vergiftungen)

  • Aufnahme von Aflatoxinen, Nitrosaminen oder Betelnüssen
  • Säure- und Laugenverätzung (→ Narbenstenosen)
  • Zustand nach Neoplasien (bösartigen Neubildungen) des Kopf-Hals-Bereiches

Literatur

  1. Deutsches Krebsforschungszentrum. Tabakatlas Deutschland 2015. Heidelberg
  2. Secretan B, Straif K, Baan R et al.: A review of human carcinogens – Part E: tobacco, areca nut, alcohol, coal smoke, and salted fish. Lancet Oncol. 2009 Nov;10(11):1033-4.
  3. Yu XF, Zou J, Dong J: Fish consumption and risk of gastrointestinal cancers: A meta-analysis of cohort studies. World J Gastroenterol. 2014 Nov 7;20(41):15398-412. doi: 10.3748/wjg.v20.i41.15398.
  4. Loomis D et al.: Carcinogenicity of drinking coffee, mate, and very hot beverages. doi: http://dx.doi.org/10.1016/S1470-2045(16)30239-X
  5. Gharahkhani P et al.: Genome-wide association studies in oesophageal adenocarcinoma and Barrett’s oesophagus: a large-scale meta-analysis. Lancet Oncology Published online August 12, 2016 http://dx.doi.org/10.1016/S1470-2045(16)30240-6
  6. Peters BA et al.: Oral Microbiome Composition Reflects Prospective Risk for Esophageal Cancers. Cancer Res. 2017 Dec 1;77(23):6777-6787. doi: 10.1158/0008-5472.CAN-17-1296.
  7. Yu C et al.: Effect of Hot Tea Consumption and Its Interactions With Alcohol and Tobacco Use on the Risk for Esophageal Cancer: A Population-Based Cohort Study. Ann Intern Med. 2018. doi: 10.7326/M17-2000
  8. Yang T et al.: Work stress and the risk of cancer: A meta-analysis of observational studies. Int J Cancer 2018 https://doi.org/10.1002/ijc.31955
  9. Islami F et al.: A prospective study of tea drinking temperature and risk of esophageal squamous cell carcinoma. IJC 20 March 2019 https://doi.org/10.1002/ijc.32220
  10. Nowicki-Osuch K et al.: Molecular phenotyping reveals the identity of Barrett’s esophagus and its malignant transition. Science 2021;373(6556):760-767 doi: 10.1126/science.abd1449