Reizdarmsyndrom – Differentialdiagnosen

Die Reizdarmsyndrom-Leitsymptome sind wie nachfolgend dargestellt markiert:

  • 1Diarrhoe (Durchfall)
  • 2Schmerz
  • 3Obstipation (Verstopfung)
  • 4Blähungen, Distension (Überdehnungsgefühl im Darm)

Erkrankungen

Infektiöse und parasitäre Krankheiten
(A00-B99) 

  •  Diarrhoe1 (wg. infektiöser Enterokolitiden)

Endokrine, Ernährungs- und Stoffwechselkrankheiten (E00-E90)

  • C1-Esterase-Inhibitor-Mangel2 – Mangel an diesem Protein wird als hereditäres Angioödem (oder hereditäres angioneurotisches Ödem) bezeichnet
  • FODMAP-Intoleranz1+4: Abkürzung für "fermentable oligo-, di- and monosaccharides and polyols" (dt. "Fermentierbare Oligosaccharide (Fruktane und Galaktane), Disaccharide (Lactose) und Monosaccharide (Fructose) (AND) sowie Polyole" (= Zuckeralkohole, wie Maltit, Sorbit etc.)); FODMAP's sind z. B. Weizen, Roggen, Knoblauch, Zwiebel, Milch, Honig, Apfel, Birne, Pilze, Salicylat; beim Fermentieren entstehen Gase und die Bindung von Wasser kann eine abführende Wirkung haben.
    Beachte: Gemäß einer Studie sorgt eine langsamere Brotbereitung im traditionellen Bäckerhandwerk dafür, dass die Beschwerden verursachenden Bestandteile im Brot bis zum Backen bereits abgebaut sind [2].
  • Fructoseintoleranz1 + 4 (Fruchtzuckerunverträglichkeit)
  • Gallensäuren-Malabsorption/Gallensäureverlustsyndrom (chologene Diarrhoe: Durchfallkrankheit, die dadurch bedingt ist, dass Galle in vermehrtem Maße aus dem Dünndarm in den Dickdarm gelangt)(bei diarrhödominantem RDS betrifft es bis zu 30 % dieser Patientengruppe)
  • Glutensensitivität (Nicht-Zöliakie-Nicht-Weizenallergie-Nicht-Weizensensitivität (NZNWWS); engl. Non-coeliac gluten sensitivity, NCGS)1 + 4   nicht-allergischer und nicht-autoimmuner Zustand, bei welchem der Verzehr von Gluten zu Zöliakie-ähnlichen Symptomen führen kann
    • Zeitraum bis zum Beginn von Symptomen: variable, Stunden bis Tage
    • Klinisches Bild: Abdominalschmerzen (Bauchschmerzen), Meteorismus (Blähungen), Diarrhoe (Durchfall)/Nausea(Übelkeit), ggf. auch Kopfschmerzen, vernebelte Sinne (foggy mind), Müdigkeit, Myalgie (Muskelschmerzen), Exanthem (Hautausschläge) und neurologische Symptome
      Diagnosestellung; mind.sechs Wochen glutenhaltige Normalkost, dann weitere sechs Wochen glutenfreie Diät; 
      • Keine Besserung der Symptome: eine Glutensensitivität kann ausgeschlossen werden
      • Rückgang der Beschwerden: zur Bestätigung der Diagnose ist ein doppelblind-placebo-kontrollierter Provokationstest erforderlich: 
        • glutenfreie Kost und für eine Woche täglich 8 mg Gluten in einer Kapsel oder Placebo; nach einwöchiger Auswaschphase für eine weitere Woche im Crossover-Design (dieselben Probanden erhalten das Prüfpräparat und das Kontrollpräparat nacheinander verabreicht) wiederum Placebo oder Gluten.
          Positiver Test: Reduktion der Symptome um mindestens 30 Prozent unter Placebo- im Vergleich zur Gluten-Provokation
    • Labordiagnostik: Bestimmung von Gliadin-Antikörper; Hauttest: nein
    • Auftreten; jeder 5. Reizdarmpatient) [1]
      • Patienten die glaubten, an einer Nicht-Zöliakie-Glutensensitivität zu leiden, ernährten sich seit mindestens 6 Wochen glutenfrei; zuvor ausgeschlossen wurde eine Zöliakie, Weizenallergie, Lactoseintoleranz oder entzündliche Darm­er­krank­ungen; Ergebnis: Die meisten Betroffen reagierten stärker auf Placebo als auf Gluten [3].
        Fazit: Andere Bestandteile wie Amylase-Trypsin Hemmstoffe (ATIs) und FODMAPs (s. o.) sind zu untersuchen.
  • Histaminintoleranz1 (Histaminunverträglichkeit) – typische Symptome sind Flush, Übelkeit, Durchfall, migräneartige Kopfschmerzen, Hitzegefühl und Atemnot.
    Hinweis: Beim Flush handelt es sich um ein anfallsartiges heftiges Erröten der Haut des Gesichtes und der Halsregion (ggf. auch des Oberkörpers).
  • Hyperthyreose1 (Schilddrüsenüberfunktion)
  • Hypoparathyreoidismus1 + 3 (Nebenschilddrüsenunterfunktion)
  • Hypothyreose3 (Schilddrüsenunterfunktion)
  • Lactoseintoleranz1 + 4 (Milchzuckerunverträglichkeit)
  • Nicht-Zöliakie-Weizen-Sensitivität
  • Porphyrieanfall2, akut – Porphyrie bzw. akute intermittierende Porphyrie (AIP); genetische Erkrankung mit autosomal-dominantem Erbgang; Patienten mit dieser Krankheit weisen eine Reduktion der Aktivität des Enzyms Porphobilinogen-Desaminase (PBG-D) von 50 Prozent auf, die für die Porphyrinsynthese ausreicht. Auslöser einer Porphyrieattacke, die einige Tage, aber auch Monate dauern kann, sind Infektionen, Medikamente oder Alkohol. Das klinische Bild dieser Anfälle präsentiert sich als akutes Abdomen oder als neurologische Ausfälle, die einen letalen Verlauf nehmen können. Die Leitsymptome der akuten Porphyrie sind intermittierende neurologische und psychiatrische Störungen. Im Vordergrund steht häufig eine autonome Neuropathie, die abdominelle Koliken (akutes Abdomen), Nausea (Übelkeit), Erbrechen oder Obstipation (Verstopfung) verursacht sowie eine Tachykardie (Herzschläge  > 100 Schläge/min) und ein labiler Hypertonus (Bluthochdruck).
  • Sorbitintoleranz1 (Sorbitunverträglichkeit) – Störung der Verwertung von Sorbit im Dünndarm
  • Weizenallergie – Zeitraum bis zum Beginn von Symptomen: Stunden bis Tage; Bestimmung von Weizen-IgE; Hauttest
  • Weizensensitivität (Synonym: Non-Celiac-Gluten Sensitivity, NCGS) – Zeitraum bis zum Beginn von Symptomen: variable, Stunden bis Tage; Beschwerden können intestinal ("den Darm betreffend") und extraintestinal ("außerhalb des Darms") sein; Gliadin-Antikörper: negativ; IgE-Antikörper positiv; Hauttest: nein. Ursache der Weizensensitivität sind Amylase-Trypsin-Inhibitoren (ATIs), die in Weizen, Gerste und Roggen vorkommen; eine glutenfreie Ernährung führt zugleich zu einer Vermeidung von ATIs und damit in ca. 90 % der Fälle zu einem Verschwinden der Symptome.

Leber, Gallenblase und Gallenwege – Pankreas (Bauchspeicheldrüse) (K70-K77; K80-K87)

  • Cholelithiasis2 (Gallensteine)
  • Chologene Diarrhoe1 – gelangen Gallensäuren ins Kolon (Dickdarm), resultiert aus der osmotischen Wirkung der Gallensäuren eine gallensäurebedingter Durchfall
  • Gallenwegserkrankungen1, nicht näher bezeichnet
  • Pankreatitis1 (Bauchspeicheldrüsenentzündung), chronische

Mund, Ösophagus (Speiseröhre), Magen und Darm (K00-K67; K90-K93)

  • Bakterielle Fehlbesiedlung1 + 4 (Small Intestinal Bacterial Overgrowth, SIBO) [Dysbiose]
  • Bakterielle Fehlbesiedlung des Dünndarms1 + 4 (Dysbiose)
  • Chronische Appendicitis2 (Blinddarmentzündung; Achtung! > 25 % Lagevarianten des Appendix/Blinddarms)
  • Colitis ulcerosa1 – chronisch entzündliche Erkrankung der Schleimhaut des Kolons (Dickdarms) oder des Rektums (Mastdarms)
  • Darminfektionen1, nicht näher bezeichnet
  • Divertikelkrankheit3, chronische – Symptomatische unkomplizierte Divertikelkrankheit (SUDD)
  • Divertikulitis2
  • Dünndarmstenosen2
  • Gastroparese – Lähmung der Magenmuskulatur
  • Intestinale Ischämie – Durchblutungsstörungen des Darms
  • Intestinale Obstruktion – Verengung des Darms durch einen Tumor, eine Entzündung oder Fremdkörper
  • Kolitis1 (Darmentzündung), infektiöse
  • Kolondivertikulose – Ausstülpungen der Schleimhaut im Dickdarm
  • Mesenteriale Ischämie2 – irreversible Durchblutungsstörung von Darmorganen
  • Mikroskopische Kolitis oder mikroskopische Colitis1 (MC; Synonyme: kollagene Kolitis; Kollagenkolitis, Kollagencolitis) – chronische, etwas atypisch ablaufende Dickdarmschleimhautentzündung, deren Ursache unklar ist und die klinisch mit heftiger wässriger Diarrhoe (Durchfall) einhergeht/4-5-mal täglich, auch nachts; einige Patienten leiden dazu unter Abdominalschmerzen (Bauchschmerzen); 75-80 % sind Frauen/ Frauen > 50 Jahre; die korrekte Diagnose ist nur mit Koloskopie (Darmspiegelung) und Stufenbiopsien (Entnahme von Gewebeproben in den einzelnen Dickdarmabschnitten), d. h. durch eine histologische (feingewebliche) Untersuchung zu stellen; als Differentialdiagnose bei langjähriger Symptomdauer berücksichtigen:
    Beachte: Bei Erstdiagnose der MC sollte ein Zöliakiescreening erfolgen. 
  • Motilitätsstörungen (Störungen der Darmbewegung), insbesondere auch Pseudoobstruktionen (scheinbar mechanischen Obstruktion, ohne dass organische, systemische oder metabolische Störungen bestehen) sowie anorektale Funktionsstörungen ("den Anus und das Rektum/Mastdarm betreffend")
  • Morbus Crohn1 + 2 – chronisch-entzündliche Darmerkrankung (CED); sie verläuft meist in Schüben und kann den gesamten Verdauungstrakt befallen; charakterisierend ist der segmentale Befall der Darmmukosa, das heißt es können mehrere Darmabschnitte befallen sein, die durch gesunde Abschnitte voneinander getrennt sind; als Differentialdiagnose bei langjähriger Symptomdauer berücksichtigen
  • Stenosen2 (Verengungen; auch radiogen/durch Strahlentherapie, Briden/Verklebungen von Baucheingeweiden und Bauchfell)
  • Stuhlinkontinenz1 Unfähigkeit, den Darminhalt sowie auch Darmgase willkürlich im Enddarm zurückzuhalten
  • Ulzera – Geschwüre, vor allem im Magen und im Zwölffingerdarm
  • Zöliakie1 (gluteninduzierte Enteropathie) – chronische Erkrankung der Dünndarmmukosa (Dünndarmschleimhaut), die auf einer Überempfindlichkeit gegen das Getreideeiweiß Gluten beruht (auch ohne Diarrhoe (Durchfall); als Differentialdiagnose bei langjähriger Symptomdauer berücksichtigen)

Neubildungen – Tumorerkrankungen (C00-D48)

  • Gastrointestinale Tumoren2
  • Hormonaktive neuroendokrine Tumoren1 + 2
  • Kolonkarzinom1 + 2 + 3 (Darmkrebs) (paradoxe Diarrhoe; im Wechsel mit Obstipation)
  • Magenkarzinom2
  • Ovarialtumoren2 (Eierstocktumoren) Ovarialkarzinom (Eierstockkrebs) (im Frühstadium: abdominelle Distension/Zunahme des Bauchumfangs, abdominelle Schmerzen und Appetitverlust)
  • Pankreaskarzinom2 (Bauchspeicheldrüsenkrebs)

Psyche – Nervensystem (F00-F99; G00-G99)

  • Autonome Neuropathie1 (Diabetes mellitus)

Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett (O00-O99)

  • Extrauteringravidität2 (Gravidität (Schwangerschaft), bei der die Nidation (Einnistung) der Blastozyte (Embryo im frühen Entwicklungsstadium; entsteht etwa am 4.Tag nach der Befruchtung aus der Morula/Maulbeerstadium) außerhalb des Uterus (Gebärmutter) stattfindet)

Urogenitalsystem (Nieren, Harnwege – Geschlechtsorgane) (N00-N99)

  • Adnexitiden – Entzündung der sogen. Adnexe (= Kombination der Entzündung von Eileiter und des Eierstocks)
  • Endometriose2 – Vorkommen von Endometrium (Gebärmutterschleimhaut) außerhalb der Gebärmutter, beispielsweise in oder auf den Ovarien (Eierstöcken), den Tuben (Eileitern), der Harnblase oder dem Darm. Es handelt sich um eine chronische östrogenabhängige (weibliches Sexualhormon) Erkrankung. 
  • Ovarialzyste (Eierstockzyste)
  • Zystitis2 (Blasenentzündung)

Weiteres

  • Nahrungsmittelallergie1
  • Postoperative Funktionsstörungen2 + 4 (z. B. Briden)

Medikamente

  • Anticholinergika3 – Substanzen wie Ipratropiumbromid, die die Wirkung von Acetylcholin – einem Transmitter (Überträgerstoff) – unterdrücken und somit die Darmtätigkeit herabsetzt
  • Antidepressiva – Medikamente gegen Depressionen wie beispielsweise Amitriptylin
  • Antihypertensiva – Medikamente gegen Bluthochdruck wie beispielsweise Doxazosin oder Losartan
  • Laxantienabusus – Abhängigkeit von Abführmitteln

Umweltbelastungen – Intoxikationen (Vergiftungen)

  • Blei3

Fettdruck: Die häufigsten ernsten Erkrankungen Erkrankungen, die sich zumindest Initial ähnlich wie ein RDS präsentieren, sollten diagnostisch ausgeschlossen werden.

Literatur

  1. Elli L et al.: Evidence for the Presence of Non-Celiac Gluten Sensitivity in Patients with Functional Gastrointestinal Symptoms: Results from a Multicenter Randomized Double-Blind Placebo-Controlled Gluten Challenge. Nutrients 2016, 8(2), 84; doi:10.3390/nu8020084
  2. Ziegler JU et al.: Wheat and the irritable bowel syndrome – FODMAP levels of modern and ancient species and their retention during bread making. Journal of Functional Foods Volume 25, August 2016, Pages 257-266 http://dx.doi.org/10.1016/j.jff.2016.05.019
  3. Dale HF et al.: The effect of a controlled gluten challenge in a group of patients with suspected non‐coeliac gluten sensitivity: A randomized, double‐blind placebo‐controlled challenge. online 15 March 2018 https://doi.org/10.1111/nmo.13332