Morbus Whipple – Ursachen

Pathogenese (Krankheitsentstehung)

Beschreibung des Erregers

  • Erreger: Tropheryma whipplei ist ein grampositives, stäbchenförmiges Bakterium, das zur Familie der Actinobacteria gehört. Es wurde erstmals 1907 von George Hoyt Whipple beschrieben und ist der Auslöser des Morbus Whipple, einer seltenen chronischen Multisystemerkrankung. Das Bakterium ist schwer kultivierbar und kommt häufig in Umweltquellen wie Abwasseranlagen und im Stuhl gesunder Menschen vor.
  • Genom: Tropheryma whipplei besitzt ein relativ kleines, einzelsträngiges DNA-Genom, das die genetische Information für die Zellwandstruktur und virulenzassoziierte Proteine enthält. Aufgrund seiner geringen Genomgröße fehlen viele Gene, die für die Synthese wichtiger Metabolite notwendig sind, weshalb es auf einen geeigneten Wirt angewiesen ist.
  • Virulenz: Die Virulenz (Krankheitserzeugungskraft) von T. whipplei wird durch seine Fähigkeit vermittelt, in Makrophagen (Fresszellen des Immunsystems) zu überleben. Dies geschieht durch eine Beeinflussung der Immunantwort, die eine ausreichende Abwehrreaktion verhindert. Zusätzlich ist das Bakterium in der Lage, die Phagozytose (Aufnahme durch Immunzellen) zu umgehen und sich intrazellulär zu vermehren, was zur chronischen Persistenz (langanhaltenden Infektion) führt.

Epidemiologie und Übertragungsweg

  • Verbreitung: Tropheryma whipplei kommt weltweit vor, jedoch ist die Inzidenz (Häufigkeit) des Morbus Whipple sehr gering. Besonders häufig wird das Bakterium in Kläranlagen und im Stuhl von Klärwerkarbeitern nachgewiesen.
  • Hauptübertragungsweg: Der genaue Übertragungsweg ist noch unklar. Es wird vermutet, dass die Infektion durch Aufnahme von kontaminiertem Wasser oder durch direkten Kontakt mit kontaminierten Umweltmaterialien erfolgen kann.
  • Weitere Übertragungswege: Mensch-zu-Mensch-Übertragungen sind bisher nicht beobachtet worden.
  • Reservoir: Das Bakterium findet sich in Abwässern und im Stuhl gesunder Träger.
  • Infektiosität: Die Infektiosität ist gering, und nur Menschen mit einer gestörten Immunantwort, insbesondere einer gestörten T-Zell-Funktion, entwickeln die Krankheit.

Eintrittspforte des Erregers

  • Haupteintrittspforte: Die vermutete Eintrittspforte ist der Gastrointestinaltrakt (Verdauungstrakt) über kontaminiertes Wasser oder Nahrung.
  • Nebeneintrittspforten: Eventuell auch über Schleimhäute der oberen Atemwege durch Inhalation von kontaminierten Aerosolen (Luftpartikeln).

Pathogenese des Erregers

  1. Eintritt in den Körper und initiale Besiedelung: Nach Aufnahme des Erregers über den Verdauungstrakt gelangt T. whipplei in die Darmschleimhaut und dringt in die mukosalen (Schleimhaut-) Makrophagen ein.
  2. Vermehrung in den Makrophagen: Das Bakterium ist in der Lage, in den Makrophagen zu überleben und sich zu vermehren, da es die Phagozytose hemmt. Dies führt zu einer Ansammlung großer Mengen von Bakterien innerhalb der Makrophagen.
  3. Störung der Immunantwort: Durch die persistierende Infektion kommt es zu einer chronischen Entzündung der Darmwand, die nicht effizient durch das Immunsystem kontrolliert werden kann. Es wird angenommen, dass die gestörte T-Zell-Funktion (geschwächte Immunzellen) eine zentrale Rolle in der Pathogenese spielt.
  4. Bildung von Granulomen: Die Aktivierung des Immunsystems und die lokale Entzündung führen zur Bildung von Granulomen (knotige Entzündungsherde) im Darmgewebe. Diese Granulome enthalten zahlreiche lipidspeichernde Makrophagen (Fresszellen mit hohem Fettgehalt), die typischerweise als „schaumige Makrophagen“ beschrieben werden.
  5. Systemische Ausbreitung: Bei chronischem Verlauf kann sich das Bakterium über den Blutstrom (Bakteriämie) in andere Organe ausbreiten, wie Herz, Lymphknoten, Gelenke und das zentrale Nervensystem (ZNS). Dies führt zu Multiorganbeteiligung.
  6. Gewebeschädigung: Die persistierende Entzündung und Akkumulation von Bakterien führen zu einer Zerstörung des betroffenen Gewebes. Besonders betroffen sind der Dünndarm, die Gelenke und das ZNS.

Wirtsreaktion

  • Lokale Immunantwort: Aktivierung von Mukosa-Makrophagen (Darm-Schleimhautzellen), die versuchen, den Erreger zu eliminieren. Aufgrund der gestörten T-Zell-Aktivität gelingt dies jedoch nur unzureichend, was zu einer chronischen Entzündung und Akkumulation von Bakterien in den Makrophagen führt.
  • Systemische Immunantwort: Die chronische Aktivierung des Immunsystems führt zu einer allgemeinen Immunerschöpfung und einer unzureichenden Eliminierung des Erregers. Zusätzlich kommt es bei etwa 26 % der Patienten zu einer HLA-B27-Positivität, was auf eine genetische Prädisposition hinweist.

Organaffinität und Gewebeschäden

  • Bevorzugte Zielorgane: Dünndarm, Herz, Gelenke und Zentrales Nervensystem (ZNS).
  • Resultierende Gewebeschäden:
    • Dünndarm: Die massive Ansammlung von schaumigen Makrophagen in der Darmschleimhaut führt zu einer Lipodystrophia intestinalis (fettige Degeneration des Darmgewebes) und einer malabsorptiven Enteropathie (gestörte Nährstoffaufnahme).
    • Herz: Endokarditis (Entzündung der Herzinnenwand) und Herzklappenveränderungen bei systemischer Ausbreitung.
    • Gelenke: Chronische Arthritis (Gelenkentzündung) durch Ablagerung von entzündlichem Gewebe.
    • ZNS: Neuropsychiatrische Symptome durch granulomatöse Entzündungen im Gehirn und in den Hirnhäuten.

Klinische Manifestation

  • Frühsymptome: Unspezifische Beschwerden wie Fieber, Durchfall, Bauchschmerzen, ungewollter Gewichtsverlust und Gelenkschmerzen.
  • Fortgeschrittene Symptome:
    • Malabsorptionssyndrom (Nährstoffmangel durch gestörte Aufnahme im Darm).
    • Neurologische Symptome wie Gedächtnisstörungen, Verwirrtheit und Krampfanfälle.
    • Herzbeteiligung in Form von Endokarditis (Herzinnenhautentzündung).

Zusammenfassung und klinische Relevanz

Morbus Whipple ist eine seltene bakterielle Multisystemerkrankung, die durch das intrazellulär überlebende Bakterium Tropheryma whipplei verursacht wird. Die Erkrankung tritt vor allem bei Patienten mit gestörter T-Zell-Funktion auf und führt zu chronischen Entzündungen des Darms, der Gelenke, des Herzens und des ZNS. Die klinische Relevanz liegt in der frühzeitigen Diagnosestellung mittels Dünndarmbiopsie und PCR-Nachweis, um eine rechtzeitige antibiotische Therapie einzuleiten und systemische Komplikationen zu verhindern.

Ätiologie (Ursachen)

Begleitende Umstände

Blut, blutbildende Organe – Immunsystem (D50-D90)

  • Gestörte T-Zell-Funktion, nicht näher bezeichnet ‒ unklar, ob diese Voraussetzung oder Folge der Infektion ist