Morbus Crohn – Ursachen

Pathogenese (Krankheitsentstehung)

Die genaue Ursache des Morbus Crohn ist bislang ungeklärt, jedoch scheint die Entstehung der Erkrankung multifaktoriell bedingt zu sein. Im Zentrum der Forschung stehen genetische, familiäre, infektiöse und immunologische Faktoren, die zusammenwirken und die chronische Entzündungsreaktion im Darm auslösen.

Primäre pathophysiologische Mechanismen

  • Genetische Prädisposition
    Eine familiäre Häufung und genetische Veränderungen, insbesondere im NOD2/CARD15-Gen, weisen auf eine genetische Prädisposition hin. Mutationen in diesem Gen stören die Immunantwort auf Bakterien im Darm, was zu einer erhöhten Empfindlichkeit gegenüber mikrobiellem Befall führt.
  • Immunologische Dysregulation
    Morbus Crohn ist durch eine Überaktivität des Immunsystems gekennzeichnet, bei der entzündungsfördernde Zytokine eine zentrale Rolle spielen. Eine Dysbalance zwischen pro- und antiinflammatorischen (entzündungshemmenden) Botenstoffen führt zu einer chronischen Entzündungsreaktion. Der Tumornekrosefaktor (TNF) gilt dabei als Schlüsselzytokin, das zur Entzündung und Gewebeschädigung beiträgt. Immunzellen wie T-Helferzellen (v. a. TH1- und TH17-Zellen) sind ebenfalls beteiligt und fördern die entzündliche Reaktion.
  • Mikrobiom und Infektionen
    Eine veränderte Zusammensetzung des Darmmikrobioms und bestimmte bakterielle Infektionen werden ebenfalls als auslösende Faktoren diskutiert. Ein gestörtes Mikrobiom kann das Immunsystem im Darm destabilisieren und die Entzündungsreaktion verstärken.

Sekundäre pathophysiologische Mechanismen

  • Darmbarrierestörung
    Die chronische Entzündung und die Immunantwort führen zu einer Beeinträchtigung der Darmbarriere, wodurch bakterielle und toxische Stoffe leichter in die Darmwand eindringen und die Entzündung weiter fördern. Dies verstärkt die Gewebeschädigung und fördert die Bildung von Fisteln und Abszessen.
  • Fibrose und Stenosenbildung
    Langfristig kann die Entzündung zu einer Vernarbung (Fibrose) und zu Verengungen (Stenosen) im Darm führen. Diese mechanischen Hindernisse erschweren die Darmpassage und können in schweren Fällen zu einem Darmverschluss führen.

Klinisches Bild

  • Leitsymptome
    • Bauchschmerzen, häufig im rechten Unterbauch
    • Durchfälle, oft ohne Blut, aber mit Schleim
    • Fieber und ungewollter Gewichtsverlust
  • Fortgeschrittene Symptome
    • Fistelbildung (z. B. zwischen Darm und Haut oder Darm und Blase)
    • Abszesse und perianale Beschwerden
    • Mangelerscheinungen (z. B. Vitamin B12- oder Eisenmangel) aufgrund der beeinträchtigten Nährstoffaufnahme

Zusammenfassung und klinische Relevanz

Morbus Crohn ist eine komplexe, multifaktoriell bedingte chronisch-entzündliche Darmerkrankung, die eine gestörte Immunantwort, genetische Prädisposition und mikrobielle Faktoren umfasst. Im Krankheitsverlauf kommt es zu einer chronischen Entzündung der Darmwand, die zu Gewebeschäden, Fistelbildung und Stenosen führen kann. Das Verständnis der Pathogenese ist entscheidend für die Auswahl therapeutischer Ansätze, insbesondere für immunmodulatorische und entzündungshemmende Behandlungen.

Ätiologie (Ursachen)

Biographische Ursachen

  • Genetische Belastung
    • Familiäre Häufung – bei mit Betroffenen im ersten Grad Verwandten besteht ein 5- bis 20-fach erhöhtes Risiko für die Entwicklung einer chronisch entzündlichen Darmerkrankung. In zahlreichen Untersuchungen wurde eine Vielzahl von Genen identifiziert, die für das Auftreten von Morbus Crohn eine Rolle spielen könnten, diese Gene unterliegen einer Mutation und sind in die Regulation des Immunsystems der Darmschleimhaut einbegriffen [1]
      Genetische Prädisposition
      – Störung beziehungsweise Fehlfunktion des Immunsystems der Darmschleimhaut mit chronischer Entzündungsreaktion – Immun- und Entzündungsmediatoren, wie Zytokine, Prostaglandine und Leukotriene, wurden in Geweben von Crohn-Patienten in erhöhter Konzentration nachgewiesen [1].
      Patienten, deren Dickdarm von der Erkrankung betroffen ist, haben laut einer internationalen Studie weniger Kopien des Gens, welches für das sogenannte β-Defensin-2 – ein körpereigenes Peptid-Antibiotikum – verantwortlich ist [2]. Defensine sind kleine 33-47 Aminosäuren lange Peptide und wirken wie körpereigene Antibiotika, die die Schleimhäute vor Bakterienbefall schützen. Patienten mit Kolonbefall durch Morbus Crohn weisen einen niedrigen Spiegel von β-Defensinen in den Schleimhäuten auf.
      • Genetisches Risiko abhängig von Genpolymorphismen:
        • Gene/SNPs (Einzelnukleotid-Polymorphismus; engl.: single nucleotide polymorphism):
          • Gene: ATG16L1, BSN, IBD5, CDKAL1, IL23R, NOD2, PTPN2
          • SNP: rs2066844 im Gen NOD2
            • Allel-Konstellation: CT (3,0-fach)
            • Allel-Konstellation: TT (35,0-fach)
          • SNP: rs2066845 im Gen NOD2
            • Allel-Konstellation: CG (3,0-fach)
            • Allel-Konstellation: CC (35,0-fach)
          • SNP: rs2066847 im Gen NOD2
            • Allel-Konstellation: DI (3,0-fach)
            • Allel-Konstellation: II (35,0-fach)
          • SNP: rs17234657 in einer intergenischen Region
            • Allel-Konstellation: GT (1,54-fach)
            • Allel-Konstellation: GG (2,32-fach)
          • SNP: rs6596075 im Gen IBD5
            • Allel-Konstellation: CG (1,5-fach)
            • Allel-Konstellation: CC (2,0-fach)
          • SNP: rs2542151 im Gen PTPN2
            • Allel-Konstellation: GT (1,3-fach)
            • Allel-Konstellation: GG (2,0-fach)
          • SNP: rs6908425 im Gen CDKAL1
            • Allel-Konstellation: CT (1,63-fach)
            • Allel-Konstellation: CC (1,95-fach)
          • SNP: rs1000113 in einer intergenischen Region
            • Allel-Konstellation: CT (1,5-fach)
            • Allel-Konstellation: TT (1,9-fach)
          • SNP: rs17221417 im Gen NOD2
            • Allel-Konstellation: CG (1,3-fach)
            • Allel-Konstellation: GG (1,9-fach)
          • SNP: rs11805303 im Gen IL23R
            • Allel-Konstellation: CT (1,4-fach)
            • Allel-Konstellation: TT (1,8-fach)
          • SNP: rs10210302 im Gen ATG16L1
            • Allel-Konstellation: CT (1,2-fach)
            • Allel-Konstellation: TT (1,8-fach)
          • SNP: rs9858542 im Gen BSN
            • Allel-Konstellation: AG (1,1-fach)
            • Allel-Konstellation: AA (1,8-fach)
          • SNP: rs12037606 in einer intergenischen Region
            • Allel-Konstellation: AG (1,22-fach)
            • Allel-Konstellation: AA (1,52-fach)
          • SNP: rs6601764 in einer intergenischen Region
            • Allel-Konstellation: CT (1,16-fach)
            • Allel-Konstellation: CC (1,52-fach)
          • SNP: rs7753394 in einer intergenischen Region
            • Allel-Konstellation: CT (1,2-fach)
            • Allel-Konstellation: CC (1,5-fach)
          • SNP: rs9469220 in einer intergenischen Region
            • Allel-Konstellation: AG (1,1-fach)
            • Allel-Konstellation: AA (1,5-fach)
          • SNP: rs7807268 in einer intergenischen Region
            • Allel-Konstellation: CG (1,3-fach)
            • Allel-Konstellation: CC (1,4-fach)
          • SNP: rs11209026 im Gen IL23R
            • Allel-Konstellation: AG (0,14-fach)
            • Allel-Konstellation: AA (< 0,14-fach)
  • Entbindung per Sectio caesarea (Kaiserschnitt; Risikoerhöhung für entzündliche Darmerkrankungen 20 %) [4]
  • Hauttyp – Hellhäutige Menschen sind doppelt so oft betroffen wie dunkelhäutige Menschen
  • Stillzeit – je länger die Mutter stillt, desto geringer ist das Erkrankungsrisiko des Kindes

Verhaltensbedingte Ursachen

  • Ernährung
    • Erhöhter Gebrauch von raffinierten Kohlenhydraten – Weißer Zucker und Weißmehlprodukte fördern Entzündungsprozesse.
    • Geringer Ballaststoffverzehr – Reduziert die Diversität der Darmflora und erhöht das Risiko für chronisch-entzündliche Darmerkrankungen.
    • Hoher Konsum chemisch aufbereiteter Speisefette – Fördert entzündliche Reaktionen im Darm.
    • Mikronährstoffmangel – Ein Mangel an essenziellen Vitalstoffen wie Zink, Vitamin D und Eisen ist mit einem erhöhten Risiko für entzündliche Darmerkrankungen assoziiert.
  • Genussmittelkonsum
    • Tabak (Rauchen) – Wesentlicher Risikofaktor für die Manifestation (Raucher haben ein 2-fach erhöhtes Erkrankungsrisiko) und für komplizierte Verläufe. Kinder von rauchenden Müttern haben ebenfalls ein doppelt so hohes Erkrankungsrisiko.
  • Psycho-soziale Situation
    • Konfliktsituationen und Stress – Stress kann zum Auftreten erneuter Schübe führen [1].
  • Hygienesituation
    • Mangelnde Konfrontation mit Parasiten und mikrobiellen Toxinen – Weniger Kontakt mit Stalltieren oder ihren Ausscheidungsprodukten in der frühen Kindheit erhöht das Risiko einer Fehlprogrammierung des Immunsystems.
      Quelle: Professor Sibylle Koletzko vom Dr. von Hauneŕschen Kinderspital der Universität München

Medikamente

  • Wiederholter und früher Einsatz von Antibiotika, insbesondere solchen mit einem breiten Wirkungsspektrum [6]
  • Einnahme von nichtsteroidalen Antirheumatika (NSAR)
  • TNF-Blocker (Biologika, die den Tumornekrosefaktor alpha neutralisieren): Etanercept: adjustierte Hazard Ratio von 2,0 (95-%-Konfidenzintervall 1,4 bis 2,8); für Infliximab und Adalimumab war kein erhöhtes Risiko nachweisbar [5].

Umweltbelastung Intoxikationen (Vergiftungen)

  • Umweltfaktoren – Einfluss von Bakterien, Viren sowie Schadstoffen, die zu Infektionen sowie Entzündungen der Darmschleimhaut führen [3]
  • Mikroplastik – erkrankte Personen hatten 41,8 Mikroplastikteilchen pro Gramm Stuhltrockenmasse. Das war signifikant (p< 0,01) mehr als bei der Kontrollgruppe mit 28,0 Teilchen pro Gramm Trockenmasse; je mehr Mikroplastikteilchen gefunden wurden, desto schwerer war zudem die Erkrankung.
    Am häufigsten wurde Polyethylenterephthalat (PET) nachgewiesen (34 % der Fälle bei Colitis ulcerosa- bzw. Morbus Crohn-Patienten; Kontrolle 22 Prozent); Verhaltensweisen, die signifikant häufiger zur Erkrankungen führten waren: Trinken von Wasser aus Flaschen und konsumieren von Essen zum Mitnehmen [7].

Weitere Ursachen

  • Barrierestörung – eine weitere These besagt, dass es möglicherweise eine Barrierestörung zwischen Darmlumen und Organismus bei einigen Morbus Crohn-Patienten gibt. Dadurch können Darmbakterien in die Darmwand eindringen und dort zu Entzündungen führen (gastrointestinale Infektionen), was die Darmwand weiter schädigt.
  • Zytokine werden von allen Zellen in der Darmwand produziert, wirken auf das mukosale Immunsystem ein und sind – indem sie inflammatorische Prozesse fördern – wesentlich an den klinischen Symptomen, wie der Fibroseentwicklung, dem Ödem, dem Fieber, Gewichtsverlust sowie Untergewicht, beteiligt. Zytokine aktivieren neutrophile Granulozyten, die in der Folge aus dem Kapillarbereich auswandern und in hoher Zahl in die Darmwand gelangen. Dort setzen sie vermehrt Eicosanoide (Entzündungsmediatoren) frei, schädigen die Darmschleimhaut und erhöhen das Infektionsrisiko [1].

Literatur

  1. Biesalski HK, Köhrle J, Schümann K: Vitamine, Spurenelemente und Mineralstoffe. Kapitel 378-391 Georg Thieme Verlag; Stuttgart/New York 2002
  2. Fellermann K, Stange DE et al.: A Chromosome 8 Gene-Cluster Polymorphism with Low Human Beta-Defensin 2 Gene Copy Number Predisposes to Crohn Disease of the Colon. Am. J. Hum. Genet., 79:000, 2006
  3. Schmidt E, Schmidt N: Leitfaden Mikronährstoffe. Kapitel 1, 48-86 (6.1.), 2, 96-228 (6.2.), 230-312 (6.3.), 318-339 (6.4.), 5, 500-512 (6.5.), 7, 640-649 (6.6.) Urban & Fischer Verlag; München, Februar 2004
  4. Sevelsted A et al.: Cesarean Section and Chronic Immune Disorders. doi: 10.1542/peds.2014-0596
  5. Korzenik J et al.: Increased risk of developing Crohn’s disease or ulcerative colitis in 17 018 patients while under treatment with anti‐TNFα agents, particularly etanercept, for autoimmune diseases other than inflammatory bowel disease. Aliment Pharmacol Ther. 2019 Jul 2. doi: 10.1111/apt.15370.
  6. Nguyen LH et al.: Antibiotic use and the development of inflammatory bowel disease: a national case-control study in Sweden. Lancet Gastroenterology & Hepatology August 17, 2020 doi:https://doi.org/10.1016/S2468-1253(20)30267-3
  7. Yan Z et al.: Analysis of Microplastics in Human Feces Reveals a Correlation between Fecal Microplastics and Inflammatory Bowel Disease Status Environmental Science & Technology 2022 56 (1), 414-421 doi: 10.1021/acs.est.1c03924