Morbus Crohn – Ursachen

Pathogenese (Krankheitsentstehung)

Bisher ist nicht eindeutig geklärt, was einen Morbus Crohn verursacht. Es werden genetisch bedingte, familiäre, infektiöse und immunologische Ursachen diskutiert.

Gesichert ist eine Dysbalance pro- und antiinflammatorischer Botenstoffe. Dabei nimmt unter den proinflammatorischen (entzündungsfördernden) Zytokinen der Tumornekrosefaktor (TNF) eine Schlüsselrolle ein.

Ätiologie (Ursachen)

Biographische Ursachen

  • Genetische Belastung
    • Familiäre Häufung – bei mit Betroffenen im ersten Grad Verwandten besteht ein 5- bis 20-fach erhöhtes Risiko für die Entwicklung einer chronisch entzündlichen Darmerkrankung. In zahlreichen Untersuchungen wurde eine Vielzahl von Genen identifiziert, die für das Auftreten von Morbus Crohn eine Rolle spielen könnten, diese Gene unterliegen einer Mutation und sind in die Regulation des Immunsystems der Darmschleimhaut einbegriffen [1]
      Genetische Prädisposition
      – Störung beziehungsweise Fehlfunktion des Immunsystems der Darmschleimhaut mit chronischer Entzündungsreaktion – Immun- und Entzündungsmediatoren, wie Zytokine, Prostaglandine und Leukotriene, wurden in Geweben von Crohn-Patienten in erhöhter Konzentration nachgewiesen [1].
      Patienten, deren Dickdarm von der Erkrankung betroffen ist, haben laut einer internationalen Studie weniger Kopien des Gens, welches für das sogenannte β-Defensin-2 – ein körpereigenes Peptid-Antibiotikum – verantwortlich ist [2]. Defensine sind kleine 33-47 Aminosäuren lange Peptide und wirken wie körpereigene Antibiotika, die die Schleimhäute vor Bakterienbefall schützen. Patienten mit Kolonbefall durch Morbus Crohn weisen einen niedrigen Spiegel von β-Defensinen in den Schleimhäuten auf.
      • Genetisches Risiko abhängig von Genpolymorphismen:
        • Gene/SNPs (Einzelnukleotid-Polymorphismus; engl.: single nucleotide polymorphism):
          • Gene: ATG16L1, BSN, IBD5, CDKAL1, IL23R, NOD2, PTPN2
          • SNP: rs2066844 im Gen NOD2
            • Allel-Konstellation: CT (3,0-fach)
            • Allel-Konstellation: TT (35,0-fach)
          • SNP: rs2066845 im Gen NOD2
            • Allel-Konstellation: CG (3,0-fach)
            • Allel-Konstellation: CC (35,0-fach)
          • SNP: rs2066847 im Gen NOD2
            • Allel-Konstellation: DI (3,0-fach)
            • Allel-Konstellation: II (35,0-fach)
          • SNP: rs17234657 in einer intergenischen Region
            • Allel-Konstellation: GT (1,54-fach)
            • Allel-Konstellation: GG (2,32-fach)
          • SNP: rs6596075 im Gen IBD5
            • Allel-Konstellation: CG (1,5-fach)
            • Allel-Konstellation: CC (2,0-fach)
          • SNP: rs2542151 im Gen PTPN2
            • Allel-Konstellation: GT (1,3-fach)
            • Allel-Konstellation: GG (2,0-fach)
          • SNP: rs6908425 im Gen CDKAL1
            • Allel-Konstellation: CT (1,63-fach)
            • Allel-Konstellation: CC (1,95-fach)
          • SNP: rs1000113 in einer intergenischen Region
            • Allel-Konstellation: CT (1,5-fach)
            • Allel-Konstellation: TT (1,9-fach)
          • SNP: rs17221417 im Gen NOD2
            • Allel-Konstellation: CG (1,3-fach)
            • Allel-Konstellation: GG (1,9-fach)
          • SNP: rs11805303 im Gen IL23R
            • Allel-Konstellation: CT (1,4-fach)
            • Allel-Konstellation: TT (1,8-fach)
          • SNP: rs10210302 im Gen ATG16L1
            • Allel-Konstellation: CT (1,2-fach)
            • Allel-Konstellation: TT (1,8-fach)
          • SNP: rs9858542 im Gen BSN
            • Allel-Konstellation: AG (1,1-fach)
            • Allel-Konstellation: AA (1,8-fach)
          • SNP: rs12037606 in einer intergenischen Region
            • Allel-Konstellation: AG (1,22-fach)
            • Allel-Konstellation: AA (1,52-fach)
          • SNP: rs6601764 in einer intergenischen Region
            • Allel-Konstellation: CT (1,16-fach)
            • Allel-Konstellation: CC (1,52-fach)
          • SNP: rs7753394 in einer intergenischen Region
            • Allel-Konstellation: CT (1,2-fach)
            • Allel-Konstellation: CC (1,5-fach)
          • SNP: rs9469220 in einer intergenischen Region
            • Allel-Konstellation: AG (1,1-fach)
            • Allel-Konstellation: AA (1,5-fach)
          • SNP: rs7807268 in einer intergenischen Region
            • Allel-Konstellation: CG (1,3-fach)
            • Allel-Konstellation: CC (1,4-fach)
          • SNP: rs11209026 im Gen IL23R
            • Allel-Konstellation: AG (0,14-fach)
            • Allel-Konstellation: AA (< 0,14-fach)
  • Entbindung per Sectio caesarea (Kaiserschnitt; Risikoerhöhung für entzündliche Darmerkrankungen 20 %) [4]
  • Hauttyp – Hellhäutige Menschen sind doppelt so oft betroffen wie dunkelhäutige Menschen
  • Stillzeit – je länger die Mutter stillt, desto geringer ist das Erkrankungsrisiko des Kindes

Verhaltensbedingte Ursachen

  • Ernährung
    • Nahrungsbestandteile, insbesondere erhöhter Gebrauch von raffinierten Kohlenhydraten – weißer Zucker, Weißmehlprodukte
    • Geringer Ballaststoffverzehr
    • Hoher Konsum chemisch aufbereiteter Speisefette
    • Mikronährstoffmangel (Vitalstoffe) – siehe Prävention mit Mikronährstoffen
  • Genussmittelkonsum
    • Tabak (Rauchen) – wesentlicher Risikofaktor für die Manifestation (Raucher haben ein 2-fach so hohes Erkrankungsrisiko) und für komplizierte Verläufe
    • Weiterhin haben Kinder von Müttern, die während der Schwangerschaft rauchten, ein doppelt so hohes Erkrankungsrisiko wie Kinder von nicht rauchenden Müttern
  • Psycho-soziale Situation
    • Konfliktsituationen
    • Stress – kann zum Auftreten erneuter Schübe führen [1]
  • Hygienesituation – regelmäßiger Kontakt mit Stalltieren oder ihren Ausscheidungsprodukten im ersten Lebensjahr ist statistisch mit einer Halbierung des Risikos assoziiert, bis zum 18. Lebensjahr an Morbus Crohn zu erkranken (Hypothese: mangelnde Konfrontation mit Parasiten und mikrobiellen Toxinen erhöht das Risiko zur "Fehlprogrammierung" des Immunsystems und führt so zu Autoimmunerkrankungen)
    Quelle: Professor Sibylle Koletzko vom Dr. von Hauneŕschen Kinderspital der Universität München

Medikamente

  • Wiederholter und früher Einsatz von Antibiotika, insbesondere solchen mit einem breiten Wirkungsspektrum [6]
  • Einnahme von nichtsteroidalen Antirheumatika (NSAR)
  • TNF-Blocker (Biologika, die den Tumornekrosefaktor alpha neutralisieren): Etanercept: adjustierte Hazard Ratio von 2,0 (95-%-Konfidenzintervall 1,4 bis 2,8); für Infliximab und Adalimumab war kein erhöhtes Risiko nachweisbar [5].

Umweltbelastung Intoxikationen (Vergiftungen)

  • Umweltfaktoren – Einfluss von Bakterien, Viren sowie Schadstoffen, die zu Infektionen sowie Entzündungen der Darmschleimhaut führen [3]
  • Mikroplastik – erkrankte Personen hatten 41,8 Mikroplastikteilchen pro Gramm Stuhltrockenmasse. Das war signifikant (p< 0,01) mehr als bei der Kontrollgruppe mit 28,0 Teilchen pro Gramm Trockenmasse; je mehr Mikroplastikteilchen gefunden wurden, desto schwerer war zudem die Erkrankung.
    Am häufigsten wurde Polyethylenterephthalat (PET) nachgewiesen (34 % der Fälle bei Colitis ulcerosa- bzw. Morbus Crohn-Patienten; Kontrolle 22 Prozent); Verhaltensweisen, die signifikant häufiger zur Erkrankungen führten waren: Trinken von Wasser aus Flaschen und konsumieren von Essen zum Mitnehmen [7].

Weitere Ursachen

  • Barrierestörung – eine weitere These besagt, dass es möglicherweise eine Barrierestörung zwischen Darmlumen und Organismus bei einigen Morbus Crohn-Patienten gibt. Dadurch können Darmbakterien in die Darmwand eindringen und dort zu Entzündungen führen (gastrointestinale Infektionen), was die Darmwand weiter schädigt.
  • Zytokine werden von allen Zellen in der Darmwand produziert, wirken auf das mukosale Immunsystem ein und sind – indem sie inflammatorische Prozesse fördern – wesentlich an den klinischen Symptomen, wie der Fibroseentwicklung, dem Ödem, dem Fieber, Gewichtsverlust sowie Untergewicht, beteiligt. Zytokine aktivieren neutrophile Granulozyten, die in der Folge aus dem Kapillarbereich auswandern und in hoher Zahl in die Darmwand gelangen. Dort setzen sie vermehrt Eicosanoide (Entzündungsmediatoren) frei, schädigen die Darmschleimhaut und erhöhen das Infektionsrisiko [1].

Literatur

  1. Biesalski HK, Köhrle J, Schümann K: Vitamine, Spurenelemente und Mineralstoffe. Kapitel 378-391 Georg Thieme Verlag; Stuttgart/New York 2002
  2. Fellermann K, Stange DE et al.: A Chromosome 8 Gene-Cluster Polymorphism with Low Human Beta-Defensin 2 Gene Copy Number Predisposes to Crohn Disease of the Colon. Am. J. Hum. Genet., 79:000, 2006
  3. Schmidt E, Schmidt N: Leitfaden Mikronährstoffe. Kapitel 1, 48-86 (6.1.), 2, 96-228 (6.2.), 230-312 (6.3.), 318-339 (6.4.), 5, 500-512 (6.5.), 7, 640-649 (6.6.) Urban & Fischer Verlag; München, Februar 2004
  4. Sevelsted A et al.: Cesarean Section and Chronic Immune Disorders. doi: 10.1542/peds.2014-0596
  5. Korzenik J et al.: Increased risk of developing Crohn’s disease or ulcerative colitis in 17 018 patients while under treatment with anti‐TNFα agents, particularly etanercept, for autoimmune diseases other than inflammatory bowel disease. Aliment Pharmacol Ther. 2019 Jul 2. doi: 10.1111/apt.15370.
  6. Nguyen LH et al.: Antibiotic use and the development of inflammatory bowel disease: a national case-control study in Sweden. Lancet Gastroenterology & Hepatology August 17, 2020 doi:https://doi.org/10.1016/S2468-1253(20)30267-3
  7. Yan Z et al.: Analysis of Microplastics in Human Feces Reveals a Correlation between Fecal Microplastics and Inflammatory Bowel Disease Status Environmental Science & Technology 2022 56 (1), 414-421 doi: 10.1021/acs.est.1c03924