Magen-Darm-Blutung (Gastrointestinale Blutung) – Differentialdiagnosen
Erkrankungen, die zu einer oberen gastrointestinalen Blutung (90 % der gastrointestinalen Blutungen) führen können:
Herzkreislaufsystem (I00-I99)
- Aorto-intestinale Fistel (AEF) ‒ Verbindung zwischen der Hauptschlagader und dem Magen-Darm-Trakt – seltene aber lebensbedrohliche Komplikation im Spontanverlauf eines Aortenaneurysmas (primäre Form) oder als postoperatives Ereignis nach prothetischem Ersatz des aorto-iliacalen Gefäßabschnitts (sekundäre Fistel)
- Aortoösophageale Fisteln (AÖF) – abnorme, pathologische Verbindungen zwischen der Aorta (Hauptschlagader) und dem Ösophagus. (Speiseröhre); man unterscheidet primäre von sekundären Fisteln (primäre: überwiegend durch thorakale Aortenaneurysmen (Aussackung der Aorta im Bereich des Brustkorbs) oder Dissektionen (Aufspaltung von Wandschichten der Aorta) verursacht ; sekundäre: Zustand nach Operationen an Aorta oder Ösophagus)
- Gefäßläsionen (Gefäßverletzungen), nicht näher bezeichnet
- Osler-Weber-Rendu-Krankheit (Synonyme: Morbus Osler; Osler-Syndrom; Morbus Osler-Weber-Rendu; Morbus Osler-Rendu-Weber; Hereditäre hämorrhagische Teleangiektasie, HHT) – autosomal-dominant vererbte Erkrankung, bei der es zu Teleangiektasien (sichtbare Erweiterungen oberflächlich gelegener kleinster Blutgefäße) kommt. Diese können überall auftreten, finden sich jedoch besonders in Nase (Leitsymptom: Epistaxis (Nasenbluten)), Mund, Gesicht und den Schleimhäuten des Magen-Darm-Traktes. Da die Teleangiektasien sehr verletzlich sind, kann es leicht zu Einrissen und somit zur Blutung kommen.
Leber, Gallenblase und Gallenwege – Pankreas (Bauchspeicheldrüse) (K70-K77; K80-K87)
- Hämobilie ‒ Blutung innerhalb der Gallengänge, zumeist mit Austritt von Blut aus der Papilla duodeni major (Papilla Vateri)
- Leberzirrhose – irreversible (nicht umkehrbare) Schädigung der Leber und einen ausgeprägten Umbau des Lebergewebes
Mund, Ösophagus (Speiseröhre), Magen und Darm (K00-K67; K90-K93)
- Angiodysplasien (Synonym: vaskuläre Dysplasie) – Gefäßfehlbildungen des Magens/Duodenums (Zwölffingerdarm) wie den sog. Wassermelonenmagen
- Dieulafoy-Läsion (Synonym: Exulceratio simplex) – seltene Form eines blutenden Ulcus ventriculi (Magengeschwürs), das bei einer kongenitalen (angeborenen) Anomalie von Blutgefäßen der Magenwand entstehen kann
- Erosive Duodenitis (Zwölffingerdarmentzündung)
- Erosive Gastritis (Magenschleimhautentzündung)
- Fundusvarizen ‒ Erweiterung der Venen des Fundus (Lokalisation im Magen)
- Gastrointestinale Erosionen ‒ Substanzverlust der Schleimhaut des Magen-Darm-Traktes
- Gastroösophageale Refluxkrankheit (Synonyme: GERD, Gastro-oesophageal reflux disease; Gastroesophageal Reflux Disease (GERD); Gastroösophageale Refluxkrankheit (Refluxkrankheit); Gastroösophagealer Reflux; Reflux-Ösophagitis; Refluxkrankheit; Refluxösophagitis; peptische Ösophagitis) – entzündliche Erkrankung der Speiseröhre (Ösophagitis), die durch den krankhaften Rückfluss (Reflux) von saurem Magensaft und anderen Mageninhalten hervorgerufen wird
- Magenprolaps (Magenvorfall)
- Mallory-Weiss-Syndrom – gehäuft bei Alkoholikern auftretende longitudinale (längliche) Einrisse der Mukosa (Schleimhaut) und Submukosa (Unterschleimhautbindegewebe) der Speiseröhre, die als Komplikation mit potentiell lebensbedrohlichen Blutungen der äußeren Speiseröhre und/oder dem Mageneingang (gastrointestinale Blutung/GIB) einhergehen können
- Ösophagusvarizen ‒ Erweiterung der Venen der Speiseröhre, die durch einen Bluthochdruck im Leberkreislauf bedingt ist
- Ulcus duodeni (Zwölffingerdarmgeschwür)
- Ulcus ventriculi (Magengeschwür)
Muskel-Skelett-System und Bindegewebe (M00-M99)
- Vaskulitiden – entzündlich-rheumatische Erkrankungen, die durch eine Neigung zu Entzündungen der (meist) arteriellen Blutgefäße gekennzeichnet sind (aggressive immunsuppressive Therapie erforderlich)
Neubildungen – Tumorerkrankungen (C00-D48)
- Magenkarzinom (Magenkrebs)
- Ösophaguskarzinom (Speiseröhrenkrebs)
Symptome und abnorme klinische und Laborbefunde, die anderenorts nicht klassifiziert sind (R00-R99)
- Hämoptoe (Bluthusten)
Verletzungen, Vergiftungen und andere Folgen äußerer Ursachen (S00-T98)
- Iatrogene ‒ durch ärztliches Einwirken ‒ entstandene Schäden
- Fremdkörper
- Verletzungen, nicht näher bezeichnet
Medikamente
- Antithrombotische Mittel (Heparingruppe, Faktor Xa-Inhibitoren/direkte Thrombininhibitoren) (ca. 5,9 %)
- Nicht-steroidale Antirheumatika (NSAR) – Risikoerhöhung (OR 3,75) [3]; bei dauerhafter Einnahme kommt es in 10-25 % der Fälle zu gastroduodenalen Ulzera (Magen- und Zwölffingerdarmgeschwüre)
Hinweis: Die Einnahme selektiver Cyclooxygenase-2-Inhibitoren hat im Vergleich zu den traditionellen NSAR (tNSAR) ein geringeres gastrointestinales Blutungsrisiko.
Risikofaktoren für gastroduodenale Ulkusblutung (Blutung eines Magen- bzw. Zwölffingerdarmgeschwürs):
- Ulkus in der Vorgeschichte
- Alter > 65 Jahre
- Helicobacter-pylori-Infektion
- schwere Allgemeinerkrankung
- Komedikation (Begleitmedikamente): Glucocorticoide, SSRI, gerinnungsaktive Substanzen
- Selektive Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer (SSRI): u. a. Fluoxetin, Paroxetin, Citalopram, Sertralin – Risikoerhöhung um 55 % (OR 1,55, 95 % CI 1,35-1,78, p < 0,001) [3]
- Kombination von selektiven Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmern (SSRI) und Nicht-steroidalen Antirheumatika (NSAR) (OR 6.33, 95 % CI: 3.40-11.8; P < 0.00001) [4]
- Thrombozytenaggregationshemmern (TAH; Acetylsalicylsäure (ASS]), Clopidogrel, Prasugrel, Ticagrelor) – Risikoerhöhung (OR 2,48)
- Gemeinsame Einnahme aller drei oben genannten Medikamentengruppen: Risiko für eine obere GI-Blutung ca. 9-fache (OR 9,13, 95 % CI 1,12-74,77) [3]
- Siehe auch unter "Blutung durch Medikamente"
Erkrankungen, die zu einer unteren gastrointestinalen Blutung (10 % der gastrointestinalen Blutungen) führen können
Herzkreislaufsystem (I00-I99)
- Hämorrhoiden (ca. 80 % der Fälle)
- Lymphknotenhyperplasien, nicht näher bezeichnet
Infektiöse und parasitäre Krankheiten (A00-B99)
- Infektiöse Colitis – eine durch Bakterien, Viren oder Parasiten ausgelöste Darmentzündung
Mund, Ösophagus (Speiseröhre), Magen und Darm (K00-K67; K90-K93)
- Akute mesenteriale Ischämie (AMI; Darminfarkt, Mesenterialarterienverschluss, Mesenterialinfarkt, mesenteriale Verschlusskrankheit, Angina abdominalis)
- Analfissur ‒ Einriss in der Schleimhaut des Afters
- Angiodysplasien (Gefäßfehlbildungen) des Magens/Duodenums (Zwölffingerdarm)
- Colitis (Darmentzündung), ischämisch oder strahleninduziert
- Colitis ulcerosa ‒ chronisch-entzündliche Darmerkrankung (CED)
- Divertikulitis ‒ Erkrankung des Dickdarmes, bei der sich in Ausstülpungen der Schleimhaut (Divertikel) eine Entzündung bildet
- Divertikelblutung
- Dünndarmvarizen ‒ Erweiterung von Venen im Dünndarm
- Invagination ‒ Einstülpung eines Darmanteils in den aboral folgenden Darmabschnitt
- Meckel-Divertikel ‒ Ausstülpung des Ileums (Krumm- oder Hüftdarm; Teil des Dünndarms), die einen Rest des embryonalen Dottergangs (Ductus omphaloentericus) darstellt
- Morbus Crohn – chronisch-entzündliche Darmerkrankung (CED); verläuft meist in Schüben und kann den gesamten Verdauungstrakt befallen; charakterisierend ist der segmentale Befall der Darmmukosa (Darmschleimhaut), das heißt, es können mehrere Darmabschnitte befallen sein, die durch gesunde Abschnitte voneinander getrennt sind.
- Proktitis (Enddarmentzündung)
- Rektale Ulzera ‒ Geschwüre im Mastdarm
- Strahlenproktitis (Entzündung des Enddarms nach Strahlentherapie z. B. bei Prostatakarzinom)
Neubildungen – Tumorerkrankungen (C00-D48)
- Dickdarmtumoren, nicht näher bezeichnet
- Dünndarmtumoren, nicht näher bezeichnet
- Mastozytose – zwei Hauptformen: kutane Mastozytose (Hautmastozytose) und systemische Mastozytose (Mastozytose des gesamten Körpers); klinisches Bild der kutanen Mastozytose: gelblich-braune Flecken mit unterschiedlicher Größe (Urticaria pigmentosa); bei der systemischen Mastozytose treten zudem episodisch gastrointestinale Beschwerden (Magen-Darm-Beschwerden), (Nausea (Übelkeit), brennende Abdominalschmerzen und Diarrhoe (Durchfall)), Ulkuskrankheit sowie gastrointestinale Blutungen (Magen-Darmblutungen) und Malabsorption (Störung der Nahrungsresorption) auf; bei der systemischen Mastozytose kommt es zu einer Anhäufung von Mastzellen (Zelltyp, der u. a. an allergischen Reaktionen beteiligt ist) im Knochenmark, wo sie gebildet werden, sowie zur Anhäufung in der Haut, den Knochen, der Leber, der Milz und dem Gastrointestinaltrakt (GIT; Magen-Darm-Trakt); Mastozytose ist nicht heilbar; Verlauf in der Regel benigne (gutartig) und Lebenserwartung normal; extrem selten entarten Mastzellen (= Mastzellleukämie (Blutkrebs))
- Polypenblutung
Urogenitalsystem (Nieren, Harnwege – Geschlechtsorgane) (N00-N99)
- Endometriose ‒ Vorkommen von Endometrium (Gebärmutterschleimhaut) außerhalb der Gebärmutter, beispielsweise in oder auf den Ovarien (Eierstöcken), den Tuben (Eileitern), der Harnblase oder dem Darm.
Verletzungen, Vergiftungen und andere Folgen äußerer Ursachen (S00-T98)
- Iatrogene ‒ durch ärztliches Einwirken ‒ entstandene Schäden
- Fremdkörper
- Verletzungen, nicht näher bezeichnet
Medikamente
- Einnahme von Eisen-, Kohle- oder Wismutpräparaten kann zu Stuhlverfärbungen führen
- Arzneimittelnebenwirkungen: "Blutung durch Medikamente"; häufig Nicht-steroidale Antirheumatika (NSAR) (z. B. ASS-Therapie im Alter > 75 j. hohes Risiko; 50 % der Fälle liegt die Blutungsquelle im oberen Gastrointestinaltrakt); Antithrombotische Mittel (Heparingruppe, Faktor Xa-Inhibitoren/direkte Thrombininhibitoren)
- Die gleichzeitige Einnahme von Antikoagulantien (Gerinnungshemmer; Vitamin-K-Antagonisten wie Marcumar, Faktor-Xa-Inhibitoren wie Rivaroxaban, Apixaban oder Edoxaban oder Faktor-II-Inhibitoren wie Dabigatran) und Antibiotika führt zu einem erhöhten Blutungsrisiko!
- Die Kombination von Acetylsalicylsäure (ASS) und Clopidogrel (Thrombozytenaggretationshemmer) führt ähnlich häufig zu schweren gastrointestinalen Blutung wie bei Vitamin-K-Antagonisten.
- Duale Plättchenhemmung und Antikoagulation führen zu einem ähnlichen gastrointestinalen Blutungsrisiko.
- Für die direkten oralen Antikoagulantien (DOAK; Synonym: NOAK (neue orale Antikoagulantien)) wurden in den Zulassungsstudien jährliche Blutungsraten zwischen 0,4-3,2 % angegeben.
- Das Risiko für gastrointestinale Blutungen ist in populationsbasierten Studien unter NOAKs (Rivaroxaban, Dabigatran) nicht höher als unter Vitamin-K-Antagonisten (VKA) [1, 2].
- Zu beachten ist, dass mit zunehmendem Alter das Risiko für GI-Blutungen unter NOAKS stärker ansteigt als unter Warfarin [1].
- Corticosteroide
- Selektive Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer: unter anderem Fluoxetin, Paroxetin, Citalopram, Sertralin
Operationen
- Zustand nach Koloskopie mit Polypektomie (Darmspiegelung mit Polypenentfernung)
- Zustand nach Hämorrhoidalsklerosierung (Hämorrhoidenverödung) oder -ligatur (per Gummiband-Ligatur)
- Zustand nach Prostatastanze (Gewebeentnahme aus der Prostata zur Abklärung auffälliger Befunde)
Weiteres
Verhaltensbedingte Ursachen
- Ernährung
- Reizende Lebensmittel – Scharfe Gewürze, übermäßiger Alkohol- und Kaffeekonsum können die Magenschleimhaut reizen und das Blutungsrisiko erhöhen.
- Ballaststoffarme Ernährung – Kann Verstopfungen fördern und mechanische Belastungen im Darm erhöhen.
- Genussmittelkonsum
- Alkohol – Chronischer Konsum führt zu Schleimhautschäden und erhöht das Risiko für gastrointestinale Blutungen, insbesondere bei Leberzirrhose.
- Tabak (Rauchen) – Beeinträchtigt die Durchblutung der Magenschleimhaut und hemmt deren Regeneration.
- Körperliche Aktivität
- Exzessive Belastung – Übermäßige körperliche Anstrengung kann bei bestehenden Läsionen oder Gefäßanomalien das Risiko für Blutungen erhöhen.
Beachte: Genuss von Heidelbeeren, Lakritze oder Roter Bete kann zu Stuhlverfärbungen führen (= Pseudo-Hämatochezie)
Literatur
- Abraham NS, Singh S, Alexander GC, Heien H, Haas LR, Crown W, Shah ND: Comparative risk of gastrointestinal bleeding with dabigatran, rivaroxaban, and warfarin: population based cohort study. BMJ. 2015 Apr 24;350:h1857
- Chang HY, Zhou M, Tang W, Alexander GC, Singh S: Risk of gastrointestinal bleeding associated with oral anticoagulants: population based retrospective cohort study. BMJ. 2015 Apr 24;350:h1585
- Hai-Yin J et al.: Use of Selective Serotonin Reuptake Inhibitors and Risk of Upper Gastrointestinal Bleeding: A Systematic Review and Meta-analysis. http://dx.doi.org/10.1016/j.cgh.2014.06.021
- Loke YK et al.: Meta-analysis: gastrointestinal bleeding due to interaction between selective serotonin uptake inhibitors and non-steroidal anti-inflammatory drugs. Aliment Pharmacol Ther. 2008 Jan 1;27(1):31-40.