Leistenbruch (Inguinalhernie) – Ursachen

Pathogenese (Krankheitsentstehung)

Die Pathogenese der Leistenhernie (Inguinalhernie) umfasst strukturelle Schwächen in der Bauchwand und anatomische Besonderheiten, die je nach Typ variieren. Im Erwachsenenalter wird eine Störung der Extrazellulärmatrix (EZM) angenommen. Dabei sind insbesondere Matrix-Metalloproteasen und ihre Inhibitoren verändert, was auf einen gestörten Kollagenmetabolismus hinweist, der die Stabilität des Bindegewebes beeinträchtigt und die Entwicklung einer Hernie begünstigen kann [1].

Primäre pathophysiologische Mechanismen

  • Direkte Leistenhernie (medial, erworben)
    Die direkte Leistenhernie entsteht durch einen Muskelschwachpunkt in der Bauchwand, insbesondere im Bereich der Fossa inguinalis medialis. Diese Schwäche führt dazu, dass das Bauchfell (Peritoneum) und das Gewebe der Bauchwand in den Leistenkanal vordringen und dort eine Hernie bilden. Typischerweise tritt dieser Hernientyp bei älteren Patienten auf, bei denen die Bauchwand an Stabilität verloren hat.
  • Indirekte Leistenhernie (lateral, kongenital)
    Bei der indirekten Leistenhernie ist der Processus vaginalis peritonei („Scheidenhautfortsatz“) nicht vollständig verschlossen, was eine angeborene Schwäche darstellt. Der Bauchinhalt tritt hier durch den Leistenkanal und folgt dem Verlauf des nicht verschlossenen Fortsatzes, der normalerweise nach der Geburt obliterieren (verschließen) sollte. Der Bruchkanal verläuft lateral der Vasa epigastrica inferiora (Blutgefäße) und tritt typischerweise bei jüngeren Patienten auf.
  • Hernia femoralis (Femoralhernie, Schenkelhernie)
    Die Femoralhernie hat ihre Bruchpforte unterhalb des Ligamentum inguinale (Leistenband) und wird zwischen dem Leistenband und der Beckenwand gebildet. Dieser Hernientyp tritt häufiger bei Frauen auf und weist eine enge anatomische Lage auf, die das Risiko für Inkarzerationen (Einklemmungen) erhöht. Die Bauchorgane werden durch das Femoralband gedrückt, was den Bruchkanal erweitert.

Sekundäre pathophysiologische Mechanismen

  • Extrazellulärmatrix-Fehlregulation und Bindegewebsschwäche
    Veränderungen in der Extrazellulärmatrix beeinflussen die Struktur und Elastizität des Gewebes. Ein unausgeglichener Kollagenstoffwechsel führt zu einer verminderten Stabilität der Bauchwand und erhöht die Anfälligkeit für Hernienbildungen.
  • Druckerhöhung im Bauchraum
    Faktoren wie chronisches Husten, schweres Heben oder starkes Pressen können den intraabdominalen Druck erhöhen, was eine Schwachstelle in der Bauchwand belastet und zur Hernienbildung beitragen kann.

Klinisches Bild

  • Leitsymptome
    • Sicht- oder tastbare Vorwölbung in der Leistenregion, die sich im Liegen oft zurückbildet
    • Ziehende oder drückende Schmerzen in der Leistenregion, verstärkt bei körperlicher Belastung
  • Fortgeschrittene Symptome
    • Schmerzen oder Druckgefühl im Bereich der Vorwölbung, auch in Ruhephasen
    • Bei Einklemmungen (Inkarzerationen): starke Schmerzen, Übelkeit, Erbrechen, Schwellung und eine nicht zurückzudrängende Vorwölbung

Zusammenfassung und klinische Relevanz

Die Leistenhernie entsteht durch eine Kombination struktureller Schwächen und erhöhten intraabdominalen Drucks. Direkte und indirekte Leistenhernien sowie Femoralhernien unterscheiden sich in ihrer Pathogenese, Anatomie und Häufigkeit. Während direkte Leistenhernien auf Schwachpunkte in der Bauchwand zurückzuführen sind, sind indirekte Hernien oft angeboren und verlaufen entlang des nicht verschlossenen Processus vaginalis peritonei. Femoralhernien treten unterhalb des Leistenbands auf und bergen ein höheres Risiko für Inkarzerationen. Ein detailliertes Verständnis der Pathogenese hilft, die geeignete chirurgische oder konservative Therapie auszuwählen.

Ätiologie (Ursachen)

Biographische Ursachen

  • Genetische Belastung  bei positiver Familienanamnese: 8-fach erhöht
    • Genetische Erkrankungen
      • Marfan-Syndrom ‒ genetische Erkrankung, die sowohl autosomal-dominant vererbt werden oder vereinzelt (als Neumutation) auftreten kann; systemische Bindegewebserkrankung, die vor allem durch Hochwuchs, Spinnengliedrigkeit und Überstreckbarkeit der Gelenke auffällt; 75 % dieser Patienten haben ein Aneurysma (gefährliche Gefäßaussackung)
    • Frühgeborene; urogenitale Fehlbildungen; Gastroschisis (Bauchspalte; Entwicklungsstörung der vorderen Bauchwand)Omphalozele (Nabelschnurbruch)
    • Geschlecht – Männer zu Frauen 6-8 : 1
    • Lebensalter – zunehmendes Alter 

Verhaltensbedingte Ursachen

  • Ernährung
    • Ballaststoffarme Ernährung – Kann Verstopfung fördern und dadurch die Bauchpresse sowie den intraabdominalen Druck erhöhen, was das Risiko für eine Leistenhernie steigert.
    • Fettreiche Ernährung – Trägt indirekt zur Gewichtszunahme bei, was den Druck auf die Bauchwand erhöht.
  • Genussmittelkonsum
    • Tabak (Rauchen) – Beeinträchtigt die Kollagenproduktion, was die Stabilität des Bindegewebes und der Bauchwand reduziert.
    • Alkohol – Chronischer Missbrauch kann die Muskel- und Geweberegeneration negativ beeinflussen.
  • Körperliche Aktivität
    • Schwere körperliche Arbeit – Regelmäßiges Heben schwerer Lasten kann zu einer Überbeanspruchung der Bauchmuskulatur und zu einem erhöhten Druck im Bauchraum führen.
    • Plötzliche, unkontrollierte Bewegungen – Sportarten oder Tätigkeiten mit abrupten Belastungsspitzen können die Bauchwand schwächen.
  • Übergewicht (BMI ≥ 25; Adipositas)
    • Adipositas – Führt zu einer chronischen Belastung der Bauchwand durch erhöhten intraabdominalen Druck.

Krankheitsbedingte Ursachen

  • Aszites (Bauchwassersucht)
  • Chronische Obstipation (Verstopfung)
  • Chronisch-obstruktive Lungenerkrankung (COPD)
  • Divertikelkrankheit (Ausstülpung der Darmwand)
  • Kollagenosen (Kollagenerkrankungen)
  • Prostataadenom – gutartiger Tumor der Vorsteherdrüse
  • Trauma (Verletzungen)
  • Tumoren im Bauchraum
  • Varizen (Krampfadern)

Weitere Ursachen

  • Bindegewebsschwäche (Störung der Extrazellularmatrix)
  • Operationen, abdominelle – Narbengewebe durch frühere Bauchoperationen kann die Stabilität der Bauchwand beeinträchtigen und das Risiko einer Hernie erhöhen.
  • Schwangerschaft

Literatur

  1. Antoniou GA, Tentes IK, Antoniou SA, Simopoulos C, Lazarides MK: Matrix metalloproteinase imbalance in inguinal hernia formation. J Invest Surg 2011; 24: 145-50