Divertikelkrankheit – Ursachen

Pathogenese (Krankheitsentstehung)

Die Divertikelkrankheit umfasst die Bildung von Divertikeln im Dickdarm, insbesondere im Colon sigmoideum (S-förmiger Abschnitt des Dickdarms), sowie deren mögliche Komplikationen. Divertikel sind Ausstülpungen der Darmwand, die entweder als echte Divertikel (die gesamte Darmwand umfassend) oder als Pseudodivertikel (die lediglich Mukosa und Submukosa betreffen) auftreten können.

Primäre pathophysiologische Mechanismen

  • Erhöhter intraluminaler Druck: Die Hauptursache für die Divertikelbildung ist ein überhöhter Druck im Darmlumen (Darmhohlraum), der durch gesteigerte Darmmotilität (erhöhte Darmbeweglichkeit) gefördert wird. Diese Druckverhältnisse führen zur Ausbildung kleiner Ausstülpungen, die als Divertikel bezeichnet werden. Dieser Druckanstieg entsteht häufig aufgrund einer ballaststoffarmen Ernährung, die eine unzureichende Stuhlmasse bewirkt und zu kräftigeren Kontraktionen der Darmmuskulatur führt.
  • Abnehmende Darmwandelastizität: Besonders im höheren Lebensalter trägt die nachlassende Elastizität der Darmwand zur Entstehung der Divertikel bei, die durch eine altersbedingte Bindegewebsschwäche bedingt ist.

Sekundäre pathophysiologische Mechanismen

  • Divertikulose ohne Inflammation: Studien zeigen, dass eine Divertikulose ohne Entzündungszeichen abläuft. Entzündungsmarker wie Zytokin TNF-alpha und Zelloberflächenmarker wie CD4, CD8 und CD57 lassen sich in der Mukosa (Schleimhaut) bei einer Divertikulose nicht nachweisen, was darauf hindeutet, dass keine chronische Entzündung vorliegt .
  • Divertikulitis und Peridivertikulitis: Bei der Divertikulitis entzündet sich die Wand eines Divertikels durch die Retention (Zurückbleiben) von Stuhl, der zu Kotsteinen verhärten kann. Wenn die Entzündung auf das umliegende Gewebe übergreift, spricht man von einer Peridivertikulitis. Die Retention von Stuhl im Divertikel begünstigt eine bakterielle Besiedlung und führt zur Entzündung, die im schlimmsten Fall eine Perforation (Durchbruch der Darmwand) verursachen kann.
  • Gefäßarrosion und Blutung: Eine Arrosion (Annagen) benachbarter Blutgefäße durch den entzündeten Divertikel kann zu Blutungen führen, die teils erhebliche Ausmaße annehmen können und medizinische Intervention erfordern.

Klinisches Bild

  • Leitsymptome: Typische Symptome der Divertikulose sind unspezifisch und beinhalten Bauchschmerzen, insbesondere im linken Unterbauch. Eine Divertikulitis kann hingegen durch akute Schmerzen, Fieber und veränderte Stuhlgewohnheiten gekennzeichnet sein.
  • Fortgeschrittene Symptome: Komplikationen einer Divertikulitis umfassen Perforationen, Abszesse und Blutungen. Eine Peritonitis (Bauchfellentzündung) kann auftreten, wenn entzündetes Material in die Bauchhöhle gelangt.

Zusammenfassung und klinische Relevanz

Die Divertikelkrankheit ist eine multifaktorielle Erkrankung, deren Ursache hauptsächlich im erhöhten intraluminalen Druck, altersbedingter Darmwandschwäche und einer ballaststoffarmen Ernährung liegt. Während die Divertikulose selbst oft asymptomatisch verläuft, kann eine Divertikulitis zu ernsthaften Komplikationen wie Perforationen und Blutungen führen, die einer schnellen ärztlichen Behandlung bedürfen.

Ätiologie (Ursachen)

Biographische Ursachen

  • Genetische Belastung 
    • Erkrankung tritt familiär gehäuft auf; Zwillingsstudien schätzen die Heredität auf 40 bis 53 %; genomweite Assoziationsstudien (GWAS, engl. Genome-wide association study) konnten 39 weitere Einzelnukleotid-Polymorphismen (SNP) identifizieren [4]; eine frühere kleinere GWAS bereits 3 Risikogene gefunden
    • Genetische Erkrankungen
      • Coffin-Lowry-Syndrom – genetische Erkrankung, die X-chromosomal dominant ist; körperliche Besonderheiten, wie zum Beispiel eine verbreiterte Nase und vergrößerte Lippen, sowie Einschränkung der geistigen Entwicklung
      • Ehlers-Danlos-Syndrom (EDS) ‒ genetische Erkrankungen, die sowohl autosomal-dominant als auch autosomal-rezessiv sind; heterogene Gruppe, die durch eine Störung der Kollagensynthese bedingt sind; gekennzeichnet durch eine erhöhte Elastizität der Haut und ungewöhnliche Zerreißbarkeit derselbigen (Habitus des "Kautschukmenschen")
      • Marfan-Syndrom genetische Erkrankung, die sowohl autosomal-dominant vererbt werden oder vereinzelt (als Neumutation) auftreten kann; systemische Bindegewebserkrankung, die vor allem durch Hochwuchs, Spinnengliedrigkeit (Arachnomelie) und Überstreckbarkeit der Gelenke auffällt; 75 % dieser Patienten haben ein Aneurysma (pathologische (krankhafte) Ausbuchtung der Arterienwand).
      • Polyzystische Nierenerkrankungen – Nierenerkrankung aufgrund multipler Zysten (flüssigkeitsgefüllte Hohlräume) in den Nieren
        • teils mit autosomal-dominantem wie auch autosomal-rezessivem Erbgang (s. u. Zystischer Nierenkrankheit)
      • Williams-Beuren-Syndrom (WBS; Synonyme: Williams-Syndrom, Fanconi-Schlesinger-Syndrom, idiopathische Hypercalcämie oder Elfin-face-Syndrom) – genetische Erkrankung mit autosomal-dominantem Erbgang; mit Symptomen wie kognitive Behinderung unterschiedliche Schweregrade, Wachstumsverzögerung (schon schon intrauterin), Hypercalcämie (Calciumüberschuss) in den ersten Lebensjahren, Mikroenzephalie (abnorm kleiner Kopf), Anomalien der Gesichtsform etc.
  • Lebensalter  zunehmendes Alter

Verhaltensbedingte Ursachen

  • Ernährung
    • Ballaststoffarme Ernährung
    • Fettreiche Ernährung und gleichzeitig niedrige Ballaststoffaufnahme [1]
    • Konsum von rotem Fleisch, d. h. Muskelfleisch von Schwein, Rind, Lamm, Kalb, Hammel, Pferd, Schaf, Ziege (1,58-faches Risiko für eine Divertikulitis bei Männern) [2]
    • Mikronährstoffmangel (Vitalstoffe) – siehe Prävention mit Mikronährstoffen
  • Genussmittelkonsum
    • Alkohol (> 30 g/Tag)
    • Tabak (Rauchen)
  • Körperliche Aktivität
    • Bewegungsmangel
    • Sitzende Tätigkeit
  • Übergewicht (BMI ≥ 25; Adipositas) – BMI ≥ 35 versus < 22,5 → 42 Prozent höheren Divertikulitis-Risiko einher [6]

Krankheitsbedingte Ursachen

  • Dysbiose (Gleichgewichtsstörung der Darmflora)
  • Obstipation (Verstopfung)? – Wird kontrovers beurteilt [7]: 
    • Stuhlfrequenz: < 1 pro Tag versus eine Stuhlentleerung am Tag → ca. 39 % geringeres Divertikulitis-Risiko 
    • Stuhlfrequenz: > 1 pro Tag → Risiko um 30 % erhöht

Medikamente

  • Calciumantagonisten – eine phenomweite Assoziationsstudie weist darauf hin, dass bei Personen mit den Varianten in den Genen, die die Wirkung der Calciumantagonisten beeinflussen, häufiger als andere an einer Divertikulose erkranken. Die Erkrankungswahrscheinlichkeit ist allerdings sehr gering, sie lag gerade einmal bei 1,02 (95-%-Konfidenzintervall 1,01 bis 1,04), was einen Anstieg um 2 % anzeigt [5].
  • Glucocorticoide*
  • Immunsuppressiva*
  • Nicht-steroidale Entzündungshemmer (NSAID)*: Acetylsalicylsäure
  • Opioide*

*Medikamente, die einen negativen Einfluss auf den Verlauf der Divertikelkrankheit haben.

Literatur

  1. Aldoori WH, Giovannucci EL, Rimm EB et al.: A prospective study of diet and the risk of symptomatic diverticular disease in men. Am J Clin Nutr 1994; 60: 757-764
  2. Cao Y et al.: Meat intake and risk of diverticulitis among men. Gut doi:10.1136/gutjnl-2016-313082 Published Online First 9 January 2017
  3. Peery AF et al.: Colonic Diverticula Are Not Associated With Mucosal Inflammation or Chronic Gastrointestinal Symptoms. Clin Gastroenterol Hepatol. 2018 Jun;16(6):884-891.e1. doi: 10.1016/j.cgh.2017.05.051.
  4. Maguire LH et al.: Genome-wide association analyses identify 39 new susceptibility loci for diverticular disease. Nature Genetics (2018) Published: 03 September 2018
  5. Gill D et al.: Use of Genetic Variants Related to Antihypertensive Drugs to Inform on Efficacy and Side Effects . Circulation July 9, 2019 https://doi.org/10.1161/CIRCULATIONAHA.118.038814
  6. Ma W et al.: Association Between Obesity and Weight Change and Risk of Diverticulitis in Women. Gastrolenterology 2018;155(1):58-66.e4 https://doi.org/10.1053/j.gastro.2018.03.057
  7. Jovani M et al.: Frequency of Bowel Movements and Risk of Diverticulitis. Clinical Gastroenterology and Hepatology Available online 5 January 2021 https://doi.org/10.1016/j.cgh.2021.01.003