Dickdarmpolypen (Kolonadenom) – Ursachen

Pathogenese (Krankheitsentstehung)

Die meisten Kolonkarzinome (Darmkrebs) entstehen über Jahre hinweg aus Adenomen (gutartige Drüsentumoren des Darms) durch die sogenannte Adenom-Karzinom-Sequenz. Dabei handelt es sich um einen Prozess, bei dem sich gutartige Darmpolypen (Adenome) allmählich in bösartige Tumoren (Karzinome) umwandeln.

Adenom-Karzinom-Sequenz

Der Übergang von einem Adenom zu einem Karzinom wird durch eine Anhäufung von Mutationen (Veränderungen im Erbmaterial) in den betroffenen Zellen verursacht. Dieser Prozess erstreckt sich über mehrere Jahre, und die Wahrscheinlichkeit der Entartung (Umwandlung in bösartige Zellen) steigt mit der Größe des Adenoms. Der sogenannte Adenomgipfel tritt etwa 10 Jahre vor dem Ausbruch eines Karzinoms auf. Das Risiko für die Entstehung eines invasiven Karzinoms nimmt zu, wenn das Adenom größer wird oder histologische Besonderheiten aufweist.

Die genauen Ursachen der genetischen Veränderungen, die zur Entartung führen, sind häufig multifaktoriell, d. h. sie entstehen durch eine Kombination genetischer, umweltbedingter und möglicherweise auch epigenetischer Faktoren.

Histologische (feingewebliche) Typen und Entartungstendenz

Die Entartungstendenz variiert je nach histologischer Klassifikation des Adenoms:

  • Villöses Adenom: In bis zu 30 % der Fälle besteht eine Entartungstendenz.
  • Tubuläres Adenom: Hier beträgt die Entartungstendenz nur bis zu 5 %.

Weitere Karzinogenese-Pfade

Neben der klassischen Adenom-Karzinom-Sequenz existieren weitere molekulare Mechanismen, die zur sporadischen Karzinogenese (spontane Krebsentstehung) im Kolon führen:

  • Serratierte Karzinogenese: Ein alternativer Entstehungsweg, bei dem "sessile serratierte Adenome" (SSA) als Vorläuferläsionen fungieren. Diese Läsionen sind typischerweise größer als 5 mm, flach erhaben und befinden sich vor allem im rechtsseitigen Kolon (Dickdarm). SSA sind endoskopisch schwer zu erkennen und können eine bedeutende Ursache für die Entstehung sogenannter Intervallkarzinome (Karzinome, die zwischen zwei Vorsorgekoloskopien auftreten) sein.
  • Mischtyp: Ein Karzinogeneseweg, der molekulargenetische Merkmale beider oben beschriebenen Wege vereint. Hierbei fungieren "traditionelle serratierte Adenome" (TSA) oder villöse Adenome als Vorläuferläsionen.

Zusammenfassung

Die Entstehung von Dickdarmkarzinomen verläuft meist über die Adenom-Karzinom-Sequenz, bei der sich gutartige Polypen durch genetische Mutationen über Jahre hinweg in bösartige Tumoren umwandeln. Die Entartungstendenz hängt dabei von der Größe und der histologischen Form des Adenoms ab. Neben der klassischen Adenom-Karzinom-Sequenz spielen auch serratierte Adenome eine Rolle in der sporadischen Kolonkarzinogenese.

Ätiologie (Ursachen)

Biographische Ursachen

  • Genetische Belastung
    • Cronkhite-Canada-Syndrom (CCS) – gastrointestinales Polyposis-Syndrom (Polypen im Magen-Darm-Trakt), welches neben dem gehäuften Vorkommen von Darmpolypen unter anderem auch zu Veränderungen der Haut und Hautanhangsgebilde wie Alopecia (Haarausfall), Hyperpigmentierung und Nagelbildungsstörungen führt; Symptome treten erst nach dem fünfzigsten Lebensjahr auf; erste Symptome sind wässrige Diarrhoe (Durchfall), Verlust von Geschmack und Appetit, abnormer Gewichtsverlust und Hypoproteinämie (verminderter Gehalt von Proteinen im Blut); sporadisches Auftreten
    • Hamartomatöse Polyposis-Syndrome wie
      • Familiäre juvenile Polyposis (FJP) – Krankheitsbild, welches durch das Auftreten vieler „juveniler Polypen“ (Polypen in der Kindheit) gekennzeichnet ist; Erbgang ist autosomal-dominant; Polypen werden symptomatisch durch rezidivierende kolikartige abdominale Schmerzanfälle
      • Peutz-Jeghers-Syndrom (Synonyme: Hutchinson-Weber-Peutz-Syndrom oder Peutz-Jeghers Hamartose) – genetische Erkrankung mit autosomal-dominantem Erbgang; einhergehend mit einer gastrointestinalen Polypose (Auftreten zahlreicher Polypen im Magen-Darm Trakt) mit charakteristischen Pigmentflecken an Haut (vor allem in der Gesichtsmitte) und Schleimhäuten; klinisches Bild: rezidivierende (wiederkehrende) kolikartige Bauchschmerzen; Eisenmangelanämie; Blutauflagerungen auf dem Stuhl; mögliche Komplikationen: Ileus (Darmverschluss) durch Einstülpungen eines polypentragenden Darmabschnitts
    • Familiäre adenomatöse Polyposis (FAP; Synonym: Familiäre Polyposis) – ist eine autosomal-dominant vererbbare Erkrankung. Diese führt zum Auftreten einer Vielzahl (> 100 bis tausende) kolorektaler Adenome (Polypen). Die Wahrscheinlichkeit der malignen Entartung liegt bei nahezu 100 % (durchschnittlich ab dem 40. Lebensjahr).
    • MUTYH-assoziierte Polyposis (MAP) –  Gen: MUTYH; Tumorspektrum: Kolonkarzinom (Dickdarmkrebs), Kolonadenome
  • Lebensalter – zunehmendes Alter: 20-30 % der über 60-Jährigen und 75 % der über 70-Jährigen haben Adenome des Kolons

Verhaltensbedingte Ursachen

  • Ernährung
    • Zu fettreiche Kost (hohe Aufnahme von gesättigten Fettsäuren tierischen Ursprungs und von der mehrfach ungesättigten Fettsäure Linolsäure (Omega-6-Fettsäure), enthalten in Distel-, Sonnenblumen- und Maiskeimöl) sowie arm an kompexen Kohlenhydraten und Ballaststoffen
    • hoher Verzehr an rotem Fleisch, d. h. Muskelfleisch von Schwein, Rind, Lamm, Kalb, Hammel, Pferd, Schaf, Ziege
      • Rotes Fleisch wird von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) als "wahrscheinlich karzinogen für den Menschen", das heißt als krebserregend, eingestuft.
        Fleisch- und Wurstwaren werden als sogenanntes „definitives Gruppe 1-Karzinogen“ eingestuft und sind damit vergleichbar (qualitativ, aber nicht quantitativ) mit der kanzerogenen (krebserregenden) Wirkung des Tabakrauchens. Zu den Fleischwaren zählen Produkte, deren Fleischbestandteil durch Verarbeitungsverfahren wie Salzen, Pökeln, Räuchern oder Fermentieren haltbar gemacht bzw. im Geschmack verbessert wurde: Würstchen, Wurstwaren, Schinken, Corned beef, Dörrfleisch, luftgetrocknetes Rindfleisch, Fleischkonserven. Der tägliche Verzehr von 50 g Fleischwaren (das entspricht zwei Scheiben Wurst) steigert das Risiko für ein Kolonkarzinom um 18 %, ein täglicher Verzehr von 100 g rotem Fleisch um 17 % [8].
      • Andere Studien weisen darauf hin, dass mit dem Fleisch aufgenommenes Eisen zur Risikoerhöhung beitragen könnte, da Eisen die Bildung schädlicher Nitrosoverbindungen im Körper fördern kann. Rotes Fleisch oder Fleischwaren haben im Durchschnitt einen höheren Eisengehalt als Geflügel, weshalb dessen Verzehr das Darmkrebsrisiko in dieser Studie nicht beeinflusst haben könnte [2].
        Studien an Ratten mit chemisch-induziertem Kolonkarzinom (chemisch-herbeigeführtem Dickdarmkrebs) zeigten einheitlich, dass das mit der Nahrung aufgenommene Hämoglobin (roter Blutfarbstoff) und rotes Fleisch Läsionen (Gewebeschädigungen) im Darm als Vorstufe eines Karzinoms (Tumors) begünstigen. Der Mechanismus ist noch unbekannt, jedoch hat Häm-Eisen einen katalytischen (beschleunigenden) Effekt auf die endogene (körpereigene) Bildung kanzerogener (krebsfördernder) Nitrosoverbindungen sowie auf die Bildung zytotoxischer (zellschädigender) und genotoxischer (erbgutschädigender) Aldehyde mittels Lipidperoxidation (Umwandlung von Fettsäuren, wobei freie Radikale entstehen) [5].
      • Weitere Studien beschreiben tierisches Protein als unabhängigen Risikofaktor. Bei proteinreicher Kost treten vermehrt Proteine, Peptide und Harnstoff ins Kolon über. Als Endprodukt des bakteriellen Metabolismus entstehen Ammoniumionen, die zytotoxisch wirken [3].
    • Zu geringer Obst- und Gemüseverzehr
    • Heterozyklische aromatische Amine (HAA) – diese entstehen ausschließlich beim Erhitzen (> 150 °C) von Lebensmitteln (v. a. Fleisch und Fisch) und gelten als kanzerogen. HAA entwickeln sich hauptsächlich in der Kruste. Je stärker gebräunt das Fleisch ist, desto mehr HAA entstehen. Personen, die eine hohe Aufnahme an HAA haben, haben ein um 50 Prozent höheres Risiko, Polypen (Adenome) des Kolons (Dickdarms) zu entwickeln, die häufig Präkanzerosen (Vorstufen) für das Kolonkarzinom (Dickdarmkrebs) sind [6].
    • Mikronährstoffmangel (Vitalstoffe) – nicht ausreichende Versorgung mit Vitamin D und Calcium (Calcium bindet Promotoren wie Gallensäuren); siehe Prävention mit Mikronährstoffen
  • Genussmittelkonsum
    • Alkohol (Frau: > 20 g/Tag; Mann: > 30 g/Tag) – insbesondere bei reduzierter Folsäurezufuhr!
    • Tabak (Rauchen) (Eine Assoziation zwischen Zigarettenrauchen und koloreaktalen adenomatösen Polypen wurde schon in zahlreichen Untersuchungen nachgewiesen. Eine Metaanalyse zeigt, dass solche Vorläufer des kolorektalen Karzinoms bei Rauchern zudem auch aggressiver sind.) [4]
  • Körperliche Aktivität
    • Bewegungsmangel
  • Übergewicht (BMI ≥ 25; Adipositas) [1]
    • starke Gewichtszunahme (im Mittel 17,4 kg) versus stabilem Übergewicht: summierte OR für das Auftreten von kolorektalen Adenomen betrug 1,39 (95 %-KI 1,17-1,65) [9]
    • jede Gewichtszunahme um 5 kg erhöhte das Risiko für Adenome um 7 % (2-11 %; n = 7 Studien) [9]
  • Androide Körperfettverteilung, das heißt abdominales/viszerales, stammbetontes, zentrales Körperfett (Apfeltyp) – es liegt ein hoher Taillenumfang bzw. ein erhöhter Taille-Hüft-Quotient (THQ; englisch: waist-to-hip-ratio (WHR)) vor; Jede Zunahme des Viszeralfett-Volumens um 25 cm2 geht mit einer Zunahme des Adenomrisikos um 13 % einher [7]
    Bei der Messung des Taillenumfangs gemäß der Richtlinie der International Diabetes Federation (IDF, 2005) gelten folgende Normwerte:
    • Männer < 94 cm
    • Frauen < 80 cm
    Die Deutsche Adipositas-Gesellschaft veröffentlichte 2006 etwas moderatere Zahlen für den Taillenumfang: 102 cm bei Männern und 88 cm bei Frauen.

Medikamente

  • 1.200 mg Calcium und 1.000 IU/Tag Vitamin D3 (Behandlung 3-5 Jahre): Während der Behandlungsphase ließ sich keine Wirkung von Calcium oder Vitamin D auf die Ausbildung von sessilen serratierten ("sägezahnartigen") Adenomen (SSA) nachweisen; 6 bis 10 Jahre nach Behandlungsbeginn Häufung von SSA: Frauen und Raucher hatten dabei ein höheres Risiko, wenn sie Calciumpräparaten eingenommen hatten [10].
    Hinweis: Die SSA haben wahrscheinlich das gleiche Risiko, wie die adenomatösen Polypen sich zu Krebs zu entwickeln.

Literatur

  1. Andrew G Renehan, Margaret Tyson, Matthias Egger, Richard F Heller, Marcel Zwahlen: Body-mass index and incidence of cancer: a systematic review and meta-analysis of prospective observational studies. Lancet, Volume 371, Issue 9612, Pages 569-578, 16 February 2008
  2. Norat T, Bingham S, Ferrari P et al.: Meat, Fish, and Colorectal Cancer Risk: The European Prospective Investigation into Cancer and Nutrition. Journal of the National Cancer Institute, 97(12):906-916, 2005
  3. Biesalski HK, Fürst P, Kasper H, Kluthe R, Pölert W, Puchstein Ch, Stähelin HB: Ernährungsmedizin. Nach dem Curriculum Ernährungsmedizin der Bundesärztekammer. Georg Thieme Verlag, Stuttgart 2004
  4. Botteri E, Iodice S, Raimondi S, Maisonneuve P, Lowenfels AB: Cigarette smoking and adenomatous polyps: a meta-analysis. Gastroenterology. 2008 Feb;134(2):388-95. Epub 2007 Nov 4. doi: 10.1053/j.gastro.2007.11.007
  5. Bastide NM, Pierre FH, Corpet DE. Heme iron from meat and risk of colorectal cancer: a meta-analysis and a review of the mechanisms involved. Cancer Prev Res (Phila). 2011 Feb;4(2):177-84. Epub 2011 Jan 5. doi: 10.1158/1940-6207.CAPR-10-0113
  6. Rohrmann S, Hermann S, Linseisen, J: Heterocyclic aromatic amine intake increases colorectal adenoma risk: findings from a prospective European cohort study. Am J Clin Nutr 89: 1418-142, 2009. doi: 10.3945/ajcn.2008.26658
  7. Keum N et al.: Visceral adiposity and colorectal adenomas: dose-response meta-analysis of observational studies. Ann Oncol (2014). doi: 10.1093/annonc/mdu563
  8. Bouvard V, Loomis D, Guyton KZ, Grosse Y, El Ghissassi F, Benbrahim-Tallaa L, Guha N, Mattock H, Straif K, International Agency for Research on Cancer Monograph Working Group: Carcinogenicity of consumption of red and processed meat. Lancet Oncology (2015; doi: 10.1016/S1470-2045(15)00444-1 
  9. Schlesinger S et al.: Adult weight gain and colorectal adenomas – a systematic review and meta-analysis. Ann Oncol. 2017 Jun 1;28(6):1217-1229. doi: 10.1093/annonc/mdx080.
  10. Crockett SD et al.: Calcium and vitamin D supplementation and increased risk of serrated polyps: results from a randomised clinical trial. Gut Published Online First: 01 March 2018. doi: 10.1136/gutjnl-2017-315242