Burning-Mouth-Syndrom – Ursachen
Pathogenese (Krankheitsentstehung)
Beim primären Burning-Mouth-Syndrom (BMS) handelt es sich um eine idiopathische Form des Zungenbrennens und brennenden Gefühls im Mundbereich, ohne dass klinische Veränderungen der Zunge oder Mundschleimhaut erkennbar sind. Zungenbrennen zählt zu den idiopathischen chronischen Schmerzerkrankungen. Vor der Diagnosestellung eines primären BMS muss ein sekundäres BMS ausgeschlossen werden. Die Pathogenese des BMS ist bislang noch unklar und wahrscheinlich multifaktoriell [1].
Primäre pathophysiologische Mechanismen
- Periphere Mechanismen
Studien deuten darauf hin, dass eine Dysfunktion der Geschmacks- und Schmerzrezeptoren in der Mundschleimhaut eine Rolle spielen könnte. Diese beruht wahrscheinlich auf einer Degeneration oder Fehlfunktion der dünnen, unmyelinisierten Nervenfasern (small fibers), die für Schmerzwahrnehmung und Temperaturregulation verantwortlich sind. Die Degeneration dieser Nervenfasern könnte ein Grund für die verstärkte Schmerzempfindung sein. - Zentrale Mechanismen
Hinweise deuten darauf hin, dass Veränderungen im zentralen Nervensystem, insbesondere in den Gehirnregionen für Schmerzwahrnehmung und -verarbeitung, zur Entstehung des BMS beitragen könnten. Ein Ungleichgewicht in der Neurotransmitterproduktion, insbesondere bei Dopamin und Serotonin, könnte zu einer verstärkten Schmerzempfindung führen.
Sekundäre pathophysiologische Mechanismen
- Neuropathische Veränderungen
BMS wird zunehmend als neuropathische Erkrankung diskutiert, möglicherweise in Form einer „small fiber neuropathy“. Diese Art von Neuropathie könnte durch hormonelle Schwankungen, etwa im Klimakterium (Wechseljahren), verstärkt werden, was den Schmerzschwellenwert herabsetzen und die Anfälligkeit für neuropathische Veränderungen erhöhen könnte. - Immunologische Faktoren
Aktuellen Erkenntnissen zufolge können immunologische Veränderungen eine Rolle in der Pathogenese spielen. Betroffene zeigen erhöhte Konzentrationen von proinflammatorischen Biomarkern wie IL-8, die auf eine entzündliche Komponente hindeuten [2]. - Hormonelle Einflüsse
Hormonelle Schwankungen, insbesondere ein Abfall der Östrogenspiegel im Klimakterium, können die Empfindlichkeit der oralen Schleimhaut und Nervenfasern beeinflussen. Dies könnte die Schmerzempfindlichkeit erhöhen und zur Auslösung von BMS beitragen. - Psychogene Faktoren
Stress, Angst und depressive Zustände verstärken die Symptome erheblich. Betroffene weisen erhöhte Spiegel von Stressmarkern wie Cortisol, IgA und alpha-Amylase auf [2]. Diese Faktoren beeinflussen die Stressantwort und modulieren die Schmerzverarbeitung im zentralen Nervensystem. Soziale und psychische Belastungen können die Symptome zusätzlich verstärken.
Zusammenfassung und klinische Relevanz
Das primäre Burning-Mouth-Syndrom ist eine idiopathische Erkrankung, deren Pathogenese auf einer Kombination aus peripheren, zentralen, immunologischen, hormonellen und psychogenen Mechanismen beruht. Neuropathische Veränderungen, erhöhte Stressmarker wie Cortisol, IL-8 und alpha-Amylase sowie hormonelle Schwankungen spielen eine wichtige Rolle. Diese multifaktoriellen Einflüsse verdeutlichen die Notwendigkeit einer umfassenden Betrachtung und gezielten Diagnostik für eine adäquate Therapie [1, 2].
Ätiologie (Ursachen)
Die Ätiologie ist vielfältig, häufig ist jedoch keine Ursache erkennbar.
Sekundäres Burning-Mouth-Syndrom
Biographische Ursachen
- Anatomische Variante: Lingua plicata (Faltenzunge) geht häufig mit Brennen einher; entwickelt sich meistens im Kindesalter; wird häufig auch bei Patienten mit Trisomie 21 (Down-Syndrom) gefunden.
- Geschlecht
- Frauen (insb. postmenopausal > 55 Jahre) sind deutlich häufiger als Männer betroffen (3,5-13 : 1)
Wobei vor allem postmenopausale (nach den Wechseljahren) Frauen betroffen sind: Östrogenmangel → gehäuftes Auftreten von Zungenbrennen im Klimakterium und postmenopausal
- Frauen (insb. postmenopausal > 55 Jahre) sind deutlich häufiger als Männer betroffen (3,5-13 : 1)
Verhaltensbedingte Ursachen
- Ernährung
- Verminderte Nahrungsaufnahme und geringe Zufuhr von Vitaminen – Eine unzureichende Versorgung mit essenziellen Nährstoffen, z. B. aufgrund von Anorexia nervosa (Magersucht), kann zu Mundwinkelrhagaden (Synonyme: Cheilitis angularis, Angulus infectiosus oris, Perlèche) und Glossitis führen.
- Verbrennungen durch heiße Speisen und Getränke – Häufige thermische Reizungen können die Schleimhaut schädigen und Entzündungen verursachen.
- Genussmittelkonsum
- Alkohol – Alkoholmissbrauch (Alkoholabusus), insbesondere in Kombination mit Nikotinabusus, erhöht das Risiko für Mundschleimhautreizungen und entzündliche Veränderungen.
- Tabak (Rauchen) – Chronischer Nikotinabusus führt zu unspezifischen Rötungen und Irritationen der Mundschleimhaut und erhöht das Risiko für Entzündungen und Gewebeschäden.
- Zungenhabits
- Wiederholte mechanische Reizungen – Gewohnheiten wie Zungenpressen oder -reiben können die Schleimhaut mechanisch reizen und zu Missempfindungen oder chronischen Veränderungen führen.
Krankheitsbedingte Ursachen
Blut, blutbildende Organe – Immunsystem (D50-D90)
- Eisenmangelanämie ‒ Blutarmut, die durch einen Eisenmangel bedingt ist
- Immundefizienz/Abwehrschwäche → Candidose (Synonyme: Candidasis, Candidosis)
- Perniziöse Anämie – Anämie (Blutarmut), die durch einen Mangel an Vitamin B12 oder seltener durch einen Folsäuremangel bedingt ist
- Plummer-Vinson-Syndrom (Synonyme: Sideropenische Dysphagie, Paterson-Brown-Kelly-Syndrom) ‒ Kombination mehrerer Symptome, die durch eine Schleimhautatrophie im oberen Gastrointestinaltrakt (Mundhöhle bis Magen) bedingt ist; die Erkrankung führt aufgrund der Schleimhautatrophie im Mund zu Schluckbeschwerden und Zungenbrennen, des Weiteren treten auf: Schleimhautdefekte, Mundwinkelrhagaden (Einrisse im Mundwinkel), brüchige Nägel und Haare und Dysphagie (Schluckbeschwerden) durch größere Schleimhautdefekte; die Erkrankung ist ein Risikofaktor für die Entwicklung eines Ösophaguskarzinoms (Speiseröhrenkrebs)
Endokrine, Ernährungs- und Stoffwechselkrankheiten (E00-E90)
- Diabetes mellitus (→ Candidose)
- Eisenmangel
- Folsäuremangel
- Nahrungsmittelunverträglichkeiten, wie Zimt-Unverträglichkeit
- Vitamin B6-Mangel
- Vitamin B12-Mangel
- Zink-Mangel
Herzkreislaufsystem (I00-I99)
- Osler-Weber-Rendu-Krankheit (Synonyme: Morbus Osler; Osler-Syndrom; Morbus Osler-Weber-Rendu; Morbus Osler-Rendu-Weber; Hereditäre hämorrhagische Teleangiektasie, HHT) – autosomal-dominant vererbte Erkrankung, bei der es zu Teleangiektasien (sichtbare Erweiterungen oberflächlich gelegener kleinster Blutgefäße) kommt. Diese können überall auftreten, finden sich jedoch besonders in Nase (Leitsymptom: Epistaxis (Nasenbluten)), Mund, Gesicht und den Schleimhäuten des Magen-Darm-Traktes. Da die Teleangiektasien sehr verletzlich sind, kann es leicht zu Einrissen und somit zur Blutung kommen.
Haut und Unterhaut (L00-L99)
- Lichen ruber planus (Knötchenflechte) – Beschreibung von kleinen flachen, leicht schuppenden Knötchen hier: Lichen ruber mucosae oris; brennende Zungenschmerzen können bereits vor dem Auftreten sichtbarer Veränderungen auftreten
Infektiöse und parasitäre Krankheiten (A00-B99)
- Candidose – Infektionskrankheiten durch Pilze (Sprosspilze) der Gattung Candida (hier: Mundschleimhautentzündung inkl. Zunge)
- Helicobacter pylori Infektion
- HIV-Infektion – Mundbrennen wird als Hinweis auf eine HIV-Infektion im Frühstadium beschrieben
Mund, Ösophagus (Speiseröhre), Magen und Darm (K00-K67; K90-K93)
- Gastroösophageale Refluxkrankheit (Synonyme: GERD, Gastro-oesophageal reflux disease; Gastroesophageal Reflux Disease (GERD); Gastroösophageale Refluxkrankheit (Refluxkrankheit); Gastroösophagealer Reflux; Reflux-Ösophagitis; Refluxkrankheit; Refluxösophagitis; peptische Ösophagitis) – entzündliche Erkrankung der Speiseröhre (Ösophagitis), die durch den krankhaften Rückfluss (Reflux) von saurem Magensaft und anderen Mageninhalten hervorgerufen wird
- Gingivostomatitis ulcerosa/geschwürige Entzündung des Zahnfleisches und der Mundschleimhaut (Formen: Plaut-Vincent wg. bakterieller Mischinfektion; Agranulozytose /Fehlen oder starke Abnahme der Granulozyten im Blut wg. Unverträglichkeitsreaktionen)
- Laryngopharyngealer Reflux (LRP) – "stiller Reflux", bei dem die Kardinalsymptome des gastroösophagalen Refluxes, wie Sodbrennen und Regurgitation (Zurückströmen von Speisebrei aus der Speiseröhre in den Mund), fehlen.
- Lingua geographica (Landkartenzunge): harmlose Veränderung der Zungenoberfläche; Konstitutionsanomalie; die Zunge bekommt ihr typisches Aussehen durch Abstoßung des Epithels der fadenförmigen Papillen der Zungenoberfläche (Papillae filiformes); es zeigen sich weißliche und rötliche Bezirke, die einer Landkarte ähneln; Spektrum der Beschwerden reicht von symptomlos bis zu einem brennenden Gefühl oder brennenden Schmerzen.
- Stomatitis-Formen (Mundschleimhautentzündung):
- Stomatitis aphthosa (Mundfäule wg. HSV-1)Stomatitis catarrhalis; Formen: Hunter-Glossitis wg. perniziöser Anämie; Masernstomatitis wg. Masernvirus; Scharlach-Glossitis wg. ß-hämolysierender Streptokokken der Gruppe A)
- Stomatitis granulomatosa (Sonderform: Melkersson-Rosenthal-Syndrom wg. Arteriitis (granulomatöse Entzündung))
- Stomatitis herpetica (Herpes labialis ww. HSV-1)
- Stomatitis mycotica (Soorstomatitis wg. Candida albicans)
- Stomatitis necroticans (Formen: Agranulozytose wg. Unverträglichkeitsreaktionen; Noma (Wasserkrebs) wg. Bakterien, Malnutrition); Zytostatikatherapie wg. z. B. Cisplatin)
- Xerostomie (Mundtrockenheit)
- Zungenfissur (Schleimhauteinriss in der Zunge), meist schmerzlos
Muskel-Skelett-System und Bindegewebe (M00-M99)
- Sjögren-Syndrom – Autoimmunerkrankung aus der Gruppe der Kollagenosen, die zu einer chronisch-entzündlichen Erkrankung bzw. Zerstörung der exokrinen Drüsen führt, wobei die Speichel- und Tränendrüsen am häufigsten betroffen sind
Psyche – Nervensystem (F00-F99; G00-G99)
- Angst
- Anorexia nervosa (Magersucht)
- Bulimia nervosa (BN; Ess-Brech-Sucht)
- Depression
Verletzungen, Vergiftungen und andere Folgen äußerer Ursachen (S00-T98)
- Allergien, nicht näher bezeichnet: z. B.
- Nahrungsmittelallergien oder
- Allergien gegen Nahrungsmittelbestandteile: z. B. Geschmacksverstärker, Konservierungsstoffe (z. B. Benzoesäure), Lebensmittelfarben, Stabilisatoren (z. B. Ascorbinsäure)
- Schleimhauttraumen (Schleimhautverletzungen) durch schlecht sitzende Zahnprothesen oder kariöse Zähne
- Verletzungen der Zunge (z. B. Verbrennungen durch Speisen, Getränke)
Medikamente, die zu einer Xerostomie (Mundtrockenheit) führen können
- ACE-Hemmer (Benazepril, Captopril, Cilazapril, Enalapril, Fosinopril, Imidapril, Lisinopril, Moexipril, Perindopril, Quinapril, Ramipril, Spirapril, Trandolapril, Zofenopril)
- Alpha-2-Agonisten (Apraclonidin, Brimonidin, Clonidin)
- Alpha-1-Rezeptorenblocker (Bunazosin, Doxazosin, Prazosin, Terazosin)
- Anorektikum (Sibutramin)
- Antiallergika (H1-Antihistaminika)
- Anticholinergika (Ipratropiumbromid) [über periphere Rezeptorblockade]; Aclidinium, Biperiden, Darifenacin, Glycopyrronium, Metixen, Methantheliniumbromid, Oxybutynin, Phenoxybenzamin, Propiverin, Scopolamin, Solifenacin, Tiotropium, Tolterodin, Trihexyphenidyl, Trospiumchlorid, Umeclidinium
- Methantheliniumbromid
- Siehe ggf. auch unter "Anticholinerge Wirkung durch Medikamente".
- Antidepressiva [über zentrale Rezeptorblockade]
- Noradrenerge und spezifisch serotonerge Antidepressiva (NaSSA) – Mirtazapin
- Selektive Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (NARI) – Reboxetin, Viloxazin
- Selektive Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SSNRI) – Duloxetin, Venlafaxin
- Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) – Trazodon
- Trizyklische Antidepressiva (TZA) – Amitriptylin, Butriptylin, Cianopramin, Clomipramin, Desipramin, Doxepin, Imipramin, Iprindol, Melitracen, Nortriptylin, Opipramol, Protriptylin, Trimipramin)
- Antiemetika (Dimenhydrinat, Scopolamin)
- Antiepileptika (Gabapentin)
- Antihistaminika (Clemastin, Dimetinden, Ketotifen)
- Antiparkinsonmittel
- Anticholinergika (Belladonna-Gesamtextrakt, Benzatropin, Biperiden, Bornaprin, Metixen, Pridinol, Procyclidin, Scopolamin, Trihexyphenidyl)
- Dopaminerge Substanzen (Amantadin, Apomorphin, Bromocriptin, Cabergolin, Alpha-Dihydroergocryptin, Levodopa, Lisurid, Memantin, Pergolid, Pramipexol, Ropinirol)
- Antipsychotika (Neuroleptika)
- Konventionelle (Klassische) Antipsychotika (Neuroleptika)
- Phenothiazintyps (Levomepromazin, Triflupromazin)
- Konventionelle (Klassische) Antipsychotika (Neuroleptika)
- Antisympathotonika (α-Methyldopa)
- Anxiolytika (Azapirone, Hydroxyzin)
- ß-3-Mimetikum (Mirabegron)
- Betablocker (Metoprolol)
- Bronchodilatatoren (β2-Mimetika) – Salbutamol, Terbutalin)
- Carboanhydrasehemmer, lokale (Brinzolamid, Dorzolamid)
- Diuretika
- Schleifendiuretika (Azosemid, Bumetanid, Etacrynsäure, Etozolin, Furosemid, Piretanid, Torasemid)
- Thiaziddiuretika (Benzthiazid, Chlorothiazid, Hydrochlorothiazid (HCT), Hydroflumethiazid, Methyclothiazid, Polythiazid, Trichlormethiazid)
- Dopaminagonisten (Bromocriptin, Cabergolin, Lisurid)
- Dopaminantagonisten (Butyrophenone: Haloperidol)
- Drogen (Amphetamine, Tetrahydrocannabinol)
- Hypnotika
- Magnesiumsulfat
- Narkotika, zentral wirkende Analgetika
- Opioidantagonisten (Nalmefen, Naltrexon)
- Parasympatholytika (Atropin)
- Perchlorate (Perchlorat)
- Psychotrope Substanzen wie Modafinil
- Sedativa
- Spasmolytika (Butylscopolamin)
- Sympathomimetika
- indirekte Sympathomimetika (Amphetamine)
- Zytostatika
Medikamente, die zu einem Mundbrennen führen können
- Mundspülungen
- Reserpin
Medikamente, die zu einer Mykose der Mundhöhle führen können
- Antibiotika
- Cortisonhaltige Asthmasprays
Literatur
- Brufau-Redondo C et al.: Burning-Mouth Syndrom. Actas Dermosifiliogr. 2008;99:431-40 doi: 10.1016/S1578-2190(08)70287-7
- Porporatti AL et al.: Is burning mouth syndrome associated with stress? A meta-analysis J Oral Rehabil . 2023 Nov;50(11):1279-1315. doi: 10.1111/joor.13536. Epub 2023 Jul 4.