Störungen der Sexualpräferenz – Ursachen
Pathogenese (Krankheitsentstehung) der Sexualpräferenz
Die Sexualpräferenzen eines Menschen basieren sowohl auf einer genetischen Disposition als auch auf epigenetischen Prägungen. Letztere umfassen Umweltfaktoren, die individuell für jeden Menschen sind und eine zentrale Rolle in der Entwicklung der sexuellen Orientierung spielen. Zwillingsstudien bestätigen, dass sowohl genetische als auch umweltbedingte Einflüsse eine Rolle bei der Entstehung der Homosexualität haben [1-5].
Frühkindliche Prägung
Die epigenetischen Prägungen, die die Sexualpräferenz beeinflussen, sind in der Regel frühkindlich und treten hauptsächlich im Alter von 0 bis 3 Jahren auf. In dieser Phase bilden sich wichtige neuronale und psychologische Grundlagen für spätere sexuelle Präferenzen und Verhaltensmuster.
Genetische Grundlage
Die genetische Festlegung des chromosomalen Geschlechts (XX, XY, XO, XXY, XYY etc.) erfolgt objektiv durch die Chromosomenkonstellation des Individuums. Ab der fünften Schwangerschaftswoche beginnt die geschlechtliche Ausdifferenzierung der Gonaden (Ovarien oder Testes), die die körperliche Geschlechtsentwicklung prägt.
Geschlechtsidentität
Die geschlechtliche Identität – das subjektive Gefühl, sich als Mann, Frau, binär oder nicht-binär zu erleben – bildet sich in den ersten eineinhalb Lebensjahren heraus. Diese Phase ist entscheidend für die Entwicklung der Kern-Geschlechtsidentität. Ab dem vierten Lebensjahr beginnt die Phase der eigentlichen Geschlechterdifferenzierung, in der Kinder zunehmend ihr eigenes Geschlecht und das anderer erkennen und damit umgehen.
Prägung der Geschlechtsidentität
Die Geschlechtsidentität wird in den präpubertären Jahren weiter geprägt, wobei insbesondere soziale und kulturelle Einflüsse eine wichtige Rolle spielen. Über die weitere Entwicklung der Geschlechtsidentität während der Adoleszenz ist wenig bekannt, jedoch wird angenommen, dass die gesellschaftliche Komponente eine bedeutende Rolle spielt.
Hormonelle und neuronale Einflüsse
Es wird vermutet, dass Störungen im Stoffwechsel von Hormonen, insbesondere in der Hypophysen-Gonaden-Achse, sowie Neurotransmitterstörungen (z. B. von Dopamin und Serotonin) ebenfalls als mögliche Ursachen für die Ausprägung der sexuellen Präferenz betrachtet werden.
Ätiologie (Ursachen)
Die Ätiologie der Sexualpräferenz umfasst eine multifaktorielle Genese, bei der sowohl genetische, epigenetische als auch umweltbedingte Faktoren eine Rolle spielen. Diese lassen sich in biographische, verhaltensbedingte, krankheitsbedingte Ursachen sowie medikamentöse Einflüsse und Umweltbelastungen unterteilen.
Biographische Ursachen
Biographische Einflüsse entstehen durch pränatale und frühkindliche Entwicklungen sowie durch soziale und kulturelle Prägungen.
- Pränatale Hormonexposition: Der pränatale Hormonspiegel, insbesondere Testosteron und Östrogen, spielt eine zentrale Rolle bei der geschlechtlichen Differenzierung und der Entwicklung der Sexualpräferenz. Abweichungen in diesen Spiegeln können zu Veränderungen in der sexuellen Orientierung führen [2].
- Frühkindliche Erlebnisse: Erfahrungen im Alter von 0 bis 3 Jahren prägen die psychosexuelle Entwicklung entscheidend. Diese Phase gilt als besonders anfällig für Umwelteinflüsse, die langfristige Auswirkungen auf die Sexualpräferenz haben können [4].
Verhaltensbedingte Ursachen
Verhaltensbedingte Ursachen beziehen sich auf individuelle Erfahrungen und soziale Einflüsse.
- Soziale und kulturelle Prägungen: Gesellschaftliche Normen, Erziehungsstile und kulturelle Erwartungen spielen eine Rolle bei der Ausprägung der Sexualpräferenz. Soziale Interaktionen und die Wahrnehmung von Geschlechtsrollen in der Kindheit und Jugend haben ebenfalls Einfluss auf die Präferenz [1].
- Pubertät und erste sexuelle Erfahrungen: Frühe sexuelle Erfahrungen und soziale Kontakte in der Pubertät können die spätere Sexualpräferenz beeinflussen, indem sie erste sexuelle Orientierungsmuster festigen [3].
Krankheitsbedingte Ursachen
Bestimmte hormonelle und neurologische Störungen können die Sexualpräferenz beeinflussen.
- Hormonstörungen: Störungen in der Hypophysen-Gonaden-Achse, wie bei Hypogonadismus, können die sexuelle Orientierung beeinflussen. Eine Dysfunktion in der Produktion von Sexualhormonen kann ebenfalls zu Veränderungen in der Präferenz führen [5].
- Neurologische Störungen: Schädigungen im limbischen System, insbesondere in der Amygdala und im Hypothalamus, können sich auf die sexuelle Orientierung und das sexuelle Verhalten auswirken [2].
Medikamentöse Einflüsse
Bestimmte Medikamente können die Sexualpräferenz beeinflussen, indem sie den Hormonhaushalt oder neurochemische Prozesse verändern.
- Hormonersatztherapien: Östrogen- oder Testosterontherapien, wie sie beispielsweise bei geschlechtsangleichenden Behandlungen eingesetzt werden, können die sexuelle Präferenz modifizieren [4].
- Psychopharmaka: Medikamente wie Antidepressiva oder Antipsychotika können die sexuelle Motivation und Orientierung beeinflussen, da sie auf die Neurotransmitter wie Serotonin und Dopamin wirken [5].
Umweltbelastungen – Intoxikationen
Umweltfaktoren und toxische Einflüsse können ebenfalls die Sexualpräferenz beeinflussen.
- Endokrine Disruptoren: Chemikalien, die das hormonelle Gleichgewicht stören, wie Bisphenol A oder Phthalate, könnten pränatal die sexuelle Differenzierung beeinflussen und dadurch indirekt die Präferenz formen [3].
- Drogen- und Alkoholmissbrauch: Langfristiger Substanzmissbrauch, wie Alkohol oder Drogen, kann Verhaltensänderungen auslösen, die auch die Sexualpräferenz beeinflussen können [5].
Literatur
- Buhrich N et al.: Sexual orientation, sexual identity, and sex-dimorphic behaviors in male twins. Behavior Genetics 1991 Jan;21(1):75-96.
- Hershberger SL: A twin registry study of male and female sexual orientation. Journal of Sex Research 1997;34, 212-222
- Bailey JM et al.: Genetic and Environmental influences on sexual orientation and its correlates in an Australian twin sample. J Pers Soc Psychol. 2000 Mar;78(3):524-36.
- Bearman PS, Bruckner H: Opposite-sex twins and adolescent same-sex attraction. American Journal of Sociology 2002;107, 1179-1205.
- Santtila P et al.: Potential for homosexual response is prevalent and genetic. Biol Psychol. 2008;77 (1), 102-105. doi.org/10.1016/j.biopsycho.2007.08.006