Bisexualität

Bisexualität ist eine sexuelle Orientierung, bei der eine Person sowohl romantische als auch sexuelle Anziehung zu Personen beider oder mehrerer Geschlechter empfindet. Es handelt sich also um eine nicht ausschließlich heterosexuelle oder homosexuelle Orientierung, sondern um eine, die ein Spektrum, auch nicht binärer Personen, einschließt [1, 2, 3].

Ursprünglich bezog sich Bisexualität nur auf Sexualität bzw. die Liebe einer Person zu gleichgeschlechtlichen oder zu gegengeschlechtlichen Personen (männlich oder weiblich = binär), also eine Zweierbeziehung. Bi ist griechisch und bedeutet „zwei“. Inzwischen hat sich der Begriff aber deutlich erweitert und kann auch nicht-binäre Personen einbeziehen (nicht-binäre Menschen haben eine Geschlechtsidentität, die weder/noch, d. h. weder ganz/immer weiblich noch ganz/immer männlich ist).

Der Unterschied zwischen Bisexualität und anderen sexuellen Orientierungen liegt darin, dass Bisexuelle sich zu Personen verschiedener Geschlechter hingezogen fühlen, während sich Heterosexuelle zu Personen des anderen Geschlechts und Homosexuelle zu Personen des gleichen Geschlechts hingezogen fühlen. Es gibt jedoch auch andere sexuelle Orientierungen, die über das binäre Geschlechtssystem hinausgehen, wie pansexuell, multisexuell oder omnisexuell.

Bisexualität/Bi+Sexualität als Überbegriff für alle sexuellen Orientierungen

In aktivistischen und wissenschaftlichen Kontexten wird Bisexualität bzw. meist Bi+Sexualität als Überbegriff für alle sexuellen Orientierungen verwendet: Allosexualität, Pansexualität (Omnisexualität), Polysexualität (Multisexualität) [3].

Pansexualität (Omnisexualität) bezieht sich auf die sexuelle Orientierung, bei der sich eine Person unabhängig von Geschlecht oder Geschlechtsidentität zu anderen Menschen hingezogen fühlen kann. Pansexuelle können sich zu Personen jeglichen Geschlechts, einschließlich männlich, weiblich, transgender, nicht-binär und anderen hingezogen fühlen.

Multisexuelle (polysexuelle) und omnisexuelle Orientierungen sind ähnlich wie Bisexualität, da sie sich auf die Anziehung zu mehr als einem Geschlecht beziehen. Es gibt jedoch keine einheitliche Definition für diese Begriffe. Ihre Verwendung kann individuell von Person zu Person variieren.

Historisches

Der Begriff Bisexualität ist ein relativ junger Begriff. Das bisexuelle Verhalten ist allerdings uralt und in vielen Kulturen (Griechenland, Rom, Japan, China), der islamischen Welt, im Mittelalter schriftlich und künstlerisch überliefert, wenn auch nicht selten geächtet, wie in der christlichen Religion [4].

Der Begriff Bisexualität als sexuelle Orientierung, die sich auf die sexuelle Anziehung zu beiden Geschlechtern bezieht, bzw. wie er heute gebräuchlich ist, hat sich ab den 1970er-Jahren allmählich entwickelt, zunächst im binären Ansatz, später auch in einem erweiterten bis übergeordneten Begriff. Frühere Bezeichnungen wurden in Biologie, Psychologie und Sexualität in einem anderen Kontext gebraucht.

1990 fand die erste „Bisexual Pride Parade“ in den USA statt. Seitdem haben sich bisexuelle Communitys auf der ganzen Welt entwickelt.

Die Flagge der Bisexualität [5], die Pride Flag, wurde 1998 kreiert und besteht aus 3 Farben, mit horizontaler Anordnung, von oben nach unten mit unterschiedlichen Farbanteilen:

  • Pink steht für Homosexualität (Farbanteil 40 %)
  • Lila, eine Mischung von blau und pink, steht für Bisexualität (Farbanteil 20 %)
  • Blau steht für Heterosexualität (Farbanteile 40 %)

Die Flagge repräsentiert die Vielfalt der sexuellen Orientierungen. Die Farbübergänge sind fließend, als Hinweis darauf, dass sich Bisexuelle in beiden Gruppen finden.

Die Geschichte der Bisexualität ist eine Geschichte des Wandels und der Vielfalt. Sie spiegelt die sich verändernden gesellschaftlichen Normen und die Kämpfe um Akzeptanz und Gleichberechtigung wider. Durch die Arbeit von Aktivistinnen und Aktivisten und den Einsatz für mehr Sichtbarkeit und Anerkennung bleibt die Geschichte der Bisexualität im Fluss und wird weiterhin geschrieben. Deswegen gibt es auch keine validen Angaben über die Häufigkeit. In der LGBTQ+Bewegung (lesbisch, schwul, bisexuell, trans, queer) stellt sie die größte Gruppe.

Wann ist der „Bisexual Visibility Day“?

Der „Bisexual Awareness Day“ oder auch „Bisexual Pride Day“ genannt, ist in jedem Jahr am 23. September.

Wie häufig ist Bisexualität?

Es gibt keine genauen Statistiken darüber, wie häufig Bisexualität in verschiedenen Ländern oder in Deutschland vorkommt. Die sexuelle Orientierung einer Person ist eine sehr persönliche und individuelle Angelegenheit, die sich nicht durch Zahlen oder Statistiken erfassen lässt [6, 7].

Stigmatisierung und Diskriminierung

  • Kulturelle Akzeptanz von Bisexualität und die Offenheit, darüber zu sprechen, können von Land zu Land und von Kultur zu Kultur variieren. In einigen Ländern gibt es eine größere Offenheit und Akzeptanz für verschiedene sexuelle Orientierungen, während in anderen Ländern noch immer Stigmatisierung und Diskriminierung vorherrschen.

Persönliche Unsicherheit

  • Viele Menschen neigen dazu, Bisexualität als Phase, Unsicherheit oder Zwischenschritt auf dem Weg zur Hetero- oder Homosexualität abzutun. Dies führt dazu, dass bisexuelle Personen möglicherweise zögern, ihre sexuelle Orientierung offen zu kommunizieren oder in Umfragen anzugeben. Das Tabu und die Stigmatisierung rund um Bisexualität können dazu führen, dass bisexuelle Menschen ihre sexuelle Orientierung verbergen oder in bestimmten Situationen nicht offen darüber sprechen.

Selbstidentifikation und Definitionsprobleme

  • Die sexuelle Orientierung ist ein komplexes Thema. Menschen können ihre eigene Identität unterschiedlich definieren und verstehen. Die Definition von Bisexualität kann von Person zu Person variieren. Einige Menschen können sich als bisexuell identifizieren, während andere möglicherweise andere Bezeichnungen wie pansexuell, queer oder nicht-binär verwenden. Diese Vielfalt in den Selbstidentifikationen erschwert es, einheitliche Daten zu sammeln und zu interpretieren.

Forschungsdefizite und begrenzte Ressourcen

  • Bisexualität wurde in der Vergangenheit in der wissenschaftlichen Forschung oft vernachlässigt. Es gibt wenige Studien und Ressourcen, die sich speziell auf bisexuelle Menschen konzentrieren. Die begrenzte Forschung und Finanzierung auf diesem Gebiet können dazu führen, dass es wenig zuverlässige Daten und Statistiken zur Bisexualität gibt.

Der Sexualforscher Alfred Kinsey [6] hat in den 1940er-Jahren mit der sog. Kinsey-Skala die sexuelle Vielfalt dargestellt. Die 7-stufiges Skala zeigt bei 0 ausschließlich Heterosexualität, bei 6 ausschließlich Homosexualität an. Die meisten Menschen fallen in die Kategorien 1-5. Personen der Kategorie 2-4 sind am ehesten bisexuell.

Das britische Meinungsforschungsinstitut YouGov [7] hat in den Jahren 2015 in Großbritannien, USA, Israel und auch in Deutschland Erhebungen zu Bisexualität nach der Kinsey-Skala durchgeführt, bei der sich die betroffenen Personen in die Kinsey-Skala selbst einteilten. Laut dieser Studien ist die Selbstbeurteilung altersabhängig unterschiedlich. Sie beträgt in den erfassten Ländern zwischen 14 und 21 %, wobei sich junge Personen zwischen 18 und 24 Jahren deutlich häufiger in den bisexuellen Skalen fanden, zwischen 28 und 43 %. Das Resümee dieser Studien zeigt, dass das rein heterosexuelle Spektrum mit 45 % eher die Minderheit darstellt, andererseits viele, die sich in der Skala 2-4, also der Skala mit bisexuellen Neigungen einsortierten, sich nicht als bisexuell bezeichneten.

Angesichts dieser Ergebnisse ist es wichtig anzuerkennen, dass Bisexualität eine gültige und reale sexuelle Orientierung ist, aber mehr Forschung, Sichtbarkeit und Akzeptanz erforderlich sind, um ein besseres Verständnis von Bisexualität zu fördern und genaue Statistiken zu liefern.

Woran erkennt bzw. fühlt man, dass man bisexuell ist?

Wie jede andere sexuelle Orientierung ist auch Bisexualität in erster Linie eine eigene Erfahrung und selbst einschätzende Interpretation. Sie kann bei verschiedenen Menschen unterschiedlich auftreten und ausgeprägt sein.

Kriterien könnten sein:

  • Anziehung romantischer und/oder sexueller Art zu beiden Geschlechtern
  • Sich entwickelnder Wunsch sexuelle oder emotionale Erfahrungen mit unterschiedlichen Partnern zu teilen
  • Vergangene Beziehungen und Erfahrungen mit Männern und Frauen
  • Hinterfragung der Gewichtung der eigenen sexuellen Orientierung
  • Offenheit und Akzeptanz gegenüber einer Vielfalt sexueller Orientierungen bzw. Akzeptanz und Anerkennung von Bisexualität

Gibt es einen Test?

Im Internet gibt es verschiedene Tests zur sexuellen Orientierung. Inwieweit sie hilfreich sind und valide, sei dahingestellt.

Wann entwickelt sich die Neigung zur Bisexualität?

Es gibt keine spezifische Zeit oder Altersgrenze, zu der die Neigung zur Bisexualität entsteht. Die sexuelle Orientierung kann sich im Laufe des Lebens entwickeln und sich gelegentlich verändern. Einige Menschen erkennen ihre bisexuelle Orientierung bereits in jungen Jahren, während andere sie erst später mit steigenden Lebenserfahrungen feststellen. Nicht selten entwickelt sich die Neigung im Laufe einer Ehe oder Partnerschaft oder wenn Kinder bereits in der Pubertät oder erwachsen sind.

Was bedeutet Bisexualität im Alltag

Im Alltag kann die Bedeutung der Bisexualität oder einer anderen sexuellen Orientierung vielfältig sein. Für manche Menschen kann sie Identität und Selbstakzeptanz fördern. Es ermöglicht ihnen, ihre romantischen und sexuellen Interessen authentisch auszuleben und Beziehungen zu Personen verschiedener Geschlechter zu entwickeln. Wie jede andere sexuelle Orientierung kann Bisexualität oder eine andere Orientierung auch Herausforderungen mit sich bringen wie Vorurteile, Diskriminierung, Anfeindungen. Deshalb bevorzugen sie häufig die Unsichtbarkeit. Nicht selten ist das Coming-out ein großes Problem: Wie sage ich es meinen Eltern, dem Partner, der Partnerin, den Kolleginnen und Kollegen usw. Die Kontaktaufnahme mit Gleichgesinnten oder das Aufsuchen von Community Zentren, in denen sich LGBTIQ-Personen treffen, kann diesen Prozess erleichtern.

Eine umfassende Information über bisexuelle Lebensweisen, verbunden mit dem Wunsch nach Akzeptanz und Anerkennung in der Gesellschaft, ist im Internet für Interessierte detailliert dargestellt [8]. Eine Befragung von > 600 bisexuellen Männern und Frauen durch die online Partnerbörse www.Gleichklang 2015 ergab für das Thema „Sex und Liebe: Das wollen Bisexuelle wirklich“ folgende Ergebnisse [9]:

  • Sexuelle Anziehung: Knapp die Hälfte der befragten Männer (44 %) und Frauen (48 %) verspürte eine gleich starke Anziehung zwischen beiden Geschlechtern. Die andere Hälfte fühlte sich stärker zu Männern oder Frauen hingezogen.
  • Sex vollzogen: 74 % der befragten Männer und 64 % der befragten Frauen hatten in ihrem Leben bereits Sex mit dem anderen Geschlecht.
  • Erotikwünsche: 75 % der bisexuellen Männer wünschten sich gleichzeitig Sex mit einem Mann und einer Frau. Nur 35 % der Frauen wünschten sich dies. 41 % der Männer und 24 % der Frauen hatten diese Wünsche bereits umgesetzt.
  • Partnerschaftliche Beziehung: Die überwiegende Mehrheit wünschte sich eine partnerschaftliche Beziehung. 46 % der Frauen und 35 % der Männer könnten sich eine Partnerschaft mit beiden Geschlechtern vorstellen. 57 % der Männer bevorzugten eine Partnerschaft mit einer Frau, 8 % mit einem Mann, 32 % der Frauen mit einem Mann und 22 % mit einer Frau.
  • Dreierbeziehung: 49 % der Männer, aber nur 29 % der Frauen hatten den Traum von einer Beziehung zu dritt. Umgesetzt haben dies aber nur 15 % der Männer und 10 % der Frauen.

Resümee

Bisexuelle unterscheiden sich danach, ob sie eine gleichstarke sexuelle und partnerschaftliche Präferenz für beide Geschlechter aufweisen oder ein Geschlecht bevorzugen. Viele bisexuelle Männer und Frauen wünschen sich eine durchaus traditionelle Form der Partnerschaft im Sinne einer Zweierbeziehung. Neben der traditionellen Zweierbeziehung gibt es bei einer nicht unerheblichen Anzahl bisexueller Männer und Frauen aber den Wunsch nach einer nicht-traditionellen partnerschaftlichen Beziehung, die gleichzeitig Mann und Frau einschließt. Es ist daher von einer speziellen bisexuellen Bedürfnislage von Bisexuellen in den Bereichen Sexualität und Partnerschaft auszugehen.

Wissenschaftliche Perspektive

Die Wissenschaft ist noch am Anfang, die Komplexität der menschlichen Sexualität und Geschlechtsidentität zu erforschen und zu verstehen. Studien zu den einzelnen sexuellen Orientierungen sind noch sehr selten und haben wenig allgemeingültige Aussagekraft. Das gilt auch für die Bisexualität. Deshalb soll auf diesen Aspekt hier verzichtet werden.

Autoren: Prof. Dr. med. G. Grospietsch, Dr. med. W. G. Gehring

Literatur

  1. LSBTIQ-Lexikon | Geschlechtliche Vielfalt
  2. Queer Lexikon
  3. Homo-, pan- oder polysexuell? Sexualität im Überblick n-tv.de
  4. History of bisexuality. Wikipedia
  5. Pride Flag: Bisexual Flag Wikepedia
  6. Kinsey-Skala Wikipedia
  7. YouGov – Statistik: Die Bisexuellen in Deutschland BiNe – Bisexuelles Netzwerk
  8. bisexuell.net
  9. Presseportal: Sex und Liebe: Das wollen Bisexuelle wirklich!