Scheidenkrampf (Vaginismus) – Ursachen
Pathogenese (Krankheitsentstehung)
Vaginismus ist eine sexuelle Funktionsstörung, die durch unwillkürliche, reflexartige Kontraktionen der Beckenbodenmuskulatur, insbesondere der Muskeln um den Vaginaleingang (Musculus pubococcygeus), charakterisiert ist. Diese Muskelkontraktionen treten auf, wenn ein Eindringen in die Vagina versucht wird, was Geschlechtsverkehr, das Einführen eines Tampons oder eine gynäkologische Untersuchung stark erschwert oder unmöglich macht. Die Pathogenese des Vaginismus ist komplex und umfasst eine Kombination aus psychischen, neurologischen und muskulären Faktoren.
Neurophysiologische und muskuläre Mechanismen
- Reflexartige Kontraktionen: Beim Vaginismus handelt es sich um eine reflektorische Reaktion, bei der die Muskeln des Beckenbodens, insbesondere der Musculus pubococcygeus, unwillkürlich und stark kontrahieren. Diese Kontraktionen sind Teil einer Schutzreaktion des Körpers, um das Eindringen eines Fremdkörpers zu verhindern. Dieser Reflex wird über sensorische Nervenfasern vermittelt, die die Wahrnehmung eines bevorstehenden Eindringens an das Rückenmark und zentrale Nervensystem weiterleiten. Im Gehirn wird dies als bedrohlich empfunden, was die reflektorische Kontraktion verstärkt.
- Erhöhte Muskelspannung: Viele Frauen mit Vaginismus haben eine erhöhte Grundspannung der Beckenbodenmuskulatur. Diese Hypertonizität der Muskeln kann auf eine chronische Anspannung, die mit Angst oder Trauma in Verbindung steht, zurückzuführen sein. Die anhaltend erhöhte Muskelspannung sensibilisiert die peripheren Nerven, was zu einer verstärkten Reflexantwort bei Berührung oder Penetrationsversuchen führt.
Psychologische Faktoren
- Angst und Phobie vor Penetration: Vaginismus wird häufig als eine phobische Reaktion beschrieben, bei der eine intensive Angst vor Penetration (sei es durch den Penis, einen Tampon oder ein gynäkologisches Instrument) besteht. Diese Angst kann durch negative sexuelle Erfahrungen, Missbrauch oder traumatische Erlebnisse verstärkt werden. In vielen Fällen entwickeln betroffene Frauen eine erlernte Angst vor Schmerzen oder Verletzungen, was den Reflex verstärkt.
- Sexuelle Traumata: Frauen, die in der Vergangenheit sexuelle Gewalt oder Missbrauch erlebt haben, können eine posttraumatische Stressreaktion entwickeln, die den Vaginismus fördert. Diese psychischen Traumata können dazu führen, dass der Körper auf sexuelle Aktivität mit einer Schutzreaktion in Form von Muskelanspannung und Abwehr reagiert.
- Scham und kulturelle Einflüsse: In einigen kulturellen oder religiösen Kontexten wird Sexualität stark tabuisiert, was bei Frauen zu einer inneren Ablehnung oder Scham gegenüber der Penetration führen kann. Diese inneren Konflikte können die Wahrscheinlichkeit für die Entwicklung eines Vaginismus erhöhen.
Konditionierung und Juck-Kratz-Kreislauf
- Konditionierte Reaktion: In vielen Fällen wird der Vaginismus durch eine konditionierte Angstreaktion verstärkt. Negative Erlebnisse oder Schmerzen während des Geschlechtsverkehrs können zu einer Verknüpfung von Penetration mit Schmerz führen. Diese wiederholten Erfahrungen führen zu einer erlernten Abwehrreaktion, bei der der Körper präventiv auf das Eindringen mit einer Kontraktion der Beckenbodenmuskulatur reagiert.
- Kreislauf aus Angst und Vermeidung: Die Angst vor Schmerzen führt häufig dazu, dass betroffene Frauen versuchen, jegliche Penetration zu vermeiden, was den Zustand weiter verschlimmern kann. Dieser Angst-Vermeidungs-Kreislauf verstärkt die Reflexreaktion bei zukünftigen Penetrationsversuchen, da die Beckenbodenmuskulatur weiter in einem Zustand der Anspannung bleibt.
Neurobiologische und hormonelle Einflüsse
- Schmerzempfindung und Hyperalgesie: Frauen mit Vaginismus haben oft eine erhöhte Schmerzempfindlichkeit im Genitalbereich (Hyperalgesie). Dies könnte durch eine Sensibilisierung der Nervenbahnen in der Vulva und Vagina verursacht werden, die auf wiederholte Schmerzen oder Traumata reagieren. Diese Überempfindlichkeit macht den Bereich besonders schmerzempfindlich, was zu einer Verstärkung der Muskelkontraktionen führt.
- Hormonelle Einflüsse: Östrogenmangel, wie er in der Menopause (Wechseljahre der Frau) oder durch hormonelle Störungen auftreten kann, führt zu einer Atrophie der Vaginalschleimhaut, was zu Trockenheit und erhöhter Schmerzempfindlichkeit führt. Diese hormonellen Veränderungen können den Vaginismus verstärken, indem sie das Eindringen schmerzhafter machen und so die reflektorischen Muskelkontraktionen verstärken.
Soziale und partnerschaftliche Faktoren
- Beziehungsdynamik: Zwischenmenschliche Probleme, wie Konflikte in der Partnerschaft, mangelnde Kommunikation über sexuelle Bedürfnisse oder eine unzureichende emotionale Bindung, können Vaginismus fördern oder verschlimmern. Diese emotionalen Spannungen wirken sich direkt auf die sexuelle Reaktion der Frau aus, da sexuelle Aktivität oft mit Unsicherheit, Angst oder Scham verbunden wird.
- Mangelnde sexuelle Aufklärung: Frauen, die in einem Umfeld aufwachsen, in dem Sexualität tabuisiert oder nicht ausreichend thematisiert wird, entwickeln häufig falsche Vorstellungen über Sex oder die weibliche Anatomie. Dies kann zu Unsicherheiten führen, die die Angst vor Schmerzen und die damit verbundene Muskelspannung verstärken.
Sekundärer Vaginismus
- Sekundärer Vaginismus tritt auf, wenn Frauen, die zuvor schmerzfreien Geschlechtsverkehr hatten, plötzlich Schwierigkeiten mit Penetration oder Geschlechtsverkehr entwickeln. Dies kann durch Geburtstraumata, Operationen oder chronische gynäkologische Erkrankungen wie Endometriose oder chronische Vulvodynie (Bezeichnung für Missempfindungen und Schmerzzustände im Bereich der äußeren, primären Geschlechtsorgane) ausgelöst werden, die zu einer Sensibilisierung des Genitalbereichs und einer Reflexreaktion führen.
Zusammenfassung
Die Pathogenese des Vaginismus ist ein komplexes Zusammenspiel aus neurophysiologischen, psychologischen, hormonellen und sozialen Faktoren. Im Zentrum steht eine reflexartige Kontraktion der Beckenbodenmuskulatur, die durch Angst vor Penetration oder Schmerzen ausgelöst wird. Diese reflektorischen Kontraktionen werden durch sensorische Nervenbahnen vermittelt, die auf physische oder emotionale Reize reagieren. Die Verstärkung der Muskelkontraktion und die Hypertonizität der Beckenbodenmuskulatur führen zu einem Teufelskreis aus Angst und Vermeidung. Psychologische Faktoren, wie sexuelle Traumata, Angst und Scham, tragen entscheidend zur Pathogenese bei, während hormonelle Veränderungen und Partnerschaftsprobleme den Zustand weiter verschlimmern können.
Ätiologie (Ursachen)
Biographische Ursachen
- Antisexuelle Erziehung/Tabuisierung der Sexualität
- Negative Sexualerfahrung
- Sexueller Missbrauch (traumatische Erfahrungen)
Verhaltensbedingte Ursachen
- Psycho-soziale Situation
- Psychische Konflikte
- Stress
Krankheitsbedingte Ursachen
- Infektionen des Urogenital-Traktes (Vaginalmykosen; Urethritis)
- Endometriose – Vorkommen von Endometrium (Gebärmutterschleimhaut) extrauterin (außerhalb der Gebärmutterhöhle), beispielsweise in oder auf den Ovarien (Eierstöcken), den Tuben (Eileitern), der Harnblase oder dem Darm.
- Chronische Vulvodynie (Bezeichnung für Missempfindungen und Schmerzzustände im Bereich der äußeren, primären Geschlechtsorgane)
Weitere Ursachen
- Abwehrreaktion aufgrund vieler verschiedener Ursachen wie der Angst, sich hinzugeben
- Iatrogen (durch ärztliche Einwirkung entstanden): schmerzhafte gynäkologische/urologische Untersuchungen
- Nach Geburten (Geburtstraumata)
- Nach abdominellen und vaginale Operationen (Bauch- und Scheidenoperationen)
- Schmerzhafte Erfahrungen beim Geschlechtsverkehr: z. B. nach Vaginitis (Scheidenentzündung), topischem Östrogenmangel oder Harnwegsinfektionen (HWI) → sekundär vaginistische Reaktion [1]
Literatur
- Bancroft J. Human sexuality and its problems (3.Aufl.). 2009; Oxford: Elsevier