Orgasmusstörung – Ursachen

Pathogenese (Krankheitsentstehung)

Orgasmusstörungen betreffen sowohl Frauen als auch Männer und äußern sich durch eine verzögerte, abgeschwächte oder ausbleibende Fähigkeit, einen Orgasmus zu erleben, obwohl eine normale Erregungsphase vorliegt. Die Pathogenese dieser Störungen ist komplex und umfasst ein Zusammenspiel von physischen, hormonellen, neurologischen und psychischen Faktoren. Die Ursachen und Mechanismen unterscheiden sich in gewisser Weise zwischen den Geschlechtern, da unterschiedliche anatomische und hormonelle Bedingungen vorliegen.

Orgasmusstörungen bei Frauen

A. Physiologische und hormonelle Ursachen

  • Hormonelle Dysbalancen: Ein Ungleichgewicht in den Sexualhormonen, insbesondere ein Mangel an Östrogen und Androgenen (Testosteron), kann die sexuelle Erregung und den Orgasmus beeinträchtigen. Postmenopausale Frauen sind besonders anfällig, da der Östrogenspiegel abnimmt, was zu vaginaler Trockenheit (Scheidentrockenheit), vermindertem Blutfluss in den genitalen Bereichen und einer reduzierten Sensibilität führen kann. Auch ein Mangel an Testosteron, das in geringen Mengen von den Ovarien (Eierstöcke) produziert wird, kann die Orgasmusfähigkeit beeinflussen, da es eine Rolle bei der sexuellen Lust und Erregbarkeit spielt.
  • Neurobiologische Faktoren: Die Orgasmusfähigkeit hängt stark von einer intakten Funktion der Nervenbahnen ab, die für die sexuelle Erregung und den Orgasmus verantwortlich sind. Neurologische Erkrankungen wie Multiple Sklerose (MS), Rückenmarksverletzungen oder Polyneuropathien können die Nervenleitungen beeinträchtigen, die den sexuellen Reiz von der Peripherie zum Gehirn und zurück übertragen.
  • Durchblutungsstörungen: Eine unzureichende Durchblutung der genitalen Organe aufgrund von Gefäßerkrankungen (z. B. Atherosklerose) kann die vaginale Lubrikation und die Sensibilität beeinträchtigen, was die Erregungs- und Orgasmusfähigkeit verringert.

B. Psychologische Faktoren

  • Psychische Belastungen und Stress: Stress, Angstzustände, Depressionen und Beziehungsprobleme sind häufige psychogene Ursachen von Orgasmusstörungen bei Frauen. Psychische Störungen beeinflussen das hormonelle Gleichgewicht und können die Fähigkeit zur Entspannung und zur Erregung behindern, was die Orgasmusfähigkeit vermindert.
  • Kulturelle und erzieherische Einflüsse: Frauen, die in einem repressiven Umfeld aufwachsen, das Sexualität als negativ oder schambesetzt betrachtet, entwickeln oft eine Hemmung gegenüber ihrer eigenen Sexualität. Dies kann die Fähigkeit beeinträchtigen, einen Orgasmus zu erreichen.
  • Sexuelle Traumata: Frauen mit einer Vorgeschichte von sexuellen Übergriffen oder Traumata haben ein erhöhtes Risiko für Orgasmusstörungen. Traumatische Erlebnisse können zu einer emotionalen Distanzierung von der Sexualität und zu psychosexuellen Problemen führen.

C. Medikamentöse Ursachen

  • Antidepressiva (SSRIs): Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRIs) beeinflussen den Serotoninspiegel im Gehirn, was zu einer Hemmung der sexuellen Erregung und des Orgasmus führen kann. Diese Medikamente sind eine häufige Ursache für Orgasmusstörungen bei Frauen, da Serotonin eine hemmende Wirkung auf das dopaminerge System hat, das für sexuelle Lust und Orgasmen wichtig ist.
  • Antihypertensiva: Blutdrucksenkende Medikamente können die Blutversorgung der Genitalien reduzieren und so die Erregbarkeit und Orgasmusfähigkeit beeinträchtigen.

Orgasmusstörungen bei Männern

A. Physiologische und hormonelle Ursachen

  • Hormonelle Dysbalancen: Ein Testosteronmangel bei Männern kann die Libido und die sexuelle Erregung verringern, was zu einer Orgasmusstörung führen kann. Testosteron spielt eine Schlüsselrolle bei der sexuellen Lust und der Auslösung des Orgasmusreflexes.
  • Neurologische Erkrankungen: Wie bei Frauen sind neurologische Erkrankungen eine wichtige Ursache für Orgasmusstörungen. Erkrankungen wie Multiple Sklerose, Rückenmarkverletzungen oder diabetische Neuropathien können die Nervenbahnen, die für die sexuelle Funktion verantwortlich sind, beeinträchtigen und so den Orgasmusreflex stören.
  • Durchblutungsstörungen: Gefäßerkrankungen, die die Durchblutung des Penis beeinträchtigen, sind häufig mit Erektionsstörungen assoziiert, können aber auch die Orgasmusfähigkeit beeinflussen, da eine ausreichende Blutversorgung für die sexuelle Erregung und den Orgasmus erforderlich ist.

B. Psychologische Faktoren

  • Leistungsdruck und Ängste: Männer können unter einem starken Leistungsdruck stehen, was zu einer psychogenen Hemmung des Orgasmus führt. Die Sorge, nicht in der Lage zu sein, einen Orgasmus zu erreichen oder eine Partnerin/Partner sexuell zu befriedigen, kann zu einer paradoxen Blockade des Orgasmus führen.
  • Depression und Angststörungen: Wie bei Frauen können auch bei Männern Depressionen und Angststörungen die sexuelle Funktion stark beeinträchtigen. Diese psychischen Störungen führen zu einer Hemmung der Erregungs- und Orgasmusfähigkeit, häufig durch die Beeinflussung der Neurotransmitterbalance im Gehirn (z. B. Serotonin, Dopamin).
  • Sexuelle Traumata und negative sexuelle Erfahrungen: Traumatische sexuelle Erlebnisse oder strenge, sexualfeindliche Erziehung können zu psychischen Blockaden führen, die die Fähigkeit, einen Orgasmus zu erleben, beeinträchtigen.

C. Medikamentöse Ursachen:

  • Antidepressiva und Antipsychotika: Wie bei Frauen können SSRIs bei Männern die Orgasmusfähigkeit hemmen. Ferner können Medikamente, die den Dopaminspiegel senken, wie Antipsychotika, den sexuellen Antrieb und die Fähigkeit zum Orgasmus reduzieren.
  • Opioide und andere Schmerzmittel: Längerfristiger Gebrauch von Opioiden kann das zentrale Nervensystem dämpfen und sowohl die sexuelle Erregung als auch den Orgasmus unterdrücken. Dies wird durch die Veränderung der Neurotransmitteraktivität, insbesondere von Dopamin, vermittelt.

Gemeinsame pathophysiologische Mechanismen

  • Dopaminerges und serotonerges System: Dopamin wird mit einer stimulierenden Wirkung auf den Sexualtrieb und die Erregung assoziiert, während Serotonin eine hemmende Wirkung hat. Ein Ungleichgewicht zwischen diesen beiden Systemen, entweder durch Medikamente oder endogene Faktoren, kann zu Orgasmusstörungen führen.
  • Durchblutungs- und Nervenstörungen: Eine Beeinträchtigung der Blutversorgung und Nervenleitfähigkeit sowohl bei Männern als auch bei Frauen kann die Orgasmusfähigkeit stark reduzieren. Dies betrifft insbesondere Patienten mit Diabetes, Gefäßerkrankungen oder neurologischen Erkrankungen.
  • Psychogene Faktoren: Stress, Angstzustände und Depressionen können bei beiden Geschlechtern durch die Veränderung der hormonellen und neuronalen Regulation des Sexualverhaltens zu Orgasmusstörungen führen.

Zusammenfassung

Die Pathogenese von Orgasmusstörungen unterscheidet sich zwischen Frauen und Männern, weist jedoch viele gemeinsame Mechanismen auf. Hormonelle Ungleichgewichte, neurologische und vaskuläre Störungen, psychologische Faktoren und Medikamente spielen eine zentrale Rolle. Während Frauen häufiger durch hormonelle Schwankungen und psychosexuelle Einflüsse betroffen sind, stehen bei Männern zusätzlich Probleme wie Leistungsdruck und erektile Dysfunktion im Vordergrund.

Ätiologie (Ursachen)

Biographische Ursachen

  • Missbrauch in der Vergangenheit
  • Hormonelle Faktoren

Verhaltensbedingte Ursachen

  • Psycho-soziale Situation
    • Psychische Konflikte – Konflikte in der Partnerschaft oder berufliche Belastungen können die sexuelle Funktion beeinträchtigen.
    • Angst und Scham – Negative emotionale Zustände können die sexuelle Reaktion hemmen.
    • Stress – Erhöhter Stress reduziert die hormonelle Balance und die sexuelle Erregbarkeit.
    • Sexueller Leistungsdruck – Erwartungsdruck beeinträchtigt die Fähigkeit, einen Orgasmus zu erleben.

Krankheitsbedingte Ursachen

  • Depression
  • Diabetes mellitus (Zuckerkrankheit)
  • Durchblutungsstörungen
  • Nervenschädigungen
  • Tumorerkrankungen
  • Verletzungen
  • Verwachsungen nach Operationen

Medikamente

  • Amphetamine (Orgasmusstörung)
  • Anticholinergika (Erregungsstörung)
  • Antidepressiva 
    • Selektive Serotonin-Reupdate-Hemmer (Libido-, Erregungs- und Orgasmusstörung)
    • trizyklische Antidepressiva (Libido-, Erregung- und Orgasmusstörung)
    • MAO-Inhibitoren (Orgasmusstörung)
    • Trazodon (Libidostörung)
    • Venlafaxin (Libidostörung)
  • Antipsychotika (Neuroleptika) (Libido- und Orgasmusstörung)
  • Babiturate (Libido-, Erregungs- und Orgasmusstörung)
  • Benzodiazepine (Libido- und Erregungsstörung)
  • Chemotherapeutika (Libido- und Erregungsstörung)
  • Histamin-Rezeptorblocker
  • Hormone
    • Antiandrogenwirkende Medikamente – z. B. Cyproteron (Libido-, Erregungs- und Orgasmusstörung)
    • Antiöstrogene – Tamoxifen (Libido- und Erregungsstörung)
    • Aromatasehemmer (Libido- und Erregungsstörung)
    • GnRH-Agonisten (GnRH-Analoga) – z. B. Goserelin (Libido- und Erregungsstörung
    • Hormonelle Kontrazeptiva (Östrogene + Gestagen) → Konzentration von SHGB (Sexualhormon-bindendes Globulin) steigt und das frei verfügbare Testosteron sinkt ab, was mit einer abnehmenden Libido einhergehen kann.
    • Testosteronderivate – z. B. Danazol
  • Indometacin (Analgetikum) (Libidostörung)
  • Kardiovaskuläre/antihypertensive Medikamente, die mit Libidostörung einhergehen können: Betablocker, Clonidin (+ Erregungsstörung), Digoxin (+ Orgasmusstörung), Lipidsenker, Methyldopa, Spironolacton
  • Ketoconazol (Antimykotikum) (Libidostörung)
  • Lithium (Libido-, Erregungs- und Orgasmusstörung)
  • Phenytoin (Antikonvulsivum) (Libidostörung)
  • Protonenpumpenhemmer (Protonenpumpeninhibitoren, PPI)
  • Sedativa (Orgasmusstörung)