Blasenentzündung (Zystitis) – Ursachen
Pathogenese (Krankheitsentstehung)
Die Zystitis ist eine Entzündung der Harnblase, die in den meisten Fällen durch eine aufsteigende Infektion der Urethra (Harnröhre) verursacht wird. Der Erreger gelangt von der Harnröhre über die Harnleiter in die Blase und verursacht dort eine Infektion. Typischerweise sind Bakterien die Auslöser der Zystitis, es gibt jedoch auch Fälle, in denen Pilze, Viren oder andere Mikroorganismen beteiligt sind.
Primäre pathophysiologische Mechanismen
Aszendierende Infektion
Die häufigste Ursache einer Zystitis ist eine aszendierende Infektion. Dies bedeutet, dass Krankheitserreger aus dem unteren Harntrakt (Urethra) aufsteigen und die Harnblase infizieren. Eine unzureichende Harnflusskontrolle oder hygienische Faktoren begünstigen diese Art der Infektion.
- Adhäsine: Die Erreger heften sich über Adhäsine (molekulare Anker) an die Urothelzellen (Übergangsepithel, das die Harnblase auskleidet) und beginnen, sich auf diesen Zellen anzusiedeln.
- Kolonisation (Besiedlung): Nach der Anheftung der Bakterien kommt es zur Kolonisation der Urothelzellen, was eine lokale Entzündungsreaktion auslöst. Die Epithelzellen und die darunter liegenden Zellverbände werden durch die von den Bakterien gebildeten Toxine (Gifte) geschädigt. Diese Toxine führen zur Zerstörung der Zellstruktur und verstärken die Entzündungsprozesse.
Toxine und bakterielle Abwehrmechanismen
Einige der von den Bakterien freigesetzten Toxine tragen direkt zur Schädigung des Urothels bei und unterdrücken die Immunantwort des Körpers.
- Alpha-Hämolysin: Ein Toxin von Escherichia coli (E. coli), das die Zellmembranen der Wirtszellen schädigt.
- CNF1 (zytotoxisch nekrotisierender Faktor): Ein weiteres von E. coli produziertes Toxin, das die Zellarchitektur des Urothels zerstört.
- Endotoxin A: Von anderen pathogenen Bakterien gebildet, stört es die Immunantwort und trägt zur Entzündung bei.
- Proteasen und Ureasen: Diese Enzyme unterstützen die Bakterien bei der Nährstoffaufnahme und der Anpassung an die Umgebung in der Blase.
Viele der beteiligten Erreger, insbesondere E. coli, können sich durch die Bildung einer Kapsel vor dem Angriff des Immunsystems schützen, was die Immunabwehr erschwert.
Häufigste Erreger der Zystitis
Die häufigsten Erreger einer Zystitis sind gramnegative Bakterien, insbesondere:
- Escherichia coli (E. coli): Ein Darmbakterium, das in etwa 75-80 % aller akuten Harnwegsinfektionen (HWI) die Ursache ist. Es gelangt meist durch die Harnröhre in die Harnblase und verursacht dort eine Entzündung.
Zusätzlich zu E. coli gibt es weitere Bakterien, Pilze und Viren, die eine Zystitis verursachen können:
- Chlamydien (Chlamydia trachomatis)
- Enterokokken: Häufig bei Mischinfektionen beteiligt.
- Enterobacter
- Gardnerella vaginalis: Kann als indirekter Auslöser für rezidivierende Harnwegsinfekte mit E. coli-Bakterien wirken, die in der Harnblasenwand ruhen und reaktiviert werden (Mausmodell) [2]
- Klebsiellen (Klebsiella pneumoniae)
- Mykoplasmen
- Neisseria gonorrhoeae (Gonokokken): Erreger der Gonorrhoe.
- Neisseria meningitidis (US Nm urethritis clade) [3]: Ein seltener Erreger der Urethritis.
- Proteus mirabilis
- Pseudomonas
- Salmonellen: Meist nach vorangegangener Darminfektion.
- Staphylokokken (Staphylococcus saprophyticus)
- Ureaplasmen
Neben bakteriellen Erregern können auch Mykosen (Pilzinfektionen), besonders durch Candida-Spezies, eine Zystitis verursachen, vor allem bei Patienten mit einem geschwächten Immunsystem.
Auch Viren wie Herpes simplex oder Adenoviren können Harnwegsinfektionen auslösen, wenn auch seltener.
Sekundäre pathophysiologische Mechanismen
Entzündung und Gewebeschädigung
Durch die Kolonisation der Bakterien und die Freisetzung von Toxinen entsteht eine Entzündungsreaktion in der Harnblase. Diese Entzündung führt zur Schädigung der Urothelzellen und der darunterliegenden Schichten, was Symptome wie Schmerzen beim Wasserlassen (Dysurie) und Häufiges Wasserlassen (Pollakisurie) verursacht.
Abwehrmechanismen der Bakterien
Viele Erreger, insbesondere E. coli, besitzen Kapseln und andere Mechanismen, die sie vor der körpereigenen Immunabwehr schützen. Diese Schutzmechanismen ermöglichen es den Bakterien, länger im Körper zu überleben und zu persistieren, was zu chronischen oder rezidivierenden Infektionen führen kann.
Absteigende Infektionen
In seltenen Fällen kann eine deszendierende Infektion vorliegen, bei der die Infektion von den Nieren ausgeht und sich auf die Harnblase ausbreitet. Dies kann zum Beispiel bei einer Pyelonephritis (Nierenbeckenentzündung) der Fall sein.
Risikofaktoren für eine Zystitis
- Geschlecht: Frauen sind aufgrund der kürzeren Harnröhre häufiger betroffen.
- Sexuelle Aktivität: Häufiger Geschlechtsverkehr kann das Risiko einer aszendierenden Infektion erhöhen.
- Schwangerschaft: Hormonelle Veränderungen und der Druck auf die Harnwege erhöhen das Infektionsrisiko.
- Immunsuppression: Personen mit geschwächtem Immunsystem, z. B. durch Diabetes mellitus oder Krebsbehandlungen, sind anfälliger für Harnwegsinfektionen.
- Harnabflussstörungen: Anatomische Anomalien oder Prostatavergrößerungen können den Harnfluss behindern und zu einer Infektion führen.
Klinische Manifestation
Leitsymptome
- Dysurie (Schmerzen beim Wasserlassen): Ein häufiges Symptom der Zystitis, bedingt durch die Entzündung der Blasenschleimhaut.
- Pollakisurie (häufiges Wasserlassen in kleinen Mengen): Ein weiteres typisches Zeichen einer Blasenentzündung.
- Hämaturie (Blut im Urin): Kann bei fortgeschrittener Entzündung auftreten.
Fortgeschrittene Symptome
- Flankenschmerzen: Hinweis auf eine aufsteigende Infektion, möglicherweise in Form einer Pyelonephritis.
- Fieber: Tritt bei schwereren Infektionen auf, insbesondere wenn die Nieren beteiligt sind.
Zusammenfassung und klinische Relevanz
Die Zystitis ist eine häufige Harnwegsinfektion, die meist durch aufsteigende Infektionen mit gramnegativen Bakterien, insbesondere Escherichia coli, verursacht wird. Die Bakterien heften sich an die Urothelzellen der Blase, setzen Toxine frei und lösen eine entzündliche Reaktion aus. Neben bakteriellen Erregern können auch Pilze, Viren und andere Mikroorganismen eine Zystitis verursachen. Eine frühzeitige Behandlung ist wichtig, um die Ausbreitung der Infektion zu verhindern, insbesondere bei Risikopatienten.
Ätiologie (Ursachen)
Biographische Ursachen
- Genetische Veranlagung – Mütter von Patientinnen, die häufig an einer Harnwegsinfektion leiden, haben ebenfalls überdurchschnittlich oft eine Infektion. Offenbar spielt die Anzahl und die Art der Rezeptoren, an welchen Bakterien anhaften können, eine besondere Rolle
- Angeborene anatomische Veränderungen im Bereich des Harntraktes oder Funktionseinschränkungen (z. B. durch vesikoureteralen Reflux, neuropathische Blase, mechanische oder funktionelle Obstruktion) können zu einer Stase, das heißt Verbleiben von Harn oder Restharn in der Harnblase führen, welches Entzündungen fördert.
- Lebensalter
- Jugendliches Alter bei der ersten Harnwegsinfektion
- Menopause/Postmenopause/Wechseljahre der Frau (wg. Änderung des pH-Wertes und verminderter Besiedelung durch Laktobazillen; dieses führt zu einer vermehrten Besiedelung der Scheide mit Enterobacteriaceae und Anaerobiern; Urogenitalatrophie wg. Östrogenmangel)
- Hormonelle Faktoren
- Schwangerschaft – das Risiko ist erhöht, etwa bei 2 bis 8 Prozent der Schwangeren findet sich eine Zystitis (Harnwegsinfektion)
- Menopause/Postmenopause/Wechseljahre der Frau (s. u. Alter)
Verhaltensbedingte Ursachen
- Ernährung
- Unzureichende Flüssigkeitsaufnahme – je besser die Harnblase „gespült“ wird, desto seltener ist sie entzündet
- Mikronährstoffmangel (Vitalstoffe) – siehe Prävention mit Mikronährstoffen4]
- Drogenkonsum
- Ketamin – Ketaminmissbrauch (bis zu 30 g wöchentlich) führte zu einer ulzerativen Zystitis (Blasenentzündung mit Geschwürbildung mit starkem Harndrang, Schmerzen und Inkontinenz (Blasenschwäche) später sogar zu einer bilaterale Hydroureteronephrose (Erweiterung des Harnleiters und Nierenbeckenkelchsystems) sowie zu einer verschrumpelten Harnblase mit konsekutiver Niereninsuffizienz (Nierenschwäche) [4]
- Psychosoziale Konfliktsituationen (Stress und dauernde Anspannung – verspannte Blasenwände erhöhen das Risiko aufgrund einer verminderten Schleimproduktion):
- Mobbing
- Seelische Konflikte
- Soziale Isolation
- Stress
- Benutzung von Scheidendiaphragmen und Spermiziden – hierdurch wird die normale bakterielle vaginale Flora (Mikrobiota) verändert, sodass es zu einem Anstieg des Bakteriums E. coli (Escherichia coli) in der Vagina kommen kann, was mit einem erhöhten Risiko für eine Zystitis verbunden ist
- Sexuelle Aktivität:
- durch Koitus (Geschlechtsverkehr) können Bakterien in die Blase gelangen und eine Zystitis verursachen (= zeitnaher Geschlechtsverkehr). Eine Miktion (Wasserlassen) postkoital (nach dem Verkehr) kann das Risiko vermindern, da hierdurch eventuell vorhandene Bakterien wieder ausgespült werden. Weiterhin sollte der männliche Partner auf eine ausreichende Hygiene achten
- nach den Flitterwochen durch häufigen Geschlechtsverkehr ("Honeymoon-Zystitis"); häufige Symptome dabei sind Algurie (Schmerzen beim Wasserlassen), Dysurie (erschwerte (schmerzhafte) Harnentleerung) und Pollakisurie (Drang zu häufigem Wasserlassen ohne vermehrte Harnausscheidung)
- Analverkehr/Analsex bei Männern, die Sex mit Männern haben (engl. men who have sex with men (MSM)) ist mit einem erhöhten Risiko verbunden
- Mangelnde Hygiene – aber auch übertriebene Hygiene
- Tragen von feuchter Badebekleidung über längere Zeit, kalte Zugluft
Krankheitsbedingte Ursachen
- Aszendierende (absteigende) Infektionen von den Nieren und oberen Harnwegen – z. B. bei Pyelonephritis (Nierenbeckenentzündung)
- Diabetes mellitus
- Harnabflussstörungen*, z. B.:
- Obstruktion (Verschluss) bzw. anatomische Abnormität der ableitenden Harnwege
- Benigne Prostatahyperplasie (BPH) – gutartige Vergrößerung der Prostata
- Harnröhrenstriktur (Verengung der Harnröhre) – z. B. aufgrund von venerischen Krankheiten (Geschlechtskrankheiten) wie Syphilis (Lues) oder Gonorrhoe (Tripper) oder auch kongenital (angeboren)
- Nephrolithiasis (Nierensteine), Urolithiasis (Harnsteine)
- Neurogene Blasenentleerungsstörungen – z. B. bei Diabetes mellitus, Multipler Sklerose (MS), Tabes dorsalis
- Vesikoureteraler Reflux (VUR; unphysiologischer Rückfluss von Harn aus der Blase über die Ureteren (Harnleiter) in das Nierenbecken) (Harnwegsinfektionen (HWI) im Kindesalter)
- Schwangerschaft
- HIV-Infektion
- Immundefekt mit einhergehender Abwehrschwäche
- Immundefizienz/Abwehrschwäche*
- Niereninsuffizienz* (Nierenschwäche)
- Restharn (> 180 ml) [1]
- Tumoren der Nieren, beispielsweise Nierenzellkarzinom
- Urolithiasis* (Harnsteine)
- Vorangegangene Harnwegsinfekte
- Zystennieren
Medikamente
- Analgetikaabusus (Missbrauch von Schmerzmitteln)
- Immuncheckpoint-Inhibitoren – Atezolizumab, Avelumab, Cemiplimab, Durvalumab, Ipilimumab, Pembrolizumab, Nivolumab → immunvermittelte Zystitis
- Immunsupprimierte Patient(inn)en*
- Kontrazeption (Empfängnisverhütung) mit DMPA (Depot-Medroxyprogesteronacetat)
- 2 bis 4 Wochen zurückliegende Antibiotikatherapie
- Zytostatika (z. B. Methotrexat)
Operationen
- Eingriff im Bereich der Harnwege (v. a. nach transurethraler Resektion der Prostata/urologische Operationstechnik, bei der krankhaft verändertes Prostatagewebe ohne äußeren Schnitt durch die Urethra (Harnröhre) hindurch entfernt werden kann)
- Instrumentelle urologische Eingriffe (z. B. Zystoskopie/Blasenspiegelung), welche mit einer Keimverschleppung verbunden sein können
- Nierentransplantation* (NTx, NTPL)
Röntgenstrahlen
- Radiatio (Strahlentherapie) bei Tumorerkrankungen im Harntrakt oder Becken* – sogenannte „Strahlenzystitis“
Weitere Ursachen
- Gebrauch von Diaphragma und Spermiziden
- Mechanische Reize – Fremdkörper im Harntrakt* (Blasenverweilkatheter, suprapubischer Katheter/Blasenkatheter, der oberhalb des Schambeins durch die Bauchwand in die Harnblase eingeführt wird, Harnleiterschiene, Nephrostomie/Anlegung einer Nierenfistel zur Ableitung des Urins nach außen)
- Stress und dauernde Anspannung – verspannte Blasenwände erhöhen das Risiko aufgrund einer verminderten Schleimproduktion
- Zustand nach Entlassung aus einer stationären Einrichtung innerhalb der letzten zwei Wochen
*Risikofaktoren für die Entwicklung einer komplizierten Harnwegsinfektion
Autoren: Prof. Dr. med. G. Grospietsch, Dr. med. W. G. Gehring
Literatur
- Truzzi JC, Almeida FM, Nunes EC, Sadi MV: Residual urinary volume and urinary tract infection – when are they linked? J Urol. 2008 Jul;180(1):182-5. Epub 2008 May 21.
- Gibert NM et al.: Transient microbiota exposures activate dormant Escherichia coli infection in the bladder and drive severe outcomes of recurrent disease. Published: March 30, 2017 http://dx.doi.org/10.1371/journal.ppat.1006238
- Tzeng YL et al.: Emergence of a new Neisseria meningitidis clonal complex 11 lineage 11.2 clade as an effective urogenital pathogen. PNAS April 3, 2017 doi: 10.1073/pnas.1620971114
- Lamers G et al.: Ketamine-induced uropathy: A diagnostic pitfall in an increasing healthcare issue in youngsters Urology Case Reports 2022;42 https://doi.org/10.1016/j.eucr.2022.102019