Alkohol und Schwangerschaft
Während der Gravidität reichen bereits schon geringe Alkoholmengen, zum Beispiel beim Gelegenheits- oder sozialen Trinken, aus, um den Embryo in seiner körperlichen und geistigen Entwicklung zu schädigen. Das Risiko für das Kind steigt mit zunehmender Dauer und zunehmenden Schweregrad der Alkoholkrankheit. Befindet sich die schwangere Mutter in der chronischen Phase des Alkoholismus', sind über 40 % der Nachkommen meist schwer geschädigt. Der Alkohol ist in der Muttermilch nachweisbar und verändert den Geschmack und Geruch der Milch sowie das Verhalten der Säuglinge [3].
Bei der Verstoffwechselung des Äthylalkohols in der Leber der schwangeren Mutter entsteht als Zwischenprodukt Acetaldehyd, welches zusammen mit dem Alkohol über die Plazenta in den Blutkreislauf des ungeborenen Kindes gelangt und dessen Körperzellen schädigt. Eine optimale Zellentwicklung sowie -vermehrung wird verhindert, sodass sich das Gewebe mangel- oder fehlerhaft ausbildet. Trinken Frauen insbesondere in den ersten zwölf Wochen der Schwangerschaft regelmäßig Alkohol, sammeln sich die schädlichen Abbaustoffe des Alkohols im kindlichen Organismus an, da in dieser Zeit die Organe des Fetus erst ausgebildet werden und die Leber noch nicht in der Lage ist, den Alkohol vollständig abzubauen [3]. Dem kindlichen Organismus fehlt das alkoholabbauende Enzym Alkoholdehydrogenase, wodurch der Fetus über einen langen Zeitraum hohen Alkoholkonzentrationen ausgesetzt wird [4]. Neben der Ausbildung der Leber wird durch den Alkohol auch die Entwicklung der anderen Organe beeinträchtigt [4].
Fetales Alkoholsyndrom (FAS)
Die Alkoholabbauprodukte verursachen des Weiteren eine ganze Reihe von Schäden beim Kind, die unter dem Oberbegriff „fetales Alkoholsyndrom“ (FAS) zusammengefasst werden [4]. Das Syndrom wird mit mehr als 180 Krankheitsbildern in Verbindung gebracht. Man schätzt, dass in Deutschland jährlich 2.000 Kinder mit einem fetalen Alkoholsyndrom auf die Welt kommen [5].
Kinder alkoholkranker Mütter mit dem Fetalen Alkoholsyndrom weisen folgende Fehlbildungen sowie Entwicklungsauffälligkeiten auf:
Beeinträchtigungen der körperlichen Entwicklung
- Förderung von Missbildungen insbesondere im Bereich der Nieren, der ableitenden Harnwege und herznaher Blutgefäße [3]
- Wachstumshemmungen [3]
- Extremitäten- und Skelettfehlbildungen [4]
- Minderwuchs, niedriges Gewicht, wenig Unterhautfettgewebe [4]
- Mikrozephalie – kleiner Kopfumfang [3]
- Gliedmaßendefekte, Gelenkanomalien [3]
- Auffälligkeiten im Gesichtsbereich/Veränderung der Gesichtsform – bereits ein milder Alkoholkonsum in der Frühschwangerschaft kann dafür ausreichen [7]
- Falte am Augeninnenrand, kleine Augenöffnungen, kurze Lidspalte, verkürzter Nasenrücken, schmales Lippenrot, Gaumenspalte, verstrichenes/flaches Philtrum (vertikal verlaufende Vertiefung zwischen Oberlippe und Nase) [5], fliehendes Kinn, kleine Zähne [4]
- Schon weniger als 20 g Alkohol bei einem Anlass und eine Gesamtmenge von weniger als 70 g Alkohol in der Woche können zu Veränderungen der Gesichtsform wie leichte Abflachung des Mittelgesichts mit verkürzter Nase und Hebung der Nasenspitze führen [7].
- Auffälligkeiten an Armen und Beinen – Verkürzung und Beugung des Kleinfingers, auffällige Handlinien, Verwachsung von Elle und Speiche [4]
- Wirbelsäulenfehlbildung, Hüftluxation, Steißbeingrübchen, Leistenbruch, Trichterbrust, Kielbrust [4]
- Fehlbildungen innerer Organe – Herzfehler – meist Scheidewanddefekte –, Auffälligkeiten des Genitales und der Harnwege [4]
Beeinträchtigungen der geistigen Entwicklung
- Störungen am Zentralnervensystem [3]
- Hirnfunktionsstörungen [3]
- Eingeschränkter Erwerb intellektueller Fähigkeiten [4]
- Geistige Zurückgebliebenheit [3]
- Lernschwierigkeiten [4]
- Wahrnehmungsstörungen [4]
- Suchtgefahr
Beeinträchtigungen von motorischen und statischen Fähigkeiten sowie der Feinmotorik
- Laufen, Greifen sowie Geschicklichkeit erfordernde Tätigkeiten können erschwert sein
- Gestörte Feinmotorik, Koordinationsstörungen [4]
- Kommunikationsstörungen (Sprachverständnis, sprachliche Ausdrucksmöglichkeit) [5]
- Blindheit, Sehbehinderungen [5]
- Hörstörungen (z. B. Hörverlust) [5]
- Trink-, Essstörungen [4]
- Muskelschwäche, Reflexarmut, unkoordinierte Bewegungen, Krampfleiden [4]
Beeinträchtigungen der seelischen und emotionalen Entwicklung [4]
- Mangelnde Ausgeglichenheit
- Stimmungsschwankungen
- Emotionale Instabilität
Beeinträchtigungen der Entwicklung des sozialen Verhaltens
- Probleme bei der Anpassung an neue Situationen und Umgebungen [4]
- Verhaltensstörungen – Ungeschicklichkeit, Probleme im Umgang mit Menschen [3]
- Soziale Reifungsstörungen [3]
- Aufmerksamkeitsdefizite [5], Hyperaktivität [4], Übererregbarkeit, leichte Ablenkbarkeit [4]
Hyperaktivität und gestörte intellektuelle Fähigkeiten sind auch in vielen Fällen bei Kindern von männlichen Alkoholikern infolge der alkoholbedingten schädigenden Veränderungen der Spermien anzutreffen [3].
Leichtere Schäden beim Kind werden unter dem Begriff „fetale Alkoholspektrumstörung“ (FASD) zusammengefasst. Dieses ist mit mehr als 420 Krankheitsbildern assoziiert. Schätzungen nach sind davon in Deutschland etwa 10.000 Kinder betroffen [5]. Eine frühe Diagnose und adäquate Förderung der betroffenen Kinder auf Grundlage der S3-Leitlinie "Früherkennung von fetale Alkoholspektrum-Störung (FASD)" kann die Prognose positiv beeinflussen [6].
Mikronährstoffmangel
Neben den gesundheitlichen Schäden infolge des Alkohols wird auch die Entwicklung des ungeborenen Kindes durch die alkoholbedingten Vitalstoffdefizite der Mutter erheblich gestört. Ist die Aufnahme essentieller Vitalstoffe aufgrund des Alkohols gehemmt beziehungsweise nimmt die schwangere Frau zu wenig Nähr- und Vitalstoffe – wie Vitamin A, E, D und Vitamine des B-Komplexes, Magnesium, Eisen, Zink sowie Calcium – mit der Nahrung auf, ist der Bedarf der Mutter und damit auch des ungeborenen Kindes drastisch erhöht. Weitere Gründe für die erhöhte Vitalstoffzufuhr während der Schwangerschaft sind der zusätzliche Bedarf des Fetus, die Plazenta und das vermehrte Blutvolumen der Mutter.
Magnesium
Aufgrund der gesteigerten Filtrationsrate der Niere innerhalb der Schwangerschaft sowie der alkoholbedingten gestörten Aufnahme-, Transport- und Ausscheidungsfähigkeit, treten verstärkt Magnesiumverluste über die Nieren der Mutter auf. Der Fetus wird deshalb mit Magnesium mangelversorgt, wodurch das Risiko einer Früh- und Totgeburt erhöht wird [1].
Eisen
Eisen ist ebenfalls ein kritischer Vitalstoff während der Schwangerschaft. Bei Mangelzuständen kommt es in 75 % der Fälle zu Veränderungen des Blutbilds der Mutter. Weist die Schwangere zudem eine ausgeprägte Anämie (Blutarmut) mit erniedrigtem Hämoglobinspiegel (Blutfarbstoff) – unter 6 g/ dl – in der ersten Schwangerschaftshälfte auf, erhöht sich die Gefahr einer spontanen Plazenta-Ablösung, einer Frühgeburt, eines geringen Geburtsgewichtes sowie der Sterblichkeit des Säuglings [1].
Folsäure
Die tägliche notwenidge Folsäurezufuhr erhöht sich bei schwangeren Frauen um 100 % aufgrund des verstärkten Folsäuretransports über die Plazenta zum Fetus, welcher einen besonders hohen Bedarf an diesem Vitamin hat. Im Serum eines Kindes konnten 6-8-mal höhere Folsäurekonzentrationen als bei der Mutter nachgewiesen werden [2]. Ist die schwangere Frau mit Folsäure unterversorgt, kann das zu Schwangerschafts- und Geburtskomplikationen sowie zu niedrigem Geburtsgewicht führen [1]. Häufig treten auch bei einem Mangel an Folsäure Fehlbildungen wie Neuralrohrdefekte – Anenzephalie, Spina bifida – beim Neugeborenen auf. Neuralrohrdefekte sind Fehlbildungen im Nervensystem des Babys aufgrund eines Chromosomenschadens. Bei der Anenzephalie bilden sich der Schädel und das Gehirn des Fetus nicht richtig aus, was Störungen in der Entwicklung des Gehirns und des Zentralnervensystems zur Folge hat [2]. Betroffene Babys werden tot geboren oder sterben kurz nach der Geburt, weil ein Großteil des Gehirns fehlt. Liegt der Neuralrohrdefekt im Bereich des Rückenmarks, handelt es sich um eine Spina bifida – offener Rücken. [2].
Jod
Neben der Tatsache, dass jede vierte Frau mit einem Jodmangel in die Schwangerschaft geht, verstärkt der Alkoholkonsum den Bedarf an diesem Spurenelement im Körper. Die Joddefizite der Mutter verursachen beim Kind eine Vergrößerung der Schilddrüse. Zudem wird der Organismus des Kindes unzureichend mit Schilddrüsenhormonen versorgt, da die Funktion der Schilddrüse infolge des Jodmangels gestört ist. Im weiteren Verlauf wird die Entwicklung des Kindes stark beeinträchtigt, was zu Wachstumsstörungen führt [2].
Alkoholkonsum während der Schwangerschaft – Vitalstoffmangel
Vitalstoffmangel | Auswirkungen auf den Fetus |
Vitamin A | Erhöhte Gefahr für
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Vitamin E | Erhöhte Gefahr für
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Vitamin D |
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Vitamine des B-Komplexes |
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Magnesium |
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Eisen | Erhöhte Gefahr für
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Zink | Erhöhte Gefahr für
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Calcium |
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Folsäure | Erhöhtes Risiko für
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Jod |
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Weitere Informationen zum Thema „Alkoholkonsum“ finden Sie unter "Genussmittel" im Oberthema "Mikronährstoffmedizin".
Literatur
- Biesalski HK, Köhrle J, Schümann K: Vitamine, Spurenelemente und Mineralstoffe. Kapitel 42, 261, Georg Thieme Verlag; Stuttgart/New York 200
- Biesalski HK, Fürst P, Kasper H, Kluthe R, Pölert W, Puchstein Ch, Stähelin HB: Ernährungsmedizin. Kapitel 17, 225-227, Georg Thieme Verlag, Stuttgart 1999
- Kasper H: Ernährungsmedizin und Diätetik. Kapitel 1.9, 70-74, Urban & Fischer Verlag; München/Jena 2000
- Raab HJ: Jahrbuch Sucht. 1996, Seite 43, Copyright 1997, Stand 1. 10. 1997
- Popova S, Lange S, Shield K, Mihic A, Chudley AE, Mukherjee R, Bekmuradov D, Rehm J: Comorbidity of fetal alcohol spectrum disorder: a systematic review and meta-analysis. The Lancet, 05. January.2016, DOI: http://dx.doi.org/10.1016/S0140-6736(15)01345-8
- S3-Leitlinie: Fetale Alkoholspektrumstörungen, FASD - Diagnostik. (AWMF-Registernummer: 022-025), Februar 2016 Kurzfassung Langfassung
- Muggli E, Matthews H, Penington A, Claes P, O'Leary C, Forster D, Donath S, Anderson PJ, Lewis S, Nagle C, Craig JM, White SM, Elliott EJ, Halliday J: Association Between Prenatal Alcohol Exposure and Craniofacial Shape of Children at 12 Months of Age. JAMA Pediatr. 2017 Jun 5. doi: 10.1001/jamapediatrics.2017.0778