Migräne – Ursachen
Pathogenese (Krankheitsentstehung)
Die Pathogenese der Migräne ist komplex und bislang nicht vollständig aufgeklärt. Es wird jedoch angenommen, dass sowohl genetische als auch Umweltfaktoren eine zentrale Rolle spielen. Migräne ist eine neurologische Erkrankung, bei der genetische Veranlagungen und äußere Auslöser, sogenannte Trigger, zu wiederkehrenden Kopfschmerzattacken führen. Die genaue Ursache der Migräne kann nicht beseitigt werden, weshalb die Behandlung sich hauptsächlich auf die Linderung der Symptome konzentriert.
Genetische Faktoren
- Es gibt klare Hinweise darauf, dass genetische Prädispositionen eine entscheidende Rolle bei der Entstehung von Migräne spielen. Eine spezielle Form der Migräne, die familiäre hemiplegische Migräne (FHM), wird durch Mutationen in spezifischen Genen, wie dem CACNA1A-Gen, vererbt. Diese genetische Ursache erklärt, warum Migräne in bestimmten Familien gehäuft auftritt und warum die Erkrankung als nicht heilbar gilt. Das Fehlen einer kausalen Therapie liegt darin, dass die zugrundeliegenden genetischen Veränderungen nicht rückgängig gemacht werden können.
Aktivierung des Trigeminusnervs
- Migräneattacken werden durch eine Fehlregulation im Hirnstamm und Mittelhirn ausgelöst. Diese Hirnregionen aktivieren während eines Anfalls Äste des Trigeminusnervs, der die Blutgefäße der Hirnhaut beeinflusst. Die Aktivierung des Trigeminusnervs führt zur Freisetzung von vasoaktiven Neurotransmittern, wie CGRP (Calcitonin Gene-Related Peptide), die den Gefäßtonus (Spannung der Blutgefäße) verändern und eine neurogene Entzündung der Dura mater (äußerste Hirnhaut) verursachen. Diese Entzündung führt zu den charakteristischen Migräneschmerzen.
- Durch die Aktivierung der perivaskulären Nervenendigungen kommt es zu einer Erweiterung der Hirnhautgefäße und einer Freisetzung von Entzündungsmediatoren. Diese Prozesse tragen zur Aufrechterhaltung und Verstärkung der Migräneattacke bei.
Veränderungen in der Blut- und Sauerstoffversorgung
- Während eines Migräneanfalls ist die Blut- und Sauerstoffversorgung des Gehirns reduziert, was zu einer gestörten Funktion der Nervenzellen führen kann. Es wird angenommen, dass diese Minderversorgung einen zirkulären Mechanismus auslöst, der die Freisetzung von vasoaktiven Substanzen und entzündlichen Molekülen verstärkt. Eine kortikale Spreading Depression (eine wellenartige Depolarisation von Nervenzellen) könnte ebenfalls eine Rolle bei der Pathophysiologie der Migräne, insbesondere der Migräne mit Aura, spielen.
Neurotransmitter und neurogene Entzündung
- CGRP ist eines der wichtigsten Neuropeptide, das während eines Migräneanfalls freigesetzt wird. Es wirkt gefäßerweiternd und trägt zur Entzündung und Sensibilisierung der schmerzleitenden Nervenfasern bei. Die Blockade von CGRP oder seinen Rezeptoren ist ein vielversprechender therapeutischer Ansatz in der Migränebehandlung.
- Weitere Neurotransmitter wie Serotonin spielen ebenfalls eine Rolle bei der Migräneentstehung. Ein Abfall des Serotoninspiegels könnte die Dilatation (Erweiterung) der Blutgefäße und die Sensibilisierung der Trigeminusnerven fördern.
Triggerfaktoren
- Migränepatienten sind häufig in der Lage, spezifische Triggerfaktoren zu identifizieren, die ihre Attacken auslösen. Zu den häufigsten Triggern gehören:
- Stress
- Hormonelle Veränderungen (z. B. Menstruation)
- Nahrungsmittel (z. B. Käse, Schokolade, Alkohol)
- Schlafmangel
- Lichtblitze oder laute Geräusche
- Wetterumschwünge
- Etwa 90 % der Migränepatienten berichten, dass bei ihnen solche Triggerfaktoren eine Attacke auslösen können. Die Reaktion auf diese Auslöser kann durch eine genetische Prädisposition verstärkt werden.
Chronische Migräne und entzündliche Prozesse
- Die Pathogenese der chronischen Migräne unterscheidet sich in gewisser Weise von der episodischen Migräne. Bei chronischer Migräne, die durch häufige Attacken über mindestens 15 Tage pro Monat gekennzeichnet ist, spielen dauerhafte entzündliche Prozesse eine wesentliche Rolle. Neueste Forschungsergebnisse weisen darauf hin, dass diese Entzündungen im Bereich des Periosts (Knochenhaut) auftreten, was auf eine extrakranielle Ursache der Migräne hindeutet [5]. Diese Entzündungen im Periost betreffen sowohl Nervenendigungen als auch Blutgefäße und können das Schmerzempfinden bei Migräne verstärken.
Zusammenfassung
Die Pathogenese der Migräne ist multifaktoriell und umfasst genetische Veranlagungen, neurochemische Veränderungen und neurogene Entzündungsprozesse. Die Aktivierung des Trigeminusnervs und die Freisetzung von CGRP sowie anderen vasoaktiven Substanzen spielen eine zentrale Rolle bei der Entstehung der typischen Migräneschmerzen. Genetische Faktoren erklären die familiäre Häufung und die chronische Natur der Erkrankung. Ferner tragen Triggerfaktoren wie Stress, bestimmte Nahrungsmittel oder hormonelle Schwankungen zur Auslösung von Migräneattacken bei. Bei chronischer Migräne könnten entzündliche Prozesse im Periost eine extrakranielle Ursache darstellen, die zu einer Verstärkung der Attacken führt [5].
Triggerfaktoren
Triggerfaktoren, die bei Migränepatienten einen Anfall auslösen können, sind u. a.:
- Hormonelle Schwankungen bei Frauen während des Zyklus – wie beispielsweise prämenstrueller Abfall des 17-Beta-Östradiol-Serumspiegels
- Selten bestimmte Nahrungsmittel (z. B. Schokolade, Eiscreme, Käse)
- Hoher Kochsalzkonsum in Kombination mit dem Verzehr von Fleischwaren kann Migräne auslösen. Der Wirkmechanismus ist aber bislang nicht bekannt [3].
- Schwankungen des Koffeinspiegels bei Patienten, die regelmäßig Kaffee trinken
- Täglicher Kaugummi-Konsum (1-6 /die) [2]
- Genussmittelkonsum:
- Alkohol (insb. Rotwein)
- Eine Metaanalyse ergab im Gegensatz dazu ein verringertes Migränerisiko bei Personen, die Alkohol konsumieren [10].
- Nikotin/Tabak (Rauchen)
- Alkohol (insb. Rotwein)
- Ein veränderter Schlaf-Wach-Rhythmus
- Stress, emotionale Belastungen
- Gerüche (z. B. süßes Parfüm, Essensgerüche und Zigarettengeruch)
In extrem seltenen Fällen kann ein ischämischer Apoplex eine Migräneattacke triggern.
Ätiologie (Ursachen)
Folgende Risikofaktoren sind bei der Migräne von Bedeutung
Biographische Ursachen
- Genetische Belastung
- Genetisches Risiko abhängig von Genpolymorphismen:
- Gene/SNPs (Einzelnukleotid-Polymorphismus; engl.: single nucleotide polymorphism):
- Gene: LRP1, PRDM16, TRPM8
- SNP: rs13208321 in einer intergenischen Region
- Allel-Konstellation: AG (1,18-fach)
- Allel-Konstellation: AA (1,4-fach)
- SNP: rs2561899 im Gen PRDM16
- Allel-Konstellation: AG (1,1-fach)
- Allel-Konstellation: GG (1,2-fach)
- SNP: rs11172113 im Gen LRP1
- Allel-Konstellation: CT (0,9-fach)
- Allel-Konstellation: CC (0,8-fach)
- SNP: rs10166942 im Gen TRPM8
- Allel-Konstellation: CT (0,85-fach)
- Allel-Konstellation: CC (0,7-fach)
- Gene: LRP1, PRDM16, TRPM8
- Gene/SNPs (Einzelnukleotid-Polymorphismus; engl.: single nucleotide polymorphism):
- Genetisches Risiko abhängig von Genpolymorphismen:
- Hormonelle Faktoren – Hormonschwankungen bei Frauen; häufig zu Beginn der Menstruationsblutung (prämenstrueller Abfall des 17-Beta-Östradiol-Serumspiegels)
Verhaltensbedingte Ursachen
- Ernährung
- Fettgehalt der Ernährung – Eine geringe Fettaufnahme kann die Anzahl und Heftigkeit der Migräneattacken reduzieren [4].
- Tyraminhaltige Nahrungsmittel – Käse und Rotwein (Tyramin, Sulfite) können Migräne triggern.
- Phenylethylaminhaltige Nahrungsmittel – Schokolade kann durch diesen Inhaltsstoff Migräne auslösen.
- Hoher Kochsalzkonsum – Insbesondere in Kombination mit Fleischwaren kann Migräne begünstigen, der Wirkmechanismus ist jedoch unklar [3].
- Hunger oder Nahrungskarenz – Ausgelassene Mahlzeiten erhöhen die Anfallswahrscheinlichkeit.
- Mikronährstoffmangel – Mangel an Magnesium, Vitamin B2 oder Coenzym Q10 wird mit Migräne in Verbindung gebracht (siehe Prävention mit Mikronährstoffen).
- Genussmittelkonsum
- Alkohol – Besonders Rotwein, durch Tyramin und Sulfite. Eine Metaanalyse zeigt jedoch ein verringertes Migränerisiko bei moderatem Alkoholkonsum [10].
- Kaffee – Das Migränerisiko steigt ab der dritten Tasse Kaffee [6].
- Rauchen – Tabakkonsum wird mit Migräneattacken assoziiert.
- Täglicher Kaugummi-Konsum – Kann durch dauerhafte Muskelbelastung im Kieferbereich Migräne fördern [2].
- Psycho-soziale Situation
- Angst und Stress – Chronische Angstzustände und Stress sind bedeutende Migräne-Trigger.
- Entlastung nach Stresssituationen – Plötzliche Entspannung, z. B. am Wochenende („Sonntagsmigräne“), kann Migräne hervorrufen.
- Schlafqualität
- Schlafmangel und Schlafrhythmusstörungen – Änderungen der Schlafgewohnheiten erhöhen die Migräneanfälligkeit.
- Übergewicht
- Adipositas – Mit steigendem BMI nimmt die Schwere und Häufigkeit der Migräneattacken zu; besonders ausgeprägt bei BMI > 35 [1].
Krankheitsbedingte Ursachen
- Hypoglykämie (Unterzuckerung)
- Persistierende Foramen ovale (PFO) – offenes Foramen ovale; dieses ermöglicht einen kardialen Rechts-Links-Shunt auf Vorhofebene (türartige Verbindung zwischen den Herzvorhöfen); gehäuftes Auftreten einer Migräne bei Menschen mit PFO; zudem sind bei Migränepatienten besonders häufig große PFOs zu finden [7, 8].
Medikamente
- Einnahme von Hormonpräparaten bei Frauen zur Empfängnisverhütung oder in der Menopause (Wechseljahre)
- Fenfluramin (Appetitzügler)
- Reserpin – Antisympathikotonikum; Medikament, welches die Synthese oder Freisetzung von Noradrenalin hemmt; sie werden in der Behandlung der Hypertonie (Bluthochdruck) eingesetzt; haben aber relativ viele Nebenwirkungen, weshalb sie nicht Medikamente der ersten Wahl sind
- Weitere Medikamente: siehe dazu unter "Arzneimittelnebenwirkungen" unter "Kopfschmerzen durch Medikamente"
Umweltbelastungen – Intoxikationen (Vergiftungen)
- Flackerlicht – Kann Migräneattacken auslösen.
- Gerüche – Süßes Parfüm, Essensgerüche und Zigarettenrauch können Migräne fördern.
- Lärm – Dauerhafte Lärmbelastung ist ein häufiger Trigger.
- Wettereinflüsse – Kälte, Föhn und andere Wetterschwankungen sind bekannte Risikofaktoren.
- Aufenthalt in großer Höhe – Hypoxie (Sauerstoffmangel) kann Migräne begünstigen.
- Rauch – Tabakrauch kann Migräne verschlimmern.
Weitere Ursachen
- Fastenmonat Ramadan: Migräneattacken waren bei Muslimen im Ramadan signifikant häufiger als im Vormonat; diese traten besonders oft in den ersten zehn Tagen auf [9].
Ursächlich könnten sein: Veränderungen der Schlafens- und Essenszeiten, der Art der konsumierten Lebensmittel sowie der Verzicht tagsüber auf Wasser, Kaffee und Zigaretten.
Einschränkung: Daten basieren auf Patientenbefragung/Eigenangaben der Teilnehmenden.
Literatur
- Bigal ME, Lipton RB: Obesity is a risk factor for transformed migraine but not chronic tension-type headache. Neurology 2006;67:252-257
- Watemberg N et al.: The Influence of Excessive Chewing Gum Use on Headache Frequency and Severity Among Adolescents. Pediatr Neurol 2013, online 4. November; doi: 10.1016/j.pediatrneurol.2013.08.015
- Kasper, H: Ernährungsmedizin und Diätetik.11. Auflage, Urban & Fischer, München, 2009
- Ferrara LA, et al.: Low-lipid diet reduces frequency and severity of acute migraine attacks. Nutrition, Metabolism & Cardiovascular Diseases, 09. Jan 2015
- Perry CJ, Blake P, Buettner C et al.: Upregulation of inflammatory gene transcripts in periosteum of chronic migraineurs: Implications for extracranial origin of headache. Ann Neurol 2016 Jun;79(6):1000-13. doi: 10.1002/ana.24665. Epub 2016 May 5.
- Mostofsky E et al.: Prospective Cohort Study of Caffeinated Beverage Intake as a Potential Trigger of Headaches among Migraineurs The American Journal of Medicine, 2019: Volume 0, Issue 0 doi:https://doi.org/10.1016/j.amjmed.2019.02.015
- Collado FMS et al.: Patent Foramen Ovale Closure for Stroke Prevention and Other Disorders. J Am Heart Assoc 2018;7(12):e007146. https://www.ahajournals.org/doi/10.1161/JAHA.117.007146
- Deutsche Migräne- und Kopfschmerz-Gesellschaft e.V. Migräne und offenes Foramen Ovale – Was ist gesichert? Stellungnahme 2019; unter: https://dmkg.de/kopfschmerz-erkrankungen/stellungnahmen/offene_foramen_ovale (abgerufen am 08.2020).
- Ragab AH et al.: Changes in migraine characteristics over 30 days of Ramadan fasting: A prospective study. Headache 2022; https://doi.org/10.1111/head.14231
- Błaszczyk B et al.: Relationship between alcohol and primary headaches: a systematic review and meta‑analysis. J Headache Pain 2023;24:116; https://doi.org/10.1186/s10194-023-01653-7