Akutes Skrotum – Ursachen

Pathogenese (Krankheitsentstehung)

Das akute Skrotum ist ein klinisches Syndrom, das durch plötzliche Schmerzen, Schwellung und Rötung des Skrotums (Hodensacks) gekennzeichnet ist. Es handelt sich um einen Notfall, der eine sofortige Abklärung und Therapie erfordert, um irreversible Gewebeschäden und den Verlust der Hodenfunktion zu verhindern. Die Pathogenese hängt von den zugrunde liegenden Ursachen ab, die folgende sein können:

Hodentorsion

Die Hodentorsion ist die häufigste urologische Notfallursache des akuten Skrotums bei Kindern und Jugendlichen. Sie entsteht durch eine Drehung des Hodens um den Samenstrang (Funikulus spermaticus), wodurch die Blutversorgung des Hodens gestört wird.

  • Initiale Ischämie (Minderdurchblutung): Die Torsion führt zunächst zu einem venösen Stau, gefolgt von einer arteriellen Unterbrechung, was zu einer ischämischen Schädigung des Hodengewebes führt.
  • Reaktive Entzündung: Bei länger bestehender Ischämie kommt es zur Gewebsnekrose (Absterben von Gewebe) und zur entzündlichen Reaktion des umliegenden Gewebes.
  • Irreversible Schäden: Bei einer Torsionsdauer von mehr als 4-6 Stunden kann der Hoden irreversibel geschädigt sein.

Prädisponierende Faktoren

  • Angeborene Anomalien wie die Glockenschwengel-Deformität (Fehlbildung der Hodensackaufhängung) begünstigen die freie Beweglichkeit des Hodens, was die Entstehung einer Torsion begünstigt.

Epididymitis und Orchitis

Die akute Epididymitis (Nebenhodenentzündung) und Orchitis (Hodenentzündung) sind häufig infektiöse Ursachen eines akuten Skrotums. Die Erreger gelangen über den Samenleiter (Ductus deferens) aus der Harnröhre in den Nebenhoden oder Hoden und lösen dort eine Entzündungsreaktion aus.

  • Bakterielle Entzündung: Typische Erreger bei jüngeren Patienten sind sexuell übertragbare Bakterien wie Chlamydia trachomatis und Neisseria gonorrhoeae. Bei älteren Patienten dominieren Enterobakterien (z. B. Escherichia coli), die aus dem Urogenitaltrakt stammen.
  • Virusbedingte Orchitis: Eine Mumpsorchitis (Hodenentzündung bei Mumps) tritt häufig als Komplikation einer Mumpsinfektion bei jugendlichen und erwachsenen Männern auf und kann zu einer atrophischen Schrumpfung des Hodens führen.
  • Pathophysiologie:
    • Entzündungsinfiltration: Die Erreger lösen eine entzündliche Infiltration der Nebenhoden und/oder des Hodens aus, die zur Schwellung, Rötung und Schmerzhaftigkeit führt.
    • Gewebsödem: Durch die Entzündung kommt es zur Schwellung des betroffenen Gewebes und zu einer Druckerhöhung, die die Symptome verstärkt.

Hydatidentorsion

Die Torsion der Hydatide (Appendix testis), einem rudimentären Anhang des Hodens, entsteht durch eine Drehung dieses kleinen Gewebsanhangs um seinen Stiel, was zu einer lokalen Ischämie und Nekrose (Gewebstod) führt.

  • Symptome ähneln einer Hodentorsion, jedoch ist der Schmerz meist lokalisiert und die Allgemeinsymptome sind weniger ausgeprägt.
  • In manchen Fällen kann die torsierte Hydatide als blaue Verfärbung durch die Skrotalhaut hindurchscheinen (sog. "Blue Dot Sign").

Skrotale Traumata

Traumatische Einwirkungen auf das Skrotum, wie stumpfe Gewalt (z. B. durch Sportverletzungen oder Unfälle), können zu Hämatomen (Blutergüssen) und Hodenrupturen führen.

  • Pathomechanismus:
    • Blutansammlung: Bei einer Ruptur der Hodenhülle (Tunica albuginea) tritt Blut in das umgebende Hodengewebe aus und verursacht eine akute Schwellung.
    • Druckerhöhung: Der Druck im Skrotalraum steigt, was zu starken Schmerzen und einer Beeinträchtigung der Hodenfunktion führen kann.

Inkarzerierte Leisten- oder Skrotalhernie

Eine Leistenhernie (Leistenbruch) entsteht, wenn Darmteile durch eine Lücke in der Bauchwand in den Leistenkanal oder das Skrotum gleiten und dort eingeklemmt (inkarzeriert) werden.

  • Pathophysiologie:
    • Die Inkarzeration führt zu einer Durchblutungsstörung im eingeklemmten Darmabschnitt, was zu einer Ischämie und einem Darmverschluss führen kann.
    • Die mechanische Kompression verursacht eine akute Schwellung und Schmerzhaftigkeit des Skrotums, häufig begleitet von Erbrechen und anderen abdominalen Symptomen.

Idiopathisches Skrotalödem

Ein idiopathisches (ohne erkennbare Ursache) Skrotalödem tritt vor allem bei Kleinkindern auf und ist durch eine plötzliche Schwellung und Rötung des Skrotums gekennzeichnet.

  • Pathomechanismus:
    • Es wird vermutet, dass eine allergische Reaktion oder eine Gefäßveränderung die vermehrte Flüssigkeitsansammlung im subkutanen Gewebe des Skrotums bedingt.

Zusammenfassung

Das akute Skrotum ist ein urologischer Notfall, dessen Ursachen vielfältig sind und von Hodentorsion, Entzündungen, Hydatidentorsion, traumatischen Verletzungen, Hernien bis zu idiopathischen Ursachen reichen. Die pathophysiologischen Mechanismen umfassen Gefäßverschlüsse, entzündliche Veränderungen sowie mechanische Schädigungen, die zu akuten Schmerzen, Schwellung und Rötung führen. Eine rasche Diagnosestellung und Behandlung sind essenziell, um dauerhafte Schäden am Hoden und den umgebenden Strukturen zu verhindern.

Ätiologie (Ursachen)

Blut, blutbildende Organe – Immunsystem (D50-D90)

  • Purpura Schoenlein-Henoch (Purpura anaphylactoides) – spontane kleine Hauteinblutungen, insbesondere im Bereich der Unterschenkel (pathognomonisch), die vor allem nach Infektionen oder durch Medikamente oder Nahrungsmittel auftritt; dabei ist häufig der Nebenhoden bzw. Hoden vergrößert

Mund, Ösophagus (Speiseröhre), Magen und Darm (K00-K67; K90-K93)

  • Appendicitis (Blinddarmentzündung) mit Peritonitis (Bauchfellentzündung) bei Persistenz des Processus vaginalis peritonei (trichterförmige Ausstülpung des Bauchfells in den Hodensack)
  • Inkarzerierte inguino-scrotale Hernie, die (eingeklemmter Leisten-Hodenbruch), der infolge zu einer möglichen Minderperfusion (Minderdurchblutung) des Hodens führen kann; sehr akuter Verlauf

Neubildungen – Tumorerkrankungen (C00-D48)

  • Hodentumor, nicht näher bezeichnet (95 % aller testikulären Raumforderungen sind Keimzelltumoren; diese sind im Regelfall schmerzfrei; eine Einblutung kann jedoch ein akutes Skrotum auslösen) – s. u. Hodentumor
  • Leukämie (Blutkrebs)
  • Lymphom – bösartige Neubildung, die vom Lymphsystem ausgeht
  • Testikuläre Raumforderungen (2,7 % bei Erwachsenen; fünf Patienten wurden einer radikalen Orchiektomie (Hodenentfernung) aufgrund eines Tumors unterzogen)
  • Zysten des Nebenhodens (3,4 % bei Erwachsenen) [1]

Urogenitalsystem (Nieren, Harnwege – Geschlechtsorgane) (N00-N99)

  • Epididymitis (Nebenhodenentzündung; 28,4 %) bzw. Epidydymo-Orchitis (Nebenhoden-Hodenentzündung; 28,7 %), virale oder bakterielle (Erwachsene) [1]
  • Fournier-Gangrän (Synonym: Morbus Fournier) – seltene Sonderform der nekrotisierenden Fasziitis (entzündliche Erkrankung der Faszien) im genito-perinealen Bereich und des Peritoneums (Bauchfell) mit hoher Letalität (Sterblichkeit bezogen auf die Gesamtzahl der an der Krankheit Erkrankten: 7-75 %); ursächlich ist eine bakterielle Mischinfektion; Kofaktoren sind häufig Alkoholabusus (Alkoholmissbrauch), Diabetes mellitus, Immunsuppression (Unterdrückung des körpereigenen Abwehrsystems) oder andere konsumierende Erkrankungen; Männer sind überwiegend betroffen.
  • Funiculitis – Entzündung des Samenstrangs (Funiculus spermaticus)
  • Funikulozele – Zyste (flüssigkeitsgefüllte Höhle; bohnen- bis olivengroß), die durch eine Ansammlung von Gewebsflüssigkeit im Bereich des Samenstrangs (lat. Funiculus spermaticus) entsteht.
  • Hodentorsion (Verdrehung der Hodengefäße), die dazu führt, dass die Blutzufuhr unterbrochen wird; tritt häufig im Schlaf (50 %), aber auch beim Sport/Spiel auf; in der Regel sind Kinder betroffen. Achtung! Ein höheres Alter schließt eine Hodentorsion nicht aus! (siehe dazu ggf. unter dem Krankheitsbild: Hodentorsion)
    Sonderformen sind:
    • intermittierende Hodentorsion: nach akuter Schmerzsymptomatik kommt es rasch zu einer Befundbesserung (in der Dopplersonographie zeigt sich ein hyperperfundierter Hoden)
    • neonatale Hodentorsion. Das Torsionsereignis ist im Regelfall bereits pränatal (vor der Geburt); in ca. 100 % der Fälle liegt ein stark geschädigtes Hodenparenchym (Hodengewebe) vor
    Jedes akute Skrotum ist eine Hodentorsion bis zum definitiven Ausschluss dieser Diagnose! (0,3 % bei Erwachsenen) [1]
  • Hydatidentorsion – Durchblutungsstörung von kleinen Appendices (Hodenanhängseln) des Hodens bzw. des Nebenhodens durch Torsion (Verdrehung); es handelt sich dabei um Hodenanhangsgebilde, die vom Müller-Gang, Wolffschen Gang oder dem mesonephritischen Tubulus ausgehen.
    Differentialdiagnostisch ist das Schmerzmaximum häufig direkt oberhalb des Hodens nachzuweisen; Diaphanoskopie (Durchleuchtung von Körperteilen durch eine aufgesetzte Lichtquelle; hier: Skrotum (Hodensack)):
     häufig sogenannte "blue dot sign" (bläulich schimmernde Strukturen), als Hinweis einer Durchblutungsstörung der Appendices; pathognomonisch; Vorkommen nur in ca. 20 % der Fälle); Häufigkeitsgipfel: 10 bis 12 Jahre; bei präpubertären Knaben häufiger als Hodentorsion. 
  • Hydrozele (Wasserbruch; 0,3 % bei Erwachsenen) [1]
  • Inkarzerierte Skrotalhernie (Hodenbruch) – bei 60-70 % der Patienten liegt eine indirekte Hernie bei offenem Processus vaginalis vor; bei der direkten Leistenhernie, bei der die Bruchpforte medial der epigastrischen Gefäße liegt, sind Inkarzerationen mit 30-40 % eher seltener.
  • Orchitis (Hodenentzündung), virale oder bakterielle (10,3 % bei Erwachsenen) [1]
  • Nekrotisierende Fasziitis am Skrotum (Fournieŕ sches Gangrän)  foudroyant verlaufende lebensbedrohliche Infektion der Haut, der Subkutis (Unterhaut) und der Faszie mit fortschreitender Gangrän; häufig handelt es sich dabei um Patienten mit Diabetes mellitus oder anderen Erkrankungen, die zu Durchblutungsstörungen oder verminderter Immunabwehr führen
  • Skrotalödem (Ansammlung von Flüssigkeit im Hodensack), akutes; bei präpubertären Knaben; Inzidenz (Häufigkeit von Neuerkrankungen) im Kindes- und Erwachsenenalters: > 10 %; häufigste Ursache: lokales allergisches Phänomen (Insektenstich) oder akutes idiopathisches Skrotalödem (AISE): Häufigkeitsgipfel: 5-11 Jahre; klinisches Bild: Schwellung und Rötung des Skrotums, ein Drittel unilateral (einseitig) und zwei Drittel bilateral (beidseitig); ggf. Ausdehnung bis inguinal ("die Leistenregion betreffend"), penil ("den Penis betreffend") und/oder perineal ("den Darm betreffend"); die Schwellung ist meist schmerzlos, ggf. liegt ein geringer Druck- und Spannungschmerz vor; es ist keine spezielle Therapie erforderlich, da die AISE eine selbstlimitierende Erkrankung ist, d. h. die Erkrankung heilt von alleine wieder aus.
    Beachte: Die Diagnose eines akuten idiopathischen Skrotalödems ist eine Ausschlussdiagnose, d. h. oberste Priorität hat das Ein- oder Ausschließen einer Hodentorsion!
  • Skrotalabszess (Eiteransammlung im Hodensack) / Abszesse (0,7 % bei Erwachsenen) [1]
  • Skrotalemphysem – Ansammlung von Luft im Hodensack

Verletzungen, Vergiftungen und andere Folgen äußerer Ursachen (S00-T98)

  • Skotaltrauma/Hodentrauma (offenes oder stumpfes Trauma)
    • Dislokation der Hoden
    • Hodenruptur – Riss des Hodens, durch eine Verletzung bedingt
    • Hämatozele – durch stumpfe Gewalt bedingte Einblutung in den Hoden
    • Penetrierendes Skrotaltrauma

Literatur

  1. Lorenzo L et al.: Evaluation of Adult Acute Scrotum in the ER: Clinical Characteristics, Diagnosis, Management and Costs. Urology 2016, online 19. Mai; DOI: http://dx.doi.org/10.1016/j.urology.2016.05.018