Schilddrüsenkrebs (Schilddrüsenkarzinom) – Ursachen

Pathogenese (Krankheitsentstehung)

Schilddrüsenkarzinome entstehen aus den Zellen der Schilddrüse und lassen sich nach ihrer Herkunft und den betroffenen Zelltypen unterscheiden:

  • Papilläre und follikuläre Karzinome gehen von den Thyreozyten (Follikelepithelzellen der Schilddrüse) aus.
  • Medulläre Karzinome entstehen aus den parafollikulären C-Zellen, die für die Produktion von Calcitonin (ein Hormon, das den Kalziumspiegel reguliert) verantwortlich sind.

Diese Schilddrüsenkarzinome entstehen durch genetische Veränderungen in den betroffenen Zellen. Die genauen Ursachen dieser genetischen Mutationen sind oft unklar, allerdings gibt es einige bekannte Risikofaktoren.

Primäre pathophysiologische Mechanismen

  • Genetische Mutationen: Verschiedene genetische Mutationen, darunter Veränderungen in den RET-Protoonkogenen (medulläres Karzinom) oder RAS-Mutationen, werden mit der Entstehung von Schilddrüsenkarzinomen in Verbindung gebracht. Bei papillären Karzinomen spielt die Mutation im BRAF-Gen eine wesentliche Rolle, die das Tumorwachstum und die Zellteilung fördert.
  • Ionisierende Strahlung: Strahlenexposition, insbesondere in der Kindheit, ist ein bekannter Risikofaktor für die Entwicklung von Schilddrüsenkrebs, da sie genetische Schäden in den Thyreozyten verursacht und das Risiko für papilläres Schilddrüsenkarzinom erhöht.

Sekundäre pathophysiologische Veränderungen

  • Östrogene als Wachstumsfaktor: Bei Frauen ist die Inzidenz von Schilddrüsenkarzinomen von der Pubertät bis zur Menopause (Zeitpunkt der letzten Menstruation) im Vergleich zu Männern bis zu 14-fach erhöht. Dies wird auf die Wirkung von Östrogenen zurückgeführt, die als potenter Wachstumsfaktor auf Schilddrüsenzellen wirken und das Zellwachstum anregen.
  • Tumorwachstum und Angiogenese: Genetische Mutationen in Schilddrüsenzellen führen zu unkontrolliertem Zellwachstum und verstärkter Angiogenese (Bildung neuer Blutgefäße), um den Tumor mit Nährstoffen zu versorgen.

Klinische Manifestation

  • Knotenbildung: Schilddrüsenkarzinome präsentieren sich häufig als Knoten in der Schilddrüse, die in den meisten Fällen schmerzlos sind. Diese Knoten können bei Fortschreiten der Erkrankung zu einer sichtbaren oder tastbaren Vergrößerung der Schilddrüse führen.
  • Schluckbeschwerden: Fortgeschrittene Tumoren können Druck auf die Speiseröhre oder die Luftröhre ausüben, was zu Schluckbeschwerden oder Atemnot führen kann.
  • Stimmveränderungen: In manchen Fällen kommt es zur Heiserkeit oder Stimmveränderungen, wenn der Tumor den Nervus laryngeus recurrens (den Kehlkopfnerv) betrifft.

Progression und Organbeteiligung

  • Lokales Tumorwachstum: Das Schilddrüsenkarzinom wächst lokal invasiv in die umliegenden Strukturen, wie die Luftröhre, die Speiseröhre und die Halsgefäße.
  • Lymphogene Metastasierung: Besonders papilläre Karzinome metastasieren (streuen) häufig frühzeitig über die Lymphbahnen in die regionalen Halslymphknoten.
  • Hämatogene Metastasierung: Fortgeschrittene Schilddrüsenkarzinome, insbesondere follikuläre und medulläre Karzinome, metastasieren über das Blut in entfernte Organe, wie die Lunge, die Leber und die Knochen.

Funktionelle Auswirkungen und strukturelle Schäden

  • Hormonelle Dysfunktion: In fortgeschrittenen Stadien kann die Tumorinfiltration die Funktion der Schilddrüse beeinträchtigen, was zu einer Schilddrüsenunterfunktion (Hypothyreose) oder in seltenen Fällen zu einer Schilddrüsenüberfunktion (Hyperthyreose) führt.
  • Lokale Gewebeschädigung: Die Infiltration von Nachbargeweben führt zu mechanischen Problemen wie Atembeschwerden, Schluckstörungen und Heiserkeit.

Regenerative und kompensatorische Prozesse

  • Regeneration der Schilddrüse: Die natürliche Regenerationsfähigkeit der Schilddrüse ist bei Tumorerkrankungen oft stark eingeschränkt, insbesondere wenn die Tumorzellen das umliegende gesunde Gewebe zerstören.
  • Komplementäre Therapien: In Fällen von nicht-operablen oder metastasierenden Tumoren wird häufig eine Radiojodtherapie eingesetzt, die selektiv Schilddrüsenzellen zerstört und somit das Tumorwachstum hemmt.

Zusammenfassung und klinische Relevanz

Schilddrüsenkarzinome entwickeln sich meist durch genetische Veränderungen in den Thyreozyten oder C-Zellen. Besonders bei Frauen spielen Östrogene eine bedeutende Rolle als Wachstumsfaktor, was die höhere Inzidenz von Schilddrüsentumoren im Vergleich zu Männern erklärt. Genetische Mutationen wie BRAF und RET sind entscheidend für die Entstehung und das aggressive Wachstum der Tumoren. Eine frühe Diagnose ist entscheidend, da Schilddrüsenkarzinome bei rechtzeitiger Behandlung eine gute Prognose haben, während fortgeschrittene Stadien durch Metastasierung in entfernte Organe eine deutlich schlechtere Prognose aufweisen.

Ätiologie (Ursachen)

Biographische Ursachen

  • Genetische Belastung durch Eltern, Großeltern, vor allem beim medullären Schilddrüsenkarzinom und familiäre Syndrome z. B. MEN 2
    • Genetisches Risiko abhängig von Genpolymorphismen:
      • Gene/SNPs (Einzelnukleotid-Polymorphismus; engl.: single nucleotide polymorphism):
        • Gene: FOXE1
        • SNP: rs965513 in einer intergenischen Region
          • Allel-Konstellation: AG (1,77-fach)
          • Allel-Konstellation: AA (3,1-fach)
        • SNP: rs1867277 im Gen FOXE1
          • Allel-Konstellation: AG (1,5-fach)
          • Allel-Konstellation: AA (2,0-fach)
        • SNP: rs944289 in einer intergenischen Region
          • Allel-Konstellation: CT (1,3-fach)
          • Allel-Konstellation: TT (1,69-fach)
  • Ethnische Herkunft – asiatische und afrikanische Abstammung (US-Studie) [1]
  • GeschlechtBei Frauen ist die Inzidenz (Häufigkeit von Neuerkrankungen) von malignen Schilddrüsentumoren von der Pubertät bis zur Menopause im Vergleich zu Männern bis zu 14-fach erhöht.
  • Geburtsgewicht von Kindern der Frau: bei Geburtsgewicht 2.500-3.999 Gramm als Referenz [5]:
    • < 2.500 Gramm: Schilddrüsenkarzinomrisiko 13 % erniedrigt 
    • > 4.000 Gramm: Schilddrüsenkarzinomrisiko 11 % erhöht 
    Wahrscheinlich Insulin-like Growth Factor 1 (IGF-1)-bedingt

Verhaltensbedingte Ursachen

  • Ernährung – Jodmangel
  • Übergewicht (BMI ≥ 25; Adipositas); es besteht ein deutlicher Zusammenhang zwischen Adipositas, Diabetes mellitus und dem differenzierten Schilddrüsenkarzinom; bes. starker Prädiktor war der BMI [4]

Krankheitsbedingte Ursachen

  • Hashimoto-Thyreoiditis [2]

Medikamente

  • GLP-1-Agonisten (Dulaglutid, Exenatid, Semaglutid, Liraglutid und Lixisentid) und Diabetes mellitus Typ-2, nach 1-3 Jahren der Behandlung auftreten von Schilddrüsenkarzinom [6]

Strahlung 

  • Zustand nach Radiatio (Strahlentherapie) der Halsregion bzw. des Mediastinums (Mittelfell, dieses ist ein senkrecht verlaufender Gewebsraum in der Brusthöhle); nach einem CT im Kopf-Halsbereich ist das Tumorrisiko für Kinder erhöht. Dieses gilt vor allem für Schilddrüsenkarzinome (um 78 % erhöht) und Hirntumoren (um 60 % erhöht). Die Gesamtkrebshäufigkeit ist um 13 % erhöht [3].
  • Ionisierende Strahlung

Literatur

  1. Pitt SC et al.: Incidental Gallbladder Cancer at Cholecystectomy. When Should the Surgeon Be Suspicious? Ann Surg 2014; online 6. Februar; doi: 10.1097/SLA.0000000000000485
  2. Chen JX et al.: Risk of Malignancy Associated with Head and Neck CT in Children: A Systematic Review. Otolaryngol Head Neck Surg 2014, online 22. Juli; doi: 10.1177/0194599814542588
  3. Paparodis R et al.: Hashimoto's Thyroiditis Pathology and Risk for Thyroid Cancer. doi:10.1089/thy.2013.0588.
  4. Oberman B et al.: Relationship between obesity, diabetes and the risk of thyroid cancer. Am J Otolaryngol. 2015 Mar 3. pii: S0196-0709(15)00064-2. doi: 10.1016/j.amjoto.2015.02.015
  5. Crump C et al.: Fetal growth and subsequent maternal risk of thyroid cancer. doi: 10.1002/ijc.29857
  6. Faillie JL et al.: GLP-1 Receptor Agonists and the Risk of Thyroid Cancer Diabetes Care 2023;46(2):384-390 https://doi.org/10.2337/dc22-1148