Morbus Basedow – Strahlentherapie
Der Morbus Basedow (Autoimmunerkrankung der Schilddrüse) ist eine Autoimmunthyreopathie (Autoimmunerkrankung der Schilddrüse), die durch stimulierende Antikörper gegen den TSH-Rezeptor (Hormonrezeptor der Schilddrüse) eine diffuse Hyperthyreose (Schilddrüsenüberfunktion) induziert. In bis zu 50 % der Fälle tritt eine endokrine Orbitopathie (entzündliche Erkrankung der Augenhöhle) auf, die durch inflammatorische (entzündliche) und proliferative (zellvermehrende) Prozesse des retrobulbären Gewebes (Gewebe hinter dem Augapfel) gekennzeichnet ist. Die Strahlentherapie wird insbesondere bei aktiver, mäßig bis schwer verlaufender Orbitopathie mit refraktärem Verlauf (nicht ausreichend auf Behandlung ansprechend) oder als additive Maßnahme zur immunsuppressiven Therapie (therapeutische Unterdrückung des Immunsystems) eingesetzt.
Zielsetzung und Wirkung
Therapeutische Zielsetzung
Ziel der Strahlentherapie ist die symptomatische Linderung orbitaler (die Augenhöhle betreffender) Beschwerden durch Abschwächung der entzündlichen Aktivität, Verbesserung der okulären Motilität (Augenbeweglichkeit) und Reduktion des Exophthalmus (Hervortreten der Augäpfel) sowie der Kompressionszeichen des Nervus opticus (Sehnerv).
Wirkmechanismus
Die Bestrahlung des retrobulbären Gewebes (Gewebe hinter dem Augapfel) bewirkt eine Reduktion inflammatorischer Infiltrate (Einwanderung von Entzündungszellen), eine Hemmung fibroblastärer Proliferation (Vermehrung von Bindegewebszellen) und eine Modulation immunologischer Prozesse (Beeinflussung des Immunsystems) über Apoptose- (programmierter Zelltod) und Zytokinmechanismen (Botenstoffe des Immunsystems). Die maximale Wirksamkeit wird typischerweise nach mehreren Wochen beobachtet.
Indikationen (Anwendungsgebiete)
- Aktive, mäßig bis schwere endokrine Orbitopathie mit Visusbedrohung (Gefahr des Sehverlustes)
- Refraktäres Ansprechen (unzureichendes Ansprechen) auf systemische Glucocorticoide (Kortisonpräparate)
- Diplopie (Doppeltsehen) durch fibrotische Fixierung (verhärtete Fixierung) der Augenmuskulatur
- Retrobulbärer Druckschmerz (Schmerzen hinter dem Auge) und beginnendes Kompressionssyndrom (Einengung von Nerven oder Gefäßen)
Kontraindikationen (Gegenanzeigen)
Absolute Kontraindikationen
- Schwangerschaft
- Vorbestehende Strahlentherapie der Orbita (Augenhöhle)
- Akute Infektionen im Bestrahlungsfeld
Relative Kontraindikationen
- Optikusatrophie (Schrumpfung des Sehnervs)
- Vorbestehende schwere Retinopathien (Netzhauterkrankungen)
- Ausgeprägte Komorbiditäten (Begleiterkrankungen) mit reduzierter Toleranz gegenüber Nebenwirkungen
Das Verfahren (Anwendung und Durchführung)
Die Bestrahlung erfolgt in der Regel beidseitig mit Photonen (energiereiche Lichtstrahlen aus einem Linearbeschleuniger), unter Anwendung von Linsenblockierung und Bolusmaterial (Schutzvorrichtungen) zum Schutz der Augenstrukturen. Die typische Gesamtdosis beträgt 20 Gy (Gray – Maßeinheit für Strahlendosis) in 10 Fraktionen (Einzeldosen) à 2 Gy an aufeinanderfolgenden Werktagen.
Die Feldanpassung erfolgt CT-gesteuert (computertomographisch gesteuert) anhand des Zielvolumens, welches die retrobulbäre Fett- und Muskelmasse (Gewebe hinter dem Auge) einschließt. Es wird eine präzise Lagerung mit Kopfmaske und individualisiertem Planungssystem durchgeführt.
Aktueller Stellenwert im Therapiekonzept
Die Strahlentherapie gilt als etablierte Zweitlinientherapie (Behandlung in zweiter Wahl) bei steroidrefraktärer endokriner Orbitopathie und wird häufig in Kombination mit intravenösen Glucocorticoiden (Kortison über die Vene) durchgeführt. Der synergistische Effekt (verstärkende Wirkung) beider Verfahren zeigt sich in randomisierten Studien (wissenschaftlich kontrollierte Studien) durch eine signifikant verbesserte okuläre Symptomatik (Beschwerden im Bereich der Augen) im Vergleich zur Monotherapie (Einzeltherapie). In inaktiven Spätstadien mit fibrotischen Umbauprozessen (verhärtetem Gewebe) ist die Wirksamkeit der Strahlentherapie limitiert, hier stehen chirurgische Interventionen (operative Eingriffe) im Vordergrund.
Literatur
- Bartalena L, Baldeschi L, Dickinson AJ et al.: Consensus statement of the European Group on Graves’ Orbitopathy (EUGOGO) on management of GO. Eur J Endocrinol. 2008;158(3):273-285. doi: 10.1530/EJE-07-0666
- Prummel MF, Terwee CB, Gerding MN et al.: A randomized controlled trial of orbital radiotherapy versus sham irradiation in patients with mild Graves' ophthalmopathy. J Clin Endocrinol Metab. 2004;89(1):15-20. doi: 10.1210/jc.2003-030809
- Bartalena L, Pinchera A, Marcocci C. Management of Graves' ophthalmopathy: reality and perspectives. Endocr Rev. 2000;21(2):168-199. doi: 10.1210/edrv.21.2.0393