Skoliose – Operative Therapie
Die operative Therapie der Skoliose dient der Stabilisierung der Wirbelsäule durch Stäbe, wobei der betroffene Bereich versteift wird. Die Korrektur der adoleszenten idiopathischen Skoliose (jugendliche Formen der Wirbelsäulenverkrümmung ohne erkennbare Ursache) erfolgt häufig durch die Technik der dorsalen Spondylodese (Wirbelkörperverblockung von dorsal).
Beachte: Magnetisch distrahierbare Implantate ("magnetically controlled growing rods", MCGR) ermöglichen bei "Early-onset-Skoliosen (EOS)" eine nicht-invasive transkutane Verlängerung der Wirbelsäule während der Wachstumsphase. Dadurch wird neben der Korrektur der Skoliose ein physiologisches Wirbelsäulenwachstum unterstützt [2-4].
Indikationen (Anwendungsgebiete)
Die Indikationen für die operative Therapie der Skoliose richten sich nach dem Cobb-Winkel [1]:
- > 10° Cobb-Winkel: Klinische und radiologische Verlaufsbeobachtungen.
- 10°-20° Cobb-Winkel: Zusätzlich Physiotherapie.
- 20°-50° Cobb-Winkel: Zusätzlich Skolioseorthese (Korsett zur Korrektur der Skoliose).
- Brustwirbelsäule > 50° Cobb-Winkel; Lendenwirbelsäule > 45° Cobb-Winkel: Operationsindikation.
- Anmerkung: Ab einem Cobb-Winkel von 40° kann/sollte eine Operation individuell abgestimmt erwogen werden.
Beachte: Infantile Skoliosen korrigieren sich in 80 % der Fälle spontan und benötigen keine Therapie! Nur die verbeibenden, progredienten Skoliosen bedürfen häufig der Therapie.
Kontraindikationen (Gegenanzeigen)
- Starke pulmonale (die Lunge betreffende) oder kardiovaskuläre (Herz-Kreislauf-System betreffende) Einschränkungen, die eine Anästhesie (Narkose) nicht zulassen.
- Schwere neurologische (Nervensystem betreffende) Defizite, die ein Fortschreiten der Skoliose nicht beeinflussen.
- Infektionen oder akute entzündliche Prozesse an der Wirbelsäule.
- Mangelnde Compliance (fehlende Therapieeinhaltung) oder Kontraindikationen gegen postoperative Ruhigstellung.
Operationsverfahren
Die operative Therapie umfasst verschiedene Techniken:
- Dorsale Spondylodese: Fixation (Befestigung) über dorsale Zugangstechnik mittels Pedikelschrauben und Stäben.
- Ventrale Spondylodese: Anwendung bei bestimmten Krümmungsmustern mit zusätzlicher ventraler Stabilisierung.
- Magnetisch distrahierbare Stäbe (MCGR): Einsatz bei Kindern zur nicht-invasiven Verlängerung.
Mögliche Komplikationen
- Allgemeine Operationsrisiken
- Notwendigkeit von Bluttransfusion mit Fremdblut
- Fehllage der Pedikelschrauben (mediale Lage einer oder mehrerer Pedikelschrauben) → neurologische Risiken
- Neurologische Ausfälle in Rahmen der Skoliosekorrektur
- Verletzungen von Dura, Rückenmark und Nerven mit Querschnittläsion mit Inkontinenz (Unfähigkeit, den Harn zurückzuhalten), Hyp-, Dys- und Parästhesie (Empfindungsstörungen), Störung der Pallästhesie (Vibrationsempfinden) oder Hyperpathie (Überempfindlichkeit für sensible Reize)
- Pareserisiko (Lähmungsrisiko)
- Liquorlecks (Austreten von Hirnwasser (Liquor) aus den Liquorräumen) mit möglicher Liquorfistel
- Pleuraverletzungen (Brustfellverletzung), die eine Thoraxdrainage (Ableitungssystem, das dazu dient, Flüssigkeiten und/oder Luft aus dem Brustkorb (Thorax) zu drainieren) erfordern
- Gefäßverletzungen mit Nachblutungen
- Atemwegsinfektion
- Harnwegsverletzungen
- Darmatonie ("Darmlähmung") mit Subileus (Vorstufe des Ileus) und Ileus (Darmverschluss) sowie Folgeoperationen
- Lungenkomplikationen (1-18 %) – In einer Studie hatten 82 von 703 Patienten (= 11,8 %) postoperativ Lungenkomplikationen: Pleuraerguss (Flüssigkeitsansammlung in der Pleurahöhle, dem schmalen Spalt zwischen den Pleurablättern) (39 Patienten), Pneumonie (Lungenentzündung) (33), Pneumothorax (Ansammlung von Luft neben der Lunge; je nach Ausprägung lebensbedrohliches Krankheitsbild) (3), Atemversagen (3), Hämatothorax (Blutansammlung im Pleuraspalt) (2,) Lungenödem (Wasseransammlung in der Lunge) (1) und Lungenembolie (Lungenarterienembolie; Verschluss einer Lungenarterie durch einen Thrombus (Blutgerinnsel)) (1); Lungenembolie verlief tödlich [5].
- Wundheilungsstörungen und Wundinfektionen
- Infektionsrisiko
- Ausbleiben einer knöchernen Fusion ("Verschmelzung") eines Wirbelsäulenabschnitts
- Risiko der Lockerung von Implantaten
- Eingeschränkte Beweglichkeit im stabilisierten Segment; evtl. postoperative Ruhigstellung mit einer Orthese (hier: medizinisches Hilfsmittel, das zur Stabilisierung, Entlastung, Ruhigstellung des Rumpfes/der Wirbelsäule eingesetzt wird)
- Folgeoperationen, z. B. wg. Bruch von Schrauben- oder Stäben
Beachte: Postoperativ kann die Lungenfunktion bis 60 % reduziert sein.
Postoperative Nachsorge
- Intensive Atemtherapie zur Vermeidung pulmonaler Komplikationen.
- Schmerzmanagement mit Analgetika.
- Mobilisation ab dem ersten postoperativen Tag mit Physiotherapie.
- Nachkontrollen mittels bildgebender Verfahren zur Beurteilung der Fusion.
- Gegebenenfalls postoperative Orthesenversorgung (Tragen eines medizinischen Stützkorsetts).
Vergleich der Operationsmethoden
Verfahren | Vorteile | Nachteile |
---|---|---|
Dorsale Spondylodese | Stabilität, bewährtes Verfahren | Eingeschränkte Beweglichkeit, längere OP-Dauer |
Ventrale Spondylodese | Erhalt der Beweglichkeit in nicht fusionierten Segmenten | Höheres Operationsrisiko |
MCGR (magnetisch distrahierbare Stäbe) | Nicht-invasive Verlängerung, Wachstumsanpassung | Erhöhte Kosten, regelmäßige Anpassungen notwendig |
Weitere Hinweise
- Korrektur der adoleszenten idiopathischen Skoliose in der Technik der dorsalen Spondylodese (Wirbelkörperverblockung/Operation zur Versteifung der Wirbelkörper von der Rückseite (dorsal)): In der Gruppe der operierten Skoliosepatienten war nach 5 Jahren der Level der allgemeinen Aktivität höher als bei den nicht operierten Patienten und ähnlich hoch wie bei den Kontrollen [6].
Fazit
Die operative Therapie der Skoliose stellt eine effektive Behandlungsoption dar, wenn konservative Maßnahmen nicht ausreichen oder eine hochgradige Skoliose (> 50° Cobb-Winkel) vorliegt. Neben der klassischen dorsalen Spondylodese bieten moderne Verfahren wie magnetisch distrahierbare Implantate zusätzliche Möglichkeiten zur Wachstumsanpassung. Dennoch bleibt das postoperative Management entscheidend, um mögliche Komplikationen zu minimieren und die langfristige Stabilität der Wirbelsäule zu gewährleisten.
Literatur
- Negrini S, Aneglo GA, Lorenzo A, Circo AB, de Mauroy C, Durmala J, Grivas Th, Knott P, Kotwicki T, Maruyama T, Minozzi S, O’Brien J, Papadopoulos, Rigo M, Rivard CH, Romano M, Wynne JH, Villagrasa M, Weiss HR, Zaina F (2012) 2011 SOSORT guidelines: Orthopaedic and Rehabilitation treatment of idiopathic scoliosis during growth. Scoliosis 7:3. doi: 10.1186/1748-7161-7-3
- Cheung KM, Cheung JP, Samartzis D et al.: Magnetically controlled growing rods for severe spinal curvature in young children: a prospective case series. Lancet 2012 May 26;379(9830):1967-74. doi: 10.1016/S0140-6736(12)60112-3.
- Akbarnia BA, Cheung K, Noordeen H et al.: Next generation of growth- sparing technique: preliminary clinical results of a magne tically controlled grow ing rod (MCGR) in 14 patients with early onset scoliosis. Spine 2013 Apr 15;38(8):665-70. doi: 10.1097/BRS.0b013e3182773560.
- Dannawi Z, Altaf F, Harshavardhana NS, Elsebaie H, Noordeen H: Early results of a remotely operated magnetic growth rod in early-onset scoliosis. Bone Joint J 2013 Jan;95-B(1):75-80. doi: 10.1302/0301-620X.95B1.29565.
- Wang Y et al.: Risk factors for postoperative pulmonary complications in the treatment of non‑degenerative scoliosis by posterior instrumentation and fusion. Eur Spine J 2019; https://doi.org/10.1007/s00586-019-05968-5
- Helenius L et al.: Back Pain and Quality of Life After Surgical Treatment for Adolescent Idiopathic Scoliosis at 5-Year Follow-up: Comparison with Healthy Controls and Patients with Untreated Idiopathic Scoliosis. J Bone Joint Surg Am 2019;101:1460-6
Leitlinien
- S2k-Leitlinie: Adoleszente Idiopathische Skoliose. (AWMF-Registernummer: 151-002), März 2023 Langfassung