Bandscheibenschaden (Diskopathie) – Ursachen

Pathogenese (Krankheitsentstehung)

Ein Bandscheibenprolaps (BSV, Bandscheibenvorfall) entsteht, wenn der innere Gallertkern der Bandscheibe (Nukleus pulposus) durch den äußeren bindegewebigen Ring (Anulus fibrosus) in Richtung des Spinalkanals (Rückenmarkskanal) austritt. Diese Verlagerung des Gallertkerns komprimiert häufig Nervenwurzeln und führt zu typischen Symptomen wie Rückenschmerzen, Sensibilitätsstörungen oder sogar Lähmungen. Diskopathien betreffen vor allem die Lendenwirbelsäule (LWS) und die Halswirbelsäule (HWS), während die Brustwirbelsäule (BWS) seltener betroffen ist. Der Bandscheibenprolaps ist in der Regel die Folge einer degenerativen Veränderung der Bandscheibe.

Primäre pathophysiologische Mechanismen

Initialer Pathomechanismus:

  • Degeneration des Anulus fibrosus (äußerer Faserring der Bandscheibe): Durch altersbedingte oder mechanische Überbelastung entstehen kleine Risse im bindegewebigen Ring der Bandscheibe.
    • Ursachen: Alter, Bewegungsmangel, Übergewicht oder chronische Fehlbelastungen.
    • Folge: Der geschwächte Faserring verliert seine Stabilität und ermöglicht das Austreten des Gallertkerns.
  • Verschiebung des Nukleus pulposus (Gallertkern der Bandscheibe): Der innere Kern wird durch die entstandenen Risse im Anulus fibrosus nach außen gedrückt.
    • Lokalisierung: Meist tritt der Gallertkern seitlich in den Spinalkanal ein, wo er Nervenwurzeln komprimiert und Schmerzen verursacht.

Molekulare und zelluläre Veränderungen:

  • Degeneration der Bandscheibenmatrix (strukturelles Gerüst): Der Gallertkern verliert Proteoglykane und Wasser, wodurch seine Elastizität und Fähigkeit zur Stoßdämpfung abnimmt.
    • Folge: Die Bandscheibe verliert an Höhe und Stabilität, was die gesamte Wirbelsäulenstruktur destabilisiert.
  • Zelluläre Veränderungen: Mit zunehmender Alterung und durch degenerative Prozesse nimmt die Anzahl der Zellen, die die Bandscheibenmatrix aufrechterhalten, ab.
    • Abnahme der Chondrozyten (Knorpelzellen): Diese Zellen spielen eine entscheidende Rolle bei der Reparatur und Erhaltung der Bandscheibenstruktur.

Entwicklung struktureller Veränderungen:

  • Protrusion (Vorwölbung der Bandscheibe): In einem frühen Stadium wölbt sich der Anulus fibrosus vor, ohne vollständig zu reißen.
    • Symptome: Leichte Rückenschmerzen, meist noch ohne neurologische Ausfälle.
  • Prolaps (kompletter Vorfall): Der Gallertkern tritt durch den Anulus fibrosus und gelangt in den Spinalkanal.
    • Kompression der Nervenwurzeln: Dies führt zu radikulären Schmerzen (Nervenschmerzen), die in die Extremitäten ausstrahlen.
  • Sequestration: Der prolabierte Teil der Bandscheibe löst sich komplett von der ursprünglichen Bandscheibe ab.
    • Folgen: Schwerere neurologische Symptome, da der abgelöste Sequester eine ausgeprägte Entzündungsreaktion auslöst.

Sekundäre pathophysiologische Veränderungen

Veränderungen in der Gewebsarchitektur:

  • Vorwölbung der Bandscheibe: Die Bandscheibe wölbt sich nach außen und beeinträchtigt die umliegenden Strukturen, insbesondere Nervenwurzeln.
    • Mechanische Belastung: Führt zur Instabilität der betroffenen Wirbelsäulensegmente.
  • Kompression der Nervenwurzeln: Der Austritt des Gallertkerns komprimiert die Nervenwurzeln, was zu schmerzhaften Reizungen und Entzündungen führt.
    • Wurzelreizsyndrom: Je nach betroffener Nervenwurzel (z. B. L5 oder S1) treten Schmerzen und neurologische Defizite in den Extremitäten auf.

Beteiligung des umgebenden Gewebes:

  • Entzündungsreaktion: Durch die mechanische Irritation der Nervenwurzeln kommt es zu einer entzündlichen Reaktion im betroffenen Gewebe.
    • Schwellung und Schmerzen: Die Entzündung verstärkt die Schmerzsensation und beeinträchtigt die Beweglichkeit.

Vaskuläre Veränderungen:

  • Durchblutungsstörungen: Die Kompression der Nervenwurzeln kann die Blutzirkulation im betroffenen Bereich beeinträchtigen.
    • Folgen: Sauerstoffmangel (Hypoxie) verschlimmert die Nervenschäden und verlängert die Heilungszeit.

Klinische Manifestation

Leitsymptome:

  • Rückenschmerzen: Lokale Schmerzen im Bereich der betroffenen Wirbelsäulenregion, verstärkt durch Bewegung wie Bücken, Heben oder Drehen.
    • Häufigkeit: 62 % der Bandscheibenvorfälle betreffen die Lendenwirbelsäule, 36 % die Halswirbelsäule, und nur 2 % die Brustwirbelsäule.
  • Radikuläre Schmerzen (Nervenschmerzen): Schmerzen, die von der Wirbelsäule in die Extremitäten ausstrahlen, je nach betroffener Nervenwurzel.
    • Typische Lokalisation: Schmerzen, die in das Bein (Lumbago-Ischialgie) oder den Arm (Zervikobrachialgie) ausstrahlen.

Fortgeschrittene Symptome:

  • Sensibilitätsstörungen: Taubheitsgefühl, Kribbeln oder verminderte Sensibilität entlang der betroffenen Nervenwurzel.
    • Betroffene Segmente: Häufig sind die Nervenwurzeln L5 und S1 betroffen, was zu Empfindungsstörungen im Bein führt.
  • Motorische Ausfälle: Schwäche oder Lähmung in den betroffenen Extremitäten.
    • Beispiel: Fußheberschwäche bei L5-Syndrom.

Progression und Organbeteiligung

Lokale Gewebeveränderungen:

  • Höhenverlust der Bandscheibe: Der zunehmende Abbau des Bandscheibengewebes führt zu einem Höhenverlust der betroffenen Bandscheibe.
    • Folge: Die Stabilität des betroffenen Wirbelsäulensegments wird beeinträchtigt, was zu chronischen Schmerzen führt.
  • Verschiebung der Wirbelkörper: Eine Instabilität der Wirbelsäule kann zu einer Verschiebung der Wirbelkörper führen (Spondylolisthesis).
    • Erhöhte Schmerzempfindlichkeit: Die Wirbelkörperbewegung verstärkt die mechanische Reizung der Nervenwurzeln.

Systemische Auswirkungen bei chronischen Verläufen:

  • Chronische Schmerzen: Durch die anhaltende Kompression der Nerven und die Instabilität der Wirbelsäule entstehen langfristige Schmerzen und Bewegungseinschränkungen.
    • Folge: Einschränkung der Lebensqualität durch chronische Rückenschmerzen.

Funktionelle Auswirkungen und strukturelle Schäden

Beeinträchtigung der mechanischen Eigenschaften:

  • Verminderte Beweglichkeit: Die Degeneration der Bandscheibe und die Instabilität der Wirbelsäule führen zu einer eingeschränkten Beweglichkeit.
    • Folge: Steifheit und Schmerzen bei alltäglichen Bewegungen wie Bücken oder Heben.
  • Mechanische Schmerzen: Instabile Wirbelsäulensegmente führen zu anhaltenden Schmerzen durch Reibung und Druck auf die Nervenwurzeln.

Reduzierte Funktionalität:

  • Einschränkung der Alltagsaktivitäten: Heben, Bücken oder Sitzen werden zunehmend schmerzhaft und beeinträchtigen die Lebensqualität.
    • Bewegungseinschränkung: Betroffene Personen sind in ihrer Mobilität stark eingeschränkt.

Schmerzentstehung:

  • Mechanische Reizung der Nervenwurzeln: Die mechanische Kompression der Nervenwurzeln führt zu anhaltenden Schmerzen.
    • Chronischer Schmerz: Die anhaltende Nervenreizung und Entzündungen verursachen chronische Schmerzen.

Regenerative und kompensatorische Prozesse

Versuche der Geweberegeneration:

  • Fehlgeschlagene Regeneration: Die Bandscheibe hat eine eingeschränkte Fähigkeit zur Selbstheilung, und Narbengewebe ersetzt oft die ursprüngliche Struktur.
    • Folge: Minderwertiges Gewebe kann die mechanische Belastung nicht ausreichend kompensieren.

Kompensatorische Anpassungsmechanismen:

  • Überlastung der umliegenden Muskulatur: Die benachbarten Muskeln kompensieren die Instabilität der Wirbelsäule, was zu Muskelverspannungen und Schmerzen führt.
    • Folge: Überlastung anderer Muskeln und Gelenke.

Limitierende Faktoren für Regeneration und Heilung:

  • Degenerative Prozesse: Die fortschreitende Degeneration der Bandscheibe begrenzt die Heilungschancen.
    • Schlechte Durchblutung: Die Bandscheiben haben eine eingeschränkte Blutversorgung, was die Heilung erschwert.

Zusammenfassung

Ein Bandscheibenprolaps entsteht durch degenerative Veränderungen der Bandscheibe, bei denen der innere Gallertkern durch den äußeren Faserring austritt und auf Nervenwurzeln drückt. Dieser Prozess führt zu starken Rückenschmerzen, radikulären Schmerzen und neurologischen Ausfällen. Ohne frühzeitige Behandlung kann die Erkrankung zu chronischen Schmerzen und erheblichen Bewegungseinschränkungen führen.

Diverses

Krankheitsbilder wie "Hals-und Lendenwirbelsäulen-Syndrome" sind häufig auf Grundlage einer Bandscheibendegeneration: 36 % der Erkrankungen betreffen die Halswirbelsäule und 62 % die Lendenwirbelsäule, "Thorakalsyndrome" sind selten mit 2 %.

Die häufigsten Lokalisationen (95 %) des Bandscheibenprolaps sind:

  • zwischen LWK (Lendenwirbelkörper) 4 und 5 → Wurzelreizsyndrom L5 (medialer BSP), L4 (lateraler BSP)
  • zwischen LWK 5 und SWK 1 (Sakralwirbelkörper/Kreuzbeinwirbeln) → Wurzelreizsyndrom S1

Der Schweregrad einer Diskopathie wird wie folgt definiert:

  • Protrusion mit Vorwölbung des Anulus fibrosus
  • Prolaps in die Foramina vertebralia (Zwischenwirbellöcher) bzw. seltener in den Spinalkanal (Wirbelkanal) nach Perforation (Durchbohrung) des Ligamentum longitudinale posterius (hinteres Längsband)
  • Sequestration, d. h. die prolabierten Anteile (Sequester) haben keine Verbindung mit der Bandscheibe

Ätiologie (Ursachen)

Biographische Ursachen

  • Genetische Prädisposition
  • Lebensalter – höheres Alter
  • Berufe – Berufe mit
    • Arbeitstätigkeiten, die im Sitzen verrichtet werden und bei denen auf den ganzen Körper Vibrationen einwirken (z. B. durch ältere und ungefederte landwirtschaftlichen- und Transportfahrzeugen)
    • Heben oder Tragen schwerer Lasten oder Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung
    • vorwiegend vertikaler Einwirkung von Ganzkörperschwingungen im Sitzen

Verhaltensbedingte Ursachen

  • Genussmittelkonsum
    • Tabak (Rauchen) – kann Ursache degenerativer Bandscheibenprozesse sein
  • Übergewicht (BMI ≥ 25; Adipositas) – Fettleibigkeit

Medikamente

  • Glucocorticoide sind Medikamente gegen Entzündungen. Außerdem werden sie bei überaktivem Immunsystem – beispielsweise bei allergischen Reaktionen – eingesetzt. Sie können bei oraler Langzeittherapie (also Einnahme von Tabletten) zu Osteoporose-bedingten Frakturen (Knochenbrüchen) führen und dadurch zu Rückenschmerzen.

Achtung!
Drei Monate oder länger systemische Glucocorticoidtherapie erhöht das Osteoporoserisiko um 30-50 Prozent. Bei einer Therapie mit Dosieraerosolen, wie beispielsweise beim Asthma bronchiale tritt diese Nebenwirkung nicht auf.

Weitere Ursachen

  • Druckerhöhung im Bauchraum wie Niesen oder Husten