Radikale Prostatektomie
Die radikale Prostatektomie (RP; RPE) stellt eine urologische Operationstechnik dar, bei der beim Vorliegen eines lokal begrenzten Prostatakarzinoms die radikale Operation (vollständige Entfernung) der Prostata samt Kapsel, der Samenbläschen (Vesiculae seminales) und der regionalen Lymphknoten vorgenommen wird. Somit besteht bei der radikalen Prostatektomie der Vorteil, dass eine vollständige Tumorentfernung erfolgt und somit eine Heilung ermöglicht werden kann. Zur Durchführung der radikalen Prostatektomie liegen verschiedene etablierte operative Verfahren vor, die sich in der Operationstechnik und im operativen Zugangsweg unterscheiden, jedoch alle prinzipiell zur vollständigen Entfernung der erkrankten Prostata führen.
Indikationen (Anwendungsgebiete)
- Prostatakarzinom (Prostatakrebs) − die radikale Prostatektomie, primär die retropubische Form (RRP), wird bei Patienten mit einem lokalisierten Prostatakarzinom bei gleichzeitiger Lebenserwartung von mindestens zehn Jahren als kurative Therapie der Wahl eingesetzt. Der Einsatz der radikalen Prostatektomie wird als Goldstandard angesehen, da es sich bei dieser Methode um das einzige kurative Verfahren handelt, welches in verschiedenen qualitativ hochwertigen randomisierten Studie im Vergleich zur konservativen Therapie zu einer geringeren Mortalität führt [1, 2]. Aufgrund dessen werden neue Therapieverfahren mit den funktionellen und onkologischen Ergebnissen der radikalen Prostatektomie verglichen.
- Beachte: Bei Patienten mit "sehr niedriges Risiko", d. h. der Tumor befindet sich im Stadium T1c, die PSA-Konzentration liegt bei unter 10 ng/ml, der Gleason-Score bei höchstens 6 in bis zu vier positiven Biopsien bei einer Gesamttumorlänge von höchstens 8 mm, spricht vieles für eine aktive Überwachung [8, 9].
Die Strategie der aktiven Überwachung wird mittlerweile auch in der deutschen S3-Leitlinie propagiert.
Kontraindikationen (Gegenanzeigen)
- Schwere chronische Lungenerkrankungen: Bei laparoskopischer Prostatektomie kann das erhöhte Risiko während der Anästhesie eine Kontraindikation darstellen.
- Schwere Herzinsuffizienz (Herzschwäche): Erhöhtes Risiko bei allen chirurgischen Eingriffen, einschließlich Prostatektomie.
- Peritonitis (Bauchfellentzündung) oder Ileus (Darmverschluss): Kontraindikationen für laparoskopische Eingriffe aufgrund des erhöhten Risikos und der technischen Schwierigkeiten.
- Aktive Blutung oder großes Aortenaneurysma (krankhafte Ausweitung der Bauchaorta): Erhöhtes Risiko während der Operation.
- Deutlich beeinträchtigter Allgemeinzustand: Hier kann das Operationsrisiko den Nutzen übersteigen.
Vor der Operation
- Absetzen von Antikoagulantien (Gerinnungshemmer) − das Absetzen von blutverdünnenden Medikamenten wie Acetylsalicylsäure (ASS) oder Marcumar sollte in Absprache mit dem behandelnden Arzt erfolgen. Durch das kurzzeitige Aussetzen der Medikamenteneinnahme wird das Risiko für Nachblutungen oder intraoperative Blutungen deutlich minimiert, ohne dass eine signifikante Risikozunahme für den Patienten besteht. Sollten Krankheiten vorliegen, die das Blutgerinnungssystem beeinflussen können und diese dem Patienten bekannt sind, so muss dies dem behandelnden Arzt mitgeteilt werden.
- Absetzen von Antidiabetika (Medikamente zur Behandlung des Diabetes mellitus) − Arzneimittel wie Metformin sollten in der Regel mindestens 24 bis 48 Stunden vor der Operation abgesetzt werden, da durch die Einnahme des Medikaments bei der Narkose ein erhöhtes Risiko für eine Laktatazidose (Form der metabolischen Azidose (stoffwechselbedingten Übersäuerung), bei der ein Abfall des pH-Wertes im Blut durch die Anhäufung von saurem Lactat/Milchsäure bedingt) besteht.
Die Operationsverfahren
- Retropubische radikale Prostatektomie (RRP) – der retropubische Zugangsweg stellt den ursprünglichen Weg mittels Schnitt im Unterbauch dar. Als wichtiger Vorteil dieser Operationstechnik ist anzusehen, dass eine übersichtliche Lymphadenektomie (Lymphknotenentfernung) möglich ist. Als wichtiger Nachteil ist jedoch anzusehen, dass ein relativ hoher Blutverlust im Vergleich zu anderen OP-Techniken auftritt. Der Unterbauchschnitt wird vom Nabel beginnend bis zur Symphyse (knorpelige Knochenverbindung zwischen den beiden Schambeinen, auch Schambeinfuge genannt) durchgeführt. Zunächst erfolgt die Durchtrennung des vorderen Blattes der Rektusscheide (von den Sehnenplatten der Muskeln der vorderen Bauchwand gebildete Hülle um den Musculus rectus abdominis) und der Transversalfaszie (innerste Bauchmuskelschicht). Anschließend wird die Darstellung der Vasa iliaca externae und internae (zuführende und abführende Blutgefäße), der Harnleiter und die Vasa testicularis (Gefäße zur Versorgung des Hodens und Nebenhodens) vollzogen. Im festgelegten Bereich werden die Lymphknoten entfernt und die Prostata freigelegt. Neben der Entfernung der Prostata, der Lymphknoten und der Samenbläschen (Vesiculae seminales) stellt die optimale Rekonstruktion der harnleitenden Organe einen wichtigen Teil der Operation dar, der für die spätere Lebensqualität entscheidend ist.
- Radikale perineale Prostatektomie (RPP) – häufig wird als perianaler Zugangsweg (um den Anus herum) der Hudson-Zugang gewählt. Bei diesem Zugangsweg werden die Fasern des M. sphincter ani externus (äußerer Afterschließer) mit dem Finger stumpf nach vorn und zur Seite geschoben, sodass sich die sagittalen (von vorn nach hinten verlaufende) Fasern des Rektums darstellen. Neben dem Hudson-Zugang können auch weitere Zugangswege wie der Young-Zugang genutzt werden. Die radikale perianale Prostatektomie kann nicht genutzt werden, wenn Hüfterkrankungen oder Wirbelsäulenerkrankungen vorliegen, die eine Steinschnittlage nicht ermöglichen. Außerdem ist ein Gewicht der Prostata von über 100 g nicht perianal operabel.
- Laparoskopische radikale Prostatektomie – zur Durchführung der laparoskopischen radikalen Prostatektomie werden zunächst fünf Zugänge im Unterbauch angelegt, um die Samenwege, die Samenblasen und im Anschluss hieran die Prostata freizulegen und zu entfernen. Um eine adäquate Blutstillung zu erreichen, wird eine elektrische Koagulation durchgeführt. In der Regel wird bei der Operation der intraperitoneale Zugangsweg (innerhalb des Bauchfells) verwendet. Von Vorteil bei der laparoskopischen Prostatektomie sind insbesondere die geringeren Blutverluste.
- Roboter-assistierte radikale Prostatektomie (RARP) – das primäre Ziel durch den Einsatz von Robotern (z. B. Da-Vinci-Roboter) ist der Erhalt der Potenz bei gleichbleibender Heilungschance; s. u. auch "Weitere Hinweise".
Beachte: Wird oberhalb der Prostata ein langer Harnröhrenstumpf belassen, vermindert dies das Ausmaß der Harninkontinenz (unwillkürlicher, unfreiwilliger Harnverlust) nach einer radikalen Prostatektomie [12].
Anästhesieverfahren: Allgemeinanästhesie (Vollnarkose)
Operationsdauer
- Dauer: Die Operationsdauer einer radikalen Prostatektomie kann je nach der angewandten Technik und den individuellen Gegebenheiten des Patienten variieren.
- Retropubische radikale Prostatektomie (RRP): Diese kann etwa 2 bis 4 Stunden dauern. Der retropubische Zugang ermöglicht eine gute Übersicht, kann aber aufgrund von Blutverlusten und der Komplexität des Eingriffs länger dauern.
- Radikale perineale Prostatektomie (RPP): Die Dauer dieses Eingriffs kann etwas kürzer sein als die der RRP, aber sie hängt auch von Faktoren wie Prostatagröße und anatomischen Besonderheiten ab.
- Laparoskopische radikale Prostatektomie: Diese Methode kann zwischen 2 und 4 Stunden dauern, abhängig von der Erfahrung des Chirurgen und der Komplexität des Falles.
- Roboter-assistierte radikale Prostatektomie (RARP): Die Dauer ähnelt der laparoskopischen Prostatektomie, kann aber aufgrund der Präzision und Effizienz des Robotersystems in einigen Fällen kürzer sein.
Nach der Operation
- Frühe Mobilisierung: Zur Vermeidung von Thrombosen und Embolien.
- Entfernung der Wunddrainage: In der Regel nach wenigen Tagen, abhängig von der Fördermenge.
- Entfernung des Urin-Dauerkatheters: Üblicherweise innerhalb einer Woche nach der Operation.
- Zystogramm (Röntgenuntersuchung der Harnblase): Überprüfung der Dichtigkeit der Blasen-Harnröhren-Verbindung.
Mögliche Komplikationen
Frühe Komplikationen
- Nachblutungen − als verhältnismäßig häufige Komplikation lassen sich Nachblutungen beobachten, die allerdings für gewöhnlich selbstlimitierend sind. Sollte eine Blutung nicht von selbst sistieren, so kann eine operative Nachkoagulation im Rahmen eines zweiten Eingriffs notwendig sein.
- Verletzungen des Rektums (Enddarms) − Bei Verletzungen des Enddarms wird in der Regel eine direkte intraoperative Behandlung durchgeführt.
Späte Komplikationen
- Harninkontinenz (unwillkürlicher, unfreiwilliger Harnverlust) − durch narbige Veränderungen der Harnröhre oder muskuläre Läsionen (Muskelschädigung) kann eine Harninkontinenz bedingt sein.
- Erektile Dysfunktion (ED; Erektionsstörung)
- Trotz nervenschonender Operationsverfahren stellt die erektile Dysfunktion eine häufige Komplikation des Operationsverfahrens dar. Laut einer dänischen Studie sind die Erektionen nur bei ca. 7 % der Männer so stark wie vor der Operation [6].
- 12 Jahre nach der Prostatektomie zeigte sich ein mehr als 7-fach erhöhtes Risiko auf Komplikationen der Harnwege und der Sexualfunktion [18].
- Missempfindungen und Gangstörungen − durch die Verletzung von Nerven in der Haut und in der Muskulatur können bleibende oder temporäre Missempfindungen, Gangstörungen und Taubheitsgefühle entstehen. Bleibende Folgen von Nervenläsionen sind jedoch relativ selten.
- Anastomosenstenose (präoperative Risikofaktoren sind Übergewicht, Diabetes mellitus, arterielle Hypertonie und Rauchen; vor der Prostatektomie vorgenommene transurethrale Resektion der Prostata (TUR-P) und eine große Prostata bei Prostatektomie); Auftreten in der Regel innerhalb der ersten sechs Monate nach Prostatektomie, ganz selten nach mehr als zwei Jahren (Häufigkeit: 0,2 bis 10 %)
Weitere Hinweise
- Bei einer radikalen Prostatektomie ist eine Inguinalhernie (Leistenbruch) kein seltener neben Befund: Bei 8,6 % der Patienten stellten Operateure zusätzlich eine Leistenhernie fest, bei einem Viertel dieser Patienten beidseitig. Weniger als die Hälfte der Hernien war vor der Operation diagnostiziert worden. Ein besonders hohes Risiko für die Entwicklung einer Inguinalhernie hatten Patienten mit präoperativem IPSS (International Prostate Symptom Score) von ≥ 15 (Score von 1-35). Bei ihnen lag das Risiko für eine notwendige Hernienoperation zum Zeitpunkt der Prostatektomie bei 22,4 % [7].
- Gemäß einer Studie treten Rezidive (Wiederauftreten der Erkrankung) meist in den ersten zwei Jahren auf. Fünf Jahre nach dem Eingriff waren insgesamt 71,2 % der Patienten krebsfrei (5-Jahres-DFS), zehn Jahre danach 48,7 %. Die Wahrscheinlichkeit rezidivfrei (rückfallfrei) zu bleiben, stieg mit jedem Jahr, das verging: das krankheitsfreie Überleben (CDFS; conditional disease-free survival) stieg mit jedem Jahr [10]:
- 1. Jahr (noch kein Rezidiv): 77,4 % der Patienten nach 5 Jahren noch krebsfrei
- 2. Jahr: 82,1 %
- 3. Jahr: 94,0 %
Fazit: Die rezidivfreie Zeit ist damit der wichtigste Prognosefaktor für das langfristige Überleben. - Daten zur Langzeitprognose nach Prostatektomie wegen lokalisiertem Prostatakrebs: Wahrscheinlichkeit von etwa 27 % eines biochemischen Rezidivs (BCR); bei Männern mit BCR wurde eine Wahrscheinlichkeit von 11 %, Metastasen (Tochtergeschwülste) zu entwickeln nachgewiesen; diese überlebten fast 9 Jahre nach der Metastasierung [15].
- Roboter-assistierte Prostatektomie (RARP) [11]:
- kaum bis keine Unterschiede der operativen Komplikationen (RR 0,41; 95 %-KI 0,16-1,04) oder schweren postoperativen Komplikationen (RR 0,16; 95 %-KI 0,02-1,32).
- reduziert wahrscheinlich die Länge des Krankenhausaufenthalts (MD -1,72; 95 %-KI −2,19 bis -1,25)
- reduziert die Häufigkeit von Bluttransfusionen (RR 0,24; 95 %-KI 0,12 bis 0,46)
- Männer mit lokalisiertem Prostatakarzinom erreichten durch die radikale Prostatektomie einen Zugewinn an Lebenserwartung von durchschnittlich 2,9 Jahren: 8,4 Männer müssen sich dafür einer radikalen Prostatektomie, um einen Todesfall jeglicher Ursache zu vermeiden, unterziehen. Beobachtungsdauer betrug 23,6 Jahre. [13].
Beachte: Da über 65-jährige Patienten mit einer Niedrigrisiko-Konstellation nur selten an den Folgen eines Prostatakarzinoms sterben, sollte die Indikationsstellung für eine radikale Prostatektomie in dieser Patientengruppe sorgfältig abgewogen werden. - Das 10-Jahres-Gesamtüberleben nach radikaler Prostatektomie war für Männer mit niedrig- und intermediärgradigem Prostatakarzinom höher, als nach den Sterbetafeln der Allgemeinbevölkerung zu erwarten gewesen wäre [14].
- Harninkontinenz
- Prognosefaktor für eine postoperative Harninkontinenz nach radikaler Prostatektomie: Die Länge der membranösen Urethra scheint ein geeigneter Prognosefaktor zu sein. Dieser Abschnitt der Harnröhre verläuft durch den Beckenboden, umschlossen vom Musculus sphincter urethrae externus, Im Schnitt ist die Pars membranacea 10-20 mm lang. Bei einer Schwellenlänge von 12 mm für die Unterscheidung kontinenter und inkontinenter Patienten drei Monate postoperativ, betrug die Sensitivität 80 % und die Spezifität 70 % [16].
- Eine radikale Prostatektomie hat auch nach 10 Jahren noch eine schlechtere Harnkontinenz zur Folge, aber keinen Effekt auf die sexuelle Funktion [17]:
- Prostatektomie war im Vergleich zur aktiven Überwachung mit einer stärkeren Harninkontinenz (-12,1; 95-%-Konfidenzintervall [KI] -16,2 bis -8,0), aber nicht mit einer schlechteren sexuellen Funktion (-7,2; 95-%-KI -12,3 bis -2,0) assoziiert.
- Eine perkutane Bestrahlung mit Androgendeprivationstherapie (ADT) wirkte sich ebenfalls langfristig aus: perkutane Bestrahlung mit ADT versus Prostatektomie: war mit schlechterem Darm- (-4,9; 95-%-KI -9,2 bis -0,7) sowie Hormonfunktion (-4,9; 95-%-KI -9,5 bis -0,3) assoziiert.
Literatur
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Leitlinien
- S3-Leitlinie: Prostatakarzinom. (AWMF-Registernummer: 043 - 022OL), Mai 2024 Kurzfassung Langfassung