Cochleaimplantation
Das Cochlea-Implantat (CI) (engl. cochlear implant) ist eine elektronische Innenohrprothese für Menschen mit starker bis hochgradiger Hörminderung (vollständige Ertaubung) oder auch bei einer nicht mehr ausreichenden Innenohrfunktion. Das CI stimuliert dabei direkt neuronale Strukturen des sensorischen Nervensystems (sensorische Nerven leiten Informationen zum Zentralnervensystem) an verschiedenen Orten in der Hörschnecke. Voraussetzung ist dabei, dass der Hörnerv als Teilorgan der auditiven Wahrnehmung noch funktionsfähig ist.
Das Einsetzen des Cochlea-Implantats wird als Cochleaimplantation bezeichnet.
Falls eine beidseitige Hörminderung vorliegt, ist altersunabhängig eine bilaterale CI-Versorgung notwendig.
Die Prävalenz (Krankheitshäufigkeit) von Hörstörungen bei Erwachsenen wird mit 16-25 % angegeben. Sie beträgt im Kindes- und Jugendalter ca. 1-4 %; eine hochgradige Hörminderung wird mit 0,01 Prozent geschätzt.
Schwerhörigkeiten, die mittels konventioneller Hörgeräte nicht erfolgreich zu versorgen sind, können bei Kindern zu schwerwiegenden Hör- und Sprachentwicklungsstörungen führen. Bei Erwachsenen führen Schwerhörigkeiten in solchen Fällen zu kommunikativer und sozialer Isolation.
In Deutschland sind ca. 25.000 bis 30.000 Menschen mit einem Cochlea-Implantat ausgestattet.
Zielsetzung der Cochleaimplantation
Die primäre Zielsetzung der Cochleaimplantation ist es, die Hörfähigkeit und somit die Lebensqualität von Personen mit schweren Hörstörungen signifikant zu verbessern. Durch die direkte elektrische Stimulation des Hörnervs ermöglicht das CI den Betroffenen, Klänge und Sprache zu erkennen und zu verstehen, was oft zu einer erheblichen Verbesserung der kommunikativen Fähigkeiten führt. Dies ist besonders wichtig für die sprachliche und soziale Entwicklung von Kindern, kann aber auch Erwachsenen helfen, ihre soziale Isolation zu überwinden und ihre kommunikativen Fähigkeiten zu verbessern.
Indikationen (Anwendungsgebiete)
- Hochgradig hörgeschädigte bis völlig ertaubte Menschen:
- kongenitale bilaterale ("angeborene beidseitige") an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit/Taubheit (HST)
- beidseitige hochgradige HST
- einseitige HST bei normalem Gehör des Gegenohres
- HST nach Meningitis (Hirnhautentzündung)/Labyrinthitis (Entzündung des Innenohres)/Trauma (Verletzung)
Eine gemittelte Hörschwelle von > 70 dB HL (engl. hearing level [Hörschwelle])) gilt heutzutage als Grenze für die CI-Indikation. Ab dieser Grenze ist mit konventionellen Hörgeräten im Regelfall kein ausreichendes Sprachverstehen mehr möglich.
Kontraindikationen (Gegenanzeigen)
- Absolute Kontraindikationen [S2k-Leitlinie]
- Fehlen der Cochlea bzw. des Hörnervs
- Nicht sichergestellte postoperative Rehabilitation und Nachsorge
- Zentrale Taubheit mit Funktionsstörungen der zentralen Hörbahn
- Relative Kontraindikationen
- Mittelohrinfektionen
- Negativer subjektiver Promontoriumstest (s. u. "Vor der Operation")
- Therapieresistente Krampfleiden
- Schwere Allgemeinerkrankungen
Vor der Operation
- Präoperative Diagnostik zur Indikationsstellung zur Cochleaimplantation unter Berücksichtigung von Kontraindikationen.
- Hör- und Gleichgewichtsdiagnostik
- Promotionstest (Verfahren zur Untersuchung der Reizweiterleitung vom Innenohr über den Hörnerv zum Stammhirn)
Durchführung: Eine elektrisch leitfähige Nadel wird durch das Trommelfell gestoßen und auf das Promontorium tympani (Vorwölbung (Promontorium) der medialen Paukenhöhlenwand durch die basale Schneckenwindung) aufgesetzt. Am Mastoid (Warzenfortsatz) und meist zwei weiteren Punkten des Kopfes werden Messelektroden aufgesetzt. Über die Nadelelektrode werden dann Spannungsimpulse eingeleitet, die vom Hörnerv aufgefangen und über die Hörbahn bis zum Kortex weitergeleitet werden.
Ein positiver subjektiver Promotionstest liegt vor, wenn der Patient dabei ein "Kribbeln" oder anderweitiges "Hörgefühl" wahrnimmt.
Beim objektiven Promotionstest handelt es sich um eine Hirnstammaudiometrie (Synonym: brainstem evoked response audiometry, BERA). Der Patient muss dazu entspannt liegen und wird lokal anästhesiert; bei Kindern wird eine Narkose empfohlen. - Beurteilung der Operabilität
- Gehörlos geborene Kinder werden durch das obligate Neugeborenen-Hörscreening im Regelfall frühzeitig erkannt.
- Bei Erwachsenen muss mittels einer Hördiagnostik die Innenohrschwerhörigkeit bestätigt werden.
Beachte: Schallleitungsschwerhörigkeit, Schwerhörigkeiten durch Hörnervenerkrankung sowie Schädigung der zentralen Hörbahn sind keine Indikation für ein Cochlea-Implantat. - Vorhandensein des Hörnervs, die Flüssigkeitsfüllung der Cochlea und der Ausschluss chronischer Ohrerkrankungen oder Fehlbildungen erfolgt im Regelfall durch eine hochauflösende Computertomographie (CT) bzw. Magnetresonanztomographie (MRT).
Die Operation
- Zugang zur Cochlea: Der chirurgische Zugang erfolgt typischerweise über einen Schnitt hinter dem Ohr. Von dort aus wird der Warzenfortsatz (Mastoid) freigelegt.
- Eröffnung der Cochlea: Nach der Präparation des Mastoids wird die Cochlea, die Hörschnecke, erreicht. Eine kleine Öffnung wird vorsichtig in die Cochlea gebohrt, um den Elektrodenträger einzuführen.
- Einführen des Elektrodenträgers: Der Elektrodenträger des Cochlea-Implantats wird dann in die Cochlea eingeführt. Dieser Träger enthält mehrere Elektroden, die den Hörnerv direkt stimulieren.
- Bilaterale Implantation: Bei Patienten mit beidseitiger Schwerhörigkeit kann eine bilaterale (beidseitige) Implantation, entweder simultan (gleichzeitig) oder sequenziell (nacheinander), in Betracht gezogen werden. Diese Entscheidung hängt von verschiedenen Faktoren, wie dem individuellen Hörverlust und den Bedürfnissen des Patienten ab.
- Teilimplantierbares System: Das Cochlea-Implantat besteht aus einem externen Teil, dem Sprachprozessor, der hinter dem Ohr getragen wird, und einem internen Teil, dem eigentlichen Implantat.
- Signalübertragung: Der Sprachprozessor fängt Schallwellen auf und wandelt sie in elektrische Signale um. Diese Signale werden dann über eine Induktionsspule, die magnetisch an der Kopfhaut haftet, zum Implantat übertragen. Das Implantat leitet diese Signale dann an die Elektroden in der Cochlea weiter.
Anästhesieverfahren: Allgemeinanästhesie (Vollnarkose)
Operationsdauer: 2-4 Stunden
Nach der Operation
Nach der Operation wird das Implantat in der Regel nach einer Heilungsphase aktiviert. Anschließend beginnt ein Prozess der Rehabilitation und des Hörtrainings, um dem Patienten zu helfen, die durch das Cochlea-Implantat übertragenen Klänge und Sprache zu interpretieren.
Hörrehabilitation – diese dient der Erlangung bzw. Wiedererlangung der Hör- und Sprachfähigkeit eines Patienten. Dieser Prozess zieht sich über mehrere Monate bis Jahre hin. Die verschiedenen Abschnitte der Hörrehabilitation werden unterteilt in Basis- und Folgetherapie sowie in die Nachsorge:
- Basistherapie (Erstanpassungsphase des Audioprozessors), d. h. Festlegen der individuellen Reizstromstärke und Stimulationsparameter, erfolgt durch CI- Audiologen.
- Folgetherapie erfolgt ambulant bzw. stationär auf der Grundlage interdisziplinärer Therapiekonzepte. Dabei werden Pädagogen, Audiologen und Logopäden neben Ärzten tätig.
- Die Nachsorge findet lebenslang statt und dient der langfristigen Sicherung des Hör- und Sprachverstehens.
Mögliche Komplikationen [1]
- Wundinfektion (1,9 %)
- Anästhesiologische Komplikationen (zum Beispiel postoperative Übelkeit) (4,8 %)
- Implantatdefekte (1,9 bis 3,4 %)
Weitere Hinweise
- Die postoperativen Ergebnisse bei postlingual ertaubten Patienten (Hörverlust, der erst nach Abschluss des Spracherwerbs eintritt) zeigen in der Regel eine rasche Verbesserung des offenen Sprachverstehens, die sich über 6 bis 12 Monate hinweg weiter entwickelt. Etwa 80 % der Patienten, die mit Cochlea-Implantaten (CI) versorgt wurden, erreichen ein offenes Sprachverstehen, wobei es erhebliche interindividuelle Unterschiede gibt. Neuere Implantatgenerationen führen im Durchschnitt zu einem besseren Sprachverstehen als ältere, was auf Fortschritte in der Prozessortechnologie zurückzuführen ist. Trotzdem nähern sich die Ergebnisse seit etwa 10 Jahren einem wahrscheinlichen Maximum, das auf die grundlegenden Grenzen heutiger CI-Systeme und die Beschränkungen der Elektroden-Nerven-Schnittstelle hinweist.
Literatur
- Hoff S, Ryan M, Thomas D et al.: Safety and effectiveness of cochlear implantation of young children, including those with complicating conditions. Otol Neurotol 2019; 40: 454-63 doi: 10.1097/MAO.0000000000002156
Leitlinien
- S2k-Leitlinie: Cochlea-Implantat Versorgung. (AWMF-Registernummer: 017 - 071), Oktober 2020 Langfassung