Saugglockenentbindung (Vakuumextraktion)

Die Saugglockenentbindung (Vakuumextraktion, VE; Synonyme: Vakuumentbindung; Sauglockengeburtist ein Operationsverfahren der Geburtshilfe, welches der Unterstützung der vaginalen Geburt (Geburt durch die Scheide) dient.

Der Vakuumsextraktor ist ein geburtshilfliches Gerät, das zur Beendigung der Geburt aus Schädellage (SL) in der Austreibungsperiode dient.

Verschiedene Versuche, mit einem Vakuum die Geburt zu beenden, gibt es seit 1705 immer wieder in verschiedenen Variationen. Sie waren meist nicht sehr erfolgreich, sodass die Zangenextraktion bevorzugt wurde. Erst dem Schweden Malmström gelang es 1954 durch einen konkaven Ansaugmechanismus eine Metallglocke zu entwickeln, die sich durchsetzen konnte [1].

In Deutschland wurde diese Methode im Jahr 1955 durch Evelbauer (Braunschweig) eingeführt. Die ursprünglich entwickelte Glocke war eine Metallglocke. In der Zwischenzeit gibt es Entwicklungen in Silikon (weich und hart), Gummiglocken sowie ein Einmalinstrument. Auf die Unterschiede soll hier nicht eingegangen werden.

Indikationen (Anwendungsgebiete) [1, 2, 4, Leitlinie 1]

Geburtsbeendigung aus Schädellage in der Austreibungsperiode aufgrund nachfolgender Indikationen:

  • Mutter
    • Geburtsstillstand
    • Erschöpfung der Mutter
    • Kontraindikationen (Gegenanzeigen) zum Mitpressen, z. B. kardiopulmonale, zerebrovaskuläre Erkrankungen (Herz- und Lungenerkrankungen und Erkrankungen, welche die Blutgefäße des Gehirns, d. h. die Hirnarterien oder Hirnvenen betreffen)
  • Kind
    • drohende kindliche Asphyxie (Unterversorgung des Fötus durch ungenügende Sauerstoffzufuhr durch die Nabelvene; wg. pathologischem CTG (krankhaftes fetales Herzfrequenzmuster), fetaler Hypoxie (kindlicher Sauerstoffmangel), fetaler Azidose (kindliche Übersäuerung))

Kontraindikationen (Gegenanzeigen) [1, 2, 4, Leitlinie 1]

  • Verdacht auf Missverhältnis
  • Höhenstand: oberhalb der Interspinalebene (IE; ergibt sich aus der Verbindungslinie der beiden Spinae ischiadicae/Sitzbeindorn) bei Hinterhaupteinstellung
  • Leitstelle zwischen Interspinalebene und Beckenboden bei quer verlaufender Pfeilnaht bzw. Deflexionshaltung (der größte Teil des Kopfumfanges ist bei dieser Situation noch nicht in das Becken eingetreten)
  • < 36. Schwangerschaftswoche (SSW) wegen der potentiellen Gefahr einer intrakraniellen Blutung (Hirnblutung) durch die Unreife des Kindes

Voraussetzungen [1, 2, 4, Leitlinie 1]

  • Exakte Höhenstandsdiagnostik
  • Ausschluss von Kontraindikationen (Gegenanzeigen)
  • Leere Harnblase, um ein Tiefertreten des kindlichen Kopfes nicht zu behindern und um mütterlichen Verletzungen vorzubeugen

Das Operationsverfahren

Instrumentarium

Bestandteile sind:

  • Glocke, entweder aus Metall, Silikon oder Gummi; wird in verschiedenen Öffnungsdurchmessern angeboten
  • Schlauchsystem, das die Verbindung zum unterdruckerzeugenden System herstellt
  • Vakuumsystem: es werden verschiedene Systeme angeboten, z. B. elektrisches System mit Vakuumflasche und Vakuumpumpe, Handsystem mit manueller Erzeugung des Unterdruckes

Technik [1, 2]

  • Einführen der Glocke: 
    Diese wird über die Kante in die Scheide eingeführt, um 90° gedreht und auf den kindlichen Kopf aufgesetzt.
  • Ansatz der Glocke: 
    Der Ansatz erfolgt im Bereich der Leitstelle in der Führungslinie
    • bei vorderer Hinterhauptslage: im Bereich der kleinen Fontanelle
    • bei Vorderhauptslage: im Bereich der großen Fontanelle
  • Erzeugung des Vakuums:
    Der Aufbau des Vakuums soll langsam erfolgen, möglichst über einen Zeitraum von 2 Minuten. Während des Ansaugens wird der korrekte Sitz kontrolliert, um ein Mitfassen mütterlicher Weichteile auszuschließen.
  • Probezug:
    Es wird geprüft, ob der Kopf bei der Traktion tiefer tritt.
  • Extraktion:
    Sie erfolgt wehensynchron in Führungslinie unter gleichzeitigem Mitpressen der Entbindenden, meist unterstützt durch den Kristeller-Handgriff (Methode, mit der durch wehensynchronen Druck auf das Gebärmutterdach in der Austreibungsphase die Geburt des Kindes beschleunigt werden soll bzw. kann). Bei Nachlassen der Wehe verringert sich der Zug und sistiert in der Wehenpause.
    Die eine Hand ist die „Zughand“, die andere die Kontrollhand (prüft neben der Glocke das Tiefertreten und ggf. Änderungen der Drehung des Kopfes). Bei einem Zug nicht exakt in der Führungslinie oder einem Verkannten der Glocke zieht sie Luft. Das ist das Signal, sofort die Zugrichtung zu ändern. Ein Abreißen sollte möglichst vermieden werden, weil es zu plötzlichen und ausgeprägten intrakraniellen Druckschwankungen beim Kind führen kann (Gefahr der intrakraniellen Blutung/Hirnblutung). Außerdem können Hautabschürfungen am Kopf des Kindes entstehen. Gegebenenfalls ist ein zweites Anlegen der Glocke möglich.
  • Entwicklung des Kopfes:
    Während des "Durchschneiden des Kopfes", d. h. wenn der Kopf auch in der Wehenpause in der Vulva/äußerer Bereich der weiblichen primären Geschlechtsorgane (zwischen den großen Labien/Schamlippen) sichtbar ist, d. h. stehen bleibt, tritt der Operateur auf eine Seite der Entbindenden und führt mit der Kontakthand den Dammschutz durch. Nach Entwicklung des Kopfes wird der Unterdruck abgestellt. Die Glocke lässt sich dann leicht entfernen.
    Hinweis: "Einschneiden des Kopfes" bedeutet: der Kopf erscheint während der Wehe in der Vulva und zieht sich nach Ende der Wehe wieder in die Scheide zurück.

Anästhesieverfahren: Regionalanästhesie (Epidural- oder Spinalanästhesie) oder Allgemeinanästhesie (Vollnarkose)
Operationsdauer: variabel

Mögliche Komplikationen [1-5, Leitlinie 1]

Kind

Die Komplikationen beim Kind sind abhängig von der Dauer der Vakuumextraktion, der Häufigkeit der Traktionen, des Abreißens und des erneuten Anlegens.

  • Abreißen der Glocke
  • Schwere Abschürfungen und Lazerationen (Riss- oder Schnittwunden) am kindlichen Kopf. Sie entwickeln sich bei langer Extraktionsdauer, bei Dauerzug und beim Abreißen der Glocke. In aller Regel erfolgen Rückbildung und Abheilung problemlos.
  • Artifizielles Caput succedaneum (Geburtsgeschwulst), sog. Chignon.
    Dieses ist eine Ansammlung von blutig-seriöser Flüssigkeit in der Subcutis (Unterhaut) und Cutis, hat eine diffuse Ausbreitung über die Schädelnähte hinweg, ist teigig ödematös (ödemartig; Anschwellung), etwa 5-6 cm ausladend und über die Schädelnähte hin weggehend. Charakteristisch ist ein Ringhämatom ("ringartiger Bluterguss") durch die Glocke. Dies unterscheidet das Chignon unabhängig von der Größe von der spontanen Geburtsgeschwulst. Rückbildung meist innerhalb von 12-24 Stunden.
  • Kephalhämatom (Kopfblutgeschwulst):
    Dabei handelt es sich um ein subperiostales Hämatom (Bluterguss unterhalb der Knochenhaut/Periost) und entsteht durch Zerreißen von Gefäßen zwischen Periost und Knochen durch Scherkräfte. Da das Periost an den Schädelnähten fest mit dem Knochen verwachsen ist, überschreitet es nicht die Schädelnähte (im Gegensatz zur subgalealen Blutung s. u.). Durch die Begrenzung ist der Blutverlust limitiert und hat klinisch keine Relevanz. Meistens resorbiert sich das Hämatom innerhalb von wenigen Tagen. Bei ausgeprägten Befunden kann es jedoch auch mal einige Wochen dauern. Es tritt bis zu 12 % aller Vakuum-Entbindungen auf (2 % bei Spontangeburten, 3-4 % bei Forcepsentbindungen/Zangenentbindungen).
  • Intrakranielle Blutung (Hirnblutung):
    Ursachen: mehrmaliges Abreißen der Glocke (> 2-mal). Die entstehenden intrakraniellen Druckschwankungen, die bis zu 50 mmHg betragen können, können Ursache zerebraler Blutungen sein; weitere Ursachen sind lang anhaltende Extraktionen (> 15 Minuten) und häufige Extraktionen (> 6-mal).
  • Subgaleale Blutung (subgaleales Hämatom):
    Die subgaleale Blutung entsteht zwischen Periost (Knochenhaut) und Galea aponeurotica (Muskelaponeurose) durch Ablösen der Aponeurose vom Periost und ein Einbluten in diesen anatomisch vorgebildeten Raum. Es kann sich bis zu den anatomischen Rändern der Aponeurose ausdehnen und handelt sich um eine potentiell lebensbedrohliche Komplikation der Vakuumextraktion. Im Gegensatz zum Kephalhämatom ist der Blutverlust nicht durch Schädelnähte limitiert. Bis zu 80 % des kindlichen Blutvolumens können einbluten und zum hypovolämischen Schock (Schock durch Volumenmangel) führen. Diese Komplikation tritt gelegentlich evtl. auch erst nach Stunden oder Tagen auf.
    Die Inzidenz (Häufigkeit des Auftretens) wird mit 1-4 % angegeben (bei Spontangeburt etwa 0,4/1.000). Die Mortalität (Sterberate) kann bis zu 25 % betragen. Gehäuft treten diese Komplikationen bei Platzierung der Saugglocke im Bereich der großen Fontanelle, beim Abrutschen sowie bei langen Extraktionsversuchen auf.
  • Retinablutung (Netzhautblutung):
    Retinablutungen treten nach Vakuumextraktion ebenso wie nach Forcepsentbindungen (Zangenentbindungen) häufiger auf als nach Spontangeburten. Sie sind harmlos und bilden sich ohne ophthalmologische Nachbehandlung spontan innerhalb von 4 Wochen zurück. Bleibende Sehstörungen treten nicht auf.
  • Hyperbilirubinämie (vermehrtes Vorkommen des Bilirubins im Blut):
    Hyperbilirubinämien treten nach Vakuumextraktion häufiger auf als nach Zangenoperationen. Eine phototherapeutische Behandlung ist gelegentlich notwendig.

Mutter

  • Scheidenriss
  • Labienverletzung (Verletzung der Schamlippen)
  • Dammriss
  • Episiotomie (Dammschnitt)
  • Starke Blutungen

Vakuum oder Zange?

Die Inzidenz vaginaler-operative Entbindungen beträgt 6 % aller Geburten [Leitlinie 1], davon sind etwa 5,9 % Vakuumextraktionen und etwa 0,3 % Forcepsentbindungen (Zangenentbindungen) [5]. Der lange beobachtete rückläufige Trend der Zangenextraktionen hält an.

Aus den Publikationen kann entnommen werden, dass es keine Empfehlungen gibt, ob eine Vakuumextraktion oder eine Zangenentbindung vorteilhafter ist. Häufig hängt die Anwendung auch von der Erfahrung des Geburtshelfers in dieser Methode ab. Beide Methoden haben Vor- und Nachteile.

Nachteile der Vakuumextraktion sind kindliche Verletzungen im Bereich der Ansaugstelle des Vakuumextraktors, Abschürfungen, Lazerationen, akzidentelles Caput succedaneum, Kephalhämatom, subgaleale Blutung (sie sind häufiger bei Vakuumextraktion mit der Metallglocke, seltener mit weichen Glocken, bei denen wiederum das Abreißen häufiger ist).

Nachteile der Zangenextraktion (Geburt, bei der das Kind durch eine am Kopf angelegte Geburtszange extrahiert wird) sind eine schwierigere Handhabung und eine erhöhte Verletzungsgefahr mütterlicher Weichteile.

Literatur

  1. Jaekel N: KiwiOmniCup als neues geburtshilfliches Instrument im Vergleich zur konventionellen Vakuumextraktion (Inaugural – Dissertation) 2010. urn:nbn:de:bvb:29-opus-23756
  2. Weitzel HK, Hopp H: Vaginal-operative Entbindung. In: Schneider H, Husslein P, Schneider KTM, Hrsg: Die Geburtshilfe 2. Auflage, Springer 2004, S.732 ff
  3. Åberg K, Norman M, Pettersson K, Järnbert-Pettersson H, Ekéus C: Protracted vacuum extraction and neonatal intracranial hemorrhage among infants born at term: a nationwide case-control study. Acta Obstet Gynecol Scand. 2019 Apr;98(4):523-532. doi: 10.1111/aogs.13519. Epub 2019 Jan 23.
  4. Jorch G, Costa SD: Geburtstraumatische Schädigungen 4.1: Verletzungen des Schädels und der intrakraniellen Strukturen in: Jorch G, Hübler A (HRSG): die Medizin des Früh-und Reifgeborenen: Neonatologie 2010 www.thieme-connect.de › products › ebooks › S. 56-57. Print ISBN 9783131460714 · Online ISBN 9783131890610. doi: 10.1055/b-002-85528
  5. Ulsenheimer K, Vetter K: Vaginal-operative Geburtshilfe: Folgen, Vor- und Nachteile für das Neugeborene Berliner Perinatal- und Neonataldaten 2018www.ggg-b.de › vortraege

Leitlinien

  1. S1-Leitlinie: Vaginal-operative Entbindungen. (AWMF-Registernummer: 015-123), Mi 2012 Langfassung