Reisekrankheit (Kinetose) – Ursachen
Pathogenese (Krankheitsentstehung)
Die Kinetose, auch als Reisekrankheit bekannt, entsteht durch eine gestörte Verarbeitung von widersprüchlichen Sinneseindrücken im Gleichgewichtssystem. Die Symptome treten auf, wenn das Gehirn gleichzeitig unterschiedliche und widersprüchliche Signale von den Sinnesorganen erhält, die für die räumliche Orientierung und das Gleichgewicht verantwortlich sind.
Primäre pathophysiologische Mechanismen
- Konflikt zwischen visuellen und vestibulären Signalen: Die Kinetose wird hauptsächlich durch den sensorischen Konflikt zwischen den Informationen des vestibulären Systems (Gleichgewichtsorgan im Innenohr) und den visuellen Eindrücken (Sehsinn) verursacht. Zum Beispiel, wenn eine Person in einem fahrenden Auto liest, bleiben die Augen auf dem stationären Text fokussiert, während das Gleichgewichtsorgan Bewegung registriert. Diese Divergenz der Informationen führt zu einer Überlastung des zentralen Nervensystems.
- Reizung des vestibulären Systems: Die Überreizung des Gleichgewichtssystems im Innenohr durch ungewohnte oder extreme Bewegungen – wie das Schaukeln eines Schiffes oder das Fahren auf einer kurvigen Straße – führt zu einer erhöhten Empfindlichkeit gegenüber Bewegungsreizen. Dies aktiviert das Brechzentrum im Hirnstamm, was zu Übelkeit und Erbrechen führt.
- Verarbeitungsstörung im ZNS (Zentralnervensystem): Das zentrale Nervensystem hat Schwierigkeiten, die widersprüchlichen Signale zu integrieren, was zu den klassischen Symptomen der Kinetose führt. Dies kann zu einer vegetativen Überreaktion führen, bei der Symptome wie Schweißausbrüche, Blässe und Übelkeit auftreten.
Sekundäre pathophysiologische Mechanismen
- Aktivierung des Brechzentrums im Hirnstamm: Der Konflikt zwischen den sensorischen Systemen führt zu einer Aktivierung des Brechzentrums im Hirnstamm, das für das Auslösen von Erbrechen verantwortlich ist.
- Vegetative Reaktionen: Aufgrund der zentralen Stimulation kommt es zu einer Überaktivierung des autonomen Nervensystems, was zu Schweißausbrüchen, Blässe, Schwindel und Kreislaufstörungen führt.
Klinische Manifestation
- Übelkeit und Erbrechen: Dies sind die Leitsymptome der Kinetose. Sie entstehen durch die Stimulation des Brechzentrums infolge des sensorischen Konflikts.
- Schwindel: Die Störung des Gleichgewichtsorgans führt zu Schwindel, der mit der Bewegungsunfähigkeit in Verbindung steht.
- Schweißausbrüche und Blässe: Diese vegetativen Symptome treten als Folge der Aktivierung des autonomen Nervensystems auf.
- Kopfschmerzen und Unwohlsein: Begleitende Symptome, die oft im Zusammenhang mit der vestibulären Überreizung stehen.
Progression und Organbeteiligung
- ZNS-Beteiligung: Bei anhaltender Kinetose kann das zentrale Nervensystem überlastet werden, was zu schwerwiegenderen Symptomen wie Desorientierung oder in seltenen Fällen Bewusstseinsstörungen führen kann.
Funktionelle Auswirkungen und strukturelle Schäden
- Beeinträchtigung der Mobilität: Betroffene sind oft stark in ihrer Fähigkeit eingeschränkt, sich während der Bewegung zu konzentrieren oder normal zu interagieren, was ihre Reise- und Alltagsaktivitäten erheblich einschränkt.
Regenerative und kompensatorische Prozesse
- Adaption: Bei wiederholter Exposition an die auslösenden Bewegungsreize kann es zu einer Adaption des Gleichgewichtssystems kommen, wodurch die Symptome der Kinetose im Laufe der Zeit nachlassen.
- Kompensatorische Mechanismen: Das Gehirn lernt, mit den sensorischen Diskrepanzen umzugehen, was die Symptome reduzieren kann.
Zusammenfassung und klinische Relevanz
Die Reisekrankheit (Kinetose) entsteht durch einen sensorischen Konflikt zwischen dem vestibulären System und den visuellen Eindrücken, was zu einer Überreizung des zentralen Nervensystems führt. Dieser Konflikt führt zu Übelkeit, Erbrechen und vegetativen Symptomen wie Schweißausbrüchen und Blässe. Die genaue Pathogenese ist noch nicht vollständig geklärt, jedoch wird angenommen, dass es sich um eine multifaktorielle Störung handelt, bei der das Zentrale Nervensystem eine zentrale Rolle spielt.
Ätiologie (Ursachen)
Biographische Ursachen
- Genetische Belastung durch Eltern, Großeltern; Zwillinge reagieren oftmals sehr ähnlich bei belastenden kinetogenen Situationen wie eine Studie an mono- und dizygoten Zwillingspaare nachweisen konnte [1].
- Hormonelle Faktoren – Frauen sind häufiger betroffen als Männer. Vermutet wird ein hormoneller Einfluss, da in der Schwangerschaft und in der prämenstruellen Phase die Anfälligkeit stärker ist.
Literatur
- Reavley CM, Golding JF, Cherkas LF, Spector TD, MacGregor AJ: Genetic influences on motion sickness susceptibility in adult women: a classical twin study. Aviat Space Environ Med 2006; 77: 1148-52