Lärmtrauma – Ursachen

Pathogenese (Krankheitsentstehung)

Ein Lärmtrauma entsteht durch die akute Schädigung der Haarzellen im Corti-Organ (Schnittstelle zwischen mechanischen Schwingungen und Nervensignalen im Innenohr), die durch plötzliche laute Geräusche wie Knall, Explosion oder andere starke Schallereignisse verursacht wird.

Primäre pathophysiologische Mechanismen

Mechanische Schädigung der Haarzellen

Lauter Schall übersteigt die Adaptationsfähigkeit des Innenohrs und führt zu einer direkten Schädigung der Haarzellen im Corti-Organ. Diese Haarzellen sind für die Umwandlung von Schallwellen in elektrische Signale verantwortlich, die dann vom Hörnerv ans Gehirn weitergeleitet werden. Durch die plötzliche Überstimulation können die Haarzellen irreversibel beschädigt oder zerstört werden.

  • Akustisches Trauma: Eine sehr hohe Schallintensität, wie bei einer Explosion, kann die empfindlichen Haarzellen schädigen oder sogar absterben lassen.
  • Knalltrauma: Ein plötzlicher, extrem lauter Schall, z. B. ein Knall oder Schuss, kann einen akuten Tonschwellenschwund verursachen, der zu einem vorübergehenden oder bleibenden Hörverlust führt.

Oxidativer Stress und Zellschäden

Zusätzlich zur mechanischen Schädigung führt das Lärmtrauma zu oxidativem Stress in den Haarzellen. Dabei entstehen freie Radikale, die die Zellen weiter schädigen und den Heilungsprozess behindern.

  • Freie Radikale: Durch den übermäßigen Schall werden in den Zellen reaktive Sauerstoffverbindungen freigesetzt, die zu Zellschäden führen und das Risiko einer irreversiblen Schädigung erhöhen.

Schädigung der Synapsen

Lärm kann auch die Synapsen zwischen den Haarzellen und den Spiralganglienneuronen schädigen. Diese Synapsen sind für die Weiterleitung von Signalen ans Gehirn verantwortlich. Eine Schädigung dieser Verbindungen führt zu einer gestörten Signalübertragung, was eine Tonschwellenerhöhung (Erhöhung der Hörschwelle) zur Folge haben kann.

Blutversorgung und Stoffwechselstörungen

Laute Schallereignisse können die Durchblutung des Innenohrs beeinträchtigen, was zu einem Mangel an Sauerstoff und Nährstoffen für die Haarzellen führt. Dies verstärkt die Schädigung und behindert die Erholung der betroffenen Zellen.

Sekundäre pathophysiologische Mechanismen

  • Zelluläre Degeneration: Bei anhaltender oder starker Schädigung degenerieren die Haarzellen weiter, was zu einem dauerhaften Verlust der Hörfunktion führen kann.
  • Fibrosierung des Innenohrs: Nach schweren Schädigungen kann es zur Narbenbildung im Innenohr kommen, was die Schwingungsübertragung weiter beeinträchtigt.

Klinische Manifestation

Leitsymptome

  • Akuter Hörverlust: Sofortiger Tonschwellenschwund, der vorübergehend oder bleibend sein kann.
  • Tinnitus: Häufig begleitet von Ohrgeräuschen, die nach dem Lärmtrauma auftreten.
  • Druckgefühl im Ohr: Ein unangenehmes Druckempfinden, oft mit Hörverlust verbunden.

Fortgeschrittene Symptome

  • Dauerhafte Schwerhörigkeit: Bei anhaltender Schädigung der Haarzellen kann es zu einem permanenten Hörverlust kommen.
  • Gleichgewichtsstörungen: In einigen Fällen kann auch das Gleichgewichtsorgan im Innenohr beeinträchtigt werden, was zu Schwindel und Gleichgewichtsproblemen führt.

Zusammenfassung und klinische Relevanz

Ein Lärmtrauma führt durch mechanische Schädigung, oxidativen Stress und Durchblutungsstörungen zu einer akuten Schädigung der Haarzellen im Corti-Organ. Die Schädigung kann vorübergehend sein und sich in Form eines Tonschwellenschwunds äußern, aber auch bleibende Schäden hinterlassen, insbesondere bei wiederholter Lärmbelastung. Eine frühzeitige Behandlung kann helfen, dauerhafte Schäden zu verhindern, weshalb eine schnelle Diagnostik und Lärmschutzmaßnahmen essenziell sind.

Ätiologie (Ursachen)

Biographische Ursachen

  • Berufe – Berufe mit Aufenthalt in sehr lauter Umgebung

Verhaltensbedingte Ursachen

  • Drogenkonsum
    • GHB (4-Hydroxybutansäure, veraltet auch Gamma-Hydroxy-Butansäure oder Gamma-Hydroxy-Buttersäure; "Liquid Ecstasy")
  • Aufenthalt in sehr lauter Umgebung

Krankheitsbedingte Ursachen

  • Stumpfes Schädeltrauma

Medikamente (ototoxische Arzneimittel/ototoxische (gehörschädigende) Medikamente)

  • Analgetika (Schmerzmittel)
    • Nicht-steroidale Antiphlogistika (NSAID): Acetylsalicylsäure (ASS) [Hörschaden: > 1,95 g, dosisabhängig und reversibel nach kurzer Zeit [1]; Hörstörungen: > 10 g/d; Ohrgeräusche: ab 6-8 g]; Salicylate (Innenohrschwerhörigkeit)
  • Antibiotika
    • Aminoglycosidantibiotika (Aminoglykoside; Störungen besonders im Bereich der höheren Frequenzen) – Amikazin, Gentamycin (Gentamicin), Kanamycin, Neomycin, Netilmicin, Paromomycin, Streptomycin, Tobramycin
    • Glykopeptid-Antibiotika (Vancomycin, Teicoplanin)
    • Gyrasehemmer (Ciprofloxacin, Ofloxacin)
    • Makrolide (Störungen im Bereich des kompletten Frequenzspektrums) – Azithromycin, Erythromycin, Clarithromycin
  • Anti-Malaria-Mittel wie Chloroquin oder Chinin (Chininalkaloide)
  • Antikonvulsiva wie Carbamazepin, Phenytoin, Streptomycin
  • Diuretika (entwässernde Medikamente)
    • Carboanhydrasehemmer (Acetazolamid)
    • Schleifendiuretika (Bumetanid; Etacrysäure; Furosemid – hier tritt die Nebenwirkung vor allem bei schneller intravenöser Injektion bei gleichzeitig bestehender Niereninsuffizienz auf)
  • Phosphodiesterase-5-Hemmer (Avanafil, Sildenafil, Tadalafil, Vardenafil)  
  • Protonenpumpenhemmer (Protonenpumpeninhibitoren, PPI; Säureblocker) – Omeprazol
  • Thalidomidschäden durch Einnahme des Medikaments Contergan® in den 1960er Jahren
  • Zytostatika wie Cisplatin, Carboplatin, Bleomycin, Vincristin

Umweltbelastung – Intoxikationen (Vergiftungen)

  • Explosionstrauma
  • Lärm – so besteht bei konstantem oder jahrelangem Schallpegel von 85 dB(A) die Gefahr der Lärmschwerhörigkeit; auch kurzzeitiger starker Lärm wie laute Diskomusik (110 dB) sollte vermieden werden; unten den anerkannten Berufskrankheiten (Berufskrankheiten-Liste; BK-Liste) ist die Lärmschwerhörigkeit mit ca. 40 % die häufigste Berufserkrankung
  • Gewerbliche Stoffe wie Arsen, Blei, Cadmium, Quecksilber, Zinn; Kohlenmonoxid; Fluorkohlenstoffverbindungen; Schwefelkohlenstoff; Kohlenstoffdisulfid; Styrol; Tetrachlorkohlenstoffverbindungen; Toluol; Trichlorethylen; Xylol

Literatur

  1. Kyle ME et al.: Ubiquitous Aspirin A Systematic Review of Its Impact on Sensorineural Hearing Loss. Otolaryngol Head Neck Surg October 30, 2014, doi: 10.1177/0194599814553930