Reizblase (Urethralsyndrom) – Ursachen

Pathogenese (Krankheitsentstehung)

Das Urethralsyndrom, auch bekannt als Reizblase oder Overactive Bladder dry (OAB dry), beschreibt eine Blasenfunktionsstörung, die durch vermehrten Harndrang und häufiges Wasserlassen gekennzeichnet ist. Die genaue Pathogenese ist nicht vollständig geklärt, doch es gibt mehrere mögliche Mechanismen, die an der Entstehung beteiligt sein könnten.

Primäre pathophysiologische Mechanismen

1. Störungen im vegetativen Nervensystem

Eine zentrale Hypothese bei der Reizblase ist eine Störung des vegetativen Nervensystems. Das vegetative Nervensystem steuert unter anderem die Blasenfunktion und kann durch Nervenreizungen oder Fehlregulationen zu einer Überaktivität des Detrusormuskels (Harnblasenmuskel) führen, die sich als übermäßiger Harndrang äußert.

  • Chronisches Beckenschmerzsyndrom (CPPS): Die Beschwerden der Reizblase können als eine Form des chronischen Beckenschmerzsyndroms interpretiert werden. Dabei handelt es sich um eine komplexe Erkrankung, bei der neuromuskuläre Störungen des Beckens eine Rolle spielen.

2. Detrusor-Sphinkter-Dyssynergie (DSD)

Ein weiterer diskutierter Mechanismus ist die Detrusor-Sphinkter-Dyssynergie (DSD). Bei dieser Störung funktioniert das Zusammenspiel zwischen dem Detrusor (Blasenmuskel) und dem Sphinkter (Schließmuskel) nicht richtig. Dies führt zu einem unkontrollierten Drang, Wasser zu lassen, ohne dass eine koordinierte Entleerung der Blase erfolgt. Dieser Mechanismus wird häufig bei Patienten mit neurologischen Erkrankungen wie Multiple Sklerose oder Rückenmarksverletzungen beobachtet.

3. Entzündliche Zellinfiltrate

Bei Biopsien der trigonalen Blasenschleimhaut (Harnblasendreieck) wurden in einem hohen Prozentsatz entzündliche Zellinfiltrate nachgewiesen [1]. Diese Entzündungszellen können die sensorischen Nervenenden in der Blase reizen und somit das Gefühl von Harndrang verstärken. Es wird vermutet, dass diese lokalen Entzündungen eine chronische Reizung der Blase verursachen.

4. Harndysbiose

Neuere Forschungen deuten darauf hin, dass eine Dysbiose (Ungleichgewicht der Mikroflora) im Harntrakt ebenfalls eine Rolle spielen könnte. Eine Studie konnte konsistente und reproduzierbare substanzielle Unterschiede zwischen der mikrobiellen Belastung von Patienten mit OAB und gesunden Kontrollen feststellen [2]. Diese Veränderungen im Harnmikrobiom könnten entzündliche Prozesse und die neurale Überaktivität der Blase fördern.

Sekundäre pathophysiologische Mechanismen

  • Nervale Hyperaktivität: Durch die chronische Reizung der Blasenschleimhaut und die gestörte Nervenfunktion kann es zu einer Überaktivität der afferenten Nervenbahnen kommen, die den Harndrang übermäßig an das zentrale Nervensystem melden.
  • Lokale Entzündungen: Chronische Entzündungsreaktionen in der Blasenschleimhaut könnten die Blasensensitivität erhöhen und zu ständigem Harndrang führen, auch ohne eine tatsächliche Notwendigkeit zur Blasenentleerung.

Klinische Manifestation

Leitsymptome

  • Dranginkontinenz: Plötzlicher und starker Harndrang, der schwer zu kontrollieren ist.
  • Pollakisurie (häufiges Wasserlassen): Häufiges Wasserlassen in kleinen Mengen, oft verbunden mit einem Gefühl unvollständiger Entleerung.
  • Nächtliches Wasserlassen (Nykturie): Wiederholtes Wasserlassen in der Nacht.

Fortgeschrittene Symptome

  • Blasenentzündungen: Wiederkehrende Harnwegsinfektionen, die durch restharnbedingte Infekte gefördert werden können.
  • Schmerzen im Beckenbereich: Bei einigen Patienten treten chronische Schmerzen im Bereich der Blase und des Beckens auf, die die Lebensqualität erheblich beeinträchtigen können.

Zusammenfassung und klinische Relevanz

Die Reizblase oder das Urethralsyndrom ist eine komplexe Erkrankung, deren Entstehung durch eine Kombination aus nervalen, entzündlichen und mikrobiellen Faktoren beeinflusst wird. Störungen im vegetativen Nervensystem, Detrusor-Sphinkter-Dyssynergie und lokale Entzündungen der Blasenschleimhaut spielen eine zentrale Rolle in der Pathogenese. Neuere Studien deuten darauf hin, dass eine Harndysbiose ebenfalls eine mögliche Ursache für die Überaktivität der Blase sein könnte. Eine frühzeitige Erkennung und umfassende Therapie sind entscheidend, um die Beschwerden zu lindern und die Lebensqualität der Betroffenen zu verbessern.

Ätiologie (Ursachen)

Man kennt keine ursächlichen Faktoren der Reizblase.

Es gibt allerdings Faktoren, die das Auftreten einer Reizblase begünstigen können:

Biographische Ursachen

  • Höheres Alter
  • Wechseljahre wg. Östrogenmangel, der zu Trockenheitsgefühl und Reizung in der Scheide und Harnröhre führen kann

Verhaltensbedingte Ursachen

  • Genussmittelkonsum
    • Alkohol
    • Tabak (Rauchen)
    • Koffeinkonsum (Kaffee oder Tee)
  • Psycho-soziale Situation
    • Psychische oder seelische Belastungen wie Stress, Nervosität etc.
  • Übergewicht

Krankheitsbedingte Ursachen

  • Benigne Prostatahypertrophie (BPH; gutartige Prostatavergrößerung)
  • Harnblasentumoren
  • Genitalprolaps (Gebärmutter- oder Scheidensenkung)
  • Störung der Nervenreizleitung bei Erkrankungen wie: Apoplex (Schlaganfall), Morbus Parkinson, multipler Sklerose (MS), Typ-II-Diabetes
  • Urolithiasis (Blasensteinleiden)
  • Zystitiden, rezidivierende (wiederkehrende Blaseninfektionen) [bei Frauen]

Medikamente

  • Diuretika (harntreibende Medikamente)
  • Protonenpumpenhemmer (Protonenpumpeninhibitoren, PPI; Säureblocker) – Eine PPI-Therapie geht mit einem erhöhten OAB-Risiko einher (adjustierte Odds-Ratio 1,36); das gilt vorwiegend bei längerfristiger Einnahme von PPI [3].
    Einschränkung: Die Frage der Kausalität ist damit nicht beantwortet und ebenso nicht, ob Absetzen der PPI die Blasenfunktion wiederherstellt.

Umweltbelastung – Intoxikationen (Vergiftungen)

  • Kälte- und Nässereize

Weitere Ursachen

  • Gravidität (Schwangerschaft)

Literatur

  1. Rees DLP: Urinary tract infection. Clin. Obstet. Gynec. 5 (1978) 169
  2. Gill K et al.: A blinded observational cohort study of the microbiological ecology associated with pyuria and overactive bladder symptoms. Int Urogynecol J 2018 Oct;29(10):1493-1500. doi: 10.1007/s00192-018-3558-x. Epub 2018 Feb 17.
  3. Du YZ et al. Association Between Proton Pump Inhibitor Use and Overactive Bladder Risk in Adults: A Cross-Sectional Study. Urology 2024; https://doi.org/10.1016/j.urology.2024.09.015