Nierensteine (Nephrolithiasis) – Operative Therapie

Die häufigste Behandlungsmaßnahme bei akuter Nierenkolik ist die konservative Therapie, die folgende Maßnahmen umfasst:

  • Angemessene Flüssigkeitszufuhr zur Förderung des Steinabgangs
  • Analgetika (Schmerzmittel) zur Symptomkontrolle
  • Alphablocker Tamsulosin zur Unterstützung der medizinischen Expulsionstherapie (Medical Expulsive Therapy, MET)

Ziel der konservativen Behandlung ist der spontane Steinabgang ohne invasive Maßnahmen. Siehe dazu auch unter „Medikamentöse Therapie“.

Beachte:

  • Gemäß aktueller S2k-Leitlinie kann bei Patienten mit einem neu diagnostizierten Harnleiterstein bis zu 7 mm Durchmesser der Spontanabgang unter regelmäßiger Kontrolle abgewartet werden.
  • Schmerzfreiheit nach einer Nierenkolik bedeutet nicht zwangsläufig, dass der Stein bereits abgegangen ist. Eine Studie zeigte, dass 27 % der Patienten auch einen Monat nach der Kolik weiterhin Konkremente im Ureter (Harnleiter) aufwiesen [6].
  • Bei einem asymptomatischen Nierenstein kann die konservative Therapie auch das „Watchful Waiting“ (Abwarten und Beobachten) umfassen.
  • Schwangere mit einer unkomplizierten Urolithiasis (Harnsteinleiden) sollen primär konservativ behandelt werden.
  • Bei asymptomatischen, steintragenden Kindern sollte vor einer invasiven Therapie eine Stoffwechselabklärung erfolgen.
  • Harnsäuresteine sollten primär mit einer medikamentösen oralen Chemolitholyse behandelt werden.

Harnableitung

Bei medikamentös nicht beherrschbaren Koliken, hochgradiger Obstruktion (Verschluss) mit konsekutiver Harnstauungsniere und/oder steigenden Retentionswerten infolge der Aufstauung harnpflichtiger Substanzen (postrenales Nierenversagen) ist eine Harnableitung erforderlich. Die Wahl des Verfahrens richtet sich nach der Lokalisation und Art der Obstruktion.

Harnableitung nach Lokalisation der Obstruktion

  • Obstruktion in der Harnblase
    • Transurethrale Harnableitung mittels Einlage eines transurethralen Blasenkatheters
    • Suprapubische Harnableitung durch eine suprapubische Katheterisierung (Punktion oberhalb des Schambeins) 
  • Suprapubische Obstruktion (Harnleiterstenose (Harnleiterverengung), Steinstraße, Ureterverschluss)
    • Ureterschienen (Harnleiterschiene, Doppel-J-Katheter, DJ-Katheter) zur Überbrückung der Obstruktion (Verstopfung) 
    • Perkutane Nephrostomie (PCN, Synonym: Pyelostomie) – eine äußere Ableitung des Urins direkt aus dem Nierenbecken über einen Nephrostomie-Katheter (perkutan durch die Haut) 
  • Indikationen zur perkutanen Harnableitung
    • Steinstraße (mehrere hintereinanderliegende Harnsteine im Ureter/Harnleiter) [2]
    • Fieberhafte Harnwegsinfektion (Harnwegsinfekt, HWI) mit Obstruktion 
    • Alternativ: Einlage einer Harnleiterschiene (Doppel-J-Katheter) zur Drainage 

Harnableitung in der Schwangerschaft

Bei schwangeren Patientinnen mit einer interventionsbedürftigen Harnleiterobstruktion sollte primär eine Harnableitung erfolgen, um das Risiko für Infektionen und renale Komplikationen zu minimieren. Die definitive Steintherapie sollte post partum ("nach der Geburt eines Kindes") durchgeführt werden [2].

Aktive Steintherapie

Indikationen für eine urologische Steinentfernung (Nierensteinextraktion)

Eine aktive Steintherapie ist erforderlich bei:

  • Ausgeprägtem Harnaufstau 
  • Therapieresistenten Schmerzen 
  • Begleitendem Harnwegsinfekt (HWI) und Steinen, die aufgrund ihrer Größe nicht spontan abgehen können 
  • Kindern mit symptomatischen Steinen, Ausgusssteinen oder Infektsteinen, die eine primäre Intervention erfordern 

Operative Verfahren zur Steintherapie

Abhängig von Steinart und Steinlokalisation können folgende operative Maßnahmen zum Einsatz kommen:

  • Extrakorporale Stoßwellenlithotripsie (ESWL) – Zertrümmerung von Harnsteinen durch Stoßwellen, die außerhalb des Körpers erzeugt werden 
  • Ureteroskopische Lithotripsie (URS) – Endoskopische Untersuchung des Harnleiters (Ureter) mittels Ureteroskop inkl. Zertrümmerung von Harnsteinen durch Stoßwellen oder Laser-Lithotripsie (LL).
    • Goldstandard ist der Holmium:Yttrium-Aluminium-Granat (Ho:YAG)-Laser
    • Hinweis: Der Thuliumfaserlaser (TFL) ist effektiver als der Ho:YAG-Laser: Er ermöglicht eine vierfach höhere Steinablation im Dusting-Modus und eine zweifach schnellere Ablation im Fragmentationsmodus [6].
  • Perkutane Nephrolithotomie (PCNL, Synonym: perkutane Nephrolitholapaxie) – Nach Punktion der Niere erfolgt die Zerkleinerung des Steins und der Abtransport über ein Endoskop.
    • Indikationen: Große Steine (> 2 cm), komplexe Anatomie (z. B. Hufeisenniere) oder komplexe Steine.
  • Flexible Ureterorenoskopie (URS) – Harnsteinentfernung mittels endoskopischer Spiegelung des Harnleiters (Ureter) und der Nieren.
  • Laparoskopische oder offene Operation – Indikationen [2]:
    • Steintherapie bei gleichzeitig erforderlicher Korrektur anatomischer Abflusshindernisse (z. B. subpelvine Harnleiterstenose – Einengung des Harnleiters an seinem Übergang vom Nierenbecken zum Ureter).
    • Große Nieren- und Harnleitersteine (Ausnahmeindikation).
  • Nephrektomie (operative Entfernung der Niere) – Indiziert in extremen Fällen, z. B. bei einer infizierten Harnstauungsniere in einer Akutsituation.

Weitere Hinweise

  • Nach einer Ureteroskopie gehen Reststeinfragmente, die < 4 mm sind, bei 26 % der Patienten noch spontan ab. Diese entwickelten sich wie folgt weiter: Größenzunahme mit einer Komplikationsrate von 59 % (vs. 28 % bei kleineren Steinresten) und Reinterventionsrate 38 % (vs. 18 %); Steinfragmente > 2 mm (wuchsen auch), führten aber weder zu Komplikationen noch erforderten sie erneute Eingriffe [4].   
  • Eine Nierensteinextraktion verhindert Harnwegsinfektionen nur unzuverlässig: 52 % hatten weiterhin rezidivierende Harnwegsinfekte (HWI). Mit einem erhöhten Infektrisiko waren assoziiert [3]:
    • Schwarze Hautfarbe (OR 13,7) 
    • Arterielle Hypertonie (OR 2,8)
    • Diabetes mellitus (Odds-Ratio, OR 1,73)

Interventionelle Verfahren in Abhängigkeit von der Steinlokalisation (modifiziert nach [1])

Für die interventionelle Harnsteinbehandlung ist in der Regel eine Kontrastmittelbildgebung erforderlich, um die Konfiguration des Hohlsystems darzustellen. Dabei werden folgende Verfahren eingesetzt:

  • Intravenöse Urographie (i.v.-Urographie)
  • Kontrastmittelverstärkte Computertomographie (CT)
  • Ureteropyelographie

Vor einer aktiven Steintherapie sollte eine akute Harnwegsinfektion (HWI) ausgeschlossen oder, falls erforderlich, eine resistenzgerechte Antibiotikatherapie eingeleitet werden [2].

Vor einer interventionellen Therapie ist die vorübergehende Aussetzung einer Antikoagulation (Blutverdünner) notwendig. Eine Behandlung mit Acetylsalicylsäure (ASS) kann in Einzelfällen nach sorgfältiger Indikationsprüfung fortgeführt werden [2].

Lokalisation
Operative Maßnahme
Steine des Nierenbeckens sowie oberer/mittlerer Kelchgruppe
  • Extrakorporale Stoßwellenlithotripsie (ESWL): Empfohlen für Steine bis zu 2 cm. Die Steinfreiheitsrate (SFR) variiert je nach Lokalisation:
    • Obere/mittlere Kelchgruppe: SFR 56-94 %
    • Nierenbecken: SFR 79-85 %
  • Perkutane Nephrolithotomie (PCNL): Empfohlen für Steine > 2 cm.
  • Flexible Ureterorenoskopie (URS): Kann ebenfalls in Betracht gezogen werden, insbesondere bei Steinen bis zu 2 cm.
Nierensteine der unteren Kelchgruppe
  • ESWL: Die SFR ist hier tendenziell geringer, insbesondere bei ungünstiger Anatomie.
  • Mini-PCNL: Empfohlen bei Steinen um 10 mm.
  • Flexible URS: Empfohlen bei Steinen bis 10 mm.
Ausgusssteine
  • PCNL: Primäre Therapieoption, ggf. in Kombination mit ESWL und flexibler URS.
  • Nephrolithotomie: In seltenen Fällen indiziert.
Proximale Harnleitersteine
  • ESWL: Empfohlen für Steine ≤ 10 mm mit einer SFR von 70-90 %.
  • URS: Empfohlen für Steine > 10 mm.
Distale Harnleitersteine
  • ESWL oder URS: Für Steine ≤ 10 mm mit einer SFR von 86 %.
  • URS: Für Steine > 10 mm mit einer SFR von 93 %.

Legende

  • ESWL (extrakorporale Stoßwellentherapie)
  • PCNL (perkutane Nephrolithotomie)
  • SFR (Steinfreiheitsrate nach 3 Monaten)
  • URS (Ureterorenoskopie)

Weitere Hinweise

  • Die ESWL bei Kindern zeigt für alle Steinlokalisationen höhere Steinfreiheitsraten als bei Erwachsenen [2].
  • Zur Vorbeugung späterer Koliken ist die zusätzliche Entfernung von asymptomatischen sekundären Steinen (≤ 6 mm) bei Patienten, die sich wegen einer Nierenkolik einer Ureteroskopie (Harnleiterspiegelung) zur Entfernung eines Nieren- und Harnleitersteins unterziehen, sinnvoll [7}:
    • Risiko eines erneuten Steinleidens wurde um 82 % gesenkt
    • Dauer bis zum Nierensteinrezidiv (Wiederauftreten eines Nierensteins) wurde von 934 auf 1.631 Tage verlängert.

Literatur

  1. Fisang C et al.: Urolithiasis – an interdisciplinary diagnostic, therapeutic and secondary preventive challenge. Dtsch Ärztebl Int 2015; 112:83-91, doi:10.3238/arztebl.20015.0083
  2. S2k-Leitlinie: Urolithiasis: Diagnostik, Therapie und Metaphylaxe. (AWMF-Registernummer: 043 - 025), Mai 2019 Langfassung
  3. Omar M et al.: Does Stone Removal Help Patients with Recurrent Urinary Tract Infections?. doi: http://dx.doi.org/10.1016/j.juro.2015.04.096
  4. Chew B H et al.: Natural History, Complications, and Re-Intervention Rates of Asymptomatic Residual Stone Fragments Post-Ureteroscopy: a Report from the EDGE Research Consortium. Journal of Urology 2015; online 13. November 2015
  5. Hernandez N et al.: Cessation of ureteral colic does not necessarily mean that a ureteral stone has been expelled. J Urol 2017, online 26. Oktober https://doi.org/10.1016/j.juro.2017.10.032
  6. Traxer O et al.: V03-02 First Clinical Study On Superpulse Thulium Fiber Laser For Lithotripsy. J Urol. 2018; 199: e321-2
  7. Sorensen MD et al.: Removal of Small, Asymptomatic Kidney Stones and Incidence of Relapse N Engl J Med 2022; 387:506-513 doi: 10.1056/NEJMoa2204253

Leitlinien

  1. S2k-Leitlinie: Urolithiasis: Diagnostik, Therapie und Metaphylaxe. (AWMF-Registernummer: 043 - 025), Mai 2019 Langfassung