Chronische Nierenschwäche (Chronische Niereninsuffizienz) – Einleitung

Die chronische Niereninsuffizienz (CNI) – umgangssprachlich auch chronische Nierenkrankheit oder Nierenschwäche genannt – ist eine fortschreitende, irreversible Verschlechterung der Nierenfunktion über Monate bis Jahre. Sie führt zu einer allmählichen Reduktion der glomerulären Filtrationsrate (GFR), was eine Akkumulation von Abfallprodukten im Blut und Störungen im Flüssigkeits-, Elektrolyt- und Säure-Basen-Haushalt zur Folge hat. Die CNI kann schlussendlich zu einer terminalen Niereninsuffizienz (ESRD) führen, die eine Dialyse oder Nierentransplantation erforderlich macht.

Synonyme und ICD-10: Chronische Niereninsuffizienz; Niereninsuffizienz, chronisch; Renale Insuffizienz; terminale Nierenkrankheit; dialysepflichtige Niereninsuffizienz; chronische Nierenschwäche; ICD-10-GM N18.-: Chronische Nierenkrankheit

Nomenklatur 

Die deutsche Nomenklatur orientiert sich zunehmend am englischen Schrifttum:

  • Aus „chronischer Niereninsuffizienz“ wird jetzt „chronische Nierenkrankheit“ (engl.: chronic kidney disease, CKD)
  • Aus „terminaler Niereninsuffizienz“ (engl.: end stage kidney disease; ESKD oder end stage renal failure; ESRD) oder „Dialysepflichtigkeit“ wird jetzt „Nierenversagen“ (engl.: kidney failure, KF)

Die chronische Niereninsuffizienz kann in verschiedene Stadien eingeteilt werden, basierend auf der glomerulären Filtrationsrate (GFR): s. u. Klassifikation.

Pathophysiologie

Bei der chronischen Niereninsuffizienz sammeln sich sogenannte harnpflichtige Substanzen wie Harnstoff, Harnsäure und Kreatinin im Blut an, ein Zustand, der als Azotämie bezeichnet wird.

Charakteristische Laborbefunde

Die charakteristischen Laborbefunde bei chronischer Niereninsuffizienz reflektieren die Beeinträchtigung der Nierenfunktion und umfassen:

  • Glomeruläre Filtrationsrate (GFR)
    • Erniedrigt: Die GFR ist der wichtigste Marker zur Beurteilung der Nierenfunktion. Bei chronischer Niereninsuffizienz ist die GFR dauerhaft vermindert. Die Einteilung der CNI erfolgt in Stadien (1-5) basierend auf der Höhe der GFR.
  • Serumkreatinin
    • Erhöht: Kreatinin ist ein Abbauprodukt des Muskelstoffwechsels, das normalerweise von den Nieren ausgeschieden wird. Eine erhöhte Serumkreatininkonzentration ist ein Indikator für eine verminderte Nierenfunktion.
  • Blutharnstoff (BUN)
    • Erhöht: Harnstoff ist ein Abbauprodukt des Eiweißstoffwechsels. Ein erhöhter Harnstoffspiegel im Blut deutet auf eine eingeschränkte Nierenfunktion hin.
  • Elektrolyte
    • Hyperkaliämie: Erhöhter Kaliumspiegel im Blut aufgrund einer verminderten renalen Kaliumausscheidung.
    • Hyponatriämie: Erniedrigter Natriumspiegel, oft durch Überwässerung und ein gestörtes Renin-Angiotensin-Aldosteron-System bedingt.
    • Hypocalcämie: Erniedrigter Calciumspiegel aufgrund einer verminderten Aktivierung von Vitamin D und einer Phosphatretention.
    • Hyperphosphatämie: Erhöhter Phosphatspiegel, ebenfalls bedingt durch die verminderte Ausscheidung.
  • Anämie
    • Erniedrigtes Hämoglobin und Hämatokrit: Anämie (Blutarmut) tritt aufgrund eines Erythropoetinmangels auf, da die geschädigten Nieren weniger von diesem Hormon produzieren.
  • Parathormon (PTH)
    • Erhöht: Bei chronischer Niereninsuffizienz steigt das Parathormon an, was zu einem sekundären Hyperparathyreoidismus führt, um die Hypocalcämie und Hyperphosphatämie zu kompensieren.
  • Metabolische Azidose
    • Erniedrigter Bikarbonatspiegel: Eine verminderte Nierenfunktion führt zu einer unzureichenden Ausscheidung von Säuren und einer metabolischen Azidose.
  • Proteinurie
    • Positiv: Der Nachweis von Protein im Urin, insbesondere Albumin, ist ein Frühindikator für eine Nierenschädigung und ein Prognosemarker für die Progression der CNI.
  • Knochenspezifische Marker
    • Erhöhtes alkalisches Phosphatase (AP): Ein Marker für den erhöhten Knochenumbau aufgrund des sekundären Hyperparathyreoidismus.
  • Lipidprofil
    • Dyslipidämie: Oft kommt es zu erhöhten Triglyceriden und LDL-Cholesterin, was das kardiovaskuläre Risiko bei Patienten mit CNI erhöht.

Diese Laborbefunde sind essenziell für die Diagnose, die Stadieneinteilung und das Monitoring der chronischen Niereninsuffizienz. Sie helfen auch, Komplikationen frühzeitig zu erkennen und entsprechende therapeutische Maßnahmen einzuleiten.

Epidemiologie

Häufigkeitsgipfel: Ab dem 50. Lebensjahr steigt die Häufigkeit für die chronische Niereninsuffizienz kontinuierlich an.

Prävalenz (Krankheitshäufigkeit)

  • Die Prävalenz für eine Niereninsuffizienz mit einer glomerulären Filtrationsrate (GFR) < 60 ml/min beträgt in der Bevölkerung der unter 80-Jährigen etwa 2,3 % in Deutschland, was ca. 1,5 Millionen Menschen entspricht.
  • Zusätzlich sind etwa eine Million Menschen über 80 Jahre betroffen.
  • Unter 50 Jahren ist eine GFR unter 60 ml/min selten, während sie in der sechsten Dekade bereits bei 3 % liegt.
  • Bei über 70-Jährigen beträgt die Prävalenz knapp 13 %, wobei der Anteil der Frauen mit einer GFR unter 60 ml/min bei 15 % liegt. Bei Männern ist es ein Drittel weniger.

Dialyse und Transplantation

  • Im Jahr 2013 lag die Anzahl der Dialyse-Patienten in Deutschland bei circa 100.000.
  • Etwa 20.000 Menschen lebten mit einem Nierentransplantat. Geschlafen

Inzidenz (Neuerkrankungen)

  • Die Inzidenz der chronischen Niereninsuffizienz beträgt in Westeuropa ca. 10 Erkrankungen pro 100.000 Einwohner pro Jahr.
  • In den USA liegt die Inzidenz bei ca. 60 Erkrankungen pro 100.000 Einwohner pro Jahr.

Verlauf und Prognose

Verlauf

Frühe Stadien

  • In den Anfangsstadien verläuft die chronische Niereninsuffizienz oft asymptomatisch. Patienten bemerken in der Regel keine signifikanten Veränderungen.
  • Erste Anzeichen können allgemeine Müdigkeit, Leistungsabfall und ein leichter Anstieg der harnpflichtigen Substanzen im Blut sein.

Fortschreiten der Erkrankung

  • Mit dem Fortschreiten der Niereninsuffizienz treten vermehrt Symptome auf, darunter Juckreiz, Appetitlosigkeit, Übelkeit, Erbrechen, und Gewichtsverlust.
  • Bei fortschreitender Verschlechterung der glomerulären Filtrationsrate (GFR) kommt es zu einer zunehmenden Anhäufung von harnpflichtigen Substanzen wie Kreatinin und Harnstoff im Blut (Azotämie).

Späte Stadien

  • Im fortgeschrittenen Stadium (Stadium 4-5, GFR < 30 ml/min) manifestieren sich häufig schwerwiegendere Symptome wie Ödeme, Hypertonie, Anämie und Elektrolytstörungen.
  • Terminales Nierenversagen (Stadium 5, GFR < 15 ml/min) führt zu einer deutlichen Verschlechterung des Allgemeinzustandes und lebensbedrohlichen Komplikationen ohne Ersatztherapie.

Prognose

Therapie der zugrunde liegenden Erkrankung

  • Die Prognose der chronischen Niereninsuffizienz hängt maßgeblich von der adäquaten Behandlung der Grunderkrankungen wie Diabetes mellitus und Hypertonie ab.
  • Durch konsequente Kontrolle der Risikofaktoren und die Einhaltung von Therapieplänen kann das Fortschreiten der Nierenschädigung verlangsamt werden.

Stadienabhängige Prognose

  • In frühen Stadien (Stadium 1-3) ist die Prognose bei entsprechender Therapie gut, und viele Patienten können ein relativ normales Leben führen.
  • In fortgeschrittenen Stadien (Stadium 4-5) verschlechtert sich die Prognose, und es besteht ein erhöhtes Risiko für kardiovaskuläre Komplikationen, die die Haupttodesursache bei Patienten mit chronischer Niereninsuffizienz darstellen.

Terminales Nierenversagen

  • Ohne Behandlung führt die chronische Niereninsuffizienz im Endstadium (terminales Nierenversagen) unweigerlich zum Tod durch Urämie.
  • Mit Dialyse oder Nierentransplantation kann das Leben der Patienten jedoch erheblich verlängert und die Lebensqualität verbessert werden.

Überlebensrate

  • Die 10-Jahres-Überlebensrate bei Patienten mit terminaler Niereninsuffizienz liegt bei etwa 55 %, wobei die Prognose stark von Begleiterkrankungen und dem allgemeinen Gesundheitszustand des Patienten abhängt.

Komorbiditäten

  • Häufig treten Begleiterkrankungen wie kardiovaskuläre Erkrankungen, Diabetes mellitus und neurologische Störungen auf, die die Prognose zusätzlich verschlechtern können.
  • Nykturie (nächtliches Wasserlassen) ist häufig ein Begleitsymptom, das auf eine eingeschränkte Nierenfunktion hinweist und die Lebensqualität der Betroffenen erheblich beeinträchtigen kann.

Zusammenfassung

Die chronische Niereninsuffizienz ist eine progressive Erkrankung, die in frühen Stadien oft asymptomatisch verläuft, aber im Verlauf zu schwerwiegenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen führt. Die Prognose hängt stark vom Stadium der Erkrankung bei Diagnosestellung und der Effektivität der Behandlung der zugrunde liegenden Ursachen ab. Eine frühe Diagnose und konsequente Therapie können das Fortschreiten der Erkrankung verlangsamen und die Lebensqualität der Patienten verbessern.

Komorbiditäten (Begleiterkrankungen)

Zahlreiche Vorerkrankungen sind mit der Nykturie assoziiert: Dieses gilt insbesondere für die mit der Nykturie assoziierten Störungen des kardiovaskulären, renalen, endokrinen und neurologischen Systems ("SCREeN_Erkrankungen": Sleep, Cardiovascular, Renal, Endocrine, Neurology) [mod. nach 4]:

  • Sleep (Schlaferkrankungen): z. B. Insomnie, Parasomnie, Restless-Legs-Syndrom (RLS), obstruktives Schlafapnoesyndrom (OSAS)
  • Cardiovascular (kardiovaskuläre Erkrankungen): arterielle Hypertonie/Bluthochdruck), chronische Herzinsuffizienz (Herzschwäche)
  • Renal (Nierenerkrankung): chronische Niereninsuffizienz (Nierenschwäche; Prozess, der zu einer langsam fortschreitenden Verringerung der Nierenfunktion führt)
  • Endocrine (endokrine Erkrankungen/Erkrankungen des Hormonsystems): Diabetes mellitus, Diabetes insipidus, Schilddrüsenfunktionsstörungen TTC
  • Neurology (neurologische Erkrankung; Erkrankungen des Nervensystems): nahezu alle neurologischen Erkrankungen können zu einer Nykturie (nächtliches Wasserlassen) führen (z. B. Morbus Parkinson, Multiple Sklerose (MS), Apoplex (Schlaganfall))

Hinweis: Da sich kardiovaskuläre und renale Erkrankungen sowie Adipositas und Typ-2-Diabetes gegenseitig stark beeinflussen, hat die American Heart Assosciations (AHA) ein „cardiovascular-kidney-metabolic“ (CKM) Syndrom (CKM-Syndrom) definiert und schlägt dafür gemeinsame Strategien bei Prävention und Management dieser Krankheiten vor [1]. 

Literatur

  1. Ndumele CE et al.: Cardiovascular-Kidney-Metabolic Health: A Presidential Advisory From the American Heart Association Circulation 9 Oct 2023 https://doi.org/10.1161/CIR.0000000000001184Circulation. 2023;0

Leitlinien

  1. Cano NJ, Aparicio M, Brunori G et al.: ESPEN Guidelines on Parenteral Nutrition: adult renal failure. Clin Nutr 2009 Aug;28(4):401-14. doi: 10.1016/j.clnu.2009.05.016. Epub 2009 Jun 17.
  2. Andrassy KM: Comments on ‘KDIGO 2012 clinical practice guideline for the evaluation and management of chronic kidney disease’. Kidney Int Suppl September 2013; 84, 3:622-623
  3. S3-Leitlinie: Versorgung von Patienten mit chronischer nicht-dialysepflichtiger Nierenerkrankung in der Hausarztpraxis. (AWMF-Registernummer: 053 - 048), Juni 2019 Kurzfassung Langfassung
  4. KDIGO 2021 Clinical Practice Guideline for the Management of Blood Pressure in Chronic Kidney Disease. Kidney Disease: Improving Global Outcomes (KDIGO) Blood Pressure Work Group. Kidney Int. 2021 Mar; 99(3S): S1-S87. doi: 10.1016/j.kint.2020.11.003