Chronische Nierenschwäche (Chronische Niereninsuffizienz) – Anamnese

Die Anamnese (Krankengeschichte) stellt einen wichtigen Baustein in der Diagnostik der chronischen Niereninsuffizienz (chronische Nierenschwäche) bzw. der chronischen Nierenkrankheit dar.

Familienanamnese

  • Gibt es in Ihrer Familie Erkrankungen der Nieren oder Harnwege, die häufig vorkommen?
  • Bestehen genetische Erkrankungen, die die Nierenfunktion beeinflussen könnten (z. B. polyzystische Nierenerkrankung)?
  • Leiden Familienangehörige an Diabetes mellitus oder Hypertonie (Bluthochdruck)?

Soziale Anamnese

  • Beruf:
    • Welchen Beruf üben Sie aus?
    • Sind Sie in Ihrem Beruf schädigenden Arbeitsstoffen wie Schwermetallen oder Lösungsmitteln ausgesetzt?
  • Gibt es Hinweise auf psychosoziale Belastungen oder Stresssituationen im beruflichen oder privaten Umfeld?

Aktuelle Anamnese/Systemanamnese (somatische und psychische Beschwerden)

  • Leiden Sie an bestehenden Grunderkrankungen, die die Nierenfunktion beeinträchtigen können?
    • Hypertonie (Bluthochdruck)?
    • Diabetes mellitus?
    • Nephritis (Nierenentzündung) oder anderen Harnwegsinfektionen?
    • Stoffwechselstörungen (z. B. Hyperurikämie/Gicht, Hyperlipidämie (Fettstoffwechselstörung))?
  • Haben Sie Symptome, die auf eine chronische Niereninsuffizienz hinweisen könnten?
    • Appetitlosigkeit?
    • Übelkeit oder Erbrechen?
    • Atemnot?*
    • Ödeme (Wassereinlagerungen, z. B. geschwollene Beine, Gesicht)?*
    • Gewichtszunahme oder -verlust?
    • Hautveränderungen wie Juckreiz?
    • Muskelkrämpfe?
    • Knochenschmerzen?
    • Nervenschmerzen?
    • Bewusstseinsstörungen (z. B. Verwirrtheit, Schwindel)?*
    • Konzentrationsstörungen oder allgemeine Abgeschlagenheit?
    • Seit wann bestehen diese Symptome, und wie haben sie sich im Verlauf verändert?
  • Haben Sie ungewollt Gewicht verloren oder zugenommen?
  • Haben Sie bereits ähnliche Beschwerden in der Vergangenheit gehabt?

Vegetative Anamnese inkl. Ernährungsanamnese

  • Geben Sie bitte uns Ihr Körpergewicht (in kg) und Ihre Körpergröße (in cm) an.
  • Haben Sie ungewollt Gewicht verloren oder zugenommen?
  • Hat sich Ihr Appetit verändert?
  • Ernähren Sie sich ausgewogen, insbesondere im Hinblick auf Salz- und Eiweißzufuhr?
  • Wie viel Flüssigkeit trinken Sie täglich (Angaben bitte in Litern)?
  • Rauchen Sie? Wenn ja, wie viele Zigaretten, Zigarren oder Pfeifen pro Tag?
  • Trinken Sie Alkohol? Wenn ja, welches Getränk bzw. welche Getränke und wie viele Gläser pro Tag?
  • Nehmen Sie Drogen? Wenn ja, welche Drogen und wie häufig pro Tag bzw. pro Woche?

Eigenanamnese

  • Vorerkrankungen:
    • chronische urologische Erkrankungen (z. B. Nierensteine, Harnwegsinfekte)?
    • Diabetes mellitus?
    • Herz-Kreislauf-Erkrankungen (z. B. koronare Herzkrankheit (KHK; Erkrankung der Herzkranzgefäße))?
    • Stoffwechselerkrankungen (z. B. Hyperurikämie/Gicht)?
  • Hatten Sie Operationen (z. B. Eingriffe am Harntrakt, abdominale Operationen (Operationen im Bauchraum))?
  • Haben Sie Allergien (z. B. gegen Medikamente)?
  • Sind Sie schwanger oder waren Sie schwanger?

Medikamentenanamnese

  • ACE-Hemmer (Benazepril, Captopril, Cilazapril, Enalapril, Fosinopril, Lisinopril, Moexipril, Peridopril, Quinapril, Ramipril, Spirapril) und AT1-Rezeptorantagonisten (Candesartan, Eprosartan, Irbesartan, Losartan, Olmesartan, Valsartan, Telmisartan) (akut: Abnahme der glomerulären Filtrationsrate (GFR), verbunden mit einem Kreatinin-Anstieg: ACE-Hemmer ebenso wie AT1-Rezeptorantagonisten heben die Vasokonstriktion (Gefäßverengung) im Vas efferens auf, und es resultieren ein Abfall der GFR und ein Kreatinin-Anstieg im Serum. Bis 0,1 bis 0,3 mg/dl ist dies in der Regel tolerierbar.
    Bei einer hämodynamisch relevanten Nierenarterienstenose (bei Patienten mit Atherosklerose/Arteriosklerose nicht selten) wird die GFR aber ausgeprägt Angiotensin-II-abhängig eingeschränkt, und die Gabe eines ACE-Hemmers oder AT1-Rezeptorantagonisten kann ein akutes Nierenversagen (ANV) zur Folge haben!)
  • Angiotensinrezeptor-Neprilysin-Antagonisten (ARNI) – duale Wirkstoffkombination: Sacubitril/Valsartan
  • Allopurinol
  • Atypische Antipsychotika (Olanzapin, Quetiapin, Risperidon) – ältere Patienten haben in den ersten drei Monaten einer Behandlung mit atypischen Antipsychotika ein um rund 70 % erhöhtes Risiko, wegen akuten Nierenversagens (ANV) stationär eingewiesen zu werden [3]
  • Antiphlogistische und antipyretische Analgetika (Non-steroidal anti-inflammatory drugs (NSAID), nichtsteroidale Entzündungshemmer) bzw. Nicht-Steroidale Antirheumatika (NSAR) 
    • Nachteilige Auswirkungen auf die Nierenfunktion vor allem bei älteren Menschen und Patienten mit vorgeschädigter Niere oder entsprechenden Risikofaktoren.
      Auch jüngere, körperlich aktive Erwachsene haben bei häufiger NSAR-Einnahme (> 7 definierte Tagesdosen NSAR pro Monat) ein erhöhtes Risiko für akute und chronische Nierenschäden [7].
      NSAR-abhängige Risiko für Nierenschäden waren noch höher bei: BMI ≥ 30, Hypertonie oder Diabetes mellitus oder männliches Geschlecht [7].
    • Achtung: Die Kombination eines Diuretikums, eines RAS-Blockers und eines NSAR ist mit einem signifikanten Risiko einer akuten Nierenschädigung assoziiert [4]
    • Nicht-Steroidale Antirheumatika (NSAR)
      • Acetylsalicylsäure (ASS)
      • Diclofenac
      • Ibuprofen/Naproxen
      • Indometacin
      • Nichtsaure Analgetika [keine Nephrotoxizität] 
        • Metamizol (Novaminsulfon) ist ein Pyrazolon-Derivat und Analgetikum aus der Gruppe der nichtsauren Nichtopioid-Analgetika (höchste analgetische und antipyretische Wirkung. Nebenwirkungen: Kreislaufschwankungen, Überempfindlichkeitsreaktionen, sowie sehr selten eine Agranulozytose. [Erwähnung wegen oben genannter Kombination; keine Nephrotoxizität, nur geringe renale Elimination]
        • Paracetamol/Acetaminophen [Erwähnung wegen oben genannter Kombination; keine Nephrotoxizität, keine renale Elimination]
      • Metamizol (Novaminsulfon) ist ein Pyrazolon-Derivat und Analgetikum aus der Gruppe der nichtsauren Nichtopioid-Analgetika (höchste analgetische und antipyretische Wirkung. Nebenwirkungen: Kreislaufschwankungen, Überempfindlichkeitsreaktionen, sowie sehr selten eine Agranulozytose.
      • Paracetamol/Acetaminophen
      • Phenacetin (Phenacetin-Nephritis)
      • Selektive COX-2-Hemmer wie Rofecoxib, Celecoxib (Nebenwirkungen: verringerte Natrium- und Wasserausscheidung, Blutdruckanstieg sowie periphere Ödeme. Damit einher geht in der Regel eine Hyperkaliämie!)
  • Antibiotika
    • Aminoglycosidantibiotika (Aminoglykoside) – Amikacin, Gentamycin (Gentamicin), Netilmicin, Paromomycin, Streptomycin, Tobramycin, Vancomycin
    • Ampicillin (Gruppe der β-Lactam-Antibiotika)
    • Cephalosporine (Cefotaxim, Cefotiam, Cefuroxim)
    • Amoxicillin
    • Carbenicillin
    • Ethambutol (Tuberkulostatikum)
    • Fenoprofen
    • Glykopeptidantibiotika (Telavancin, Vancomycin) – insb. Piperacillin reduziert die Vancomycin-Clearance
    • Gyrasehemmer (extrem selten: akute interstitielle Nephritis nach Ciprofloaxin, Ofloxacin und Norfloxacin)
    • Lincosamid-Antibiotika (Clindamycin)
    • Methicillin (penicillinasefestes Penicillin)
    • Oxacillin
    • Rifampicin (bakterizides Antibiotikum aus der Gruppe der Ansamycine)
    • Sulfonamide wie Sulfadiazin, Cotrimoxazol (feste Kombination aus: Trimethoprim + Sulfamethoxazol)
    • Tetracycline (Doxycyclin)
  • Antimykotika
    • Polyene (Amphotericin B, liposomales Amphotericin B, Natamycin)
  • Calciumantagonisten vom Diyhdropyridin-Typ und Abwesenheit eines RAS-Blockers
  • Chloralhydrat
  • Colchicin
  • Dihydrouridin-Calciumkanalblocker (DCCB): Unter DCCB ist das Risiko für eine Albuminurie signifikant höher als unter Thiaziden, insbesondere ohne begleitende RAS-Hemmung [9].
  • Diuretika
    • Thiaziddiuretika (Hydrochlorothiazid (HCT), Benzthiazid, Clopamid, Chlortalidon (CTDN), Chlorothiazid, Hydroflumethiazid, Indapamid, Methyclothiazid, Metolazon, Polythiazid und Trichlormethiazid, Xipamid) + ältere Patienten: Rückgang der GFR um mehr als 25 % [2]
    • Die Kombination eines Diuretikums, eines RAS-Blockers und eines NSAR ist mit einem signifikanten Risiko einer akuten Nierenschädigung assoziiert [1].
  • D-Penicillamin
  • Gold – Natriumaurothiomalat, Auranofin
  • Hydroxyethylstärke (HES)
  • Immunsuppressiva (Ciclosporin (Cyclosporin A)– insb. Ciprofloxacin plus Ciclosporin A 
  • Interferon
  • Kolloidale Lösung mit Hydroxethylstärke
  • Kontrastmittel – Bedeutung haben hier insbesondere gadoliniumhaltige Magnetresonanztomographie (MRT)-Kontrastmittel, die zu einer nephrogenen systemischen Fibrose (NSF) führen können. Besonders betroffen von NSF sind Patienten mit einer glomerulären Filtrationsrate (GFR) von weniger als 30 ml/min. [CKD-Stadium 4]; jodhaltige Röntgenkontrastmittel; [erfordern bei Niereninsuffizienz ein prophylaktische Wässerung]
    EMA (Europäische Arzneimittelagentur): Kategorisierung von GBCAs (Gadolinium-basierten Kontrastmittel) bezüglich des NSF-Risikos (nephrogener systemischer Fibrose), auf der Grundlage der thermodynamischen und kinetischen Eigenschaften [4]:
    Hohes Risiko:
    • Gadoversetamid, Gadodiamid (linear/nicht-ionische Chelate) Gadopentetat-Dimeglum (linear/ionisches Chelat)
    Mittleres Risiko:
    • Gadofosveset, Gadoxetsäure-Dinatrium, Gadobenat-Dimeglumin (linear/ionische Chelate)
    Niedriges Risiko
    • Gadoterat-Meglumin, Gadoteridol, Gadobutrol (makrozyklische Chelate)
  • Lithium (Nephrotoxizität bei der Langzeittherapie)
  • Onkologische Therapie
    • Immuntherapie – Checkpoint-Inhibitoren (monoklonale Antikörper), Bevacizumab (VEGF-Antikörper), Trastuzumab (HER2-Antikörper) – Nivolumab (PD-1-Antikörper)
    • Zielgerichtete Therapien – "Targeted therapies", Everolimus (mTOR-Inhibitor), Imatinib (Tyrosinkinaseinhibitor), Vemurafenib (Serin‑/Threoninkinaseinhibitor)
    • Zytostatika – Carboplatin, Cisplatin, Cyclophosphamid, Gemcitabin, Iphosphamid (Ifosfamid), Melphalan, Methotrexat (MTX), Mitomycin C, Platin (Cisplatin)
  • Protonenpumpenhemmer (Protonenpumpeninhibitoren, PPI; Säureblocker) [5]
    • "Atherosclerosis Risk in Communities" (ARIC)10-jährige PPI-Anwendung: Erkrankungsrate der chronischen Niereninsuffizienz bei Patienten mit PPI 11,8 %, ohne 8,5 %; Rate der Nierenschädigungen: 64 %; zwei Pillen am Tag führten signifikant häufiger zu Schäden: 62 % 
    • Geisinger-Health-System: Beobachtungszeit 6,2 Jahre; Erkrankungsrate der chronischen Niereninsuffizienz: 17 %; Rate der Nierenschädigungen: 31 %; zwei Pillen am Tag führten zu signifikant häufiger Schäden: 28 % 
    • Analyse der Datenbank FAERS, in der die US-Arzneimittelbehörde FDA Meldungen zu unerwünschten Arzneimittelwirkungen (UAW) sammelt [6]:
      • Chronische Nierenerkrankungen: 28,4-fach, akute Nierenschäden: 4,2-fach, Nierenerkrankungen im Endstadium (Dialyse): 35,5-fach; unspezifische Nierenfunktionsstörungen: 8-fach häufiger
      • Elektrolytstörungen: Hypomagnesiämie (Magnesiummangel): 78,5-fach häufiger, Hypocalcämie (Calciummangel): 26-fach, Hypokaliämie (Kaliummangel): 6,3-fach, Hyponatriämie (Natriummangel): 2,2-fach häufiger
  • Rast-Blocker: Die Kombination eines Diuretikums, eines RAS-Blockers und eines NSAR ist mit einem signifikanten Risiko einer akuten Nierenschädigung assoziiert [1].
  • Tacrolismus (Makrolid aus dem gram-positiven Bakterium Streptomyces tsukubaensis. Tacrolimus wird verwendet als Arzneistoff aus der Gruppe der Immunmodulatoren oder Calcineurinhemmer)
  • TNF-α-Antikörper – Adalimumab → IgA-Nephropathie (mit 30 % die häufigste Form einer idiopathischen Glomerulonephritis im Erwachsenenalter)
  • Virostatika
    • Nukleosid-Analoga (Aciclovir, Brivudin, Cidofovir, Famciclovir, Ganciclovir, Valaciclovir)
    • Sonstige (Foscarnet)

Umweltanamnese

  • Sind Sie schädigenden Umweltfaktoren ausgesetzt, die eine Nierenschädigung begünstigen könnten? Beispiele:
    • Halogenierte Kohlenwasserstoffe (Trichlorethen, Tetrachlorethen, Chloroform)
    • Hitzestress in Kombination mit körperlicher Überanstrengung?
    • Mykotoxine (z. B. Ochratoxin A, Aflatoxin B1)
    • Pestizide und Herbizide (z. B. Paraquat, Diquat)
    • Schwermetalle (Cadmium, Blei, Quecksilber, Nickel, Chrom, Uran)

* Falls diese Frage mit "Ja" beantwortet worden ist, ist ein sofortiger Arztbesuch erforderlich! (Angaben ohne Gewähr)

Unsere Empfehlung: Drucken Sie die Anamnese aus, markieren Sie alle mit „Ja“ beantworteten Fragen und nehmen Sie das Dokument mit zu Ihrem behandelnden Arzt.

Literatur
  1. Lapi F et al.: Concurrent use of diuretics, angiotensin converting enzyme inhibitors, and angiotensin receptor blockers with non-steroidal anti-inflammatory drugs and risk of acute kidney injury: nested case-control study. BMJ 2013, 346: eB525, doi 1011136/bmj.e8525.
  2. Makam AN et al.: Risk of Thiazide-Induced Metabolic Adverse Events in Older Adults.Journal of the American Geriatrics Society
    2014 Jun;62(6):1039-45. doi: 10.1111/jgs.12839.
  3. Hwang YJ et al.: Atypical Antipsychotic Drugs and the Risk for Acute Kidney Injury and Other Adverse Outcomes in Older Adults. A Population-Based Cohort Study. Ann Intern Med 2014; 161:242-248. doi:10.7326/M13-2796.
  4. EMA: Assessment report for Gadolinium-containing contrast agents. Procedure No. EMEA/H/A-31/1097 1 July 2010 EMA/740640/2010
  5. Lazarus B et al.: Proton Pump Inhibitor Use and the Risk of Chronic Kidney Disease. JAMA Intern Med. Published online January 11, 2016. doi:10.1001/jamainternmed.2015.7193
  6. Makunts T et al.: Analysis of postmarketing safety data for proton-pump inhibitors reveals increased propensity for renal injury, electrolyte abnormalities, and nephrolithiasis. Scientific Reports 9, Article number: 2282 (2019)
  7. Nelson DA et al.: Association of Nonsteroidal Anti-inflammatory Drug Prescriptions With Kidney Disease Among Active Young and Middle-aged Adults. JAMA Netw Open. 2019;2(2):e187896. doi:10.1001/jamanetworkopen.2018.7896
  8. Chapman, Christopher et al.: Kidney physiology and pathophysiology during heat stress and the modification by exercise, dehydration, heat acclimation and aging. Temperature; 2021, VOL. 8, NO. 2, 108–159, doi:10.1080/23328940.2020.1826841.
  9. Blum MF et al.: Dihydropyridine Calcium Channel Blockers and Kidney Outcomes. J Gen Intern Med 2024; https://doi.org/10.1007/s11606-024-08762-2