Nierenbeckenentzündung (Pyelonephritis) – Ursachen
Pathogenese (Krankheitsentstehung)
Die Pyelonephritis ist eine bakterielle Entzündung des Nierenbeckens und des Nierengewebes. Sie tritt häufig als Folge einer aufsteigenden Infektion aus der Blase auf und ist oft mit Harnwegsinfektionen verbunden. In selteneren Fällen kann die Infektion auf hämatogenem Weg (über den Blutkreislauf) entstehen.
Primäre pathophysiologische Mechanismen
Aszendierende Infektion
Die häufigste Ursache einer akuten Pyelonephritis ist eine aszendierende (aufsteigende) Infektion, bei der Bakterien aus der Blase über die Harnleiter (Ureteren) in das Nierenbecken gelangen. Der vesikouretrale Reflux, bei dem es zu einem unphysiologischen Rückfluss von Harn aus der Blase in die Harnleiter kommt, spielt ebenfalls eine wichtige Rolle bei der Entstehung dieser Infektionen. Diese Rückflussmechanik erleichtert die bakterielle Aszension in das Nierengewebe.
Hämatogene und lymphogene Infektion
In selteneren Fällen kann eine Pyelonephritis hämatogen (über den Blutweg) entstehen, insbesondere im Rahmen einer Sepsis (Blutvergiftung) oder bei einer bakteriellen Endokarditis. Auch eine lymphogene Ausbreitung der Infektion ist möglich, wobei die Bakterien über die Lymphwege in die Niere gelangen.
Granulozytäre Entzündung und Gewebsnekrose
Die akute Pyelonephritis ist charakterisiert durch eine granulozytäre Entzündung (eitrige Entzündung), bei der Granulozyten (eine Art weißer Blutkörperchen) ins entzündete Gewebe einwandern. Dies führt zur Gewebsnekrose (Absterben von Gewebe), wobei insbesondere die Tubuli (Nierenkanälchen) betroffen sind.
Chronische Pyelonephritis
Bei einer chronischen Pyelonephritis kommt es zu rezidivierenden Entzündungen, die zu Narbenbildung und einer Deformierung der Niere führen können. Diese chronischen Schäden erhöhen das Risiko für die Entwicklung einer Niereninsuffizienz (Nierenschwäche) und verschlechtern die langfristige Prognose des Patienten.
Erreger der Pyelonephritis
Die häufigsten Erreger einer Pyelonephritis sind bakterielle Krankheitserreger, die entweder aus der Blase aufsteigen oder über den Blutweg in die Niere gelangen. Die häufigsten Erreger sind:
- Uropathogene Escherichia coli (UPEC): Verantwortlich für 75-80 % der Fälle von ambulant erworbenen Harnwegsinfektionen (HWI). UPEC ist der häufigste Erreger einer Pyelonephritis.
- Staphylococcus saprophyticus: Ein häufig vorkommender Erreger, besonders bei sexuell aktiven jungen Frauen.
- Klebsiella pneumoniae: Ein weiterer häufiger HWI-Erreger, der oft in Krankenhausumgebungen vorkommt.
- Proteus mirabilis: Bekannt für seine Fähigkeit, Harnsteine zu bilden und sich in alkalischem Urin zu vermehren.
- Enterokokken: Oft bei Mischinfektionen zu finden, besonders bei Patienten mit strukturellen Anomalien des Harntrakts.
- Enterobacter: Ein typischer nosokomialer (krankenhausassoziierter) Erreger.
- Pseudomonas aeruginosa: Ein häufig in Krankenhäusern vorkommender Erreger, der oft bei Patienten mit Kathetern oder anderen urologischen Instrumenten gefunden wird.
- Salmonellen: Verursachen etwa 0,5 % der Harnwegsinfektionen, in der Regel nach einer vorausgegangenen Darminfektion.
- Ureaplasmen und Mykoplasmen: Diese atypischen Erreger können ebenfalls eine Rolle bei der Entstehung von Harnwegsinfektionen spielen, insbesondere bei immungeschwächten Patienten.
Zusammenfassung und klinische Relevanz
Die Pyelonephritis ist eine ernste bakterielle Infektion des Nierenbeckens, die häufig durch eine aufsteigende Infektion aus der Blase verursacht wird. Uropathogene E. coli sind in den meisten Fällen der Erreger. Der Verlauf kann akut oder chronisch sein, wobei chronische Infektionen zu Narbenbildung und einer fortschreitenden Niereninsuffizienz führen. Eine frühzeitige Behandlung ist entscheidend, um dauerhafte Nierenschäden zu vermeiden. Sepsis (Blutvergiftung), vesikouretraler Reflux (Zurückfließen des Urins von der Blase in die Nieren) und andere Faktoren können das Risiko für Pyelonephritiden erhöhen, insbesondere bei Patienten mit strukturellen Anomalien des Harntrakts oder wiederkehrenden Harnwegsinfektionen.
Ätiologie (Ursachen)
Biographische Ursachen
- Genetische Belastung
- Genetische Erkrankungen
- Sichelzellenanämie (med.: Drepanozytose; auch Sichelzellanämie, engl.: sickle cell anemia) – genetische Erkrankung mit autosomal-rezessivem Erbgang, die die Erythrozyten (rote Blutkörperchen) betrifft; sie gehört zur Gruppe der Hämoglobinopathien (Störungen des Hämoglobins; Bildung eines irregulären Hämoglobins, dem sogenannten Sichelzellhämoglobin, HbS)
- Genetische Erkrankungen
- Anatomische Besonderheiten – beispielsweise Hufeisenniere, doppelte Harnleiteranlage, Zystennieren
- Jugendliches Alter bei der ersten Harnwegsinfektion
- Hormonelle Faktoren – Gravidität (Schwangerschaft)
Verhaltensbedingte Ursachen
- Ernährung
- Mikronährstoffmangel (Vitalstoffe) – siehe Prävention mit Mikronährstoffen
- Benutzung von Scheidendiaphragmen und Spermiziden – hierdurch wird die normale bakterielle vaginale Flora (Mikrobiota) verändert, sodass es zu einem Anstieg des Bakteriums E. coli – Escherichia coli – in der Vagina (Scheide) kommen kann, was mit einem erhöhten Risiko für eine Zystitis* (Blasenentzündung) verbunden ist
- Sexuelle Aktivität – durch Koitus können Bakterien in die Blase gelangen und eine Zystitis* verursachen (= zeitnaher Geschlechtsverkehr). Eine Miktion postkoital (Wasserlassen nach dem Geschlechtsverkehr) kann das Risiko vermindern, da hierdurch eventuell vorhandene Bakterien wieder ausgespült werden. Weiterhin sollte der männliche Partner auf eine ausreichende Hygiene achten.
*Jede Zystitis (Blasenentzündung) erhöhtes Risiko für eine Pyelonephritis
Krankheitsbedingte Ursachen
- Chronisch-entzündliche Darmerkrankungen (CED; engl.: inflammatory bowel disease, IBD) wie Colitis ulcerosa oder Morbus Crohn – können über den Blutweg (hämatogen) zu einer Pyelonephritis führen
- Diabetes mellitus
- Harnabflussstörungen*, z. B.:
- Obstruktion (Verschluss) bzw. anatomische Abnormität der ableitenden Harnwege
- Benigne Prostatahyperplasie (BPH) – gutartige Vergrößerung der Prostata
- Harnröhrenstriktur (Harnröhrenverengung) – z. B. aufgrund von venerischen Krankheiten (Geschlechtskrankheiten) wie Syphilis (Lues) oder Gonorrhoe (Tripper) – oder auch kongenital (angeboren)
- Nephrolithiasis (Nierensteine), Urolithiasis (Harnsteine)
- Neurogene Blasenentleerungsstörungen – z. B. bei Diabetes mellitus, Multipler Sklerose (MS), Tabes dorsalis
- Vesikoureteraler Reflux (VUR; unphysiologischer Rückfluss von Harn aus der Blase über die Ureteren (Harnleiter) in das Nierenbecken) (Harnwegsinfektionen (HWI) im Kindesalter)
- Schwangerschaft
- Gicht
- HIV-Erkrankung
- Immundefekt mit einhergehender Abwehrschwäche*
- Plasmozytom (multiples Myelom) – bösartige Tumorerkrankung aus der Gruppe der Non-Hodgkin-Lymphome. Sein Ursprung liegt wie bei allen Lymphomen im lymphatischen Gewebe; viele (multiple) vom Knochenmark ausgehende Tumoren (Myelome)
- Tumorerkrankungen des Urogenitalsystems
- Urolithiasis* (Harnsteine)
- Zystitis (Harnblasenentzündung)
Medikamente
- Analgetika (Schmerzmittel), welche bei Dauertherapie nephrotoxisch sind, wie z. B. Phenacetin
- Corticosteroide – führen bei längerer Anwendung zu einer Unterdrückung des Immunsystems
- Immunsuppressiva* (Medikamente, welche die Funktionen des Immunsystems vermindern)
- Schmerzmittel, welche die Nieren schädigen können, wie z. B. Phenacetin
- Zytostatika (Substanzen, die das Zellwachstum bzw. die Zellteilung hemmen)
Operationen
- Eingriff im Bereich der Harnwege (v. a. nach transurethraler Resektion der Prostata/urologische Operationstechnik, bei der krankhaft verändertes Prostatagewebe ohne äußeren Schnitt durch die Urethra (Harnröhre) hindurch entfernt werden kann)
- Instrumentelle urologische Eingriffe (z. B. Zystoskopie/Blasenspiegelung), welche mit einer Keimverschleppung verbunden sein können
- Nierentransplantation* (NTx, NTPL)
Strahlentherapie
- Radiatio (Strahlentherapie) im Harntrakt oder Becken* → Schwächung des Immunsystems
Weitere Ursachen
- Gebrauch von Diaphragma und Spermiziden
- Mechanische Reize – Fremdkörper im Harntrakt* (Blasenverweilkatheter, suprapubischer Katheter/Blasenkatheter, der oberhalb des Schambeins durch die Bauchwand in die Harnblase eingeführt wird, Harnleiterschiene, Nephrostomie/Anlegung einer Nierenfistel zur Ableitung des Urins nach außen)
- Stress und dauernde Anspannung – verspannte Blasenwände erhöhen das Risiko aufgrund einer verminderten Schleimproduktion
- Gravidität (Schwangerschaft)
*Risikofaktoren für die Entwicklung einer komplizierten Harnwegsinfektion