Neurogene Blase – Operative Therapie

Die neurogene Blase (Blasenfunktionsstörung durch Nervenschädigung) ist eine Störung der Blasenentleerung, die infolge einer neurologischen Erkrankung oder Verletzung auftritt. Die operative Therapie kommt zum Einsatz, wenn medikamentöse und konservative Maßnahmen nicht ausreichend wirksam sind.

Indikationen (Anwendungsgebiete)

  • Nicht beherrschbare Detrusorhypertrophie (Verdickung des Blasenmuskels mit Trabekulierung und Pseudodivertikelbildung)
  • Nicht beherrschbare Sphinkter-external-Spastik (Spastische Fehlfunktion des äußeren Harnröhrenschließmuskels)
  • Detrusorüberaktivität (Überaktive Blase mit unwillkürlichen Kontraktionen)
  • Detrusor-Sphinkter-Dyssynergie (DSD, gestörtes Zusammenspiel zwischen Blasenmuskel und Schließmuskel)
  • Hypoaktiver Sphinkter (Mangelnde reflektorische Kontraktion des Schließmuskels bei Druckanstieg im Bauchraum)
  • Hypokontraktiler Detrusor (Schwache Blasenkontraktionen mit unzureichender Blasenentleerung)
  • Persistierende Belastungsinkontinenz (Unkontrollierter Urinverlust bei Druckbelastung, z. B. Husten oder Niesen)

Kontraindikationen (Gegenanzeigen)

  • Unkontrollierte Infektionen der Harnwege oder der Blase
  • Schwere Gerinnungsstörungen (erhöhtes Blutungsrisiko bei operativen Eingriffen)
  • Hohes Operationsrisiko aufgrund systemischer Erkrankungen (z. B. fortgeschrittene Herz-Kreislauf-Erkrankungen)
  • Unzureichende Compliance des Patienten für postoperative Maßnahmen

Operationsverfahren

Nicht beherrschbare Detrusorhypertrophie (Verdickung des Blasenmuskels)

  • Harnblasenaugmentation (Blasenvergrößerung) mit Dünndarm
  • Harnableitung über Ileumconduit (Ablenkung des Urins über eine Dünndarmschlinge mit Stoma)
  • Kontinentes katheterisierbares Reservoir (künstliche Blasenspeicherung mit intermittierendem Katheterismus)
  • Dorsale Rhizotomie (Durchtrennung sensorischer Nervenwurzeln im unteren Rückenmark zur Reduktion der Blasenüberaktivität)

Nicht beherrschbare Sphinkter-external-Spastik (Spastische Fehlfunktion des äußeren Schließmuskels)

  • Inzision des Sphinkters (Einschneiden des äußeren Schließmuskels zur Entspannung)
  • Stentimplantation zur dauerhaften Weitung des Schließmuskels
  • Injektion von Botulinumtoxin (Toxin zur vorübergehenden Muskelentspannung)

Detrusorüberaktivität (Überaktive Blase mit unwillkürlichen Kontraktionen)

  • Harnblasenaugmentation mit Dünndarm oder Ileumconduit
  • Harnableitung über Ileumconduit oder katheterisierbares Reservoir

Detrusor-Sphinkter-Dyssynergie (DSD, gestörtes Zusammenspiel von Blasenmuskel und Schließmuskel)

  • Sakrale Vorderwurzelstimulation (Elektrische Stimulation des Rückenmarks zur Blasenkontrolle)
  • Kombination mit dorsaler Rhizotomie (Durchtrennung sensorischer Nervenwurzeln bei kompletter Rückenmarkverletzung)
  • Komplette transurethrale Sphinkterotomie (Einkerbung des Schließmuskels zur Blasenentleerung)
  • Harnblasenaugmentation mit Dünndarm oder Ileumconduit

Hypoaktiver Sphinkter (Mangelnde Schließmuskelreaktion bei Druckanstieg)

  • Artifizielles Sphinktersystem (Hydraulisches Schließmuskelsystem zur Blasenkontrolle)
  • Transurethrale Unterspritzung mit „bulking agents“ (Volumenaufbau durch Silikon, Teflon, Fett oder Kollagen)

Hypokontraktiler Detrusor (Schwache Blasenkontraktionen)

  • Suprapubische Harndauerableitung (Katheter über die Bauchwand zur Blasenentleerung für mindestens 12 Wochen)
  • Sakrale Neuromodulation (SNM, Blasenschrittmacher mit elektrischer Stimulation der Sakralnervenwurzel S3 zur Verbesserung der Blasenkontrolle)

Persistierende Belastungsinkontinenz (Unkontrollierter Urinverlust bei Belastung)

  • Implantation eines hydraulischen Sphinktersystems zur Wiederherstellung der Blasenkontrolle

Postoperative Nachsorge

  • Regelmäßige Blasenkontrollen per Ultraschall und Urodynamik zur Funktionsbewertung
  • Langfristige Antibiotikaprophylaxe zur Vermeidung von Harnwegsinfektionen
  • Kontrolle der Nierenfunktion zur frühzeitigen Erkennung von Komplikationen
  • Physiotherapie zur Unterstützung der Beckenbodenfunktion

Mögliche Komplikationen

  • Harnwegsinfektionen (Bakterielle Besiedlung der Blase durch invasive Eingriffe)
  • Restharnbildung mit erhöhtem Infektionsrisiko
  • Stoma-Komplikationen bei inkontinenter Harnableitung (Hautreizungen, Stenosen/Verengungen)
  • Niereninsuffizienz durch chronische Blasenentleerungsstörungen
  • Miktionseinschränkungen durch Narbenbildung oder Schwellungen im OP-Gebiet

Vergleich der Operationsmethoden

Verfahren Indikationen (Anwendungsgebiete) Vorteile Nachteile
Harnblasenaugmentation (Blasenvergrößerung) Detrusorhypertrophie, Detrusorüberaktivität Verbesserte Speicherkapazität der Blase Risiko für Schleimhautinflammation und Harnwegsinfektionen
Sakrale Neuromodulation (Blasenschrittmacher) Detrusor-Sphinkter-Dyssynergie, neurogene Überaktivität Minimalinvasiv, reversibel Teuer, mögliche Funktionsstörungen des Implantats
Künstlicher Sphinkter (hydraulisches System) Hypoaktiver Sphinkter, Belastungsinkontinenz Gute Langzeitergebnisse Operativer Eingriff, mögliche Materialversagen
Harnableitung über Ileumconduit Schwere Blasenfunktionsstörungen, Detrusorüberaktivität Permanente Harnableitung ohne Katheterisierung Erfordert Stomaversorgung, Risiko für metabolische Veränderungen
Botulinumtoxin-Injektion Spastische Blasenentleerungsstörung, Sphinkterdysfunktion Minimalinvasiv, wiederholbar Kurzfristige Wirkung, regelmäßige Nachbehandlungen notwendig

Fazit

  • Die Wahl der operativen Therapie hängt von der Art der neurogenen Blasenfunktionsstörung ab.
  • Harnblasenaugmentation und sakrale Neuromodulation bieten langfristige Verbesserungen der Blasenkontrolle.
  • Für Patienten mit schweren Sphinkterstörungen kann ein künstliches Sphinktersystem oder eine transurethrale Unterspritzung in Betracht gezogen werden.
  • Harnableitung über Ileumconduit bleibt die letzte Option bei therapieresistenter neurogener Blase.
  • Langfristige Nachsorge ist essenziell, um Komplikationen zu vermeiden und die Lebensqualität der Patienten zu optimieren.

Leitlinien

  1. S2k-Leitlinie: Diagnostik und Therapie der neurogenen Blasenfunktionsstörungen bei Kindern und Jugendlichen mit spinaler Dysraphie. (AWMF-Registernummer: 043 - 047), März 2019 Langfassung
  2. S1-Leitlinie: Diagnostik und Therapie von neurogenen Blasenstörungen. (AWMF-Registernummer: 030-121), Januar 2020 Langfassung