Nephrotisches Syndrom – Ursachen

Pathogenese (Krankheitsentstehung)

Das nephrotische Syndrom ist durch eine Schädigung der Glomeruli (Nierenkörperchen) gekennzeichnet, die zu einer abnormen Durchlässigkeit der glomerulären Basalmembran führt. Diese Störung resultiert in einem übermäßigen Verlust von Eiweißen (Proteinurie) über den Urin, was die klassischen Symptome des nephrotischen Syndroms erklärt, darunter Ödeme, Hypoalbuminämie und Hyperlipidämie.

Primäre pathophysiologische Mechanismen

Schädigung der Podozyten und Basalmembran

Die Schädigung der Podozyten (Epithelzellen der Nierenkörperchen) und der glomerulären Basalmembran ist der zentrale Mechanismus beim nephrotischen Syndrom. Durch verschiedene Erkrankungen, Medikamente oder Umweltbelastungen/Intoxikationen (Vergiftungen) wird die Integrität der Podozyten und der Basalmembran gestört, wodurch die Membran durchlässiger wird. Diese abnorme Durchlässigkeit ermöglicht den Verlust von großen Eiweißen, insbesondere von Albumin, über den Urin.

Primäre glomeruläre Erkrankungen

In 70 % der Fälle ist das nephrotische Syndrom die Folge einer primären glomerulären Erkrankung. Die häufigsten primären Ursachen sind:

  • Membranöse Glomerulonephritis: Hierbei kommt es zur Ablagerung von Immunkomplexen in der glomerulären Basalmembran, was zu deren Verdickung und Funktionsstörung führt.
  • Minimal-Change-Glomerulonephritis: Diese Erkrankung ist besonders häufig bei Kindern und geht mit minimalen Veränderungen im glomerulären Gewebe einher. Die Schädigung der Podozyten führt zu einer erheblichen Proteinurie.
  • Fokal-segmentale Glomerulosklerose (FSGS): Diese Erkrankung führt zu segmentalen Vernarbungen der Glomeruli, was ebenfalls die glomeruläre Filtrationsbarriere schädigt.

Sekundäre Ursachen

In den verbleibenden Fällen sind sekundäre Erkrankungen für das nephrotische Syndrom verantwortlich. Die häufigsten sekundären Ursachen sind:

  • Diabetes mellitus: Führt über Jahre zu strukturellen Veränderungen in den Glomeruli, was schließlich zu einer diabetischen Nephropathie und damit zu einem nephrotischen Syndrom führt.
  • Amyloidose: Hierbei kommt es zur Ablagerung von Amyloidproteinen in den Glomeruli, die deren Funktion beeinträchtigen.
  • Systemischer Lupus erythematodes (SLE): Diese Autoimmunerkrankung führt zu einer chronischen Entzündung der Glomeruli und ist eine häufige sekundäre Ursache des nephrotischen Syndroms.

Idiopathisches nephrotisches Syndrom

Das sogenannte idiopathische nephrotische Syndrom wurde in jüngster Zeit besser verstanden. In 90 % der Fälle von Kindern mit nephrotischem Syndrom und in 69 % der Fälle von Erwachsenen mit der ähnlichen Minimal-Change-Erkrankung wurden Autoantikörper gegen Nephrin nachgewiesen. Nephrin ist ein wichtiges Protein der glomerulären Filterbarriere. Der Anti-Nephrin-Autoantikörper bindet direkt an die glomerulären Kapillaren, was zu einer verringerten Dichtigkeit der Nierenfilter führt und den übermäßigen Eiweißverlust im Urin verursacht. Dieser Mechanismus erklärt einen Großteil der bisher als idiopathisch bezeichneten Fälle des nephrotischen Syndroms [1].

Sekundäre pathophysiologische Mechanismen

  • Proteinurie: Durch die Schädigung der glomerulären Barriere werden große Proteine, insbesondere Albumin, vermehrt über den Urin ausgeschieden. Dies führt zur Hypoalbuminämie (niedriger Albuminspiegel im Blut) und vermindert den kolloidosmotischen Druck, was die typischen Ödeme (Wassereinlagerungen im Gewebe) beim nephrotischen Syndrom erklärt.
  • Hyperlipidämie: Der Verlust von Eiweiß über den Urin führt zu einer Kompensation der Leber, die vermehrt Lipide produziert, was zu einer erhöhten Blutfettkonzentration führt.

Klinische Manifestation

Leitsymptome

  • Ödeme: Weichteilschwellungen, die zunächst peripher auftreten, später auch im Bauchraum (Aszites) und in der Lunge (Pleuraerguss).
  • Proteinurie: Stark erhöhte Ausscheidung von Proteinen über den Urin, was typischerweise durch Schaumbildung im Urin auffällt.
  • Hypoalbuminämie: Erniedrigter Eiweißspiegel im Blut, was den kolloidosmotischen Druck beeinträchtigt und zu Ödemen führt.

Fortgeschrittene Symptome

  • Thrombosegefahr: Der Verlust von Gerinnungsfaktoren über den Urin erhöht das Risiko für Thrombosen (Bildung von Blutgerinnseln).
  • Infektionsanfälligkeit: Der Verlust von Immunglobulinen im Urin führt zu einer erhöhten Anfälligkeit für Infektionen.

Zusammenfassung und klinische Relevanz

Das nephrotische Syndrom ist eine schwere Erkrankung der Nierenkörperchen, die durch eine Schädigung der glomerulären Basalmembran und Podozyten verursacht wird. Diese Schädigung führt zu einer abnormen Durchlässigkeit der Nierenfilter, was zu einem erheblichen Verlust von Eiweißen über den Urin führt. Das Syndrom kann durch eine Vielzahl von primären und sekundären Ursachen ausgelöst werden. Neueste Erkenntnisse über Autoantikörper gegen Nephrin haben das Verständnis des idiopathischen nephrotischen Syndroms revolutioniert, insbesondere bei Kindern und Erwachsenen mit der Minimal-Change-Erkrankung [1]. Eine frühzeitige Diagnose und gezielte Therapie sind entscheidend, um das Fortschreiten der Erkrankung zu verlangsamen und Komplikationen wie Thrombosen und Infektionen zu verhindern.

Ätiologie (Ursachen)

Biographische Ursachen

  • Genetische Belastung
    • Genetische Erkrankungen
      • Alport-Syndrom (auch progressive hereditäre Nephritis genannt) – genetische Erkrankung mit sowohl autosomal-dominantem als auch autosomal-rezessivem Erbgang mit fehlgebildeten Kollagenfasern, die zur Nephritis (Nierenentzündung) mit fortschreitender Niereninsuffizienz (Nierenschwäche), Innenohrschwerhörigkeit und verschiedenen Augenerkrankungen wie beispielsweise einen Katarakt (grauer Star) führen kann
      • Sichelzellenanämie (med.: Drepanozytose; auch Sichelzellanämie, engl.: sickle cell anemia) – genetische Erkrankung mit autosomal-rezessivem Erbgang, die die Erythrozyten (rote Blutkörperchen) betrifft; sie gehört zur Gruppe der Hämoglobinopathien (Störungen des Hämoglobins; Bildung eines irregulären Hämoglobins, dem sogenannten Sichelzellhämoglobin, HbS)

Krankheitsbedingte Ursachen

Blut, blutbildende Organe – Immunsystem (D50-D90)

  • Sarkoidose (Synonyme: Morbus Boeck; Morbus Schaumann-Besnier) – systemische Erkrankung des Bindegewebes mit Granulombildung

Endokrine, Ernährungs- und Stoffwechselkrankheiten (E00-E90)

  • Amyloidose ‒ extrazelluläre ("außerhalb der Zelle") Ablagerungen von Amyloiden (abbauresistente Proteine), die u. a. zu einer Kardiomyopathie (Herzmuskelerkrankung), Neuropathie (Erkrankung des peripheren Nervensystems) und Hepatomegalie (Lebervergrößerung) führen können.
  • Diabetes mellitus
  • Hypothyreose (Schilddrüsenunterfunktion)

Kreislaufsystem (I00-I99) 

  • Hypertonie (Bluthochdruck)

Infektiöse und parasitäre Krankheiten (A00-B99)

  • Bilharziose (Schistosomiasis) – durch Trematoden (Saugwürmer) der Gattung Schistosoma (Pärchenegel) verursachte Wurmkrankheit (tropische Infektionskrankheit) 
  • Filariose (Infektion mit parasitischen Fadenwürmern, den Filarien)
  • Hepatitis B
  • Hepatitis C
  • HIV
  • Malaria
  • Poststreptokokken-Infekt
  • Syphilis (Geschlechtskrankheit)
  • Toxoplasmose (Infektionserkrankung, die durch das zu den Protozoen (Einzeller) zählende Toxoplasma gondii verursacht wird)
  • Trypanosomeninfekte
  • Tuberkulose

Muskel-Skelett-System und Bindegewebe (M00-M99)

  • Rheumatoide Arthritis – chronisch entzündliche Multisystemerkrankung, die sich meist in Form einer Synovialitis (Gelenkinnenhautentzündung) manifestiert
  • Systemischer Lupus erythematodes (Autoimmunerkrankung)

Neubildungen – Tumorerkrankungen (C00-D48)

  • Morbus Hodgkin
  • Plasmozytom (multiples Myelom) ‒ Systemerkrankung; zählt zu den Non-Hodgkin-Lymphomen der B-Lymphozyten. Das multiple Myelom geht mit einer malignen (bösartigen) Neubildung von Plasmazellen und der Bildung von Paraproteinen einher.

Urogenitalsystem (Nieren, Harnwege – Geschlechtsorgane) (N00-N99)

  • Akute interstitielle Nephritis ‒ Form der Nierenentzündung
  • C1q-Nephropathie ‒ seltene Form der Nierenkörperchenentzündung, die vorwiegend bei Kindern und jungen Erwachsenen auftritt
  • Diabetische Nephropathie ‒ Form der Nierenerkrankung, die durch die Zuckerkrankheit bedingt ist
  • Glomerulonephritis (Nierenkörperchenentzündung)
    • membranöse Glomerulonephritis (MGN)/membranöse Nephropathie
    • membranoproliferative Glomerulonephritis (MPGN)
    • mesangiale IgA-Glomerulonephritis (Synonym: IgA-Nephropathie (IgAN))
    • Minimal Change Glomerulonephritis (MCGN)
  • Glomerulosklerose ‒ Umwandlung der Nierenkörperchen, der aufgrund zahlreicher Krankheiten auftreten kann
    • Diabetische Glomerulosklerose
    • Fokal segmentale Glomerulosklerose (FSGS) – Gruppe von chronischen Erkrankungen der Niere zusammengefasst, die gekennzeichnet ist durch im Lichtmikroskop sichtbare Sklerosen (Vernarbungen) der Kapillarschlingen des Glomerulums (Nierenkörperchen)
  • Zustand nach Nierenvenenthrombose ‒ Verschluss der Nierenvene durch einen Blutpfropf

Medikamente

  • Bisphosphonate (v .a. Palmindronat)
  • D-Penicillamin (Chelatbildner)
  • Interferon
  • Lithium
  • NSAR (nichtsteroidale Antirheumatika)
  • Rifampicin (Tuberkulostatikum)
  • Siehe auch unter "Nephrotoxische Arzneimittel"

Umweltbelastungen – Intoxikationen (Vergiftungen) 

  • Cadmium
  • Gold
  • Palladium
  • Quecksilber

Literatur

  1. Hengel T, Huber et al.: Autoantibodies Targeting Nephrin in Podocytopathies. NEJM. 2024. doi: 10.1056/NEJMoa2314471