Nächtliches Wasserlassen (Nykturie) – Einleitung

Nykturie bezeichnet die vermehrte nächtliche Harnausscheidung, bei der Betroffene mindestens zweimal pro Nacht aufstehen müssen, um die Blase zu entleeren. Dies kann zu erheblichen Störungen des Schlafrhythmus und einer damit verbundenen Beeinträchtigung der Lebensqualität führen.

Synonyme und ICD-10: nächtliches Harnlassen; nächtliche Harnabscheidung; nächtlicher Harnabgang; nächtlicher Harndrang; nächtliches Harnlassen; nächtliches Wasserlassen; ICD-10-GM R35: Polyurie: Nykturie)

Formen der Erkrankung

Pathophysiologische Klassifikation der Nykturie:

  • Globale Polyurie
    • Definition: Erhöhte Urinausscheidung von > 40 ml/kg in 24 Stunden (entspricht > 2,8 l Harn in 24 Stunden).
    • Typische Ursachen: Diabetes mellitus, Diabetes insipidus, exzessive Flüssigkeitsaufnahme.
  • Nächtliche Polyurie
    • Definition: Normale Urinausscheidung über 24 Stunden, jedoch eine erhöhte nächtliche Urinausscheidung.
    • Referenzwerte:
      • Junge Erwachsene: Mehr als 20 % der 24-Stunden-Urinproduktion in der Nacht.
      • Personen über 65 Jahre: Mehr als 33 % der 24-Stunden-Urinproduktion in der Nacht.
    • Typische Ursachen: Herzinsuffizienz (Herzschwäche), obstruktives Schlafapnoe-Syndrom (nächtliche Atemaussetzer), erhöhte nächtliche Flüssigkeitsaufnahme.
  • Verminderte Blasenkapazität
    • Definition: Häufiges Entleeren kleinerer Urinmengen (< 250 ml) durch die Blase.
    • Typische Ursachen: Überaktive Blase, Blasenentzündung, Prostataerkrankungen.

Ursachen

Primäre Ursachen

  • Erhöhte nächtliche Diurese: Überproduktion von Urin in der Nacht, häufig bedingt durch Herzinsuffizienz oder erhöhte Flüssigkeitsaufnahme vor dem Schlafengehen.
  • Reduzierte Blasenkapazität: Ursachen können eine überaktive Blase, obstruktive Uropathien/Erkrankungen der Harnorgane (z. B. benigne Prostatahyperplasie, BPH) oder chronische Blasenentzündungen sein.

Sekundäre Ursachen

  • Schlafstörungen: Insomnie, obstruktives Schlafapnoe-Syndrom (OSAS), Restless-Legs-Syndrom (RLS).
  • Endokrine Erkrankungen: Diabetes mellitus, Diabetes insipidus, Schilddrüsenfunktionsstörungen.
  • Kardiovaskuläre Erkrankungen: Chronische Herzinsuffizienz, arterielle Hypertonie (Bluthochdruck).
  • Nierenerkrankungen: Chronische Niereninsuffizienz (Nierenschwäche).

Epidemiologie

Geschlechterverhältnis: Frauen sind im 2.-3. Lebensjahrzehnt häufiger betroffen, während Männer ab dem 7. Lebensjahrzehnt häufiger betroffen sind. Im Alter von über 70 Jahren betrifft Nykturie 77 % der Frauen und 93 % der Männer [1].

Häufigkeitsgipfel: Nykturie tritt häufiger bei älteren Menschen auf, insbesondere bei Männern über 70 Jahren, bedingt durch die Zunahme der benignen Prostatahyperplasie (BPH) [1].

Prävalenz (Krankheitshäufigkeit)

  • 20- bis 40-Jährige: 2-17 % der Männer berichten über Nykturie mit mindestens zwei Episoden pro Nacht [1].
  • Über 70-Jährige: 29-59 % der Männer haben klinisch signifikante Nykturie [1].
  • Ältere Menschen: Die Prävalenz steigt mit zunehmendem Alter und erreicht in der Gruppe der über 85-Jährigen ihre höchsten Werte [1].

Saisonale Häufung: Keine signifikante saisonale Häufung der Nykturie bekannt.

Verlauf und Prognose

Verlauf

  • Initiales Auftreten:
    • Nykturie kann gelegentlich und harmlos auftreten, vor allem nach vermehrter Flüssigkeitsaufnahme am Abend. Sie kann jedoch auch das erste Symptom einer zugrunde liegenden Erkrankung sein, die eine weitere Abklärung erfordert.
  • Chronischer Verlauf:
    • Bei länger anhaltender Nykturie, die nicht durch einfache Maßnahmen wie Reduktion der abendlichen Flüssigkeitsaufnahme behoben werden kann, kann eine zugrunde liegende chronische Erkrankung vorliegen. Diese erfordert eine differenzierte Diagnostik und Therapie.
  • Kombination mit anderen Symptomen:
    • Nykturie in Kombination mit Pollakisurie (häufiges Wasser lassen in kleinen Mengen), Dysurie (schmerzhaftes Wasserlassen) oder Harnverhalt deutet auf eine mögliche urologische oder neurologische Erkrankung hin und erfordert eine umfassende diagnostische Abklärung.

Prognose

  • Abhängig von der Ursache:
    • Die Prognose der Nykturie ist stark von der zugrunde liegenden Ursache abhängig. Bei funktionellen Ursachen wie vermehrter Flüssigkeitsaufnahme oder leichten Blasenfunktionsstörungen ist die Prognose in der Regel gut.
  • Erhöhtes Risiko für Stürze:
    • Besonders bei älteren Menschen kann die Nykturie durch nächtliches Aufstehen zu einem erhöhten Risiko für Stürze und Frakturen führen. Dies ist eine bedeutende Komplikation, die die Lebensqualität und Selbstständigkeit stark beeinträchtigen kann [2, 3].
  • Auswirkungen auf die Lebensqualität:
    • Anhaltende Nykturie kann zu erheblichen Schlafstörungen führen, die wiederum Tagesmüdigkeit, Kopfschmerzen, Konzentrationsstörungen und eine verminderte kognitive Leistungsfähigkeit zur Folge haben können [2, 3].
  • Langfristige Komplikationen:
    • Unbehandelte Nykturie, insbesondere bei zugrunde liegenden kardiovaskulären oder renalen Erkrankungen, kann langfristig zu einer Verschlechterung des allgemeinen Gesundheitszustands führen. Bei schwerwiegenden Grunderkrankungen ist eine engmaschige Überwachung und Therapie notwendig, um Komplikationen zu vermeiden [4].

Hinweis: Eine adäquate und frühzeitige Diagnostik der Nykturie ist entscheidend, um eine Verschlechterung der Symptomatik und die Entwicklung von Folgekomplikationen zu verhindern. Besonders bei älteren Menschen sollte Nykturie nicht als normaler Bestandteil des Alterungsprozesses abgetan, sondern aktiv behandelt werden.

Komorbiditäten 

Zahlreiche Vorerkrankungen sind mit der Nykturie assoziiert: Dieses gilt insbesondere für die mit der Nykturie assoziierten Störungen des kardiovaskulären, renalen, endokrinen und neurologischen Systems ("SCREeN_Erkrankungen": Sleep, Cardiovascular, Renal, Endocrine, Neurology) [mod. nach 4]:

Sleep (Schlaferkrankungen)   z. B. Insomnie, Parasomnie, Restless-Legs-Syndrom (RLS), obstruktives Schlafapnoesyndrom (OSAS)
Cardiovascular (kardiovaskuläre Erkrankungen) arterielle Hypertonie (Bluthochdruck), chronische Herzinsuffizienz (Herzschwäche)
Renal (Nierenerkrankungen) chronische Niereninsuffizienz (Nierenschwäche; Prozess, der zu einer langsam fortschreitenden Verringerung der Nierenfunktion führt)
Endocrine (endokrine Erkrankungen/Erkrankungen des Hormonsystems) Diabetes mellitus, Diabetes insipidus, Schilddrüsenfunktionsstörungen etc.
Neurology (neurologische Erkrankungen; Erkrankungen des Nervensystems) nahezu alle neurologischen Erkrankungen können zu einer Nykturie führen (z. B. Morbus Parkinson, Multiple Sklerose (MS), Apoplex)

Literatur

  1. Bosch JL et al.: The prevalence and causes of nocturia. J Urol 2010;184:440-6 doi: 10.1016/j.juro.2010.04.011.
  2. Hunter KF et al.: Lower urinary tract symptoms in older adults undergoing hip arthroplasty: a feasibility study. J Wound Ostomy Continence Nurs. May-Jun 2008;35(3):334-40.
  3. Hunter KF et al.: Lower urinary tract symptoms and falls risk among older women receiving home support: a prospective cohort study. BMC Geriatr. 2013; May 15;13:46. doi: 10.1186/1471-2318-13-46.
  4. Smith M et al.: Evaluation and Treatment in Urology for Nocturia Caused by Nonurological Mechanisms: Guidance from the PLANET Study. Eur Urol Focus 2022 Jan;8(1):89-97 doi: 10.1016/j.euf.2022.01.007.