Nächtliches Wasserlassen (Nykturie) – Differentialdiagnosen

Blut, blutbildende Organe – Immunsystem (D50-D90)

  • Anämie (Blutarmut)
  • Sichelzellanämie (med.: Drepanozytose; auch Sichelzellanämie, engl.: sickle cell anemia) – genetische Erkrankung der Erythrozyten (rote Blutkörperchen); sie gehört zur Gruppe der Hämoglobinopathien (Störungen des Hämoglobins; Bildung eines irregulären Hämoglobins, dem sogenannten Sichelzellhämoglobin, HbS)

Endokrine, Ernährungs- und Stoffwechselkrankheiten (E00-E90)

  • Adipositas (Fettsucht) – Übergewichtige Männer hatten ein 1,6-fach (95 % CI 1,1-2,4) höheres Risiko für leichte und ein 2,3-fach (95 % CI 1,1-4,7) höheres Risiko für mittelschwere oder schwere Nykturie im Vergleich zu Männern mit einem normalen Body-Mass-Index [1].
  • Conn-Syndrom (primärer Hyperaldosteronismus)
  • Cushing-Krankheit
  • Diabetes insipidus – Hormonmangel-bedingte Störung im Wasserstoffwechsel, die zu einer extrem hohen Harnausscheidung (Polyurie; 5-25 l/Tag) durch eine eingeschränkte Konzentrationsfähigkeit der Nieren führt; verbunden damit ist ein gesteigertes Durstgefühl (Polydipsie; Trinkmenge von 3,5 l/24 Stunden)
  • Diabetes mellitus (Zuckerkrankheit)  klinische Symptomatik: Glukosurie (vermehrte Ausscheidung von Glucose (Traubenzucker) im Urin), Polydipsie (> 4 l/Tag; vermehrter Durst)
  • DIDMOAD-Syndrom (Synonym: Wolfram-Syndrom) – genetische Erkrankung mit autosomal-rezessivem Erbgang; Symptomenkomplex mit Diabetes mellitus, Diabetes insipidus (Hormonmangel-bedingte Störung im Wasserstoffwechsel, die zu einer extrem hohen Harnausscheidung (Polyurie; 5-25 l/Tag) durch eine eingeschränkte Konzentrationsfähigkeit der Nieren führt), Optikusatrophie (Gewebeschwund (Atrophie) des Nervus opticus/Sehnerv), Innenohrschwerhörigkeit
  • Fanconi-Syndrom (Synonyme: Gluko-Amino-Phosphat-Diabetes, De-Toni-Debré-Fanconi-Syndrom, Reno-Tubuläres Syndrom (Fanconi)
    • genetisch bedingt (hereditäres De-Toni-Debré-Fanconi-Syndrom; autosomal-rezessiver Erbgang) – Nierenfunktionsstörung (proximaler Tubulus) mit Ausscheidung von Glucose, Aminosäuren, Kalium, Phosphat und Protein im Urin; Hypercalcämie mit dem Risiko einer Nephrocalcinose und einer metabolischen Azidose (stoffwechselbedingte Übersäuerung)
    • infolge sekundärer Genese erworben (z. B. Stoffwechselerkrankungen; nephrotoxische Substanzen)
  • Hypercalcämie (Calciumüberschuss)
  • Hyperglykämie (Überzuckerung)
  • Hyperthyreose (Schilddrüsenüberfunktion)
  • Hypokaliämie (Kaliummangel)
  • Malnutrition (Mangelernährung)
  • Morbus Basedow – Form der Hyperthyreose (Schilddrüsenüberfunktion), die durch eine Autoimmunerkrankung bedingt ist. Es handelt sich dabei um eine durch stimulierende Autoantikörper gegen den TSH-Rezeptor (TRAK) induzierte Hyperthyreose
  • Morbus Cushing – Gruppe von Erkrankungen, die zum Hyperkortisolismus (Hypercortisolismus) führen

Haut und Unterhaut (L00-L99)

  • Stauungsinsuffizienz (Rechtsherzinsuffizienz)

Herzkreislaufsystem (I00-I99)

  • Apoplex (Schlaganfall)
  • Herzinsuffizienz (Herzschwäche) – klinische Symptomatik: periphere Ödeme (Wassereinlagerungen) in abhängigen Körperpartien (Knöchel, Unterschenkel, bei bettlägerigen Patienten auch sakral), Nykturie, Dyspnoe (Atemnot bzw. Kurzatmigkeit; in der Ruhe oder bei Belastung)
  • Hypertonie (Bluthochdruck)
  • Mitralstenose (Mitralklappenverengung)
  • Supraventrikuläre Tachykardie (SVT) ‒ Tachykardie, bei der es bis zu Herzfrequenzen von 150-220 Schlägen/Minute kommt; der Ursprung der Erregung im Bereich des Herzvorhofs (Atrium cordis) am Sinusknoten, Atrioventrikular-Knoten oder am His-Bündel
  • Thrombose (Gefäßerkrankung, bei der sich ein Blutgerinnsel (Thrombus) in einem Gefäß bildet) der Vena cava inferior (untere Hohlvene)
  • Venöse Stauungen

Infektiöse und parasitäre Krankheiten (A00-B99)

  • Filariose ‒ Befall durch Fadenwürmer
  • Hakenwurmbefall
  • Nierentuberkulose

Leber, Gallenblase und Gallenwege – Pankreas (Bauchspeicheldrüse) (K70-K77; K80-K87)

  • Leberzirrhose ‒  irreversible Schädigung der Leber und ein ausgeprägter Umbau des Lebergewebes

Mund, Ösophagus (Speiseröhre), Magen und Darm (K00-K67; K90-K93)

  • Appendicitis ("Blinddarmentzündung")
  • Divertikulitis ‒ Entzündung von Darmdivertikeln (Wandausstülpungen)
  • Entzündliche Darmerkrankungen, nicht näher bezeichnet
  • Zöliakie (gluteninduzierte Enteropathie) – chronische Erkrankung der Dünndarmmukosa (Dünndarmschleimhaut), die auf einer Überempfindlichkeit gegen das Getreideeiweiß Gluten beruht

Neubildungen – Tumorerkrankungen (C00-D48)

  • Harnblasentumor, nicht näher bezeichnet
  • Neubildung im Becken, nicht näher bezeichnet
  • Prostatakarzinom (Prostatakrebs)

Psyche – Nervensystem (F00-F99; G00-G99)

  • Morbus Parkinson
  • Multiple Sklerose (MS)
  • Obstruktives Schlafapnoe-Syndrom (OSAS) (ICD-10-GM 47.31: Obstruktives Schlafapnoe-Syndrom) – gekennzeichnet durch die Obstruktion (Einengung) oder komplettem Verschluss der oberen Atemwege während des Schlafes; häufigste Form der Schlafapnoe (90 % der Fälle)
  • Psychogene Polydipsie ‒ zwanghaftes Wassertrinken
  • Somatoforme Störungen (psychischen Erkrankung, die zu körperlichen Symptomen führt, ohne dass körperliche Befunde zu erheben wären), nicht näher bezeichnet

Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett (O00-O99)

  • Schwangerschaft

Symptome und abnorme klinische und Laborbefunde, die anderenorts nicht klassifiziert sind (R00-R99)

  • Dysurie – erschwerte (schmerzhafte) Harnentleerung bzw. ein schwacher Harnstrahl bei Blasenentleerungsstörungen (alle deren Ursachen)
  • Ödeme (Wassereinlagerungen) (alle deren Ursachen)
  • Pollakisurie (Drang zu häufigem Wasserlassen ohne vermehrte Harnausscheidung) (alle deren Ursachen)
  • Polydipsie, primäre – pathologisch (krankhaft) gesteigertes Durstgefühl, das mit übermäßiger Flüssigkeitsaufnahme durch Trinken einhergeht, ohne dass eine Grunderkrankung vorliegt
  • Polyurie (> 1,5-3 l/Tag); vermehrte Urinausscheidung) (alle deren Ursachen)
  • Kardiomegalie – Vergrößerung des Herzens über das Normale hinaus
  • Symptome des unteren Harntraktes (engl. lower urinary tract symptoms, LUTS)

Urogenitalsystem (Nieren, Harnwege – Geschlechtsorgane) (N00-N99)

  • Adnexitis ‒ Entzündung des Eileiters und des Eierstocks
  • Benigne Prostatahyperplasie (BPH; gutartige Vergrößerung der Vorsteherdrüse) – klinische Symptomatik: abgeschwächter Harnstrahl, unvollständige Blasenentleerung
  • Chronischer Harnwegsinfekt (HWI)  klinisches Symptomatik: Pollakisurie (Drang zu häufigem Wasserlassen ohne vermehrte Harnausscheidung), Brennen beim Wasserlassen
  • Chronische Niereninsuffizienz (Nierenschwäche)
  • Harnblasenhalshypertrophie
  • Harnblaseninstabilität
  • Harnblasenstein
  • Interstitielle Zystitis (interstitielle Cystitis, IC; Synonym: Hunner-Zystitis) – vorwiegend bei Frauen auftretende Blasenentzündung unklarer Genese mit Fibrose der Harnblasenmuskulatur, Dranginkontinenz (Reizblase oder überaktiver (hyperaktive) Blase) und Entwicklung einer Schrumpfblase; Diagnosesicherung durch: Urethrozystoskopie und Biopsie zur Histologie und Molekulardiagnostik spezifischer Zellproteine
  • Nephritis (Nierenentzündung), akut oder chronisch
  • Nephrogener Diabetes insipidus (NDI) – Unfähigkeit, Urin zu konzentrieren; Ursache: gestörte renal-tubuläre Reaktion auf das antidiuretische Hormon Vasopressin (ADH)
  • Nephrotisches Syndrom ‒ Sammelbegriff für Symptome, die bei verschiedenen Erkrankungen des Glomerulums (Nierenkörperchen) auftreten; Symptome sind: Proteinurie (erhöhte Ausscheidung von Eiweiß mit dem Urin) mit einem Proteinverlust von mehr als 1 g/m²/Körperoberfläche pro Tag; Hypoproteinämie, periphere Ödeme (Wassereinlagerungen) durch eine Hypalbuminämie von < 2,5 g/dl im Serum, Hyperlipoproteinämie (Fettstoffwechselstörung)
  • Obstruktion (Verschluss) der unteren Harnwege
  • Östrogenmangel-Kolpitis (Kolpitis senilis, atrophische Kolpitis) – klinische Symptomatik: vermehrte Anfälligkeit für Harnwegsinfekte (HWI), Pollakisurie (Drang zu häufigem Wasserlassen ohne vermehrte Harnausscheidung)
  • Prämenstruelles Syndrom, PMS) 
  • Prostatitis (Prostataentzündung)
  • Pyelonephritis (Nierenbeckenentzündung)
  • Überaktive Blase (OAB) – klinische Symptomatik: Pollakisurie (Drang zu häufigem Wasserlassen ohne vermehrte Harnausscheidung), imperativer Harndrang (Harndrang, der nicht unterdrückt bzw. kontrolliert werden kann), ggf. Inkontinenz (Unvermögen den Urin halten zu können
  • Ureterstein (Harnleiterstein)
  • Urethritis (Harnröhrenentzündung)
  • Zystische Nierenkrankheit
  • Zystitis (Harnblasenentzündung)

Medikamente

  • Antibiotika
    • Gentamycin
    • Tetracyclin
  • Amphotericin B (Antimykotikum)
  • Anticholinergika (Polydipsie!/wg. vermehrten Trinkens) – Wirkstoffgruppe, die die Wirkung des Transmitters Acetylcholin hemmt
  • Antidepressiva (MAO-Hemmer; SSRI = Selective Serotonin Reuptake Inhibitor) – Nykturie durch zentralnervöse Effekte
  • Antiepileptika – Nykturie durch zentralnervöse Effekte
  • Antihypertensiva
  • Bronchodilatatoren
  • Calciumantagonisten (Calciumkanalblocker; Wirkstoffgruppe, die bei Bluthochdruck eingesetzt wird) ‒ führt zur Polyurie
  • Chlorpromazin (Polydipsie!) – Wirkstoff aus der Gruppe der Antipsychotika (Neuroleptika)
  • Diuretika (Arzneimittel zur Ausschwemmung von Wasser) – insbesondere bei abendlicher Einnahme
    • Thiazide (Chlortalidon, HCT, Xipamid, Indapamid)
    • Schleifendiuretika (Furosemid, Torasemid)
    • Aldosteronantagonisten (Spironolacton, Eplerenon)
    • kaliumsparende Diuretika (Triamteren)
  • Dopaminantagonisten – Nykturie durch zentralnervöse Effekte
  • Drogen: Cannabis (Haschisch und Marihuana), Ecstasy, Heroin, Kokain oder Speed (Amphetamine)
  • Glibenclamid (orales Antidiabetikum)
  • Hormone
    • Glucocorticoide (Polyurie)
    • Schilddrüsenhormone (Thyroxin)
  • Hyponatriämie-begünstigende Medikamente:
    • ACE-Hemmer (u. a. Lisinopril, Ramipril)
    • Antidiuretika (Desmopressin, Terlipressin)
    • Antiepileptika (Carbamazepin)
    • Diuretika, insbesondere Thiazid-Diuretika (s. o.)
    • SSRIs (Citalopram)
  • Theophyllin – Wirkstoff, der zu den Xanthinderivaten gehört und vor allem im Rahmen der Therapie des Asthma bronchiale eingesetzt wird
  • Thioridazin (Polydipsie!) – Wirkstoff aus der Gruppe der Antipsychotika (Neuroleptika)
  • Lithiumkarbonat – Wirkstoff, der einen renalen Diabetes insipidus begünstigen kann
  • Psychopharmaka (atypische Neuroleptika, Valproinsäurederivate, trizyklische Antidepressiva)
  • Stimulanzien – z. B. Alkohol, Koffein, Nikotin, Ephedrin, Kokain, Speed (Amphetamine)
  • Sympathomimetika (Medikamente, welche die Wirkung des Sympathikus verstärken)

Strahlentherapie

  • Blasenwandfibrose nach Strahlen- und/oder Chemotherapie

Weiteres

  • Alter (Hauptrisikofaktor!)
    • verringerte Blasenkapazität
    • Störung der zirkadianer ADH-Ausschüttung/Antidiuretisches Hormon (Mann + Frau);
    • benigne Prostatahyperplasie (BPH); erhöhte Restharnvolumina
  • Alkohol – Männer, die weniger als 150 g Alkohol pro Woche konsumierten, hatten ein geringeres Risiko für mäßige oder schwere Nykturie als Abstinenzler (bereinigtes Inzidenzratenverhältnis 0,4, 95 % CI 0,2-0,8) [1].
  • Übermäßige Flüssigkeitsaufnahme am Abend! (z. B. exzessives abendliches Trinken, Alkoholismus) 
  • Fernsehen und/oder Videos ansehen: Personen, die täglich 5 oder mehr Stunden vor dem Fernseher und/oder mit Videos verbringen, haben ein 48 % höheres Risiko, an Nykturie zu erkranken [3]
  • Gewohnheit, nachts zur Toilette zu gehen
  • Im Winter häufiger als im Sommer wg. zu tiefer Wohnraumtemperatur (kälteinduzierte Detrusorüberaktivität) [2]; Empfehlung: Schlafzimmertemperatur 17 °C
  • Raumforderung im Becken, nicht näher bezeichnet
  • Strahlenfibrose
  • Empfänger von renalen Allotransplantaten (Spendernieren)

Wichtiger Hinweis!

  • Das Erwachen muss nicht wegen einer Nykturie auftreten, sondern der Toilettengang erfolgt wegen des Erwachens: z. B. bei Insomnie (Schlafstörungen), Angststörungen, Depression, chronische Schmerzen, Pruritus (Juckreiz), Restless-Legs-Syndrom (Syndrom der unruhigen Beine).

Literatur

  1. Shiri R et al.: The Effects of Lifestyle Factors on the Incidence of Nocturia J Urol . 2008 Nov;180(5):2059-62. doi: 10.1016/j.juro.2008.07.042. Epub 2008 Sep 18.
  2. Saeki K et al.: Indoor cold exposure and nocturia: a cross-sectional analysis of the HEIJO-KYO study. BJU Int 2015, online 23. September; doi: 10.1111/bju.13325
  3. Wang J et al.: Association between TV and/or video time and nocturia in adults: An analysis of the National Health and Nutrition Examination Survey Neurourol Urodyn . 2024 Feb 21. doi: 10.1002/nau.25406.