Interstitielle Zystitis – Ursachen
Pathogenese (Krankheitsentstehung)
Die interstitielle Zystitis (IC), auch als Blasenschmerzsyndrom bezeichnet, ist eine chronisch-progrediente (fortschreitende) Erkrankung, die alle Schichten der Harnblasenwand betrifft. Sie wird als eine Form der hypersensitiven Blase (HSB) angesehen, die durch eine multifaktorielle Pathogenese gekennzeichnet ist. Die genauen Ursachen sind nicht vollständig geklärt, doch mehrere idiopathische (ohne erkennbare Ursache) und genetische Faktoren spielen eine Rolle.
Primäre pathophysiologische Mechanismen
Dysfunktion des Urothels
Eine zentrale Rolle in der Pathogenese der interstitiellen Zystitis spielt die Dysfunktion des Urothels (mehrschichtiges Deckgewebe der ableitenden Harnwege). Insbesondere die Glykosaminoglykan-Schicht (GAG-Schicht), die eine schützende Barriere auf dem Urothel bildet, scheint bei Patienten mit IC geschädigt zu sein.
- Schädigung der GAG-Schicht: Die GAG-Schicht schützt die Blasenwand vor toxischen Substanzen im Urin. Bei einer gestörten GAG-Schicht ist die Schleimhautbarriere durchlässiger für Noxen (Giftstoffe), wie Bakterien, Proteine und kanzerogene (krebserregende) Substanzen. Diese können leichter in die tiefere Blasenwand eindringen und dort entzündliche Reaktionen auslösen.
- Kaliumionen: Es wird vermutet, dass Kaliumionen durch die geschädigte Schleimhautbarriere in die tieferen Schichten der Blasenwand eindringen. Dort reizen sie das Gewebe und aktivieren Detrusorzellen (glatte Muskelzellen der Blasenwand), was eine neurale Hyperaktivität und anhaltende Entzündungsprozesse fördert. Diese Reizungen tragen zu einer chronischen Entzündung der Blasenwand bei.
Neuronale Überaktivität und Mastzellinfiltration
- Nervenfaserproliferate: Eine vermehrte Anzahl an Nervensensoren in der Blasenwand sowie Mastzellinfiltration in der Detrusormuskulatur lassen auf eine erhöhte Schmerzwahrnehmung schließen. Dies führt zu einer gesteigerten Empfindlichkeit der Blase auf mechanische und chemische Reize.
- Mastzellen und Entzündungsmediatoren: Mastzellen, die zu den Leukozyten (weiße Blutkörperchen) gehören, spielen eine zentrale Rolle in der Wundheilung, bei allergischen Reaktionen und bei entzündlichen Prozessen. Bei IC-Patienten scheinen Mastzellen daueraktiviert zu sein und unkontrolliert Histamin sowie Zytokine auszuschütten, was zur Aufrechterhaltung der Entzündung in der Blasenwand beiträgt.
Dysfunktion des Beckenbodens
Eine Fehlfunktion der Beckenbodenmuskulatur kann ebenfalls zur Pathogenese der IC beitragen. Spasmen oder Verspannungen des Beckenbodens können den Blutfluss und die Mikrozirkulation beeinträchtigen und so die Symptome verschlimmern.
Beeinträchtigte Mikrozirkulation
Es wird angenommen, dass eine verminderte Durchblutung der Harnblase, also eine Beeinträchtigung der Mikrozirkulation, eine Rolle bei der Entwicklung der interstitiellen Zystitis spielt. Ein eingeschränkter Blutfluss kann die Nährstoffversorgung der Blasenwand vermindern und die Heilung von Entzündungen behindern.
Sekundäre pathophysiologische Mechanismen
Histaminintoleranz
Patienten mit IC haben möglicherweise eine Histaminintoleranz, bei der das im Körper freigesetzte Histamin schlecht abgebaut wird. Histamin ist ein potenter Entzündungsmediator und verstärkt die Blasensymptome, indem es die Schleimhaut der Blase zusätzlich reizt und eine neurale Überaktivität verursacht.
Infektionen
Obwohl die interstitielle Zystitis nicht durch eine Infektion verursacht wird, können chronische Infektionen das Krankheitsbild verschlimmern. Rezidivierende Harnwegsinfektionen können das Urothel weiter schädigen und die Entzündungsreaktionen verstärken.
Psychosomatische Belastungsstörungen
Psychische Faktoren, wie Stress oder Belastungsstörungen, können die Symptomatik verschlimmern. Stress beeinflusst das autonome Nervensystem, das eng mit der Blasenfunktion verbunden ist, und kann eine neurale Überaktivität verstärken.
Genetische Prädisposition und Mikrobiomeinflüsse
Es wird angenommen, dass bestimmte genetische Faktoren und das Mikrobiom eine Rolle bei der Entstehung der interstitiellen Zystitis spielen. Eine genetische Veranlagung könnte das Risiko für Autoimmunprozesse oder eine gestörte Blasenfunktion erhöhen. Das Mikrobiom, also die Gesamtheit der Mikroorganismen im Körper, könnte durch Dysbiosen (Ungleichgewichte) ebenfalls zur Krankheitsentwicklung beitragen.
Assoziierte Erkrankungen
Die interstitielle Zystitis tritt häufig in Verbindung mit anderen autoimmunen oder chronisch-entzündlichen Erkrankungen auf, was darauf hindeutet, dass die IC möglicherweise eine Autoimmunerkrankung sein könnte. Zu den assoziierten Erkrankungen gehören:
- Allergien
- Endometriose – Vorkommen von Endometrium (Gebärmutterschleimhaut) extrauterin (außerhalb der Gebärmutterhöhle), beispielsweise in oder auf den Ovarien (Eierstöcken), den Tuben (Eileitern), der Harnblase oder dem Darm.
- Reizdarmsyndrom (RDS)
- Chronisch-entzündliche Darmerkrankungen (CED) wie Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa
- Migräne
- Fibromyalgie – weitverbreitetes Syndrom, welches zu chronischen Schmerzen (mindestens 3 Monate) in mehreren Körperregionen führen kann
Diese Assoziationen legen nahe, dass Autoimmunprozesse und systemische Entzündungen eine Rolle in der Pathogenese der IC spielen könnten.
Zusammenfassung und klinische Relevanz
Die interstitielle Zystitis ist eine chronisch-progrediente Erkrankung, die durch eine multifaktorielle Pathogenese gekennzeichnet ist. Eine Dysfunktion des Urothels, eine gestörte Blutversorgung und eine neurale Überaktivität tragen wesentlich zur Entstehung und Aufrechterhaltung der Entzündung in der Blasenwand bei. Mastzellen und Histaminfreisetzung spielen eine zentrale Rolle bei der Symptomatik, während genetische Faktoren, Autoimmunprozesse und assoziierte chronisch-entzündliche Erkrankungen das Risiko für die Entwicklung der IC erhöhen. Eine frühzeitige Diagnose und eine umfassende Therapie sind entscheidend, um die Lebensqualität der Patienten zu verbessern und die Progredienz der Erkrankung zu verlangsamen.
Ätiologie (Ursachen)
Die genaue Ätiologie ist bislang unbekannt.
Als mögliche Triggerfaktoren werden diskutiert:
- autoimmune genetische Prädisposition
- schwere und rezidivierende (wiederkehrende) bakterielle Zystitiden in der Vergangenheit
- Chemotherapie
- Radiatio (Strahlentherapie) von Tumoren im kleinen Becken
Verhaltensbedingte Ursachen
- Genussmittelkonsum
- Tabak (Rauchen) – Raucher haben ein um 1,7-fach erhöhtes Risiko für eine interstitielle Zystitis [1]
- Teetrinker haben ein um 2,4-fach erhöhtes Risiko für eine interstitielle Zystitis [1]
- Psycho-soziale Situation
- Stress – Kann zu einem Aufflammen der Symptomatik führen, löst die Krankheit aber nicht aus.
Literatur
- Tettamanti G, Nyman-Iliadou A, Pedersen NL, Bellocco R, Milsom I, Altman D: Influence of smoking, coffee, and tea consumption on bladder pain syndrome in female twins. Urology. 2011 Jun; 77 (6):1313-7. doi: 10.1016/j.urology.2010.12.072. Epub 2011 Mar 25