Harnsteine (Urolithiasis) – Operative Therapie

Die häufigste Behandlungsmaßnahme der akuten Nierenkolik ist die konservative Therapie (angemessene Flüssigkeitszufuhr, Analgetika (Schmerzmittel) und den Alphablocker Tamsulosin) mit dem Ziel des spontanen Steinabgangs (Expulsion; medizinische Expulsionstherapie; engl. Medical Expulsive Therapy, MET). Siehe dazu unter "Medikamentöse Therapie".

Beim asymptomatischen Nierenstein gehört zur konservativen Steintherapie auch das "Watchful Waiting" (Abwarten und Beobachten).

Gemäß aktueller S2k-Leitlinie kann bei Patienten mit neu diagnostiziertem Harnleiterstein bis zu 7 mm Durchmesser der Spontanabgang unter regelmäßiger Kontrolle abgewartet werden.

Schwangere mit einer unkomplizierten Urolithiasis sollen primär konservativ behandelt werden.

Bei asymptomatischen, steintragenden Kindern sollte primär eine Stoffwechselabklärung erfolgen.

Bei Harnsäuresteinen sollte eine medikamentös-orale Chemolitholyse als Erstlinientherapie durchgeführt werden.

Harnableitung

Bei medikamentös nicht beherrschbaren Koliken, hochgradiger Obstruktion (Verschluss) mit konsekutiver Harnstauungsniere und /oder steigenden Retentionswerten/Aufstau harnpflichtiger Substanzen (postrenales Nierenversagen) ist eine Harnableitung erforderlich. Diese richtet sich nach Lokalisation und Art der Obstruktion.

  • Obstruktion in der Harnblase: transurethrale (durch die Harnröhre) oder suprapubische (oberhalb des Schambeins) Harnableitung (suprapubische Katheterisierung)
  • Suprapubischen Obstruktion: Ureterschienen (Harnleiterschiene, Doppel-J-Katheter, DJ) oder perkutane Nephrostomie (Synonym: Pyelostomie; dieses ist die äußere Ableitung des Urins (perkutan, d. h. durch die Haut) aus dem Nierenbecken durch einen Nephrostomie-Katheter). Die beiden Verfahren sind in Bezug auf die Harnableitung als gleichwertig anzusehen.

Eine perkutane Harnableitung sollte auch bei Steinstraße und Fieber/ Harnwegsinfektion (HWI) erfolgen. Alternativ kann die Einlage einer Harnleiterschiene erfolgen [2].

Bei Schwangeren sollte im Falle einer Interventionsbedürftigkeit primär eine Harnableitung durchgeführt werden. Die definitive Steintherapie sollte dann post partum erfolgen [2].

Aktive Steintherapie

Indikationen für eine urologische Steinentfernung (Steinextraktion):

  • Ausgeprägter Harnaufstau
  • Therapieresistente Schmerzen 
  • Begleitender Harnwegsinfekt und Steine, die aufgrund ihrer Größe nicht spontan abgehen können.

Bei Kindern sind Indikationen zu primären Therapie symptomatische Steine, Ausgusssteine und Infektsteine.

Abhängig von Steinart und Steinlokalisation können bei der Urolithiasis folgende operative Maßnahmen zum Einsatz kommen:

1. Ordnung

  • Extrakorporale Stoßwellenlithotripsie (ESWL) – Zertrümmerung von Harnsteinen durch Stoßwellen, die außerhalb des Körpers erzeugt werden
  • Ureteroskopische Lithotripsie – endoskopische Untersuchung des Harnleiters (Ureter) mittels Ureteroskop inkl. Zertrümmerung von Harnsteinen durch Stoßwellen ggf. auch mittels Laser-Lithotripsie (LL): Goldstandard ist der Holmium:Yttrium-Aluminium-Granat(Ho:YAG)-Laser*; Indikationen: Mittel der Wahl bei Steinen des mittleren und distalen Ureters
    *Hinweis: Der Thuliumfaserlaser (TFL) ist effektiver als der Ho:YAG-Laser: vierfach höhere Steinablation im Dusting-Modus und einer zweifach schnellere Ablation im Fragmentationsmodus [6].
  • Perkutane Nephrolithotomie (PCNL, PCN, PNL; Synonym: perkutane Nephrolitholapaxie) – nach Punktion der Niere Zerkleinerung des Steins und Abtransport über ein Endoskop 
  • Flexible Ureterorenoskopie (URS) – Harnsteinentfernung mit Hilfe einer Spiegelung des Harnleiters (Ureter) und der Niere
  • Laparoskopische oder offene Operation; Indikationen [2]:
    • Zur Steintherapie bei gleichzeitig erforderlicher Korrektur anatomischer Abflusshindernisse (z. B. subpelvine Harnleiterstenose/Einengung des Harnleiters an seinem Übergang vom Nierenbecken zum Harnleiter) oder anatomischer Besonderheiten
    • Große Nieren- und Harnleitersteinen (Ausnahmeindikation)
  • Nephrektomie (operative Entfernung der Niere) – in extremen Fällen (z. B. Akutsituation bei infizierter Harnstauungsniere)

Wichtiger Hinweis

  • Nach einer Ureteroskopie gehen Reststeinfragmente, die < 4 mm sind, bei 26 % der Patienten noch spontan ab. Diese entwickelten sich wie folgt weiter: Größenzunahme mit einer Komplikationsrate von 59 % (vs. 28 % bei kleineren Steinresten) und Reinterventionsrate 38 % (vs. 18 %); Steinfragmente > 2 mm (wuchsen auch), führten aber weder zu Komplikationen noch erforderten sie erneute Eingriffe [4].   
  • Eine Nierensteinextraktion verhindert Harnwegsinfektionen (HWI) nur unzuverlässig: 52 % hatten weiterhin rezidivierende Harnwegsinfekte (HWI). Mit einem erhöhten Infektrisiko waren assoziiert [3]:
    • Schwarze Hautfarbe (OR 13,7) 
    • Arterielle Hypertonie (OR 2,8)
    • Diabetes mellitus (Odds Ratio, OR 1,73)

Interventionelle Verfahren in Abhängigkeit von der Steinlokalisation (modifiziert nach [1])

Für die interventionelle Harnsteinbehandlung ist in der Regel eine Kontrastmittelbildgebung (i.v.-­Urographie oder kontrastmittelverstärkte CT sowie Ureteropyelographie) erforderlich, um Kenntnis der Konfiguration des des Hohlsystems zu erlangen.

Vor einer aktiven Steintherapie sollte eine akute Harnwegsinfektion ausgeschlossen oder eine resistenzgerechte Antibiotikatherapie eingeleitet sein [2].

Vor einer interventionellen Therapie sollte eine Antikoagulation ausgesetzt werden. Acetylsalicylsäure (ASS) kann nach sorgfältiger Indikationsprüfung fortgeführt werden [2].

Lokalisation
Operative Maßnahme
Steine des Nierenbeckens sowie oberer/mittlerer Kelchgruppe
  • ESWL (Steine ≤ 2 cm;
    obere/mittlere Kelchgruppe: SFR 56-94 %,
    Nierenbecken: SFR 79-85 %)
  • PCNL (Steine > 2 cm)
  • Flexible URS
Nierensteine der unteren Kelchgruppe
  • ESWL (SFR geringer)
  • Mini-PCNL (bei Konkrementen um 10 mm)
  • Flexible URS (Steine - 10 mm)
Ausgusssteine
  • PCNL, ggf. kombiniert mit ESWL und flexibler URS
  • Nephrolithotomie (in seltenen Fällen)
Proximale Harnleitersteine
  • ESWL (Steine ≤ 10 mm; SFR 70-90 %)
  • URS (Steine > 10 mm)
Distale Harnleitersteine
  • ESWL oder URS (Steine ≤ 10 mm; SFR 86 %
  • URS (Steine > 10 mm; SFR 93 %)

Legende

  • ESWL (extrakorporale Stoßwellentherapie)
  • PCNL (perkutane Nephrolithotomie)
  • SFR (Steinfreiheitsrate nach 3 Monaten)
  • URS (Ureterorenoskopie)

Weitere Hinweise

  • Die ESWL bei Kindern zeigt für alle Steinlokalisationen höhere Steinfreiheitsraten als bei Erwachsenen [2].
  • Zur Vorbeugung späterer Koliken ist die zusätzliche Entfernung von asymptomatischen sekundären Steinen (≤ 6 mm) bei Patienten, die sich wegen einer Nierenkolik einer Ureteroskopie (Harnleiterspiegelung) zur Entfernung eines Nieren- und Harnleitersteins unterziehen, sinnvoll [6}:
    • Risiko eines erneuten Steinleidens wurde um 82 % gesenkt
    • Dauer bis zum Nierensteinrezidiv (Wiederauftreten eines Nierensteins) wurde von 934 auf 1.631 Tage verlängert.

Literatur

  1. Fisang C et al.: Urolithiasis – an interdisciplinary diagnostic, therapeutic and secondary preventive challenge. Dtsch Ärztebl Int 2015; 112:83-91, doi:10.3238/arztebl.20015.0083
  2. S2k-Leitlinie: Urolithiasis: Diagnostik, Therapie und Metaphylaxe. (AWMF-Registernummer: 043 - 025), Mai 2019 Langfassung
  3. Omar M et al.: Does Stone Removal Help Patients with Recurrent Urinary Tract Infections?. doi: http://dx.doi.org/10.1016/j.juro.2015.04.096
  4. Chew B H et al.: Natural History, Complications, and Re-Intervention Rates of Asymptomatic Residual Stone Fragments Post-Ureteroscopy: a Report from the EDGE Research Consortium. Journal of Urology 2015; online 13. November 2015
  5. Traxer O et al.: V03-02 First Clinical Study On Superpulse Thulium Fiber Laser For Lithotripsy. J Urol. 2018; 199: e321-2
  6. Sorensen MD et al.: Removal of Small, Asymptomatic Kidney Stones and Incidence of Relapse N Engl J Med 2022; 387:506-513 doi: 10.1056/NEJMoa2204253

Leitlinien

  1. S2k-Leitlinie: Urolithiasis: Diagnostik, Therapie und Metaphylaxe. (AWMF-Registernummer: 043 - 025), Mai 2019 Langfassung