Blut im Urin (Hämaturie) – Differentialdiagnosen

Angeborene Fehlbildungen, Deformitäten und Chromosomenanomalien (Q00-Q99)   

  • Alport-Syndrom (auch progressive hereditäre Nephritis genannt) – genetische Erkrankung mit sowohl autosomal-dominantem als auch autosomal-rezessivem Erbgang mit fehlgebildeten Kollagenfasern, die zur Nephritis (Nierenentzündung) mit fortschreitender Niereninsuffizienz (Nierenschwäche), Innenohrschwerhörigkeit und verschiedenen Augenerkrankungen wie beispielsweise einen Katarakt (grauer Star) führen kann [Mikrohämaturie]
  • Fehlbildungen des Harntraktes

Blut, blutbildende Organe – Immunsystem (D50-D90)

  • Disseminierte intravasale Gerinnung – erworbene Blutgerinnungsstörungen durch übermäßigen Verbrauch der Gerinnungsfaktoren und Thrombozyten (Blutplättchen)
  • Hämophilie (Bluterkrankheit)
  • Paroxysmale nächtliche Hämoglobinurie (PNH) – erworbene Erkrankung der hämatopoetischen Stammzelle, die durch eine Mutation des Phosphatidyl-Inositol-Glykan(PIG)-A-Gens hervorgerufen wird; charakterisiert durch eine hämolytische Anämie (Blutarmut durch Zerfall der roten Blutkörperchen), eine Thrombophilie (Thromboseneigung) und eine Panzytopenie, d. h. einem Mangel in allen drei Zellreihen (Trizytopenie) der Blutbildung, also eine Leukozytopenie (Verminderung der weißen Blutkörperchen), Anämie und Thrombozytopenie (Verminderung der Blutplättchen), gekennzeichnet ist.
  • Sichelzellenanämie (med.: Drepanozytose; auch Sichelzellanämie, engl.: sickle cell anemia) – genetische Erkrankung mit autosomal-rezessivem Erbgang, die die Erythrozyten (rote Blutkörperchen) betrifft; sie gehört zur Gruppe der Hämoglobinopathien (Störungen des Hämoglobins; Bildung eines irregulären Hämoglobins, dem sogenannten Sichelzellhämoglobin, HbS)
  • Thrombozytopenie – zu wenig Blutplättchen im Blut

Endokrine, Ernährungs- und Stoffwechselkrankheiten (E00-E90)

  • Hypercalciurie – zu viel Calcium im Urin
  • Hyperurikosurie – erhöhter Harnsäuregehalt im Urin

Herzkreislaufsystem (I00-I99)

  • Hypertonie (Bluthochdruck)
  • Nierenarterienembolie – Verschluss eines die Niere versorgenden Gefäßes aufgrund eines losgelösten Blutpfropfes
  • Nierenarterienthrombose – Verschluss eines die Niere versorgenden Gefäßes
  • Subakute bakterielle Endokarditis (Herzinnenhautentzündung)
  • Vaskulitis(Gefäßentzündung)

Infektiöse und parasitäre Krankheiten (A00-B99)

  • Bilharziose (Schistosomiasis) – durch Trematoden (Saugwürmer) der Gattung Schistosoma (Pärchenegel) verursachte Wurmkrankheit (tropische Infektionskrankheit) 
  • Helminthiasis (Wurmerkrankungen)
  • Tuberkulose (Schwindsucht) (→ Nierentuberkulose)
  • Virusinfektionen, nicht näher bezeichnet

Muskel-Skelett-System und Bindegewebe (M00-M99)

  • Systemischer Lupus erythematodes (SLE) – Autoimmunerkrankung, die sich an allen Organen abspielen kann und immer die Haut und die Gefäße betrifft

Neubildungen – Tumorerkrankungen (C00-D48)

  • Harnblasenkarzinom (Blasenkrebs); in mehr als 90 % der Fälle liegt histologisch ein Urothelkarzinom (Übergangszellkarzinom) vor, in einigen Fällen kann es sich jedoch auch um eine Adeno- oder ein Plattenepithelkarzinom (5 %) handeln – Mikrohämaturie (Vorhandensein von Blut im Urin (Hämaturie), das mikroskopisch oder im Sangur-Test mittels Teststreifen nachgewiesen werden kann) ist dafür ein Hinweis bei 0,8 % der Hausarztpatienten zwischen 40 und 59 Jahren und bei 1,6 % der Patienten ab 60 Jahren; bei einer Makrohämaturie (sichtbares Blut im Urin) liegt das Risiko für Harnblasenkarzinom bei jüngeren Patienten bei 1,2 % und bei älteren bei 2,8 % [1]
  • Nierenzellkarzinom (Nierenkrebs)
  • Prostatakarzinom (Prostatakrebs)
  • Urethrakarzinom (Harnröhrenkarzinom, Harnröhrenkrebs) (extrem selten)
  • Urothelkarzinoms der oberen Harnwege (upper tract urothelial carcinoma, UTUC)

Urogenitalsystem (Nieren, Harnwege – Geschlechtsorgane) (N00-N99)

  • Benigne Prostatahyperplasie – gutartige Vermehrung des Gewebes der Vorsteherdrüse
  • Chronische interstitielle Zystitis (IC) – chronische, abakterielle Blasenentzündung; mit Pollakisurie (Drang zu häufigem Wasserlassen ohne vermehrte Harnausscheidung) und Harndrang einhergehendes Schmerzsyndrom
  • Endometriose –  Vorkommen von Endometrium (Gebärmutterschleimhaut) außerhalb der Gebärmutter, beispielsweise in oder auf den Ovarien (Eierstöcken), den Tuben (Eileitern), der Harnblase oder dem Darm
  • Glomerulonephritis – Nierenerkrankung mit Entzündung der Nierenfilterchen (Glomeruli)
  • IgA-Nephropathie – durch das Immunsystem vermittelte Erkrankung der Niere
  • Ketamin-Uropathie – Ketamin als Partydroge kann zu schweren Symptomen des unteren Harntrakts führen, mit der Folge einer erhöhter Miktionsfrequenz (Häufigkeit des Wasserlassens), Harndrang, Pollakisurie (häufiger Harndrang) und schmerzhaften Hämaturie  (Blut im Urin)-
  • Nephritis (Nierenentzündung)
  • Nephrolithiasis (Nierensteine) – ca. 69,5 % der asymptomatischen Mikrohämaturie sind durch Harnsteinleiden bedingt [2]
  • Nephrotisches Syndrom – Sammelbegriff für Symptome, die bei verschiedenen Erkrankungen des Glomerulums (Nierenkörperchen) auftreten; Proteinurie (erhöhte Ausscheidung von Eiweiß mit dem Urin) mit einem Proteinverlust von mehr als 1 g/m² KOF/d; Hypoproteinämie, periphere Ödeme durch Hypalbuminämie von < 2,5 g/dl im Serum; Hyperlipoproteinämie (Fettstoffwechselstörung)
  • Papillennekrose – entzündliche Veränderungen an den Nierenpapillen mit Absterben von Gewebe
  • Prostatavarizen – Krampfadern an der Vorsteherdrüse
  • Prostatitis – Entzündung der Vorsteherdrüse
  • Pyelonephritis (Nieren-Nierenbecken-Entzündung)
  • Syndrom der dünnen Basalmembran – betrifft die Grenzschicht zwischen Bindegewebe und Epithel an den Nieren
  • Ureterstein (Harnleiterstein)
  • Urethritis (Harnröhrenentzündung)
  • Urolithiasis (Harnsteinleiden) – ca. 69,5 % der asymptomatischen Mikrohämaturie sind durch Harnsteinleiden bedingt [2]
  • Verletzungen der Harnwege
  • Zystische Nierenerkrankungen (Zystenniere) – Nierenveränderungen mit Bildung von wassergefüllten Hohlräumen
  • Zystitis (Blasenentzündung)

Symptome und abnorme klinische und Laborbefunde, die anderenorts nicht klassifiziert sind (R00-R99)    

  • Parainfektiöse Hämaturie (kurzfristige leichte Rotfärbung des Urins) – ist harmlos und nicht Ausdruck einer Glomerulonephritis (Nierenerkrankung mit Entzündung der Nierenfilterchen (Glomeruli))

Weitere Differentialdiagnosen

  • Menstruation (Regelblutung)
  • Nach körperlicher Anstrengung (intensives Joggen oder intensive Märsche → Marschhämaturie); tritt häufig kombiniert mit einer Marschalbuminurie; (Eiweißausscheidung im Harn als regulatorische Albuminurie nach körperlicher Anstrengung) verschwindet nach 24 bis 72 Stunden 
  • Sitzendes Radfahren (unmittelbar – akut) → Makrohämaturie (sichtbar Blut im Urin)
  • Traumata (Verletzungen)

Medikamente

  • Antibiotika
    • Penicilline
    • Sulfonamide
  • Antikoagulantien – Medikamente, die zur Blutverdünnung eingesetzt werden wie beispielsweise Heparin, Phenprocoumon, Warfarin (Coumadin) (ca. 46 % der über 60-Jährigen sind antikoaguliert) → erhöhte Wahrscheinlichkeit für das Auftreten einer Makrohämaturie (Rotfärbung des Urins mit bloßem Auge)
    • Makrohämaturie unter [3]
      • Vitamin-K-Antagonisten (VKA; Warfarin): 26,7%ige Wahrscheinlichkeit
      • alle anderen Antithrombotika: < 5%ige Wahrscheinlichkeit
      • Odds-Ratio (Quotenverhältnis; Risikoverhältnis) einer Hämaturie:
        • Warfarin zu Rivoraxaban war 33
        • Warfarin zu Dabigatran war 16
        • Thrombozytenaggregationshemmer verursachen im Vergleich zu Antikoagulantien 76-mal weniger Hämaturie. Die Wahrscheinlichkeit einer Hämaturie mit Aspirin betrug das 6,7-fache der Wahrscheinlichkeit mit Clopidogrel und das 3,5-fache der Wahrscheinlichkeit mit Ticagrelor.
        • Dabigatran verursachte im Vergleich zu Warfarin eine 198-mal höhere Wahrscheinlichkeit einer schweren Hämaturie, während Clopidogrel im Vergleich zu ASS 1,2-mal häufiger eine schwere Hämaturie verursacht.
  • Aspirin-Typ Medikamente
  • Cyclophosphamid (Cytoxan)

Röntgenstrahlen

  • Z. n. Strahlentherapie (Radiatio)


Erkrankungen, die zu einer Hämoglobinurie führen können

Hämolytische Anämie – Blutarmut durch Zerstörung der Erythrozyten (rote Blutkörperchen) – kann durch folgende Erkrankungen/ Zustände bedingt sein

  • Bluttransfusionszwischenfälle
  • Gravidität (Schwangerschaft)
  • Marschhämoglobinurie – durch schwere Fußmärsche, hervorgerufene Hämoglobinurie (Ausscheidung von Hämoglobin (roter Blutfarbstoff) über die Nieren) ohne Krankheitswert
  • Malaria – tropische Infektionserkrankung, die durch die Anopheles-Mücke übertragen wird
  • Typhus – Infektionserkrankung, die durch erbsbreiartige Durchfälle gekennzeichnet ist
  • Vergiftungen mit Karbolsäure oder verschiedenen Pilzen

Sonstige Verfärbungen des Urins

  • Verfärbung des Urins durch verschiedene Lebensmittel wie Heidelbeeren oder Rote Bete, Einnahme verschiedener Medikamente wie vor allem von Rifampicin (Antibiotikum) oder bei chronischer Bleivergiftung

Literatur

  1. Price S et al.: Non-visible versus visible haematuria and bladder cancer risk: a study of electronic records in primary care. BMJ 2014;349:g5415. doi: 10.1136/bmj.g5415
  2. Kang M et al.: Characteristics and significant predictors of detecting underlying diseases in adults with asymptomatic microscopic hematuria: A large case series of a Korean population. Int J urol 2015, online 12. Januar. doi: 10.1111/iju.12697
  3. Bhatt NR et al.: Incidence of visible haematuria among antithrombotic agents: A systematic review of over 175,000 patients. Urology 2017, online 27. November https://doi.org/10.1016/j.urology.2017.11.023