Blasenkrebs (Harnblasenkarzinom) – Strahlentherapie
Radiotherapie beim Harnblasenkarzinom
Die Radiotherapie (Strahlentherapie) stellt eine Behandlungsoption für Patienten mit einem muskelinvasiven Harnblasenkarzinom (MIBC) dar, insbesondere wenn eine radikale Zystektomie (Harnblasenentfernung) nicht möglich ist oder nicht gewünscht wird. Sie kann als definitive, postoperativ-adjuvante oder palliative Therapie eingesetzt werden.
Indikationen (Anwendungsgebiete)
Die Strahlentherapie wird primär in folgenden Situationen eingesetzt:
- Definitive Radiotherapie:
- Alternative zur radikalen Zystektomie bei Patienten mit Kontraindikationen (Gegenanzeigen) für die Operation oder bei Wunsch nach Blasenerhalt
- Kombination mit Chemotherapie zur Radiochemotherapie (RCTX)
- Postoperative Radiotherapie:
- Nach unvollständiger Tumorresektion (R1/R2-Resektion) zur Verbesserung der lokalen Tumorkontrolle [6]
- Palliative Radiotherapie:
- Symptomlinderung bei inoperablen Tumoren oder metastasiertem Harnblasenkarzinom
Kontraindikationen (Gegenanzeigen)
- Vorbestehende schwere Blasenfunktionsstörungen, z. B. ausgeprägte Inkontinenz (Unfähigkeit den Urin zu halten) oder Schrumpfblase
- Vorangegangene Strahlentherapie im Beckenbereich
- Unkontrollierte entzündliche Erkrankungen im Becken (z. B. aktive Zystitis/Blasenentzündung)
- Schlechter Allgemeinzustand (ECOG > 2), der eine Strahlentherapie nicht tolerierbar macht
Verfahrensbeschreibung
Die Radiotherapie kann entweder als alleinige Bestrahlung oder als Radiochemotherapie (RCTX) erfolgen. Sie wird meist mit modernen Techniken durchgeführt, um Nebenwirkungen zu minimieren und die Blase maximal zu schonen:
- Intensitätsmodulierte Strahlentherapie (IMRT): Präzisere Dosisverteilung, Schonung von Rektum (Mastdarm) und Darm
- Image-guided Radiotherapy (IGRT): Anwendung von Bildgebung zur genauen Positionierung der Blase
- Hypofraktionierte Strahlentherapie: Möglichkeit zur Verkürzung der Behandlungsdauer
Therapiedurchführung
- Dosis: In der definitiven Therapie typischerweise 64-66 Gy in 32-33 Fraktionen (konventionelle Fraktionierung) oder 55 Gy in 20 Fraktionen (hypofraktionierte Schemata)
- Fraktionierung: 1,8-2 Gy pro Sitzung (konventionelle Radiotherapie) oder 2,5-3 Gy (hypofraktioniert)
- Zielvolumen: Die gesamte Harnblase mit Sicherheitssaum, ggf. inklusive der pelvinen Lymphabflusswege
- Begleitmaßnahmen: Intravesikale Katheterisierung bei Notwendigkeit, prophylaktische Antiemese
Radiochemotherapie (RCTX)
Die Radiochemotherapie (RCTX) kombiniert die Strahlentherapie mit systemischer Chemotherapie zur Verbesserung der lokalen Tumorkontrolle. Häufig verwendete Chemotherapeutika:
- Cisplatin-basiert: 40 mg/m² einmal wöchentlich
- 5-Fluorouracil (5-FU) + Mitomycin C: Alternative für Cisplatin-ungeeignete Patienten
- Gemcitabin: Option für Patienten mit reduzierter Nierenfunktion
Erfolgsaussichten und Ansprechraten
- Blasenerhaltungsrate: Nach RCTX liegt die Blasenerhaltungsrate bei 50-60 %
- Lokale Kontrolle: Verbesserte Ansprechraten durch Kombinationstherapie (RCTX vs. RT alleine)
- Langzeitüberleben: Vergleichbare Ergebnisse zur Zystektomie bei sorgfältig ausgewählten Patienten
Vergleich mit alternativen Verfahren
Methode | Technik | Vorteile | Nachteile |
---|---|---|---|
Radikale Zystektomie | Chirurgische Entfernung der Blase mit Harnableitung | Kurative Therapieoption, Kontrolle des Primärtumors | Hohe perioperative Morbidität, Lebensqualität durch Harnableitung beeinträchtigt |
Radiochemotherapie (RCTX) | Kombination aus Strahlentherapie und Chemotherapie | Organerhalt, vergleichbare Überlebensraten zur Zystektomie | Nebenwirkungen von Bestrahlung und Chemotherapie, Risiko für Spättoxizität |
Alleinige Radiotherapie | Externe Bestrahlung der Blase | Nicht-invasiv, geeignet für multimorbide Patienten | Geringere lokale Tumorkontrolle als RCTX, Risiko für Rezidive (Wiederauftreten der Erkrankung) |
Weitere Hinweise
- Beim muskelinvasiven Harnblasenkarzinom kann neben der Radiotherapie auch eine Kombination aus Radio- und Chemotherapie durchgeführt werden. Dies ist jedoch nur bei Patienten indiziert, die für eine radikale Zystektomie nicht infrage kommen.
Hinweis: In einer Fall-Kontroll-Studie bei Patienten, die an einem muskelinvasiven Urothelkarzinom der Blase erkrankt waren (T2-4aN0M0), ließen sich mit einer Radiochemotherapie (RCTX) vergleichbare Ergebnisse in den Überlebensraten erzielen wie mit einer Zystektomie [1]. - Ältere Patienten mit metastasiertem muskelinvasiven Harnblasenkarzinom haben von einer Chemotherapie innerhalb von 30 Tagen nach der Strahlentherapie (Radiochemotherapie, RCTX) ebenfalls einen hohen Nutzen [7]:
- Wahrscheinlichkeit zu sterben, war in der Gruppe mit Kombinationstherapie um 26 % niedriger als bei Patienten mit alleiniger Strahlentherapie (Hazard Ratio [HR]: 0,74; 95%-Konfidenzintervall zwischen 0,65 und 0,84; p < 0,0001)
- Nach zwei Jahren lebten in der Gruppe mit Kombitherapie noch 56 % der Patienten (versus alleinige Strahlentherapie 42 %)
- Im aktuellen Leitlinienprogramm lautet die konsensbasierte Empfehlung (ohne Altersangaben) beim muskelinvasiven Urothelkarzinom, dass „im Rahmen eines blasenerhaltenden Vorgehens in kurativer Intention“ eine simultane Radiochemotherapie (RCTX) durchgeführt werden soll [5].
- Die American Society of Clinical Oncology (ASCO) und die European Association of Urology weisen darauf hin, dass ausdrücklich bei Patienten mit muskelinvasiven Harnblasenkarzinom die organerhaltende Behandlung als eine wichtige Möglichkeit hervorgehoben werden soll als Alternative zur Radikaloperation mit Harnblasenverlust [2, 3]. Manche Patienten profitieren insbesondere von diesem Vorgehen [4].
- In Bezug auf die Rate der lokoregionären Rezidive (Wiederauftreten der Erkrankung) ist beim invasiven Urothelkarzinom eine Radiochemotherapie (RCTX) einer alleinigen Radiotherapie signifikant überlegen. Ein signifikanter Überlebensvorteil ist damit allerdings nicht verbunden.
Beachte
- Vergleich Trimodale Therapie des Harnblasenkarzinoms (Kombination aus maximaler endoskopischer Tumorresektion mit nachfolgender Bestrahlung der Harnblase und Chemotherapie) versus radikale Zystektomie im muskelinvasiven Urothelkarzinom im Stadium cT2–T4N0M0 (Nachbeobachtungszeit ca. viereinhalb Jahre): faktisch keine Unterschiede beim metastasenfreien Überleben (primärer Endpunkt): 74 % mit Zystektomie und 75 % mit trimodaler Behandlung hatten nach 5 Jahren noch keine Metastasen (Tochtergeschwülste). Auch die Mortalitätsrate (Sterberate) war geringer: nach der radikalen Zystektomie: 77 % versus 72 %; Gesamtmortalität war nach einer trimodalen Therapie um 25-30 % geringer [8].
Fazit
Die Radiotherapie ist eine wertvolle Alternative zur radikalen Zystektomie, insbesondere bei Patienten mit Kontraindikationen (Gegenanzeigen) für die Operation. Die Radiochemotherapie (RCTX) verbessert die lokale Tumorkontrolle und kann die Blasenerhaltung fördern. Moderne Bestrahlungstechniken wie IMRT oder IGRT tragen dazu bei, Nebenwirkungen zu minimieren und die Behandlung effektiver zu gestalten. Eine interdisziplinäre Planung zwischen Urologen, Strahlentherapeuten und Onkologen ist essenziell, um die optimale Therapieentscheidung für die Patienten zu treffen.
Literatur
- Gofrit ON et al.: Radical cystectomy vs. chemoradiation in T2-4aN0M0 bladder cancer: A case-control study. Urol Oncol 2014, online 3. November; doi: 10.1016/j.urolonc.2014.09.014
- Milowsky M et al.: Guideline on Muscle-Invasive and Metastatic Bladder Cancer (European Association of Urology guideline): American Society of Clinical Oncology Clinical Practice Guideline Endorsement. doi: 10.1200/JCO.2015.65.9797
- Leitlinie der European Association of Urology: Muscle-invasive and Metastatic Bladder Cancer. 2018 Indroduction
- McHaffie DR et al.: Chemoradiation for organ preservation in the treatment of muscle-invasive bladder cancer. Urol Oncol 2016; online 20. April; doi: 10.1016/j.urolonc.2016.03.011
- S3-Leitlinie: Früherkennung, Diagnose, Therapie und Nachsorge des Harnblasenkarzinoms. (AWMF-Registernummer: 032-038OL), März 2020 Kurzfassung Langfassung
- Rödel C et al.: Combined-modality treatment and selective organ preservation in invasive bladder cancer: long-ter results. J Clin Oncol. 2002 Jul 15;20(14):3061-71.
- Korpics MC et al.: Concurrent Chemotherapy Is Associated With Improved Survival in Elderly Patients With Bladder Cancer Undergoing Radiotherapy. Cancer 2017; online 5. Juni. doi: 10.1002/cncr.30719
- Zlotta AR et al.: Radical cystectomy versus trimodality therapy for muscle-invasive bladder cancer: a multi-institutional propensity score matched and weighted analysis. Lancet Oncol 2023; https://doi.org/10.1016/S1470-2045(23)00170-5
Leitlinien
- Leitlinie der European Association of Urology: Muscle-invasive and Metastatic Bladder Cancer. 2018 Indroduction
- S3-Leitlinie: Früherkennung, Diagnose, Therapie und Nachsorge des Harnblasenkarzinoms. (AWMF-Registernummer: 032-038OL), März 2020 Kurzfassung Langfassung