Akutes Nierenversagen – Ursachen
Pathogenese (Krankheitsentstehung)
Das akute Nierenversagen (ANV) ist durch einen plötzlichen Verlust der exkretorischen Funktion der Nieren gekennzeichnet. Dies führt zu einer Unfähigkeit der Niere, Stoffwechselabfallprodukte und überschüssiges Wasser aus dem Körper zu entfernen. Zu den ersten klinischen Anzeichen gehört meist eine Oligurie (Verminderung der Urinausscheidung auf weniger als 500 ml/Tag). Das ANV kann in drei Formen eingeteilt werden, die sich pathophysiologisch unterscheiden: prärenales, renales und postrenales Nierenversagen.
Prärenales Nierenversagen (70 %)
Das prärenale Nierenversagen ist die häufigste Form und tritt aufgrund einer verminderten Nierenperfusion (unzureichende Durchblutung der Nieren) auf, ohne dass die Nieren selbst primär geschädigt sind. Die Reduktion der Nierendurchblutung führt zu einem verringerten glomerulären Filtrationsdruck, was eine eingeschränkte Urinproduktion zur Folge hat.
Pathophysiologische Mechanismen
- Reduktion des zirkulierenden Blutvolumens: Eine verminderte Durchblutung der Nieren kann durch einen Volumenmangel entstehen, beispielsweise aufgrund von Dehydration (Austrocknung), Blutverlust oder einem Schockzustand.
- Periphere Vasodilatation (Gefäßerweiterung): Eine übermäßige Erweiterung der peripheren Blutgefäße, z. B. bei Sepsis (Blutvergiftung) oder schweren allergischen Reaktionen, kann das effektive Blutvolumen reduzieren, das die Nieren erreicht.
- Pumpversagen des Herzens: Bei Herzinsuffizienz (Herzschwäche) oder anderen Herzerkrankungen, die zu einer unzureichenden Pumpleistung des Herzens führen, kann die Nierendurchblutung reduziert sein.
- Mechanische Behinderung der Nierenperfusion: Mechanische Ursachen wie Aortenklappenstenose (Verengung der Aortenklappe) oder eine Nierenarterienstenose (Verengung der Nierenarterien) führen zu einer verminderten Blutversorgung der Nieren.
Risikofaktoren
- Höheres Lebensalter
- Herzinsuffizienz (Herzschwäche)
- Linksventrikuläre Ejektionsfraktion < 35 % (reduzierte Pumpleistung der linken Herzkammer)
- Infektionen und Sepsis (Blutvergiftung)
- Dehydration und Blutverlust
Renales Nierenversagen (20 %)
Das renale Nierenversagen entsteht aufgrund einer direkten Schädigung der Nierenstrukturen, insbesondere der Glomeruli (Nierenkörperchen), Tubuli (Nierenkanälchen) oder des Interstitiums (Zwischengewebe). Diese Schäden können auf entzündliche, toxische oder vaskuläre Ursachen zurückgeführt werden.
Pathophysiologische Mechanismen
- Glomeruläre Erkrankungen: Akute Entzündungen der Glomeruli, wie z. B. bei der rapid progredienten Glomerulonephritis, führen zu einer Schädigung der glomerulären Filtrationsbarriere und beeinträchtigen die Nierenfunktion.
- Akute Tubuläre Nekrose (ATN): Die häufigste renale Ursache ist die akute tubuläre Nekrose, bei der die Tubuluszellen aufgrund von ischämischen Schäden (Sauerstoffmangel) oder nephrotoxischen Substanzen (nierenschädigende Chemikalien oder Medikamente) absterben. Häufige nephrotoxische Substanzen sind z. B. nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR) und Aminoglykosid-Antibiotika.
- Kardiorenales Syndrom: Eine schwere Herzinsuffizienz kann eine chronische Nierenschädigung verursachen, da eine reduzierte Herzleistung zu einer verminderten Nierendurchblutung führt.
- Hepatorenales Syndrom: Bei fortgeschrittener Lebererkrankung kann es zu einer Nierenschädigung kommen, da die verminderte Leberfunktion den systemischen Blutdruck und die Nierendurchblutung negativ beeinflusst.
Risikofaktoren
- Insulinpflichtiger Diabetes mellitus
- Chronisch obstruktive Lungenerkrankung (COPD)
- Sepsis (Blutvergiftung)
- Nephrotoxische Medikamente
Postrenales Nierenversagen (10 %)
Das postrenale Nierenversagen wird durch eine Behinderung des Harnabflusses aus der Niere verursacht. Diese Form tritt auf, wenn der Urinabfluss aus einer oder beiden Nieren blockiert ist, was zu einem Druckanstieg in den Nieren führt und die Filtrationsfunktion der Glomeruli beeinträchtigt.
Pathophysiologische Mechanismen
- Obstruktion der Harnwege: Häufige Ursachen für eine mechanische Behinderung des Harnabflusses sind Nierensteine, Tumoren oder Prostatahyperplasie (Vergrößerung der Prostata), die den Harnabfluss aus den Nieren blockieren.
- Beidseitige Ureterobstruktion: Eine Blockade beider Harnleiter, z. B. durch bilaterale Nierensteine oder Tumoren, kann zu einem akuten postrenalen Nierenversagen führen.
- Blasenauslassobstruktion: Eine Blockade am Blasenauslass kann ebenfalls den Urinfluss behindern und zu einem postrenalen Nierenversagen führen. Dies tritt häufig bei vergrößerter Prostata oder Blasentumoren auf.
Risikofaktoren
- Prostataerkrankungen bei Männern
- Nierensteine
- Tumore der Harnwege
- Blasenauslassobstruktion
Risikofaktoren für die Entwicklung einer akuten Nierenschädigung
Es gibt mehrere Risikofaktoren, die das Risiko für die Entwicklung eines akuten Nierenversagens erhöhen. Diese umfassen:
- Weibliches Geschlecht
- Höheres Lebensalter
- Insulinpflichtiger Diabetes mellitus
- Herzinsuffizienz
- Linksventrikuläre Ejektionsfraktion < 35 %
- Chronisch obstruktive Lungenerkrankung (COPD)
- Infektionen und Sepsis
- Flüssigkeitsüberladung
- Nephrotoxische Medikamente
- Operationen, insbesondere herzchirurgische Eingriffe und Notfalleingriffe.
Zusammenfassung und klinische Relevanz
Das akute Nierenversagen (ANV) ist eine potenziell lebensbedrohliche Erkrankung, die sich rasch entwickelt und zu einem plötzlichen Verlust der Nierenfunktion führt. Die Pathogenese unterscheidet sich je nach zugrunde liegender Ursache in drei Hauptformen: prärenal, renal und postrenal. Während das prärenale Nierenversagen durch eine verminderte Nierenperfusion verursacht wird, resultiert das renale Nierenversagen aus direkter Nierenschädigung durch entzündliche, toxische oder vaskuläre Mechanismen. Das postrenale Nierenversagen tritt aufgrund von Abflussbehinderungen auf, die den Harnfluss blockieren. Eine frühzeitige Diagnose und Behandlung sind entscheidend, um irreversible Schäden an den Nieren zu verhindern.
Ätiologie (Ursachen) des prärenalen akuten Nierenversagens
Prärenal ausgelöste Formen des akuten Nierenversagens beruhen auf einer Verminderung des effektiven Blutvolumens (= absoluter Volumenmangel). Es kommt dadurch sekundär zu ischämisch (verminderte Durchblutung) bedingten Schädigungen von Nephronen (besteht aus dem Nierenkörperchen (Malpighi-Körperchen) und dem daran angeschlossenen Nierenkanälchen – Tubulus).
Krankheitsbedingte Ursachen
Blut, blutbildende Organe – Immunsystem (D50-D90)
- Hämolyse ‒ Auflösung der Erythrozyten (rote Blutkörperchen)
- Hämolytisch-urämisches Syndrom (HUS) – Trias aus mikroangiopathischer, hämolytischer Anämie (MAHA; Form der Blutarmut, bei der die Erythrozyten (rote Blutkörperchen) zerstört werden), Thrombozytopenie (krankhafte Verminderung der Thrombozyten/Blutplättchen) und akuter Nierenfunktionseinschränkung (acute kidney injury, AKI); meist bei Kindern im Rahmen von Infektionen auftretend; häufigste Ursache des akuten, dialysepflichtigen Nierenversagens im Kindesalter
- Hämorrhagie (Blutung), nicht näher bezeichnet
- Hypoproteinämie ‒ Verminderung des Proteingehaltes im Blut
Endokrine, Ernährungs- und Stoffwechselkrankheiten (E00-E90)
- Hypercalcämie (Calciumüberschuss)
- Hyperoxalurie (Synonym: Oxalurie, Oxalose) – Anstieg und vermehrte Ausscheidung der Oxalsäure im Urin
- Hypovolämie (Volumenmangel)
- Nebennierenrindeninsuffizienz
- Nephrogener Diabetes insipidus
- Tumorlyse-Syndrom (lebensbedrohende Stoffwechselentgleisung, die bei plötzlicher Zerstörung einer größeren Anzahl von Tumorzellen auftreten kann), inkl.: Tumorlyse (nach zytostatischer Therapie)
Herzkreislaufsystem (I00-I99)
- Aortenklappenstenose (Verengung der Aortenklappe)
- Aortendissektion (Synonym: Aneurysma dissecans aortae) – akute Aufspaltung (Dissektion) der Wandschichten der Aorta (Hauptschlagader), mit einem Einriss der inneren Schicht der Gefäßwand (Intima) und einer Einblutung zwischen der Intima und der Muskelschicht der Gefäßwand (äußere Media), im Sinne eines Aneurysma dissecans (krankhafte Ausweitung der Schlagader)
- Cholesterinembolie-Syndrom – verursacht durch den Verschluss kleiner Arterien durch Einschwemmung (Embolie) von Cholesterin-Kristallen aus aufgebrochenen (ulzerierten) arteriosklerotischen Plaques (krankhafte Ablagerungen an den Gefäßwänden)
- Herzinsuffizienz (Herzschwäche)
- Maligne Hypertonie – schwere Verlaufsform einer Hypertonie mit einem systolischen Blutdruck von über 180 mmHg und/oder einem diastolischen Blutdruck von über 110 mmHg, die meist mit einer deutlichen Symptomatik einhergeht
- Myokardinfarkt (Herzinfarkt) mit Herzinsuffizienz (Herzschwäche)
- Myokarditis (Herzmuskelentzündung) mit Herzinsuffizienz (Herzschwäche)
- Nierenarterienstenose (Verengung der Arteria renalis)
- Thromboembolie ‒ Verschluss eines Blutgefäßes durch einen losgelösten Blutpfropf
- Thrombotische Mikroangiopathie (TMA) wg. Tumorerkrankung – heterogene Gruppe von Erkrankungen, die in Verbindung mit einem Endothelschaden zu Thrombosen kleiner arterieller sowie venöser Gefäße führen; charakterisiert durch mechanische Hämolyse (Auflösung von roten Blutkörperchen), eine geringgradig bis stark ausgeprägte Thrombozytopenie (Mangel an Thrombozyten (Blutplättchen)) und ein akutes Nierenversagen
Infektiöse und parasitäre Krankheiten (A00-B99)
- Sepsis (Blutvergiftung)
Leber, Gallenblase und Gallenwege – Pankreas (Bauchspeicheldrüse) (K70-K77; K80-K87)
- Hepatorenales Syndrom (HRS) – funktionelle, prinzipiell voll reversible Abnahme der glomerulären Filtrationsrate (Gesamtvolumen des Primärharns an, das von allen Glomeruli (Nierenkörperchen) beider Nieren zusammen, in einer definierten Zeiteinheit, gefiltert wird) mit der Folge eines oligurischen Nierenversagens (bei oligurischen Nierenversagen geben die Nieren < 500 ml Urinproduktion/Tag ab) bei Patienten mit Leberzirrhose (irreversible Schädigung der Leber und ein ausgeprägter Umbau des Lebergewebes) oder fulminanter Hepatitis (Leberentzündung) bei fehlenden Hinweisen auf andere Ursachen einer Niereninsuffizienz (langsam fortschreitende Verringerung der Nierenfunktion)
- Pankreatitis (Bauchspeicheldrüsenentzündung)
Mund, Ösophagus (Speiseröhre), Magen und Darm (K00-K67; K90-K93)
- Diarrhoe (Durchfall)
- Erbrechen
- Peritonitis (Bauchfellentzündung)
Muskel-Skelett-System und Bindegewebe (M00-M99)
- Rhabdomyolyse – Auflösung quergestreifter Muskelfasern als Komplikation verschiedener Erkrankungen/Zustände (z. B. bei Statinen)
Neubildungen – Tumorerkrankungen (C00-D48)
- Plasmozytom (multiples Myelom) wg. "Überlauf-Proteinurie", d. h. durch Überschreiten der tubulären Rückresortptionskapazität wg. Überangebot an Proteinen
Ursachen (äußere) von Morbidität und Mortalität (V01-Y84)
- Exsikkose (Austrocknung)
Verletzungen, Vergiftungen und andere Folgen äußerer Ursachen (S00-T98)
- Anaphylaxie (schwerste Form einer allergischen Reaktion, die schnell lebensbedrohlich werden kann)
- Blutung
- Hitzschlag (d. h. Auftreten von Fieber > 40,6 °C, Bewusstseinsstörungen, ggf. Krampfanfälle) [9]
- Hypothermie (Unterkühlung)
- Perforation von Hohlorganen
- Rhabdomyolyse – Auflösung quergestreifter Muskelfasern als Komplikation verschiedener Erkrankungen/Zustände
- Verbrennungen
Labordiagnosen – Laborparameter, die als unabhängige Risikofaktoren gelten
- Hypercalcämie (Calciumüberschuss)
Umweltbelastung – Intoxikationen
- Hitzewellen [7, 8] → „Hitzestress-Nephropathie“ (durch Hitze-stressbedingte Nierenerkrankung)
Weitere Ursachen
- Volumenverlust durch chirurgische Drainagen
- Zustand nach großen operativen Eingriffen im Bereich des Thorax (Brustkorb) bzw. des Abdomens (Bauch)
Ätiologie (Ursachen) des renalen (intrarenalen) akuten Nierenversagens
Intrarenal ausgelöste Formen des akuten Nierenversagens beruhen auf einer primären Schädigung von Nephronen aus. Dadurch kommt es häufig zu ausgedehnten Tubulusnekrosen (Absterben der Nierenkanälchen), die zur Ablagerung von Zelltrümmern im Tubuluslumen führen.
Krankheitsbedingte Ursachen
Blut, blutbildende Organe – Immunsystem (D50-D90)
- Hämolyse ‒ Auflösung der Erythrozyten (rote Blutkörperchen)
- Sarkoidose – granulomatöse Entzündung; entzündliche Multisystemerkrankung
Endokrine, Ernährungs- und Stoffwechselkrankheiten (E00-E90)
- Nebennierenrindeninsuffizienz
- Nephrogener Diabetes insipidus
Infektiöse und parasitäre Krankheiten (A00-B99)
- Hanta-Virus-Infektion (Hantaviruserkrankung)
Muskel-Skelett-System und Bindegewebe (M00-M99)
- Rhabdomyolyse ‒ krankhafte Auflösung von Muskelfasern als Komplikation verschiedener Erkrankungen/Zustände
Neubildungen – Tumorerkrankungen (C00-D48)
- Cast-Nephropathie im Rahmen eines Plasmozytom (multiples Myelom) ‒ bösartige Tumorerkrankung aus der Gruppe der Non-Hodgkin-Lymphome. Sein Ursprung liegt wie bei allen Lymphomen im lymphatischen Gewebe
- Malignom (Tumorerkrankung) mit Niereninfiltration
Psyche – Nervensystem (F00-F99; G00-G99)
- Drogenabhängigkeit (Heroin, Amphetamine und synthetische Derivate, Kokain)
Urogenitalsystem (Nieren, Harnwege – Geschlechtsorgane) (N00-N99)
- Akute interstitielle Nephritis/Entzündung der Nierenkanälchen und des umliegenden Gewebes (Symptome: immunologische Hypersensitivitätsreaktion; Trias aus Fieber, Exanthem (Hautausschlag) und Eosinophilie (Erhöhung der Zahl eosinophiler Granulozyten) im Blutbild)zeigen nur 10-20 % der Patienten; Ursachen: Antibiotika (Cephalosporine, Penicilline), Diuretika (Furosemid, Thiazide), NSAR; Allopurinol, Cotrimoxazol, Rifampicin, Omeprazol)
- Akute tubulointerstitielle Nephritis (ATIN) – Europa und Nordamerika dominiert die medikamentös induzierte Form (78 %) gefolgt von der ATIN im Zusammenhang mit einer Systemerkrankung
- Glomeruläre Erkrankungen
- Glomerulonephritis (GN; Nierenerkrankung, die durch eine Entzündung der Nierenkörperchen bedingt ist)unterschiedlicher Genese z. B. durch Systemerkrankungen:
- rasch progressive GN (engl. rapidly progressive glomerulonephritis, kurz RPGN) bei Vaskulitiden
- diffus proliferative GN bei systemischer Lupus erythematodes (SLE)
- Goodpasture-Syndrom – Kombination von hämorrhagischen Lungeninfiltraten mit Glomerulonephritis
- Postinfektiöse Immunkomplex-Nephritis
- Glomerulonephritis (GN; Nierenerkrankung, die durch eine Entzündung der Nierenkörperchen bedingt ist)unterschiedlicher Genese z. B. durch Systemerkrankungen:
- Postglomeruläre Erkrankungen
- Akute interstitielle Nephritis (Nierenentzündung) (Symptome: immunologische Hypersensitivitätsreaktion; Trias aus Fieber, Exanthem/Hautausschlag und Eosinophilie/Erhöhung des Normwertes eosinophiler Granulozyten im Blut zeigen nur 10-20 % der Patienten; Ursachen: Antibiotika (Cephalosporine, Penicilline), Diuretika (Furosemid, Thiazide), NSAR; Allopurinol, Cotrimoxazol, Rifampicin, Omeprazol)
- Akute Tubulusnekrose (ATN) – Nierenerkrankung, die durch eine kurzfristig auftretende Schädigung der Zellen des Tubulussystems ausgelöst wird
- KM-induzierte Nephropathie (engl. contrast-induced nephropathy, CIN) – eine der Hauptursachen für die Entwicklung eines akuten Nierenversagens (ANV)
- Myelomniere (Synonym: Cast-Nephropathie; cast: englisch für Zylinder) – klassische Form der Nierenschädigung bei Multiplem Myelom
- Nierenarterienstenose – ein- oder auch beidseitig auftretende Verengung der die Nieren versorgenden Arterie (A. renalis)
- Obstruktive Uropathie (Synonyme: Harnstau; Harnstase; Harnstauung) –Stauung des Urins unterschiedlichen Schweregrades aufgrund eines Abflusshindernisses in den ableitenden Harnwegen
Labordiagnosen – Laborparameter, die als unabhängige Risikofaktoren gelten
- Hypercalcämie (Calciumüberschuss)
Medikamente (nephrotoxisch: nephrotoxische (nierenschädigende) Arzneimittel/nephrotoxische Medikamente)
- ACE-Hemmer und AT1- Rezeptorantagonisten (akut: Abnahme der glomerulären Filtrationsrate (GFR), verbunden mit einem Kreatinin-Anstieg: ACE-Hemmer ebenso wie AT1-Rezeptorantagonisten heben die Vasokonstriktion (Gefäßverengung) im Vas efferens auf, und es resultieren ein Abfall der GFR und ein Kreatinin-Anstieg im Serum. Bis 0,1 bis 0,3 mg/dl ist dies in der Regel tolerierbar.
Bei einer hämodynamisch relevanten Nierenarterienstenose (bei Patienten mit Atherosklerose/Arteriosklerose nicht selten) wird die GFR aber ausgeprägt Angiotensin-II-abhängig, und die Gabe eines ACE-Hemmers oder AT1-Rezeptorantagonisten kann ein akutes Nierenversagen zur Folge haben!) - Allopurinol
- Angiotensinrezeptor-Neprilysin-Antagonisten (ARNI) – duale Wirkstoffkombination: Sacubitril/Valsartan
- Antikonvulsiva (Carbamazepin, Phenytoin)
- Antiphlogistische und antipyretische Analgetika (Non-steroidal anti-inflammatory drugs (NSAID), nichtsteroidale Entzündungshemmer) bzw. Nicht-Steroidale Antirheumatika (NSAR*)
Achtung: Die Kombination eines Diuretikums, eines RAS-Blockers und eines NSAR ist mit einem signifikanten Risiko einer akuten Nierenschädigung assoziiert [2]:
- Acetylsalicylsäure (ASS)
- Diclofenac
- Ibuprofen/Naproxen
- Indometacin
- Mesalazin, auch Mesalamin und 5-Aminosalicylsäure, ist ein Amin-Derivat der Salicylsäure
- Metamizol (Novaminsulfon) ist ein Pyrazolon-Derivat und Analgetikum aus der Gruppe der nichtsauren Nichtopioid-Analgetika (höchste analgetische und antipyretische Wirkung. Nebenwirkungen: Kreislaufschwankungen, Überempfindlichkeitsreaktionen, sowie sehr selten eine Agranulozytose.
- Paracetamol/Acetaminophen
- Phenacetin (Phenacetin-Nephritis)
- Selektive COX-2-Hemmer wie Rofecoxib, Celecoxib (Nebenwirkungen: verringerte Natrium- und Wasserausscheidung, Blutdruckanstieg sowie periphere Ödeme. Damit einher geht in der Regel eine Hyperkaliämie!)
- Selektive COX-2-Hemmer wie Rofecoxib, Celecoxib (Nebenwirkungen: verringerte Natrium- und Wasserausscheidung, Blutdruckanstieg sowie periphere Ödeme. Damit einher geht in der Regel eine Hyperkaliämie!)
- Antibiotika
- Aminoglycosidantibiotika (Aminoglykoside) – Amikacin, Gentamycin (Gentamicin), Netilmicin, Streptomycin, Tobramycin, Vancomycin
- Ampicillin (Gruppe der β-Lactam-Antibiotika)
- Cephalosporine (Cefuroxim, Cefotiam)
- Amoxicillin
- Carbenicillin
- Ethambutol (Tuberkulostatikum)
- Fenoprofen
- Glykopeptidantibiotika (Vancomycin) – insb. Piperacillin reduziert die Vancomycin-Clearance
- Gyrasehemmer (extrem selten: akute interstitielle Nephritis nach Fluorchinolonen: Ciprofloxacin, Ofloxacin und Norfloxacin)
- Methicillin (penicillinasefestes Penicillin)
- Oxacillin
- Rifampicin (bakterizides Antibiotikum aus der Gruppe der Ansamycine)
- Sulfonamide wie Sulfadiazin, Cotrimoxazol (feste Kombination aus: Trimethoprim + Sulfamethoxazol)
- Tetracycline (Doxycyclin)
- Antidiabetika
- SGLT2-Inhibitoren (Canagliflozin und Dapagliflozin); bei prädisponierten Patienten (z. B. chronische Nierenerkrankung, Dehydrierung, niedriger Blutdruck) [5]
- Antimykotika
- Polyene (Amphotericin B, Natamycin)
- Colchicin
- Diuretika
- Thiaziddiuretika (Hydrochlorothiazid (HCT), Benzthiazid, Clopamid, Chlortalidon (CTDN), Chlorothiazid, Hydroflumethiazid, Indapamid, Methyclothiazid, Metolazon, Polythiazid und Trichlormethiazid, Xipamid) + ältere Patienten: Rückgang der GFR um mehr als 25 % [3]
- Die Kombination eines Diuretikums, eines RAS-Blockers und eines NSAR ist mit einem signifikanten Risiko einer akuten Nierenschädigung assoziiert [2].
- D-Penicillamin
- Gold – Natriumaurothiomalat, Auranofin
- Immunsuppressiva (Ciclosporin (Cyclosporin A)) – insb. Ciprofloxacin plus Ciclosporin A
- Interferon
- Kolloidale Lösung mit Hydroxethylstärke
- Kontrastmittel – Bedeutung haben hier insbesondere gadoliniumhaltige Magnetresonanztomographie (MRT)-Kontrastmittel, die zu einer nephrogenen systemischen Fibrose (NSF) führen können. Besonders betroffen von NSF sind Patienten mit einer glomerulären Filtrationsrate (GFR) von weniger als 30 ml/min. [CKD-Stadium 4]; jodhaltige Röntgenkontrastmittel; [erfordern bei Niereninsuffizienz ein prophylaktische Wässerung]
EMA (Europäische Arzneimittelagentur): Kategorisierung von GBCAs (Gadolinium-basierten Kontrastmittel) bezüglich des NSF-Risikos (nephrogener systemischer Fibrose), auf der Grundlage der thermodynamischen und kinetischen Eigenschaften [2]:- Hohes Risiko: Gadoversetamid, Gadodiamid (linear/nicht-ionische Chelate) Gadopentetat-Dimeglum (linear/ionisches Chelat)
- Mittleres Risiko: Gadofosveset, Gadoxetsäure-Dinatrium, Gadobenat-Dimeglumin (linear/ionische Chelate)
- Niedriges Risiko: Gadoterat-Meglumin, Gadoteridol, Gadobutrol (makrozyklische Chelate)
- Lithium
- Onkologische Therapie (Onkologika)
- Immuntherapie – Checkpoint-Inhibitoren (monoklonale Antikörper), Bevacizumab (VEGF-Antikörper), Trastuzumab (HER2-Antikörper), Nivolumab (PD-1-Antikörper)
- Zielgerichtete Therapien – "Targeted therapies", Everolimus (mTOR-Inhibitor), Imatinib (Tyrosinkinaseinhibitor), Ipilimumab Sorafenib (Proteinkinaseinhibitor), Vemurafenib (Serin‑/Threoninkinaseinhibitor)
- Zytostatika – Carboplatin, Cisplatin, Cyclophosphamid, Gemcitabin, Iphosphamid (Ifosfamid), Melphalan, Methotrexat (MTX), Mitomycin C, Platin (Cisplatin)
- Protonenpumpenhemmer (Protonenpumpeninhibitoren, PPI; Säureblocker) [5]
- "Atherosclerosis Risk in Communities" (ARIC): 10-jährige PPI-Anwendung: Erkrankungsrate der chronischen Niereninsuffizienz bei Patienten mit PPI 11,8 %, ohne 8,5 %; Rate der Nierenschädigungen: 64 %; zwei Pillen am Tag führten zu signifikant häufiger Schäden: 62 %
- Geisinger-Health-System: Beobachtungszeit 6,2 Jahre; Erkrankungsrate der chronischen Niereninsuffizienz: 17 %; Rate der Nierenschädigungen: 31 %; zwei Pillen am Tag führten zu signifikant häufiger Schäden: 28 %
- Rast-Blocker: Die Kombination eines Diuretikums, eines RAS-Blockers und eines NSAR ist mit einem signifikanten Risiko einer akuten Nierenschädigung assoziiert [2].
- Röntgenkontrastmittel
- Statine (Rhabdomyolyse)
- Tacrolismus (Makrolid aus dem gram-positiven Bakterium Streptomyces tsukubaensis. Tacrolimus wird verwendet als Arzneistoff aus der Gruppe der Immunmodulatoren oder Calcineurinhemmer)
- Virostatika
- Nukleosidanaloga (Aciclovir, Brivudin, Cidofovir, Famciclovir, Foscarnet, Ganciclovir, Valaciclovir)
Umweltbelastungen – Intoxikationen (Vergiftungen)
- Aliphatische Kohlenwasserstoffe (2,2,4-Trimethylpentan, Decalin, bleifreies Benzin, Mitomycin C)
- Ethanol (Äthanol; Alkohol)
- Ethylenglykol (Äthylenglykol)
- Halogenierte Kohlenwasserstoffe (HKW; Trichlorethen, Tetrachlorethen, Hexachlorbutadien, Chloroform)
- Herbizide (Paraquat, Diquat, chlorierte Phenoxyessigsäuren)
- Kokain
- Melamin
- Metalle (Cadmium, Chrom, Blei, Lithium, Nickel, Quecksilber, Uran)
- Mykotoxine (Ochratoxin A, Citrinin, Aflatoxin B1)
- Salicylate
Ätiologie (Ursachen) des postrenalen akuten Nierenversagens
Postrenal ausgelöste Formen des akuten Nierenversagens beruhen auf Obstruktionen (Verschlüssen) in den ableitenden Harnwegen. Dadurch kommt es zur Anurie (weniger als 100 ml Urin in 24 Stunden) und zur Druckerhöhung oberhalb des Abflusshindernisses. Dadurch wird die Durchblutung der Niere gedrosselt.
Krankheitsbedingte Ursachen
Angeborene Fehlbildungen, Deformitäten und Chromosomenanomalien (Q00-Q99)
- Fehlbildungen im Bereich des Urogenitalsystems
Neubildungen – Tumorerkrankungen (C00-D48)
- Tumoren der Geschlechtsorgane, nicht näher bezeichnet
- Tumoren des Retroperitonealraumes (Raum zwischen dem Bauchfell und der hinteren Bauchwand), nicht näher bezeichnet
- Tumoren des Urogenitaltraktes, nicht näher bezeichnet
Urogenitalsystem (Nieren, Harnwege – Geschlechtsorgane) (N00-N99)
- Benigne Prostatahyperplasie ‒ gutartige Vergrößerung der Vorsteherdrüse
- Ureterstenose (Harnleiterenge)
- Urethrastenose (Harnröhrenenge)
- Urolithiasis (Harnsteinleiden)
Medikamente
- Anticholinergika (Parasympatholytika) ‒ Medikamente, die dem Transmitter (Überträgerstoff) Acetylcholin entgegenwirken
Weitere Ursachen
- Verstopfte/dislozierte Harnblasendauerkatheter
Literatur
- EMA: Assessment report for Gadolinium-containing contrast agents. Procedure No. EMEA/H/A-31/1097 1 July 2010 EMA/740640/2010
- Lapi F et al.: Concurrent use of diuretics, angiotensin converting enzyme inhibitors, and angiotensin receptor blockers with non-steroidal anti-inflammatory drugs and risk of acute kidney injury: nested case-control study. BMJ 2013, 346: eB525, doi 1011136/bmj.e8525
- Makam AN et al.: Risk of Thiazide-Induced Metabolic Adverse Events in Older Adults.Journal of the American Geriatrics Society Volume 62, Issue 6, pages 1039-1045, June 2014
- Lazarus B et al.: Proton Pump Inhibitor Use and the Risk of Chronic Kidney Disease. JAMA Intern Med. Published online January 11, 2016. doi:10.1001/jamainternmed.2015.7193
- FDA Drug Safety Communication: FDA strengthens kidney warnings for diabetes medicines canagliflozin (Invokana, Invokamet) and dapagliflozin (Farxiga, Xigduo XR). FDA Safety Information, posted 06/14/2016
- Weisbord ST et al.: Outcomes after Angiography with Sodium Bicarbonate and Acetylcysteine. NEJM November 12, 2017 doi: 10.1056/NEJMoa1710933
- Sorensen C, Garcia-Trabanino R. A New Era of Climate Medicine - Addressing Heat-Triggered Renal Dis-ease. N Engl J Med 2019; 381 (8): 693-696
- Xu Z, Hu X, Tong S et al.: Heat and risk of acute kidney injury: An hourly-level case-crossover study in queensland, Australia. Environ Res 2020 182: 109058 doi: 10.1016/j.envres.2019.109058
- Dematte JE, O’Mara K, Buescher J et al.: Near-fatal heat stroke during the 1995 heat wave in Chicago. Ann Itern Med 1998; 129 (3): 173-81 doi: 10.7326/0003-4819-129-3-199808010-00001