Akutes Nierenversagen – Einleitung

Bei akutem Nierenversagen (ANV) handelt es sich um einen plötzlichen Funktionsausfall beider Nieren (innerhalb von Stunden bis Tagen).

Synonyme und ICD-10: akute Nierennekrose; akute Nierenrindennekrose; akutes Nierenversagen mit Tubulusnekrose; akute Tubulusnekrose; anoxische Nephrose; anoxische tubuläre Nekrose; ANV; bilaterale Nierenrindennekrose; ischämische Nephrose; kortikale Nierennekrose; nekrotische Nephrose; Nephrose mit Hämoglobinurie; Niereninsuffizienz mit Tubulusnekrose; Nierenrindennekrose; Nierentubulusnekrose; Nierenversagen mit Tubulusnekrose; papilläre Nekrose bei Nephritis; Papillitis necroticans der Niere; postrenales akutes Nierenversagen; prärenales akutes Nierenversagen; Quecksilber-Nephrose; renale Rindennekrose; renale Tubulusnekrose; Sublimatnephrose; toxische Nephrose; toxische tubuläre Nekrose; tubuläre Nephrose; tubuläre Nierennekrose; Tubulusnekrose; engl.: acute kidney injury (AKI); ICD-10-GM N17.-: Akutes Nierenversagen

Das akute Nierenversagen ist anders als die chronische Niereninsuffizienz potenziell reversibel. Entscheidend dabei ist die Therapie der auslösenden Grunderkrankung bzw. das Ausschalten von Noxen (z. B. Absetzen nephrotoxischer Medikamente/Substanzen).

Das im Krankenhaus auftretende oder diagnostizierte akute Nierenversagen wird als nosokomiales akutes Nierenversagen bezeichnet.

Charakteristische Laborbefunde

  • Serumkreatinin
    • Erhöht: Ein rascher Anstieg des Serumkreatinins ist ein typisches Zeichen für akutes Nierenversagen. Kreatinin steigt an, weil die Nieren nicht in der Lage sind, dieses Stoffwechselprodukt auszuscheiden.
  • Harnstoff (BUN – Blood Urea Nitrogen)
    • Erhöht: Wie das Kreatinin steigt auch der Harnstoffspiegel im Blut aufgrund der verminderten Ausscheidung durch die Nieren an.
  • Glomeruläre Filtrationsrate (GFR)
    • Erniedrigt: Eine Abnahme der GFR zeigt das Ausmaß der Nierenfunktionsstörung an. Die genaue Bestimmung ist oft schwierig, daher wird häufig auf Kreatinin- und Harnstoffwerte zurückgegriffen.
  • Elektrolyte
    • Hyperkaliämie: Erhöhter Kaliumspiegel, bedingt durch die verringerte Ausscheidung von Kalium, was lebensbedrohliche Herzrhythmusstörungen verursachen kann.
    • Hyponatriämie: Erniedrigter Natriumspiegel kann auftreten, vor allem bei einer Volumenüberlastung oder durch das Syndrom der inadäquaten ADH-Sekretion (SIADH).
    • Hyperphosphatämie: Erhöhte Phosphatspiegel durch reduzierte renale Ausscheidung.
    • Hypocalcämie: Erniedrigter Calciumspiegel, oft als Folge von Hyperphosphatämie und vermindertem 1,25-Dihydroxyvitamin D.
  • Metabolische Azidose
    • Erniedrigter Bikarbonatspiegel: Metabolische Azidose entwickelt sich aufgrund der Anhäufung von nichtflüchtigen Säuren und einer verminderten Fähigkeit der Nieren, Protonen auszuscheiden.
  • Urinanalyse
    • Proteinurie: Vorhandensein von Protein im Urin, variabel je nach Ursache des ANV.
    • Mikrohämaturie: Vorhandensein von roten Blutkörperchen im Urin, häufig bei glomerulären Ursachen.
    • FENa (Fraktionelle Natriumexkretion): Kann bei prärenalem ANV (verursacht durch vermindertes renales Blutvolumen) erniedrigt sein (<1 %) und bei intrarenalem ANV (z.B. akute Tubulusnekrose) erhöht (> 2 %).
  • Blutgasanalyse
    • Azidose: pH-Wert im Blut kann gesenkt sein, was auf eine metabolische Azidose hinweist.
  • Parathormon (PTH)
    • Erhöht: Kann bei chronischem Verlauf erhöht sein, insbesondere wenn eine Osteodystrophie (Nierenknochenkrankheit) vorliegt.
  • Laktatdehydrogenase (LDH)
    • Erhöht: Kann bei Hämolyse oder Rhabdomyolyse, die zu einem ANV führen, erhöht sein.

Formen des akuten Nierenversagens

Nach der Pathophysiologie (krankhaft veränderte Körperfunktionen) 

  • Prärenales ANV – hierbei liegt die Ursache vor der Niere; häufigste Form des ANV mit 60 % der Fälle
  • Intrarenales ANV – hier liegt die Ursache in der Niere selbst (35 % der Fälle)
  • Postrenales ANV – hier liegt die Ursache hinter der Niere (5 % der Fälle)

Nach den Stadien der Erkrankung 

  • Initialphase – in Bezug auf die Niere asymptomatisch; hier steht die Symptomatik der auslösenden Grunderkrankung im Vordergrund
  • Manifestes Nierenversagen – stetige Abnahme der glomerulären Filtrationsrate (GFR) und folglich Zunahme der Retentionswerte wie Kreatinin; kann bis zu mehreren Wochen andauern
  • Polyurische Phase – Wiederherstellung der Nierenfunktion; durch eine massive Ausscheidung von bis zu 10 l Harn pro Tag ist der Wasser- und Elektrolythaushalt starken Schwankungen unterworfen. Diese Phase geht mit einer erhöhten Mortalität (Sterblichkeit) einher.

Epidemiologie

Häufigkeitsgipfel: Die Erkrankung tritt vorwiegend ab dem 70. Lebensjahr auf.

Die Prävalenz (Krankheitshäufigkeit) des akuten Nierenversagens für Intensivpatienten liegt bei 5 % (in Deutschland).
Während des Klinikaufenthaltes entwickeln 2-18 % der Hospitalisierung Patienten und 22-57 % der intensivmedizinischen Patienten eine akute Nierenschädigung (engl.: acute kidney injury (AKI)) [1, 2].

Zur Epidemiologie des akuten Nierenversagens gibt es nur wenige Studien. Eine Untersuchung in Schottland gibt eine Inzidenz (Häufigkeit von Neuerkrankungen) von 1811 Erkrankungen pro 1.000.000 Einwohner pro Jahr an.

Verlauf und Prognose

Verlauf

Das akute Nierenversagen (ANV) verläuft typischerweise in mehreren Phasen:

  • Initialphase
    • Diese Phase ist in Bezug auf die Niere asymptomatisch.
    • Hier stehen die Symptome der auslösenden Grunderkrankung im Vordergrund.
  • Manifestes Nierenversagen
    • Es kommt zu einer stetigen Abnahme der glomerulären Filtrationsrate (GFR) und folglich zu einer Zunahme der Retentionswerte wie Kreatinin.
    • Diese Phase kann bis zu mehreren Wochen andauern.
  • Polyurische Phase
    • Es erfolgt eine Wiederherstellung der Nierenfunktion, jedoch mit einer massiven Ausscheidung von bis zu 10 Litern Harn pro Tag.
    • Diese Phase geht mit erheblichen Schwankungen des Wasser- und Elektrolythaushalts einher und ist mit einer erhöhten Mortalität verbunden.

Prognose

  • Reversibilität: Das akute Nierenversagen ist in der Regel reversibel, d. h., die (annähernd) normale Funktion der Niere kehrt zurück.
  • Abhängigkeit von der Grunderkrankung: Der Verlauf und die Prognose sind stark abhängig von der auslösenden Grunderkrankung bzw. den auslösenden Noxen.
  • Risikofaktoren: Patienten, die aufgrund eines akuten Nierenversagens bereits einmal eine Dialysebehandlung erhalten haben, haben ein erhöhtes Risiko, im weiteren Verlauf ein progredientes (fortschreitendes) chronisches Nierenversagen zu entwickeln, insbesondere beim intrarenalen akuten Nierenversagen. Das Risiko für eine dauerhafte Dialysebehandlung beträgt etwa 5 %.
  • Nosokomiales ANV: Bei nosokomialem akutem Nierenversagen sind ein Drittel der Patienten, die im Rahmen des intensivmedizinischen Aufenthalts ein maschinelles Nierenersatzverfahren erhielten, auch nach der Krankenhausentlassung weiterhin auf ein Nierenersatzverfahren angewiesen.
  • Letalität: Die Letalität (Sterblichkeit bezogen auf die Gesamtzahl der an der Krankheit Erkrankten) von Intensivpatienten mit ANV beträgt 60 %. Dies ist darin begründet, dass das ANV selbst, unabhängig von der Grunderkrankung, einen ungünstigen Einfluss auf alle biologischen Prozesse und Organfunktionen des Körpers ausübt.

Literatur

  1. Hoste EA, Bagshaw SM, Bellomo R et al.: Epidemiology of acute kidney injury in critically ill patients: the multinational AKI-EPI study. Intensive Care Med 2015 Aug;41(8):1411-23. doi: 10.1007/s00134-015-3934-7. Epub 2015 Jul 11.
  2. Siew ED, Davenport A: The growth of acute kidney injury: a rising tide or just closer attention to detail? Kidney Int 2015; 87: 46-61 doi: 10.1038/ki.2014.293

Leitlinien

  1. Cano NJ, Aparicio M, Brunori G et al.: ESPEN Guidelines on Parenteral Nutrition: adult renal failure. Clin Nutr 2009; 28: 401-414
  2. Singer P, Berger MM, Van den Berghe G et al.: ESPEN Guidelines on Parenteral Nutrition: intensive care. Clin Nutr 2009; 28: 387-400