Metabolische – stoffwechselbedingte – Azidose – Ursachen

Pathogenese (Krankheitsentstehung)

Die metabolische (stoffwechselbedingte) Azidose beschreibt eine stoffwechselbedingte Senkung des Blut-pH-Wertes unter 7,36. Dieser Zustand resultiert entweder aus einer vermehrten Ansammlung von Säuren oder einem Verlust von Basen im Blut. Im Rahmen der metabolischen Azidose unterscheidet man primäre Mechanismen, darunter die Additions- und die Subtraktionsazidose, sowie sekundäre Mechanismen wie Elektrolytverschiebungen und Anpassungsmechanismen der Nieren.

Primäre pathophysiologische Mechanismen

Additionsazidose

  • Bei der Additionsazidose kommt es durch eine gesteigerte Produktion oder erhöhte Zufuhr von Säuren im Körper zu einem Abfall des pH-Wertes. Hauptquellen sind:
    • Verstoffwechselung von Nahrungsprotein: Beim Abbau entstehen sogenannte "fixe Säuren" (wie Sulfat und Phosphat aus schwefelhaltigen und basischen Aminosäuren), die der Körper nicht über die Lunge abatmen kann. Diese Säuren sind harnpflichtig und müssen über die Nieren ausgeschieden werden. Besonders im höheren Alter kann diese Kapazität eingeschränkt sein, was eine Azidose begünstigt.
    • Ketoazidose: Bei unzureichender Glukoseverwertung, wie bei Diabetes mellitus oder Fastenzuständen, entsteht durch den Abbau von Fett eine Überproduktion von Ketonkörpern, die das Blut ansäuern.
    • Laktatazidose: Eine Akkumulation von Lactat (Milchsäure) im Blut kann infolge einer verminderten Sauerstoffversorgung auftreten, z. B. bei Schockzuständen oder schwerer körperlicher Anstrengung, und führt zu einer Azidose.

Subtraktionsazidose

  • Eine Subtraktionsazidose entsteht durch vermehrte Verluste von Basen, insbesondere Bicarbonat (HCO3⁻). Dies kann ausgelöst werden durch:
    • Renale Verluste: Die Nieren scheiden verstärkt Bicarbonate aus, z. B. im Rahmen einer renalen Azidose, wenn die Nierenfunktion eingeschränkt ist oder bei einer renalen tubulären Azidose.
    • Verluste über den Magen-Darm-Trakt: Verluste von Bicarbonaten durch starken Durchfall führen ebenfalls zu einer Subtraktionsazidose.

Sekundäre pathophysiologische Mechanismen

Anionenlücke (AG)

  • Die Anionenlücke gibt Hinweise auf die zugrunde liegende Ursache einer Azidose und zeigt die Differenz zwischen den gemessenen Kationen (positiv geladene Ionen) und Anionen (negativ geladene Ionen) im Blut.
    • Azidose mit großer Anionenlücke: Eine vergrößerte Anionenlücke weist häufig auf exogene Vergiftungen hin, z. B. durch Alkohole (Methanol, Ethanol) oder auf Stoffwechselstörungen wie Keto- oder Laktatazidose.
    • Azidose mit normaler Anionenlücke: Eine normale Anionenlücke weist in der Regel auf hyperchlorämische Azidosen hin, wie sie bei renalen oder gastrointestinalen Bicarbonatverlusten auftreten.

Kompensationsmechanismen

  • Atmung (respiratorische Kompensation): Bei einer metabolischen Azidose reagiert der Körper mit einer gesteigerten Atmung (Hyperventilation), um mehr CO2 abzuatmen und damit den pH-Wert zu stabilisieren.
  • Niere (renale Kompensation): Die Nieren versuchen, mehr Wasserstoffionen (H⁺) auszuscheiden und gleichzeitig Bicarbonat zurückzugewinnen. Diese Kompensation verläuft jedoch langsamer als die Atmungsanpassung.

Klinisches Bild

Leitsymptome

  • Müdigkeit, Kopfschmerzen und Kussmaul-Atmung (tiefes, regelmäßiges Atmen) als Zeichen der respiratorischen Kompensation
  • Muskelschwäche und vermehrte Neigung zu Krämpfen durch Elektrolytstörungen (insbesondere Hyperkaliämie)

Fortgeschrittene Symptome

  • Verschlechterung des Bewusstseins bis zum Koma bei schwerer Azidose
  • Arrhythmien und Herzrhythmusstörungen aufgrund der veränderten Elektrolytkonzentrationen im Blut

Zusammenfassung und klinische Relevanz

Die metabolische Azidose stellt eine gefährliche Störung des Säure-Basen-Haushaltes dar, bei der der Blut-pH durch die Ansammlung von Säuren oder durch den Verlust von Basen sinkt. Die Unterscheidung der Azidoseformen (Additions- und Subtraktionsazidose) sowie die Beurteilung der Anionenlücke sind essenziell für die Ursachenerkennung. Die Behandlung zielt darauf ab, die zugrunde liegende Ursache zu beheben und gleichzeitig den Säure-Basen-Haushalt zu stabilisieren, um Komplikationen wie Bewusstseinsstörungen und Elektrolytverschiebungen zu vermeiden.

Ätiologie (Ursachen)

Biographische Ursachen

  • Genetische Belastung
    • Genetische Erkrankungen
      • Renale tubuläre Azidose (RTA) – genetische Erkrankung mit autosomal-rezessivem Erbgang, die zu einem Defekt der H+-Ionensekretion im Tubulussystem der Niere führt und infolgedessen zu einer Demineralisation des Knochens (Hypercalciurie und Hyperphosphaturie/vermehrte Ausscheidung von Calcium und Phosphat im Urin) und einer Hypokaliämie (Kaliummangel)

Verhaltensbedingte Ursachen

  • Ernährung
    • Hungerzustand – vermehrte Säureproduktion
    • Überernährung – vermehrte Säureproduktion

Krankheitsbedingte Ursachen

  • Gastrointestinal (Magen-Darm-Trakt betreffend):
    • Diarrhoe (Durchfall) – vermehrte Verluste von HCO3
  • Ketoazidose (diabetisch (diabetische Ketoazidose, DKA), Hunger, Alkohol)
    Beachte: Ca. 6-7 % der Schwangeren leiden unter einem Diabetes mellitus (DM); dabei handelt es sich um ca.  90 % der Fälle um einen Gestationsdiabetes handelt [1].
  • Laktatazidose:
    • Hypoxie (Sauerstoffmangel) im Rahmen eines Schocks
    • Leber- und Nierenversagen
    • Sepsis (Blutvergiftung)
    • Intoxikationen durch Alkohol, Biguanide (Metformin: Hemmung der hepatischen Gluconeogenese), Salicylate
  • Renal (Niere betreffend):
    • Niereninsuffizienz (chronische Nierenschwäche) → Hyperkaliämie (Kaliumüberschuss)
    • Renale tubuläre Azidose (RTA) 
    • Urämie (vermehrte Auftreten harnpflichtiger Substanzen im Blut aufgrund fehlender oder ungenügender Nierenfunktion) – wg. reduzierter Fähigkeit, die tägliche diätetische Zufuhr von Säuren bei stark reduzierter glomerulärer Filtrationsrate (GFR) adäquat auszuscheiden
  • Alkoholabusus (Alkoholmissbrauch)
  • Diabetes mellitus
  • Diarrhoe (Durchfall) → gastrointestinaler Bikarbonatverlust
  • Kachexie (Auszehrung; Abmagerung)

Medikamente

  • ACE-Hemmer – Medikamentengruppe, die bei Hypertonie (Bluthochdruck) eingesetzt wird; zu dieser Gruppe zählen vor allem Ramipril und Captopril
  • AT1-Antagonisten (Angiotensin-II-Rezeptor-Subtyp-1-Antagonisten, AT1-Rezeptorantagonisten, Angiotensin-Rezeptorblocker, „Sartane“) – Medikamentengruppe, die bei Hypertonie (Bluthochdruck) eingesetzt wird; dazu zählt vor allem Valsartane
  • Acetazolamid – Carboanhydrasehemmer aus der Substanzklasse der Sulfonamide, der den Augen-, Hirn- und den Blutdruck senken kann
  • Calciumchlorid – Medikament, welches bei Kaliummangel verabreicht wird
  • Ciclosporin (Cyclosporin A) (Immunsuppressivum)
  • Colestyramin – Medikament, welches als Fettsenker eingesetzt wird
  • Hippurat – Medikament, welches bei Harnwegsinfekten eingesetzt wird
  • Kalium-sparende Diuretika – entwässernde Medikamente wie Amilorid oder Spironolacton
  • Kationenaustauscherharze
  • Magnesiumsulfat – als Therapie bei Magnesiummangel oder als Bittersalz verordnetes Medikament
  • Pentamidin (Chemotherapeutikum)
  • Salicylate – Wirkstoffgruppe, zu der die Acetylsalicylsäure (ASS) gehört, die als Schmerzmittel verwendet wird
  • Trimethoprim (Antibiotikum) – Medikament gegen bakterielle Infektionen

Operationen

  • Ureterosigmoidostomie – Verpflanzung des Harnleiters in den Sigmadarm, vor allem zur Bildung einer Ersatzblase bei Harnblasenkarzinom (Blasenkrebs)
  • Zustand nach Operationen, bei denen eine externe Pankreas- oder Dünndarmdrainage angelegt wurde

Umweltbelastung – Intoxikationen (Vergiftungen)

  • Alkohol
  • Äthylenglukol – wird als Frostschutzmittel verwendet
  • Methanol
  • Toluol

Literatur

  1. Committee on Practice Bulletins Obstetrics. Practice Bulletin No. 137: Gestational diabetes mellitus. Obstet Gynecol 2013 Aug;122(2 Pt 1):406-16. doi: 10.1097/01.AOG.0000433006.09219.f1.