Belastungs-EKG
Ein Belastungs-EGK ist ein Elektrokardiogramm (Synonym: Belastungsergometrie), das bei Belastung – das heißt unter körperlicher Aktivität – durchgeführt wird.
Die Belastung wird dabei durch körperliche Arbeit mittels Laufband oder Fahrradergometer erzeugt. Je nach Watt-Zahl entspricht die Belastung dabei normalem Gehen bis zu schnellem Radfahren oder Jogging.
Mittels des Belastungs-EKGs können belastungsinduzierte Herzrhythmusstörungen sowie Erregungsrückbildungsstörungen provoziert und dokumentiert werden.
Des Weiteren ist das Belastungs-EKG hochspezifisch für das Auffinden ischämischer mikrovaskulärer Veränderungen bei Patienten ohne Koronarstenosen (Herzkranzgefäßeverengungen) [3].
Indikationen (Anwendungsgebiete)
- Abklärung thorakaler Schmerzen (Angina pectoris/"Brustenge"; plötzlich auftretender Schmerz in der Herzgegend inklusive vasospastische Angina pectoris) bei myokardialen Ischämien (Minderdurchblutungen) bei koronarer Herzkrankheit (Herzkranzgefäßerkrankung)
- Bei Patienten mit kardialen Risikofaktoren, z. B. bei Verdacht auf Koronare Herzkrankheit, arterielle Hypertonie (Bluthochdruck)
- Nach Myokardinfarkt (Herzinfarkt) zur Beurteilung von Prognose, körperlicher Aktivität, Medikation und kardialer Rehabilitation
- Nach Revaskularisation (Revaskularisierung) – Wiederherstellen der Durchblutung – durch interventionelle Techniken oder aortokoronarer Bypass-Operation zur Beurteilung einer Restischämie (verbleibende Minderdurchblutung)
- Erfassung der körperlichen Belastbarkeit (physikalische Leistungskapazität)
- Untersuchung von asymptomatischen Männern > 40 Jahre bzw. Frauen > 50 Jahren vor körperlichem Training
- Bei Berufen, bei denen eine Erkrankung Einfluss auf die öffentliche Sicherheit hat (z. B. Busfahrer, Piloten)
- Bei Patienten mit Herzrhythmusstörungen, bei denen die Arrhythmien oft erst unter Belastung auftreten (z. B. ventrikuläre Tachykardien bei arrhythmogenen rechtsventrikulären Erkrankungen, koronare Herzkrankheit)
- Arbeitsversuche bei Patienten mit frequenzadaptiven Schrittmachersystemen zur Einstellung der optimalen Interventionsfrequenz
- Nachweis unerwünschter proarrhythmischer Effekte – Verstärkung von Rhythmusstörungen einer antiarrhythmischen Therapie
- Messung der Leistungskapazität (körperliche Belastbarkeit) – bei Hochleistungs- oder Leistungssportlern mittels Fahrrad- oder Laufband-Ergometrie
Absolute Kontraindikationen (Gegenanzeigen)
- Instabile Angina pectoris – man spricht von einer instabilen Angina pectoris, wenn die Beschwerden gegenüber den vorausgegangenen Angina pectoris-Anfällen in ihrer Intensität oder Dauer zugenommen haben
- Akute Peri-/Myo-/Endokarditis (Herzbeutelentzündung/Herzmuskelentzündung/Herzinnenhautentzündung)
- Akuter Myokardinfarkt (Herzinfarkt; innerhalb der ersten zwei Wochen)
- Schwere Herzinsuffizienz (Herzschwäche; NYHA III, IV)
- Akute Aortendissektion (Wandaussackung der Hauptschlagader)
- Aneurysma des Herzens oder der Aorta
- Hochgradige Hauptstammstenose
- Schwere pulmonale Hypertonie (Lungenhochdruck)
- Respiratorische Globalinsuffizienz (ausgeprägte Hypoxie/Minderversorgung mit Sauerstoff mit erniedrigtem Sauerstoffpartialdruck (pO2) und eine CO2-Retention mit einem erhöhtem Kohlendioxidpartialdruck (pCO2))
- Lungenembolie
- Manifeste Herzfehler (schwere symptomatische Aortenstenose, HOCM)
- Schwerere Anämie (Blutarmut)
- Allgemeinerkrankungen wie Fieber
- Medikamentös nicht einstellbare Herzrhythmusstörungen, Hypertonien
- Z. n. OP ggf. mit Chirurgen abklären
Relative Kontraindikationen
- Arterielle Hypertonie (Bluthochdruck)
- Tachy- bzw. Bradyarrhythmie (Auftreten von Rhythmusstörungen mit ausgeprägt hohen bzw. niedrigen Pulsfrequenzen)
- AV-Blockierungen (Überleitungsstörungen vom Herzvorhof zur Herzkammer)
- Bekannte Elektrolytstörungen (Abweichungen einer oder mehreren Körperflüssigkeiten von der normalen Elektrolytkonzentration (Salzkonzentration))
Das Verfahren
Durch die Elektrokardiographie können die elektrischen Aktivitäten aller Herzmuskelfasern abgeleitet und als Kurven im Elektrokardiogramm (EKG) dargestellt werden.
Im Herz befindet sich ein spezielles Reizbildungssystem, in dem sich die elektrische Erregung bildet, die dann über das Reizleitungssystem ausgebreitet wird. Dadurch wird die Kontraktion des Herzens, das heißt seine Pumpfunktion, ermöglicht.
Die Erregung entsteht im Sinusknoten, welcher im rechten Herzohr, d. h. im rechten Vorhof (lat. Atrium dextrum) des Herzens sitzt. Den Sinusknoten bezeichnet man auch als Schrittmacher, da er das Herz mit einer bestimmten Frequenz antreibt. Er wird vom Sympathikus und Parasympathikus (Nervus vagus) gesteuert, die damit maßgeblich den Herzrhythmus beeinflussen.
Vom Sinusknoten gelangt der elektrische Impuls über Faserbündel zum AV-Knoten (Atrioventrikularknoten). Dieser befindet sich am Übergang zu den Ventrikeln (Herzkammern) und reguliert die Reizübertragung in die Herzkammern. Die Zeitspanne der Erregungsüberleitung nennt man atrioventrikuläre Überleitungszeit (AV-Zeit). Diese entspricht der Dauer der PQ-Zeit im EKG.
Bei Ausfall des Sinusknotens kann der AV-Knoten die Funktion als primärer Rhythmusgeber übernehmen. Die Herzfrequenz beträgt dann 40-60 Schläge pro Minute. Falls es zu einer starken zeitlichen Verzögerung der Reizweiterleitung durch den AV-Knoten kommt oder dieser ausfällt, kommt es zum Krankheitsbild des sogenannten AV-Blocks.
Die elektrischen Impulse werden mithilfe von Elektroden (Saugelektroden; Klebeelektroden) abgeleitet. Die Elektroden (Anzahl: 10) werden dazu auf dem Brustkorb angebracht.
Ein EKG-Gerät verstärkt diese Impulse und stellt sie entweder als EKG-Kurve (Elektrokardiogramm) auf einem Bildschirm dar oder druckt sie auf einem Papierstreifen aus.
Vor Beginn der Belastung wird zunächst ein Ruhe-EKG geschrieben und der Ruhepuls sowie der Blutdruck vor der Belastung werden bestimmt.
Anschließend wird der Patient beispielsweise auf einem Fahrradergometer entsprechend WHO-Schema definiert belastet (Ergometertest). Dabei wird die Watt-Zahl, also die Belastung, kontinuierlich um 25 Watt in regelmäßigen Abständen von zwei Minuten erhöht. Neben der Aufzeichnung des EKGs werden gleichzeitig Puls (= Herzfrequenz) und Blutdruck gemessen, um weitere wertvolle Hinweise auf die Leistungsfähigkeit des Herzens zu erhalten.
Die Herzfrequenz, die bei einem Belastungs-EGK im Sitzen mindestens erreicht werden sollte, wird wie folgt berechnet: maximale Herzfrequenz (Hfmax): [220 minus Lebensalter in Jahren] pro Minute.
Cave (Achtung): bradykardisierende Medikamente (Medikamente, die die Herzfrequenz senken; wenn möglich, ausreichend lange vorher absetzen).
Abbruchkriterien
- Angina pectoris (deutsch: Brustenge; Herzschmerz)
- Symptome: progrediente Dyspnoe (Atemnot), Zyanose, Schwindel, Kaltschweißigkeit, Ataxie (Bewegungsstörung)
- Fehlender Frequenzanstieg
- Blutdruckabfall von mehr als 10 mmHg bzw. fehlender systolischer Blutdruckanstieg
- Blutdruck > 240 mmHg systolisch; > 115 mmHg diastolisch
- EKG
- Zunahme von Arrhythmien (Salven, ventrikuläre Tachykardien (VT), zunehmende supraventrikuläre Extrasystolen (SVES), Vorhofflimmern/Flattern
- AV-Blockierungen, neu auftretender Linksschenkelblock
- ST-Hebungen > 0, 1mV; horizontale ST-Senkungen > 0,2 mV
- Körperliche Erschöpfung
- Erreichen der maximalen Herzfrequenz (= definierte Belastungsstufe in Watt)
Auch in der Erholungsphase nach Beendigung der Belastung werden EKG und Blutdruck noch weiterhin für bis zu zehn Minuten regelmäßig etwa alle zwei Minuten erfasst.
Die Dauer der Untersuchung beträgt, je nach der Belastbarkeit des Patienten, zwischen 15-30 Minuten.
Anschließend erfolgt eine Auswertung des Belastungs-EKGs. Protokolliert werden Belastungsdauer, Gesamtleistung, maximale Belastungsstufe, Herzfrequenz- und Blutdruck-Veränderungen sowie Herzrhythmus und EKG-Veränderungen. Des Weiteren werden ggf. Gründe für einen evtl. Abbruch aufgeführt und Beschwerden protokolliert.
Interpretation der Messwerte
Leistung
Die maximale Sollleistung beträgt für den Mann 3 Watt/kg Körpergewicht minus 10 % für jede Lebensdekade jenseits des 30. Lebensjahres.
Die Sollleistung für die Frau beträgt 2,5 Watt/kg Körpergewicht minus 8 % für jede Lebensdekade jenseits des 30. Lebensjahres.
EKG
Mit dem EKG lassen sich vielfältige Aussagen zu Eigenschaften und Erkrankungen des Herzens treffen. Zu beachten ist, dass das Oberflächen-EKG nur die elektrische Aktivität des Myokards anzeigt, nicht jedoch die tatsächliche Auswurfleistung widerspiegelt.
Hinweise zur Morphologie der EKG-Kurve, siehe unter Ruhe-EKG.
Hinweise auf eine koronare Herzerkrankung (KHK) im Belastungs-EKG:
- ST-Strecke:
- neu auftretend deszendierende oder horizontale ST-Senkungen (≥ 0,1 mV, 80 msec. nach dem J-Punkt)
- aszendierend verlaufende ST-Strecke (Senkung ≥ 0,15 mV, 80 msec. nach dem J-Punkt)
- Klinische Symptome einer KHK: Angina pectoris (Brustenge, Herzschmerz) und/oder Dyspnoe (Atemnot)
Die Sensitivität (Prozentsatz erkrankter Patienten, bei denen die Krankheit durch die Anwendung des Verfahrens erkannt wird, d. h. ein positiver Befund auftritt) 50-80 % und Spezifität (Wahrscheinlichkeit, dass tatsächlich Gesunde, die nicht an der betreffenden Erkrankung leiden, durch das Verfahren auch als gesund erkannt werden) 60-80 % des Belastungs-EKGs ist bedeutend höher als beim Ruhe-EKG.
EKG-Veränderungen und ihre möglichen Interpretationen werden beim jeweiligen Krankheitsbild ausgeführt.
Blutdruck
Definition der Grenzwerte zur Hypertonie (Bluthochdruck) nach Belastungsreaktion
Systolisch (mmHg) | Diastolisch (mmHg) | |
Belastungsreaktion nach Franz | ||
100 W bis 50 Jahre | ≥ 200 | ≥ 100 |
Zuzugl. pro Dekade über 50 | 10 | 5 |
Belastungsreaktion nach Rost und Kindermann (nur systolisch) | ≥ 145 + 1/3 Alter + 1/3 Watt-Leistung | < 90 |
Weitere Hinweise
- Wer trotz antihypertensive Therapie unter Ergometertest bzw. bzw. körperlicher Belastung Blutdruckspitzen (systolischer Wert > 210 mmHg (Männer) und > 190 mmHg (Frauen); soweit die Blutdruckspitzen jeweils in der dritten Minute einer 3-minütigen Belastungsstufe auftraten) entwickelten, läuft Gefahr, eine Hypertonie und eine linksventrikuläre Hypertrophie (LVH; krankhafte Vergrößerung der linken Herzkammer) zu entwickeln [1].
Herzfrequenz
Die Ausdauerleistungsfähigkeit ist ein Spiegelbild der funktionellen Reservekapazität des Herzens. Sie wird charakterisiert durch eine schnelle Erholungsfähigkeit, die sich durch das Pulsverhalten nach Belastungsende (Erholungspuls) zeigt.
Die Bewertung bezieht sich auf den Rückgang der Herzfrequenz 1, 3 oder 5 Minuten nach Belastung:
Rückgang der Herzfrequenz nach 5 Minuten | Bewertung |
< 20 | schlecht |
20 - 30 | mäßig |
30 - 35 | ausreichend |
35 - 45 | gut |
45 - 50 | sehr gut |
> 50 | ausgezeichnet |
Beachte
- Das Belastungs-EKG hat im Rahmen der Ischämiediagnostik eine Sensitivität von ca. 50 % und eine Spezifität von über 80 %.
- Die bildgebenden Verfahren wie Stress-Echo, Stress-Perfusions-MRT, Dobutamin-Stress-MRT, Myokard-Perfusions-SPECT und CT-Angiographie sind dem Belastungs-EKG mit einer Sensitivität von über 80 % ohne Einbußen bei der Spezifität deutlich überlegen.
- Die ESC-Guideline empfiehlt bei einer Vortestwahrscheinlichkeit für eine koronare Herzkrankheit (KHK) von:
- 15-65 %: soweit möglich sollte ein modernes bildgebendes Verfahren wie Stress-Echo, Stress-MRT oder Myokard-Perfusions-SPECT; alternativ das Belastungs-EKG; bei einer Vortestwahrscheinlichkeit von 15-50 % wird als Alternative auch die CT-Angiographie empfohlen.
- 66-85 %: eine bildgebende Diagnostik sollte immer angestrebt werden.
- > 85 %: invasive Koronarangiographie (Form der Röntgenuntersuchung, bei der die Koronararterien (Arterien, die kranzförmig das Herz umgeben und den Herzmuskel mit Blut versorgen) abgebildet werden; wird im Rahmen einer Herzkatheteruntersuchung (HKU) durchgeführt)
- Nachanalyse der SCOT-Heart-Studie bei Patienten mit stabiler Angina pectoris [2]:
- Ein Belastungs-EKG ist vor allem dann hilfreich, wenn es pathologisch (krankhaft) ausfällt!
- Bei normalem oder nicht eindeutigem Befund ist eine weitere Abklärung erforderlich!
- Der negativ prädiktive Wert des Belastungs-EKGs beträgt 96 %, in Bezug auf jegliche obstruktive koronare Herzkrankheit (KHK) 82 %.
Literatur
- Mizuno R et al.: Clinical importance of detecting exaggerated blood pressure response to exercise on antihypertensive therapy. Heart 2016;102:849-854. http://dx.doi.org/10.1136/heartjnl-2015-308805
- Singh T et al.: Exercise Electrocardiography and Computed Tomography Coronary Angiography for Patients With Suspected Stable Angina Pectoris A Post Hoc Analysis of the Randomized SCOT-HEART Trial. JAMA Cardiol. Published online June 3, 2020. doi:10.1001/jamacardio.2020.1567
- Sinha A et al.: Rethinking False Positive Exercise Electrocardiographic Stress Tests by Assessing Coronary Microvascular Function Journal of the American College of Cardiology, 2024;83(2):291-299 https://doi.org/10.1016/j.jacc.2023.10.034
Leitlinien
- Sechtem U et al.: Kommentar zu den 2013 Leitlinien der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie (ESC) zum Management der stabilen koronaren Herzkrankheit (KHK). Kardiologe 2015 · 9:159-164 doi 10.1007/s12181-015-0652-x Online publiziert: 27. Februar 2015