Perfusionsszintigraphie (Durchblutungsszintigraphie) des Gehirns
Die Perfusionsszintigraphie des Gehirns (Synonym: Durchblutungsszintigraphie des Gehirns) wird in der nuklearmedizinischen Diagnostik als dynamisches Szintigraphie-Verfahren eingesetzt.
Das allgemeine Prinzip szintigraphischer Untersuchungen beruht darauf, dass dem Patienten eine radioaktive Substanz (Radionuklide, auch "Tracer" genannt) verabreicht wird, die sich je nach chemischer Struktur in unterschiedliche Zielorgane/-gewebe einlagert und anschließend von außen durch einen Szintillationsdetektor oder eine Gammakamera registriert werden kann. Da viele pathologische (krankhafte) Prozesse wie Entzündungen oder Tumoren einen veränderten Stoffwechsel aufweisen und somit dazu geneigt sind, die Radionuklide vermehrt bzw. vermindert einzulagern, können sie in der Szintigraphie lokalisiert werden.
Die dynamische Szintigraphie ist eine Erweiterung der statischen Szintigraphie und bietet zusätzliche Informationen über unterschiedliche Phasen der Aktivität im untersuchten Gebiet. Im Gehirn hat die Registrierung der Perfusion (Durchblutung) einen besonderen Stellenwert. Es kann dabei die perfusionsabhängige Verteilung des Radionuklids und somit eine Mehr- oder Minderdurchblutung erfasst werden. Ist beispielsweise im Vergleich zur anderen Gehirnhälfte ein verminderter Einstrom radioaktiver Aktivität nachweisbar, so kann von einer einseitigen Perfusionsstörung (Stenose oder Verschluss einer Hirnarterie) ausgegangen werden. Hypervaskularisierte (gefäßreiche) Tumoren wie z. B. Angiome werden hingegen aufgrund ihrer starken Durchblutung und Anreicherung des Radionuklids auffällig.
Beurteilbare Strukturen
- Großhirnrinde (Cortex cerebri)
- Bewertung regionaler Durchblutungsunterschiede, die auf Ischämien (Minderdurchblutung) oder fokale neurologische Aktivitäten hinweisen können.
- Identifikation von Bereichen mit reduzierter Perfusion (Durchblutung), die typisch für verschiedene Formen von Demenzen und neurodegenerativen Erkrankungen sind.
- Basalganglien
- Untersuchung auf Perfusionsdefizite, die auf Parkinson-Erkrankungen oder andere Bewegungsstörungen hindeuten könnten.
- Beurteilung der Durchblutung als Indikator für neurodegenerative Veränderungen oder Entzündungsprozesse.
- Thalamus und Hypothalamus (Teile des Zwischenhirns)
- Diagnose von Durchblutungsstörungen, die mit zentralen neurologischen Symptomen verbunden sind, einschließlich Schlafstörungen und hormonellen Dysfunktionen.
- Hirnstamm
- Evaluation der Perfusion in kritischen Bereichen, die für grundlegende Körperfunktionen wie Atmung und Herzrate verantwortlich sind.
- Erkennung von Durchblutungsstörungen, die zu schweren klinischen Syndromen führen können, wie dem Locked-in-Syndrom.
- Zerebellum (Kleinhirn)
- Überprüfung auf Durchblutungsanomalien, die Ataxien oder Koordinationsstörungen verursachen könnten.
- Beurteilung der zerebellären Funktion, insbesondere bei vermuteten degenerativen Veränderungen.
Indikationen (Anwendungsgebiete)
Die Perfusionsszintigraphie lässt eine genaue Aussage über die regionale Hirnperfusion zu. Eine Minderperfusion ist früher nachweisbar als in der Computertomographie (CT) oder Magnetresonanztomographie (MRT). Trotzdem sollte beachtet werden, dass heutzutage zur Abklärung zerebraler Durchblutungsstörungen die Sonographie der Carotiden (Halsgefäße; Halsschlagader), die MR-Angiographie oder die DSA (digitale Subtraktionsangiographie) der Perfusionsszintigraphie meist vorgezogen werden. Bei folgenden Fragestellungen kann die Perfusionsszintigraphie indiziert sein:
- Verdacht auf eingeschränkte zerebrale Perfusionsreserve (Durchblutungsreserve des Gehirns): Reversible Perfusionsstörungen oder die Frühphase eines ischämischen Apoplex (Schlaganfall; Minderdurchblutung bestimmter Hirnteile aufgrund von Gefäßengen/-verschlüssen) können mit der Szintigraphie früh diagnostiziert werden.
- Lokalisation epileptischer Herde: Zwischen den Anfällen zeigt der Anfallsherd meistens eine verminderte Perfusion.
- Differentialdiagnostik und Früherkennung degenerativer Erkrankungen (Erkrankungen, die mit einem Nervenzelluntergang assoziiert sind, z. B. Demenzen): Minderdurchblutungen in bestimmten Basalganglien-Anteilen sind z. B. charakteristisch für verschiedene Demenzformen.
- Verdacht auf Hirnbeteiligung bei Kollagenosen (Gruppe von Bindegewebserkrankungen, die durch Autoimmunprozesse bedingt sind): systemischer Lupus erythematodes (SLE), Polymyositis (PM) bzw. Dermatomyositis (DM), Sjögren-Syndrom (Sj), Sklerodermie (SSc) und Sharp-Syndrom ("mixed connective tissue disease", MCTD)
- HIV-Enzephalopathie (HIVE) (Infektion des Zentralnervensystems mit HIV): bei unauffälliger MRT kann zusätzlich eine Perfusionsszintigraphie durchgeführt werden.
- Außerdem kann die Perfusionsszintigraphie zur Diagnostik des Hirntods verwendet werden.
Kontraindikationen (Gegenanzeigen)
Relative Kontraindikationen
- Laktationsphase (Stillphase) – das Stillen muss für 48 Stunden unterbrochen werden, um eine Gefährdung des Kindes zu verhindern.
- Wiederholungsuntersuchung – innerhalb von drei Monaten sollte aufgrund der Strahlenbelastung keine Wiederholung einer Szintigraphie durchgeführt werden.
Absolute Kontraindikationen
- Gravidität (Schwangerschaft)
Vor der Untersuchung
- Patienten sollten über mögliche Risiken und den Nutzen der Untersuchung aufgeklärt werden.
- Der Patient sollte darauf achten, am Untersuchungstag keine vasodilatativen (gefäßerweiternden) oder vasokonstriktiven (gefäßverengenden) Substanzen zu sich zu nehmen. Einige Stunden vor der Untersuchung sollte daher verzichtet werden auf: Rauchen, schwarzen Tee oder Kaffee.
- Prüfung der Medikamenteneinnahme und mögliche Interaktionen mit dem Tracer.
- Sicherstellung, dass Patienten in einem ruhigen Zustand sind, um die Baseline der Hirnperfusion (Gehirndurchblutung) nicht zu beeinflussen.
- Der Patient muss für 15-20 min. in einem abgedunkelten Raum ruhen, um die Aktivität bestimmter Hirnareale auszuschalten (Sehen, Sprechen etc.) und somit eine gleichmäßige Hirnperfusion zu gewährleisten.
- Die Untersuchung kann ggf. mit vasodilatativen (gefäßerweiternden) Medikamenten wiederholt werden, um die maximal möglichen Reserven zu ermitteln: Dazu erhält der Patient vor der zweiten Untersuchung Acetazolamid (Diamox®), das der Erweiterung der Hirngefäße dient. Vergleicht man die Belastungsuntersuchung (mit Diamox®) mit der Ausgangsuntersuchung kann man durch Subtraktion die Perfusionsreserve bestimmen.
Das Verfahren
- Das Radiopharmakon wird am liegenden Patienten intravenös appliziert. Wie auch in der Vorbereitungsphase ist hierbei die Einhaltung von Ruhe erforderlich. Der Raum ist in der Regel abgedunkelt, der Untersuchungsablauf sollte vorher geklärt worden sein, sodass mit dem Patienten nicht mehr gesprochen wird.
- Als Radionuklid wird das [99mTc]Technetium verwendet. Damit das 99mTc-markierte Radiopharmakon die Blut-Hirn-Schranke passieren kann, müssen lipophile (fettlösliche) Strukturen chemisch angefügt werden. Kommerziell verbreitet sind zwei Substanzen: 99mTc-markiertes Hexamethylpropylenaminoxin (99mTc- HMPAO) und 99mTc-markiertes Ethylcysteinat-Dimer (99mTc-ECD).
- Nachdem die lipophilen Substanzen gut intrazerebral (ins Hirngewebe) aufgenommen wurden, werden sie intrazellulär (innerhalb der Zellen) in eine hydrophile (wasserlösliche) Form umgewandelt, sodass sie die Zelle nicht mehr verlassen können und akkumulieren (sich ansammeln).
- Die Messung der Radionuklid-Aktivität erfolgt nach 60 Min. Ruhezeit mithilfe einer Gamma-Kamera. Die einfachste Art der Registrierung der Aktivitätsverteilung ist die planare Szintigraphie, die Aufnahmen in mehreren Ebenen, jedoch mit Überlagerungen ermöglicht. Heutzutage finden hochauflösende Mehrkopf-SPECT-Systeme (Single Photon Emission Computed Tomography) Anwendung, die während der Untersuchung um den Patienten rotieren und durch das Schnittbild-Prinzip eine überlagerungsfreie Darstellung des Hirngewebes gewährleisten.
Mögliche Befunde
- Verminderte Durchblutung: Kann auf einen akuten oder chronischen Insult hinweisen, insbesondere im Falle von Schlaganfällen.
- Erhöhte Durchblutung: Oft bei Tumoren oder entzündlichen Prozessen festgestellt, wo eine Hyperperfusion auf eine erhöhte metabolische Aktivität im Tumorgewebe oder Entzündungsbereich hinweist.
Hinweis: Hyperperfusion, d. h. das Perfusionsniveau liegt dabei vorübergehend weit über dem physiologischen Bedarf des Hirngewebes - Asymmetrische Perfusion: Unregelmäßigkeiten zwischen den Hemisphären (Hälften des Kleinhirns und des Großhirns) können auf Erkrankungen wie Apoplex (Schlaganfall), Tumorwachstum oder entzündliche Prozesse hinweisen.
Nach der Untersuchung
- Überwachung auf mögliche unerwünschte Reaktionen auf den Tracer.
- Auswertung der Szintigraphie durch Fachpersonal, um detaillierte Befunde zu erstellen und diese im Kontext der klinischen Symptomatik des Patienten zu interpretieren.
- Diskussion der Ergebnisse mit dem Patienten und Planung weiterer diagnostischer Schritte oder therapeutischer Maßnahmen basierend auf den Befunden der Szintigraphie.
Mögliche Komplikationen
- Bei der intravenösen Applikation des Radiopharmakons kann es zu lokalen Gefäß- und Nervenläsionen (Verletzungen) kommen.
- Die Strahlenbelastung durch das verwendete Radionuklid ist eher, als gering einzustufen. Trotzdem ist das theoretische Risiko eines strahleninduzierten Spätmalignoms (Leukämie oder Karzinom) erhöht, sodass eine Nutzen-Risiko-Abwägung erfolgen sollte.
Literatur
- Hermann HJ: Nuklearmedizin. Elsevier Verlag 2004
- Lohr F, Wenz F: Strahlentherapie kompakt. Urban & Fischer Verlag 2007
- Schober O: Nuklearmedizin: Basiswissen und klinische Anwendung. Schattauer Verlag 2007
- Weber E, Meller J: Hirnperfusionsszintigraphie mit Tc-99m-ECD. Deutsche Gesellschaft für Nuklearmedizin e.V. August 2003